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HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 228

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 2122/11, Beschluss v. 06.02.2013, HRRS 2013 Nr. 228


BVerfG 2 BvR 2122/11, 2 BvR 2705/11 (Zweiter Senat) - Beschluss vom 6. Februar 2013 (OLG Frankfurt am Main / LG Marburg)

Nachträgliche Sicherungsverwahrung (nach Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus); Vertrauensschutz (Verhältnismäßigkeit; strikte Prüfung; erhöhte Anforderungen; europäische Menschenrechtskonvention).

Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 104 Abs. 1 GG; Art. 5 EMRK; Art. 7 EMRK; § 63 StGB; § 66b Satz 1 StGB; § 66b Abs. 3 StGB a.F.; § 67d Abs. 6 StGB, § 1 Abs. 1 ThUG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (BVerfGE 128, 326 <330> = HRRS 2011 Nr. 488) verstößt § 66b Abs. 3 StGB a. F., wie die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung insgesamt, gegen das aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG herzuleitende Abstandsgebot. Die Vorschriften dürfen längstens bis zum 31. Mai 2013 und nur nach Maßgabe der in dem Urteil getroffenen Weitergeltungsanordnung angewendet werden. Danach ist die Anordnung der Sicherungsverwahrung in der Regel nur verhältnismäßig, wenn von dem Verurteilten eine konkrete Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten ausgeht.

2. Soweit eine Vorschrift darüber hinaus ein nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 20 Abs. 3 GG schutzwürdiges Vertrauen des Betroffenen beeinträchtigt, ist dessen (weitere) Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 nur noch dann verhältnismäßig, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in seiner Person oder seinem Verhalten abzuleiten ist und wenn bei ihm eine psychische Störung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Therapieunterbringungsgesetzes besteht.

3. Auch in Konstellationen, in denen über die in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 genannten Fälle hinaus die Anwendung einer Norm in ein schutzwürdiges Vertrauen des Betroffenen eingreift, sind die Gerichte bis zu einer Neuregelung des Rechts der Sicherungsverwahrung gehalten, die Sicherungsverwahrung nur noch dann anzuordnen oder aufrechtzuerhalten, wenn die genannten erhöhten Verhältnismäßigkeitsanforderungen erfüllt sind (Bezugnahme auf BVerfGE 129, 37 <47> = HRRS 2011 Nr. 740).

4. § 66b Abs. 3 StGB a. F. (jetzt: § 66b Satz 1 StGB), welcher die nachträgliche Sicherungsverwahrung ermöglicht, wenn sich die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus wegen Wegfalls oder Nichtbestehen des schuldmindernden bzw. schuldausschließenden Zustandes nach § 67d Abs. 6 StGB erledigt hat, beeinträchtigt ein schutzwürdiges Vertrauen des Untergebrachten und ist daher nur nach Maßgabe einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung weiter anwendbar.

5. § 66b Abs. 3 StGB a. F. regelt nicht lediglich eine unter Vertrauensschutzgesichtspunkten unbeachtliche Überweisung von einer Maßregel in eine andere; denn die Unterbringung nach § 63 StGB muss zunächst beendet sein, bevor in einem dem Anordnungsverfahren entsprechenden Verfahren die Sicherungsverwahrung verhängt werden kann, bei der es sich auch um eine gegenüber § 63 StGB auch qualitativ andere Maßregel handelt.

6. Das Vertrauen des Betroffenen, dass ihm die Sicherungsverwahrung dauerhaft erspart bleibt, ist auch dann verfassungsrechtlich geschützt, wenn die Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung bereits zum Zeitpunkt des tatgerichtlichen Urteils erfüllt waren, die Sicherungsverwahrung jedoch im Urteil weder angeordnet noch vorbehalten worden ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn zum Zeitpunkt des Urteils noch keine Norm existierte, die eine nachträgliche Sicherungsverwahrung ermöglicht. Das Gewicht des Vertrauens nähert sich in diesen Fällen einem absoluten Vertrauensschutz an, zumal bei der Gewichtung der betroffenen Vertrauensschutzbelange auch Art. 5 und Art. 7 EMRK in ihrer Konkretisierung durch den EGMR zu berücksichtigen sind.

Entscheidungstenor

1. Die Verfassungsbeschwerden werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

2. a) Der Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 22. August 2011 - 3 Ws 761-762/11 - und der Beschluss des Landgerichts Marburg vom 15. Juli 2011 - 7 StVK 190/11 + 267/11 - verletzen den Beschwerdeführer zu I. in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 und Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 22. August 2011 - 3 Ws 761-762/11 - wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen.

b) Der Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 15. November 2011 - 3 Ws 970/11 - und der Beschluss des Landgerichts Marburg vom 30. August 2011 - 7 StVK 266/11 - verletzen den Beschwerdeführer zu II. in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 und Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 15. November 2011 - 3 Ws 970/11 - wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen.

