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HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 277

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 1 BvR 289/12, Beschluss v. 09.02.2012, HRRS 2012 Nr. 277


BVerfG 1 BvR 289/12 (1. Kammer des Ersten Senats) - Beschluss vom 9. Februar 2012 (OLG Frankfurt am Main)

Sitzungspolizeiliche Anordnung; Pressemitteilung; Abbildung (Anonymisierung; "Verpixelung"); Pressefreiheit.

Art. 5 Abs. 1 GG; § 176 GVG; § 93 Abs. 1 BVerfGG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die in Form einer Pressemitteilung ergangene sitzungspolizeiliche Anordnung, wonach der Angeklagte im Rahmen der Presseberichterstattung nur anonymisiert abgebildet werden darf, gelangt regelmäßig mit der Veröffentlichung der Pressemitteilung, spätestens jedoch zu Beginn der ersten mündlichen Verhandlung zur Kenntnis der betroffenen Presseorgane. Damit beginnt der Lauf der Frist zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde nach § 93 Abs. 1 BVerfGG.

2. Ein Rechtsbehelf gegen eine derartige sitzungspolizeiliche Anordnung ist offensichtlich unstatthaft und deshalb nicht geeignet, die Frist zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde offen zu halten. Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn auf den Rechtsbehelf eine Entscheidung ergeht, die eine neue sitzungspolizeiliche Anordnung darstellt. Dies ist nicht der Fall, wenn mit dem Rechtsbehelf nur Umstände gerügt worden sind, die bereits zum Zeitpunkt der angegriffenen Anordnung von Bedeutung waren.

Entscheidungstenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe

I.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die in einem Strafverfahren ergangenen sitzungspolizeilichen Anordnungen des Vorsitzenden des 5. Strafsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main vom 5. August 2011 und vom 9. August 2011, bekanntgegeben mit Pressemitteilung vom 24. August 2011, mit denen unter anderem die Veröffentlichung nicht anonymisierter Lichtbilder des Angeklagten Arid U., dem sogenannten "Frankfurter Flughafenattentäter", untersagt wurden.

1. Die Beschwerdeführerin, die in denselben Anordnungen zur Poolführerin der Presseberichterstattung bestimmt worden ist, beabsichtigt, nichtanonymisierte Bildaufnahmen des Angeklagten zu veröffentlichen. Sie legte deshalb mit Schreiben vom 24. Januar 2012 gegen diese Verfügungen ausdrücklich insoweit Widerspruch ein, als ihr dort auferlegt wurde, dass auf Bildaufnahmen, die im Sitzungssaal bis zum Beginn, während den Pausen und nach Ende der jeweiligen Sitzung gefertigt werden, das Gesicht des Angeklagten unkenntlich zu machen sei.

2. Mit Beschluss vom 27. Januar 2012 verwarf der Vorsitzende Richter des Oberlandesgerichts Frankfurt zum einen den Widerspruch als unstatthaft und wies zum anderen, soweit der Widerspruch als Gegenvorstellung gegen die sitzungspolizeilichen Verfügungen anzusehen sei, diese als unbegründet zurück.

Die Urteilsverkündung im Verfahren erfolgt voraussichtlich am 10. Februar 2012.

3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde vom 3. Februar 2012, eingegangen am 6. Februar 2012, rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Grundrechts auf Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt.

1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht gemäß § 93 Abs. 1 BVerfGG binnen eines Monats erhoben worden ist.

a) Die angegriffenen Anordnungen sind mit Pressemitteilung vom 24. August 2011 bekannt gegeben worden. Es ist davon auszugehen - und von der Beschwerdeführerin ist insoweit auch nicht gegenteilig vorgetragen -, dass auch die Beschwerdeführerin als Poolführerin der Presseberichterstattung diese Presseerklärung am Tag der Mitteilung zur Kenntnis genommen hat, sie spätestens aber zum Beginn der ersten mündlichen Verhandlung am 31. August 2011 über den Inhalt der angegriffenen Verfügungen informiert worden ist. Damit aber hat die Frist zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde gegen die angegriffenen Verfügungen vermutlich bereits mit Ablauf des 24. August 2011, spätestens jedoch mit Ablauf des 31. August 2011 begonnen. Die Frist zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde endete damit spätestens mit Ablauf des 30. September 2011.

b) Hieran ändern auch der Rechtsbehelf der Beschwerdeführerin vom 24. Januar 2012, mit dem sie ausdrücklich Widerspruch gegen die angegriffenen Anordnungen eingelegt hat, und der hierauf ergangene Beschluss des Vorsitzenden des Oberlandesgerichts vom 27. Januar 2012 nichts.

aa) Der eingelegte Rechtsbehelf war nicht geeignet, die Monatsfrist zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde erneut in Gang zu setzen. Denn, wie das Oberlandesgericht zutreffend festgestellt hat, ist ein Widerspruch gegen eine sitzungspolizeiliche Anordnung offensichtlich unstatthaft (vgl. zur Unstatthaftigkeit BVerfGE 91, 125 <133>; vgl. zur Fristwahrung BVerfGE 5, 17 <19 f.>; stRspr). Und auch der gesetzlich nicht normierte Rechtsbehelf der Gegenvorstellung wird unabhängig davon, dass dieser vorliegend auch nicht innerhalb der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG erhoben worden wäre (vgl. hierzu BVerfGE 19, 198 <200>; 76, 107 <115 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 25. November 2009 - 1 BvR 2464/09 -, juris, Rn. 2), grundsätzlich nicht als fristwahrend anerkannt (BVerfGE 122, 190 <199 ff.>).

bb) Entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin kann der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 27. Januar 2012 auch nicht als erneute sitzungspolizeiliche Anordnung aufgefasst werden, so dass gegen diesen Verfassungsbeschwerde unter erneutem Beginn der Monatsfrist hätte erhoben werden können. Denn Tenor und Begründung des Beschlusses lassen erkennen, dass das Oberlandesgericht ausschließlich den eingelegten Rechtsbehelf bescheiden nicht jedoch auch eine erneute Anordnung treffen wollte. Zu einer erneuten Bescheidung bestand auch kein Anlass, da die Beschwerdeführerin entgegen ihrem Beschwerdevorbringen mit dem Rechtsbehelf zum Oberlandesgericht nur solche Umstände gerügt hat, die bereits zum Zeitpunkt der angegriffenen Anordnungen von Bedeutung waren, und der ebenfalls noch gestellte "Antrag" auf Änderung der sitzungspolizeilichen Anordnung nicht derart hinreichend substantiiert formuliert war, dass man ihn zwingend hätte bescheiden müssen.

c) Der Beschwerdeführerin, die in der Sache insbesondere geltend macht, dass die angegriffenen sitzungspolizeilichen Anordnungen insofern im Hinblick auf das Grundrecht der Pressefreiheit unverhältnismäßig seien, als sie für den Tag der Urteilsverkündung auf den Fall eines Freispruchs hätten beschränkt werden müssen, hätte es mithin entweder oblegen, diesen Aspekt mit fristgemäßer Erhebung der Verfassungsbeschwerde gegen die ursprünglichen Anordnungen geltend zu machen oder durch hinreichend bestimmten Antrag unter substantiierter Schilderung einer veränderten Sachlage eine neue sitzungspolizeiliche Anordnung herbeizuführen.

2. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledigt sich zugleich auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 277

Bearbeiter: Holger Mann