3. Die Bundesrepublik Deutschland und das Land Hessen haben - je zur Hälfte - den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen zu erstatten. Damit erledigen sich der Antrag des Beschwerdeführers zu I. auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts K..., sowie der Antrag des Beschwerdeführers zu II. auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts Sch...

Gründe

A.

Die Verfassungsbeschwerden wenden sich gegen die Fortdauer der Unterbringung der Beschwerdeführer in der Sicherungsverwahrung, die nach der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nachträglich angeordnet wurde.

I.

1. Mit § 66b Abs. 3, § 67d Abs. 6 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (BGBl I S. 1838) sollte eine gesetzliche Regelung der Sicherungsverwahrung für Fälle geschaffen werden, in denen während des Vollzugs einer Maßregel nach § 63 StGB festgestellt wird, dass die Voraussetzungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus - jedenfalls zum Zeitpunkt der Überprüfung - nicht (mehr) vorliegen. Nachdem die Strafvollstreckungsgerichte in analoger Anwendung des § 67c Abs. 2 Satz 2 StGB die Auffassung vertreten hatten, dass "sich bei Wegfall der gesetzlichen Voraussetzungen des § 63 StGB die Unterbringung erledigt hat und nicht weiter vollstreckt werden darf, so dass der Untergebrachte sofort zu entlassen ist" (vgl. BGHSt 42, 306 <310>), wurde mit Einführung von § 67d Abs. 6 StGB die Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gesetzlich geregelt und zugleich mit § 66b Abs. 3 StGB eine Vorschrift geschaffen, die in diesen Fällen für "Abgeurteilte, die nach einer umfassenden Gesamtwürdigung als hochgefährlich zu betrachten sind", die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung eröffnen sollte (BTDrucks 15/2887, S. 2).

§ 66b Abs. 3 in der Fassung des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (BGBl I S. 1838) lautete:

Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn

1. die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und

2. die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Vollzugs der Maßregel ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

Auf die Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 StGB verwies § 66b Abs. 3 StGB nur teilweise. So sah § 66b Abs. 3 StGB die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung bereits vor, wenn die Unterbringung des Betroffenen gemäß § 63 StGB wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genannten Taten angeordnet oder der Betroffene vor der Anlasstat schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden war. Weitere Vorverurteilungen (§ 66 Abs. 1 und Abs. 2 StGB) oder eine Verurteilung wegen der Anlasstat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei oder drei Jahren (§ 66 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 StGB) waren demgegenüber nicht erforderlich. Dem Ausnahmecharakter der Sicherungsverwahrung sollte dadurch Rechnung getragen werden, dass sich bei der nach § 66b Abs. 3 Nr. 2 StGB vorgeschriebenen Gesamtwürdigung des Betroffenen "prognoserelevante Umstände von einem insgesamt derartigen Gewicht ergeben, wie es den Anforderungen an Taten und Strafmaße entspricht, die das Gesetz an die Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen voll schuldfähige Verurteilte stellt" (BTDrucks 15/2887, S. 14).

2. Mit dem Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl I S. 2300) wurden § 66b Abs. 1 und Abs. 2 StGB ersatzlos gestrichen. § 66b Abs. 3 StGB gilt nunmehr als § 66b Satz 1 StGB fort mit der Änderung, dass in die Gesamtwürdigung nach Nr. 2 der Vorschrift nicht mehr nur die Entwicklung "während des Vollzugs der Maßregel", sondern diejenige "bis zum Zeitpunkt der Entscheidung" einzubeziehen ist.

3. Das Bundesverfassungsgericht erklärte § 66b Abs. 3 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (BGBl I S. 1838) mit Urteil vom 4. Mai 2011 wegen Verstoßes gegen das Abstandsgebot für unvereinbar mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 128, 326 <330>).

II.

1. a) Der Beschwerdeführer zu I. wurde durch Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 6. Februar 1992 wegen Mordes in drei Fällen und wegen versuchten Mordes in einem weiteren Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Außerdem wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.

Er hatte im Oktober 1988 eine 17-jährige Anhalterin mitgenommen und war mit ihr auf einen Feldweg gefahren. Sodann hatte er sie mit beiden Händen bis zum Erstickungstod gewürgt, was für ihn ein sexuell lustvolles Erlebnis war. Im September 1989 hatte der Beschwerdeführer zu I. eine 22-jährige Prostituierte während oder unmittelbar nach dem in seinem PKW vollzogenen einverständlichen Geschlechtsverkehr bis zum Eintritt des Erstickungstodes gewürgt. Nach den Feststellungen des Landgerichts war er dabei einem inneren, sexuell motivierten Drang gefolgt. Aus der gleichen Motivation heraus hatte er im Oktober 1989 eine 25-jährige Prostituierte mit zwei von ihm mitgeführten Nylonstrümpfen erdrosselt. Im März 1990 hatte er erneut eine 22-jährige Prostituierte in seinen PKW gelockt. Noch während des Geschlechtsverkehrs hatte er ihr die Hände um den Hals gelegt und begonnen, ihr den Hals zuzudrücken, konnte die Tat jedoch nicht vollenden.

Das Landgericht nahm Wiederholungsgefahr an. Obwohl für den Beschwerdeführer zu I. ein therapeutischer Ansatz nicht ersichtlich war, gab es der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Vorzug gegenüber der von ihm ebenfalls für möglich gehaltenen Anordnung der Sicherungsverwahrung, weil eine künftige Therapiemöglichkeit nicht ausgeschlossen werden könne.

b) Nach vollständiger Verbüßung der Freiheitsstrafe wurde die Maßregel vollzogen. Im April 2007 erklärte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kassel die Maßregel für erledigt, weil ein krankhafter Zustand im Sinne der §§ 20, 21 StGB bei Begehung der Straftaten - anders als noch im Ausgangsurteil angenommen - nicht vorgelegen habe. Im März 2008 wurde mit Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main die nachträgliche Unterbringung des Beschwerdeführers zu I. in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Nach den Ausführungen der Strafkammer sei er, der sich als normal empfinde und nicht therapiebereit sei, trotz seines vordergründig angepassten Verhaltens hochgefährlich. Auch zwischen seinen einzelnen Taten habe er sich sozial völlig angepasst verhalten. Vergleichbare Straftaten seien mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, so dass die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung verhältnismäßig sei. Nachdem der Bundesgerichtshof die gegen dieses Urteil gerichtete Revision im September 2008 verworfen hatte, wurde die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu I. nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfGK 16, 98). Daraufhin erhob er Individualbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Mit Urteil vom 7. Juni 2012 stellte die Kammer der 5. Sektion des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 EMRK durch die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung fest und sprach dem Beschwerdeführer zu I. eine Entschädigung zu (EGMR, Urteil vom 7. Juni 2012, Beschwerde-Nr. 65210/09, G. ./. Deutschland, Rn. 70, 80).

c) Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 wollte der Beschwerdeführer zu I. zumindest die Aussetzung seiner Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zur Bewährung erreichen. Dies lehnte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Marburg mit angegriffenem Beschluss vom 15. Juli 2011 jedoch ab. Der Beschwerdeführer zu I. habe sich sämtlichen Behandlungsangeboten entzogen und es abgelehnt, sich einem Gutachter zu stellen. Aus konkreten Umständen in seiner Person und in seinem Vollzugsverhalten sei gleichwohl die Gefahr schwerer Gewalt- und Sexualtaten abzuleiten. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 verstoße die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach einer vorangegangenen Erledigungserklärung der Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 66b Abs. 3, § 67d Abs. 6 StGB nicht gegen das allgemeine Vertrauensschutzgebot, sondern "nur" gegen das Abstandsgebot. Das Bundesverfassungsgericht habe dies zwar nicht ausdrücklich erklärt, doch werde der Verurteilte durch die Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht schlechter gestellt, da er sich ohnehin bereits in einer unbefristeten Maßregel befunden habe. Mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung werde eine unbefristete Maßregel durch eine andere ersetzt. Hinzu komme, dass die Möglichkeit einer Erledigung nach § 67d Abs. 6 StGB untrennbar mit der nachträglichen Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 3 StGB verknüpft sei.

Die gegen diese Entscheidung gerichtete sofortige Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit dem ebenfalls angegriffenen Beschluss vom 22. August 2011. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 sei Voraussetzung einer nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung, dass eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten sei. Diese Voraussetzungen lägen hier vor, zumal es sich bei den begangenen Taten um schwerste Gewalttaten gehandelt habe. Ein zusätzlicher Verstoß gegen das Vertrauensschutzgebot sei nicht gegeben. Anders als bei § 66b Abs. 1 und Abs. 2 StGB seien bei § 66b Abs. 3 StGB Vertrauensschutzbelange von besonders hohem Gewicht nicht betroffen. Das Bundesverfassungsgericht habe hinsichtlich dieser Norm im Nichtannahmebeschluss vom 5. August 2009 (BVerfGK 16, 98 <111 f.>) betont, dass es hier nicht um die erstmalige Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel gehe und dass die Unterbringung gemäß § 63 StGB kein geringeres, sondern ein anderes Übel sei. Die Rückwirkungsproblematik stelle sich daher nur in stark abgeschwächter Form.

2. a) Der Beschwerdeführer zu II. wurde durch Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 28. August 1987 wegen Vergewaltigung in vier Fällen jeweils in Tateinheit mit sexueller Nötigung und Körperverletzung, davon in einem Fall in Tateinheit mit räuberischer Erpressung, sowie wegen versuchter Vergewaltigung und wegen versuchter sexueller Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.

Er hatte von November 1985 bis Juli 1986 jungen Prostituierten zum Schein ein Entgelt angeboten, um sie dann mit seinem Auto an entlegene Stellen zu fahren und dort zu misshandeln, zu demütigen sowie zu vergewaltigen. Nach Überzeugung des Landgerichts habe bei ihm eine hochgradige Persönlichkeitsstörung mit sexueller Deviation vorgelegen, so dass seine Fähigkeit zu einsichtsgemäßem Handeln bei Begehung seiner Taten erheblich vermindert gewesen sei. Der Beschwerdeführer zu II. habe unter paranoiden Ängsten gelitten, gegen die er sich aggressiv zur Wehr gesetzt habe. Zwar seien auch die Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung gegeben, doch sei die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vorzugswürdig, da die Sicherungsverwahrung einen ausschließlichen "Verwahrcharakter" habe und keine konkreten medizinisch-psychologischen Behandlungsmöglichkeiten biete.

b) Ab Oktober 1986 war der Beschwerdeführer zu II. in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Nachdem ihm im Februar 2005 und November 2006 durch Gutachten bescheinigt worden war, dass eine Persönlichkeitsstörung nicht vorliege, wurde die Unterbringung im Juli 2007 für erledigt erklärt. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Marburg führte aus, es habe sich beim Ausgangsurteil um eine Fehleinweisung gehandelt. Ein krankhafter Zustand gemäß §§ 20, 21 StGB habe bei Begehung der Straftaten nicht vorgelegen. Zugleich wurde - bis zu einer Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung - die einstweilige Unterbringung des Beschwerdeführers zu II. in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hob diese Unterbringungsanordnung jedoch im Januar 2008 auf, woraufhin sich der Beschwerdeführer zu II. für zwei Wochen auf freiem Fuß befand. Nachdem er in der Hauptverhandlung über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung ausgeblieben war, erließ das Landgericht Frankfurt am Main einen Haftbefehl, aufgrund dessen der Beschwerdeführer zu II. erneut festgenommen wurde.

Am 9. April 2008 ordnete das Landgericht Frankfurt am Main die nachträgliche Unterbringung des Beschwerdeführers zu II. in der Sicherungsverwahrung an. Dabei führte das sachverständig beratene Landgericht aus, eine Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und seiner Entwicklung im Maßregelvollzug ergebe, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen werde, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt würden. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision verwarf der Bundesgerichtshof im November 2008. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu II. wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfGK 16, 98). Daraufhin erhob der Beschwerdeführer zu II. Individualbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Mit Urteil vom 7. Juni 2012 stellte die Kammer der 5. Sektion des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 EMRK durch die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung fest und sprach dem Beschwerdeführer zu II. eine Entschädigung zu (EGMR, Urteil vom 7. Juni 2012, Beschwerde-Nr. 61827/09, K. ./. Deutschland, Rn. 79, 89).

c) Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 wollte der Beschwerdeführer zu II. zumindest die Aussetzung seiner Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zur Bewährung erreichen. Diesen Antrag wies die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Marburg mit angegriffenem Beschluss vom 30. August 2011 jedoch zurück. Der Beschwerdeführer zu II. habe es abgelehnt, sich einem Gutachter zu stellen. Aus konkreten Umständen in seiner Person und in seinem Vollzugsverhalten sei gleichwohl die Gefahr schwerer Gewalt- und Sexualtaten abzuleiten. Dass kein Verstoß gegen das allgemeine Vertrauensschutzgebot, sondern "nur" ein Verstoß gegen das Abstandsgebot vorliege, wird im Beschluss der Strafvollstreckungskammer im Wesentlichen ebenso begründet wie in der im Verfahren des Beschwerdeführers zu I. ergangenen Entscheidung. Die gegen diese Entscheidung gerichtete sofortige Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 15. November 2011. Dabei wurde insbesondere auf den im Verfahren des Beschwerdeführers zu I. ergangenen Beschluss verwiesen. Ergänzend führte das Gericht aus, auch der Umstand, dass sich der Beschwerdeführer zu II. kurzfristig auf freiem Fuß befunden habe, rechtfertige keine andere Bewertung.

III.

1. Der Beschwerdeführer zu I. macht im Wesentlichen eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG geltend. Nach früher geltendem Recht hätte die verhängte Maßregel für erledigt erklärt werden müssen. Er hätte nach Vollverbüßung der Freiheitsstrafe auf freien Fuß gesetzt werden müssen. Es gehe daher nicht lediglich um den Übergang von einer Maßregel in die andere, sondern um die Unterscheidung zwischen Haftentlassung und Unterbringung in der Sicherungsverwahrung. Bei seiner Verurteilung im Jahr 1992 habe er in keiner Weise mit nachträglicher Sicherungsverwahrung rechnen müssen, zumal damals die Höchstdauer der erstmaligen Sicherungsverwahrung noch auf zehn Jahre befristet gewesen sei.

2. Der Beschwerdeführer zu II. macht ebenfalls im Wesentlichen eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG geltend. Obwohl zur Zeit der Verurteilung eine Verbindung der Maßregeln gemäß § 72 Abs. 2 StGB möglich gewesen sei, habe das Tatgericht von einer Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen. Durch die Einführung von § 66b Abs. 3 StGB fast 20 Jahre später ergebe sich eine rückwirkende Schlechterstellung. Er wäre nach Strafverbüßung zu entlassen gewesen, da die Voraussetzungen einer Maßregel gemäß § 63 StGB nicht vorgelegen hätten. Außerdem könne von einer Überweisung von einer Maßregel in die andere nicht die Rede sein. Dies ergebe sich schon aus dem Umstand, dass er sich vor Anordnung der Sicherungsverwahrung bereits wieder in Freiheit befunden habe. Wäre die Sicherungsverwahrung in der Ausgangsentscheidung angeordnet worden, so hätte sie nach zehn Jahren geendet. Gegen ihn habe überhaupt nur deshalb die zeitlich unbegrenzte Sicherungsverwahrung angeordnet werden können, weil er zuvor rechtswidrig im Rahmen der Maßregel gemäß § 63 StGB der Freiheit beraubt worden sei.

IV.

Zu den Verfassungsbeschwerden haben sich das Bundesministerium der Justiz, der 2., 4. und 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs, der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof und das Hessische Ministerium der Justiz, für Integration und Europa geäußert. Der Bundestag, der Bundesrat und die Niedersächsische Landesregierung haben von einer Stellungnahme abgesehen.

B.

Die Verfassungsbeschwerden sind begründet. Die auf § 66b Abs. 3 in der Fassung des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (BGBl I S. 1838) gestützte nachträgliche Anordnung ihrer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung verletzt die Grundrechte der Beschwerdeführer aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

I.

Das Bundesverfassungsgericht hat - neben den übrigen Vorschriften über Anordnung und Dauer der Sicherungsverwahrung - auch § 66b Abs. 3 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (BGBl I S. 1838) wegen Verstoßes gegen das Abstandsgebot für unvereinbar mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG erklärt (vgl. BVerfGE 128, 326 <330>). Zugleich hat es gemäß § 35 BVerfGG die Weitergeltung der Normen bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber, längstens bis zum 31. Mai 2013, angeordnet (vgl. BVerfGE 128, 326 <332>). Danach darf § 66b Abs. 3 StGB während seiner Fortgeltung nur nach Maßgabe einer - insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an die Gefahrprognose und die gefährdeten Rechtsgüter - strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt werden (vgl. BVerfGE 128, 326 <405 f.>; 129, 37 <45 f.>).

1. Die Verhältnismäßigkeit der Sicherungsverwahrung wird in der Regel nur unter der Voraussetzung gewahrt sein, dass eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist (vgl. BVerfGE 128, 326 <406>). Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung haben die Fachgerichte die Möglichkeiten einer Führungsaufsicht auszuloten und sich damit auseinanderzusetzen, ob und inwieweit der Gefährlichkeitsgrad des Betroffenen hierüber reduziert werden kann (vgl. BVerfGE 128, 326 <408>; 129, 37 <46>).

2. Soweit darüber hinaus ein nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG schutzwürdiges Vertrauen auf ein Unterbleiben der Anordnung einer Sicherungsverwahrung beeinträchtigt wird, ist dies angesichts des damit verbundenen Eingriffs in das Freiheitsrecht des Betroffenen verfassungsrechtlich nur zum Schutz höchster Verfassungsgüter zulässig. Das Gewicht der berührten Vertrauensschutzbelange wird dabei durch die Wertungen von Art. 5 und Art. 7 EMRK verstärkt. Der mit einer nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung verbundene Eingriff in das Vertrauen des Betroffenen auf das Unterbleiben einer entsprechenden Unterbringung kann deshalb nur dann als verhältnismäßig angesehen werden, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist und die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK erfüllt sind. Da die Bestimmung der Voraussetzungen einer psychischen Störung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK in erster Linie dem Gesetzgeber obliegt, ist während der Weitergeltung der Vorschriften über die Sicherungsverwahrung bis zu einer Neuregelung insoweit auf das am 1. Januar 2011 in Kraft getretene Gesetz zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter (Therapieunterbringungsgesetz - ThUG) zurückzugreifen (BVerfGE 128, 326 <388 ff.>; 129, 37 <46 f.>).

Die Gerichte sind bis zu einer Neuregelung des Rechts der Sicherungsverwahrung gehalten, über die in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 genannten Fälle (vgl. BVerfGE 128, 326 <332>) hinaus auch in den Fallkonstellationen, in denen die Anwendung einer Norm nach Maßgabe der Urteilsgründe (vgl. BVerfGE 128, 326 <388 ff.>) in grundrechtlich geschütztes, durch die Wertungen von Art. 5 und Art. 7 EMRK gestärktes Vertrauen eingreift, die Sicherungsverwahrung nur noch dann anzuordnen beziehungsweise aufrechtzuerhalten, wenn die genannten erhöhten Verhältnismäßigkeitsanforderungen erfüllt sind (vgl. BVerfGE 129, 37 <47>).

3. § 66b Abs. 3 StGB ermöglicht die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, nachdem die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 67d Abs. 6 StGB für erledigt erklärt worden ist, weil der schuldausschließende oder schuldmindernde Zustand, auf dem die Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB beruhte, nicht oder nicht mehr besteht. Damit greift die Norm in grundrechtlich geschütztes Vertrauen ein. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen die Betroffenen wegen ihrer Anlasstaten bereits vor Inkrafttreten der jeweils einschlägigen Neuregelungen verurteilt waren - also in allen von der rückwirkenden Anwendung der Verlängerung der Zehnjahresfrist gemäß § 67d Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 6 StGB erfassten Fällen ebenso wie in sämtlichen Fällen der rückwirkenden nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung (sogenannte Altfälle - vgl. BVerfGE 128, 326 <395>). Dabei kommt den betroffenen Vertrauensschutzbelangen ein besonders hohes Gewicht zu, wenn die Anordnung der Maßregel wie im Fall der Sicherungsverwahrung zu einer unbefristeten Freiheitsentziehung führt und damit einen schweren - wenn nicht gar den schwersten vorstellbaren - Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit der Person beinhaltet (vgl. BVerfGE 128, 326 <390>).

4. Demgegenüber kann nicht darauf verwiesen werden, dass bei Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 3 StGB lediglich eine "Überweisung" von einer zeitlich nicht begrenzten freiheitsentziehenden Maßnahme in eine andere stattfinde (vgl. BVerfGK 16, 98 <111>) und daher Vertrauensschutzbelange nur nachrangig berührt seien.

a) Die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 3 StGB im Anschluss an eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB beinhaltet nicht eine bloße Fortführung der vorherigen Maßregel auf veränderter Rechtsgrundlage, sondern einen neuen, eigenständigen Grundrechtseingriff.

Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift. Während § 67a Abs. 1 und Abs. 2 StGB die Möglichkeit der "Überweisung" in den Vollzug einer anderen Maßregel nur unter der Voraussetzung des Fortbestandes der bisherigen Maßregel eröffnet, setzt § 66b Abs. 3 StGB voraus, dass die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus "für erledigt erklärt worden ist", bevor die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung erfolgen kann. Die Sicherungsverwahrung kann nur angeordnet werden, wenn zuvor die Unterbringung gemäß § 63 StGB beendet worden ist.

Dass die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 3 StGB nicht als Fortführung der vorherigen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angesehen werden kann, veranschaulicht der Fall des Beschwerdeführers zu II., der sich nach der Erledigung der Maßregel gemäß § 63 StGB zunächst auf freiem Fuß befand, bevor die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet wurde. Eine nochmalige Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus kam demgegenüber nicht in Betracht.

b) Der Eigenständigkeit der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 3 StGB entspricht die Ausgestaltung des Anordnungsverfahrens. Während für die Erledigungserklärung gemäß § 67d Abs. 6 StGB die Strafvollstreckungskammer am Ort der Unterbringung zuständig ist, obliegt die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß §?74f Abs. 1 GVG dem Tatgericht. Die Übersendung der Akten an die zuständige Staatsanwaltschaft erfolgt gemäß § 275a Abs. 1 Satz 3 StPO erst nach der Erklärung der Erledigung der Unterbringung gemäß § 63 StGB. Für die Zeit bis zur Entscheidung über die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung kann zunächst das Vollstreckungsgericht gemäß § 275a Abs. 6 Satz 2 StPO und ab Eingang des Antrags das Tatgericht gemäß § 275a Abs. 6 Satz 1 StPO einen Unterbringungsbefehl erlassen.

c) Hinzu kommt, dass beide Maßregeln sich qualitativ voneinander unterscheiden. Gemäß § 72 Abs. 2 StGB können beide Maßregeln grundsätzlich nebeneinander angeordnet werden, wenn nicht der erstrebte Zweck bereits durch eine von ihnen zu erreichen ist (§ 72 Abs. 1 StGB). Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus stellt im Vergleich zur Sicherungsverwahrung kein geringeres, sondern ein anderes Übel dar (vgl. BVerfGK 2, 55 <63>; 16, 98 <111 f.>; vgl. auch BGH, Urteil vom 19. Februar 2002 - 1 StR 546/01 -, NStZ 2002, S. 533 <534>).

d) Vor diesem Hintergrund beinhaltet die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 3 StGB einen Eingriff in die Vertrauensschutzbelange des Betroffenen, der in seinem Ausmaß dem Eingriff durch die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 2 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung vom 13. April 2007 (BGBl I S. 513) entspricht, der Gegenstand des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 war (vgl. BVerfGE 128, 326 <388 f.>). Wird im Urteil des Tatgerichts die Sicherungsverwahrung weder angeordnet noch vorbehalten und existiert zum Urteilszeitpunkt keine Norm, welche die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ermöglicht, darf der Betroffene grundsätzlich darauf vertrauen, dass ihm diese Maßregel dauerhaft erspart bleibt. Dies gilt unabhängig davon, ob im Urteil eine Freiheitsstrafe oder eine andere freiheitsentziehende Maßregel neben oder statt einer Freiheitsstrafe angeordnet wird. Hinsichtlich der berührten Vertrauensschutzbelange macht es auch keinen Unterschied, ob die tatsächlichen Umstände, welche die Gefährlichkeit des Verurteilten begründen, erst nachträglich eintreten oder bekannt werden (§ 66b Abs. 2 StGB) oder ob auf die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung verzichtet wird, obwohl diese Umstände im Urteilszeitpunkt bereits bekannt sind (§ 66b Abs. 3 StGB). Auch wenn die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nur deshalb unterbleibt, weil das Tatgericht fehlerhaft vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 63 StGB ausgeht (Fehleinweisung), ist das Vertrauen auf ein dauerhaftes Unterbleiben der Maßregel grundrechtlich jedenfalls dann geschützt, wenn es an einer gesetzlichen Regelung, die zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung ermächtigt, fehlt.

5. Das Gewicht der betroffenen Vertrauensschutzbelange bei nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 3 StGB wird in Altfällen durch die Wertungen der Art. 5 und Art. 7 EMRK verstärkt.

a) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mit seinen Urteilen vom 7. Juni 2012 festgestellt, dass durch die nachträgliche Anordnung der Unterbringung der Beschwerdeführer in der Sicherungsverwahrung gegen Art. 7 Abs. 1 EMRK verstoßen wurde. Da die Beschwerdeführer nach der gefestigten Rechtsprechung der innerstaatlichen Strafvollstreckungsgerichte vor der Gesetzesänderung im Jahr 2004 hätten entlassen werden müssen, stelle die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung eine neue, zusätzliche und somit schwerere Strafe im Sinne von Art. 7 Abs. 1 EMRK dar (EGMR, Urteile vom 7. Juni 2012, Beschwerde-Nr. 61827/09, K. ./. Deutschland, Rn. 84 ff. und 65210/09, G. ./. Deutschland, Rn. 75 ff.). Diese durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorgenommene Konkretisierung des Art. 7 EMRK ist bei der Prüfung der Verletzung des Vertrauensschutzgebotes gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 128, 326 <392>).

b) Daneben hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem weiteren Altfall die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 3 StGB als Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstaben a, c und e EMRK gewertet (EGMR, Urteil vom 28. Juni 2012, Beschwerde-Nr. 3300/10, S. ./. Deutschland, Rn. 84 ff.). Eine Rechtfertigung der Freiheitsentziehung aufgrund Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe a EMRK komme nicht in Betracht, da es an einem hinreichenden Kausalzusammenhang zwischen Verurteilung und Sanktion fehle. Die Verurteilung habe nicht einmal die Möglichkeit enthalten, den dortigen Beschwerdeführer später in der Sicherungsverwahrung unterzubringen. Nach der damaligen fachgerichtlichen Rechtsprechung hätte er bei Wegfall der schuldmildernden oder -ausschließenden Störung auch bei fortbestehender Gefahr entlassen werden müssen. Auch eine Rechtfertigung gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstaben c und e EMRK scheide aus (EGMR, Urteil vom 28. Juni 2012, a.a.O., Rn. 84 ff., 91 ff.).

Da Art. 5 Abs. 1 EMRK eine abschließende Auflistung zulässiger Gründe für eine Freiheitsentziehung enthält (vgl. EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009, Beschwerde-Nr. 19359/04, M. ./. Deutschland, Rn. 86; EGMR, Urteil vom 19. April 2012, Beschwerde-Nr. 61272/09, B. ./. Deutschland, Rn. 66 m.w.N.), kommt eine konventionsrechtliche Rechtfertigung der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 3 StGB in Altfällen nur unter den Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK in Betracht (vgl. BVerfGE 128, 316 <396>).

c) Ob diese Erwägungen auch auf Neufälle zu übertragen sind, was das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich § 66b Abs. 2 StGB bejaht hat (vgl. BVerfGE 128, 326 <395>), ist vorliegend nicht zu entscheiden. Einer Anwendung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe a EMRK könnte aber auch bei Neufällen entgegenstehen, dass es an einem hinreichenden Kausalzusammenhang zwischen Verurteilung und Sanktion fehlt (vgl. EGMR, Urteil vom 24. Juni 1982, Beschwerde-Nr. 7906/77, Van Droogenbroeck ./. Belgien, Rn. 39; EGMR, Urteil vom 2. März 1987, Beschwerde-Nr. 9787/82, Weeks ./. Vereinigtes Königreich, Rn. 42 f., 49 f.; EGMR, Urteil vom 17. Dezember 2009, Beschwerde-Nr. 19359/04, M. ./. Deutschland, Rn. 88; EGMR, Urteil vom 21. Oktober 2010, Beschwerde-Nr. 24478/03, G. ./. Deutschland, Rn. 44, 50; EGMR, Urteil vom 19. April 2012, Beschwerde-Nr. 61272/09, B. ./. Deutschland, Rn. 87; EGMR, Urteil vom 13. Januar 2011, Beschwerde-Nr. 6587/04, Haidn ./. Deutschland, Rn. 84; zu § 66b Abs. 3 StGB: EGMR, Urteil vom 28. Juni 2012, a.a.O., Rn. 90). Berücksichtigt man ergänzend, dass § 66b Abs. 3 StGB die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung auch in Fällen vorsieht, in denen eine originäre Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 StGB nicht möglich wäre, wird deutlich, dass die Anwendung von § 66b Abs. 3 StGB auch in Neufällen Vertrauensschutzbelange tangiert.

d) Soweit die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung in Fällen erfolgt, in denen die Betroffenen wegen ihrer Anlasstaten bereits vor Inkrafttreten von § 66b Abs. 3 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (BGBl I S. 1838) verurteilt waren, führen die Wertungen der Art. 7 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 EMRK jedenfalls dazu, dass sich das Gewicht des Vertrauens der Betroffenen einem absoluten Vertrauensschutz annähert (vgl. BVerfGE 128, 326 <391>). Eine nachträgliche Anordnung oder Fortdauer der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 3 StGB darf daher in diesen Fällen nur noch ausgesprochen werden, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist und dieser an einer psychischen Störung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter (Therapieunterbringungsgesetz - ThUG) leidet (BVerfGE 128, 326 <388 ff., 406 f.>; 129, 37 <46 f.>).

II.

Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG. Sie sind daher aufzuheben, und die Sache ist zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).

Die Fortdauer der nachträglich angeordneten Unterbringung der Beschwerdeführer in der Sicherungsverwahrung genügt den Anforderungen nicht, die sich für eine verfassungsgemäße Entscheidung auf der Grundlage von § 66b Abs. 3 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (BGBl I S. 1838) aus den Maßgaben des Urteils vom 4. Mai 2011 ergeben. Die Gerichte verkennen, dass in Altfällen aufgrund der Beeinträchtigung grundrechtlich geschützten Vertrauens der Eingriff in das Freiheitsrecht der Beschwerdeführer nur nach Maßgabe strikter Verhältnismäßigkeitsprüfung und zum Schutz höchster Verfassungsgüter zulässig ist und verletzen dadurch, dass sie eine Prüfung anhand dieses Maßstabes - die in erster Linie ihnen, nicht dem Bundesverfassungsgericht, obliegt - nicht vorgenommen haben, das durch das Freiheitsrecht geschützte Vertrauen der Beschwerdeführer auf ein Unterbleiben der nachträglichen Anordnung einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung.

Das Oberlandesgericht wird deshalb nach den Maßgaben der vom Senat in seinem Urteil vom 4. Mai 2011 nach § 35 BVerfGG getroffenen Übergangsregelung (BVerfGE 128, 326 <332 f.>) erneut über die Fortdauer der nachträglich angeordneten Unterbringung der Beschwerdeführer in der Sicherungsverwahrung zu befinden oder deren Freilassung gegebenenfalls unter Auflagen zu verfügen haben.

C.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 228

Bearbeiter: Holger Mann