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HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 778

Bearbeiter: Stephan Schlegel

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 223/10, Beschluss v. 31.08.2010, HRRS 2010 Nr. 778


BVerfG 2 BvR 223/10 (1. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 31. August 2010 (LG Münster)

Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei (Unverletzlichkeit der Wohnung; Beschlagnahme (Akten; E-Mail-Verkehr); besonders sorgfältige richterliche Prüfung des Tatverdachtes); Unterstützung einer missbräuchlichen Asylantragstellung; Verhältnismäßigkeit (Nutzung weiterer Aufklärungsmöglichkeiten vor Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei bei sehr vagem Tatverdacht; richterliche Vernehmung als milderes Mittel; geringe Schwere der Straftat).

Art. 13 Abs. 1 GG; Art. 14 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; § 94 StPO; § 102 StPO; § 105 StPO; § 48 Abs. 1 StPO; § 84 Abs. 1 AsylVfG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Erforderlich zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Unverletzlichkeit der Wohnung ist der Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde. Das Gewicht des Eingriffs verlangt Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen (vgl. BVerfGE 44, 353, 371 f.; 115, 166, 197 f.). Diesen Verdacht hat der für die vorherige Gestattung des Eingriffs oder dessen nachträgliche Kontrolle zuständige Richter eigenverantwortlich zu prüfen und dabei die Interessen des Betroffenen angemessen zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 103, 142, 151). Der besondere Schutz von Berufsgeheimnisträgern (§ 53 StPO) gebietet bei der Anordnung der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei die besonders sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Die Strafverfolgungsbehörden haben dabei auch das Ausmaß der - mittelbaren - Beeinträchtigung der beruflichen Tätigkeit der Betroffenen zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 113, 29, 48 f.).

2. Dem erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen entspricht ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Zwangsmaßnahme muss zur Ermittlung und zur Verfolgung der vorgeworfenen Tat erforderlich sein. Auch muss der jeweilige Eingriff in einem angemessenen Verhältnis zu der Schwere der Tat und der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. BVerfGE 59, 95, 97; 115, 166, 197). Im Einzelfall können die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat, eine geringe Beweisbedeutung der zu beschlagnahmenden Gegenstände sowie die Vagheit des Auffindeverdachts der Durchsuchung entgegenstehen (vgl. BVerfGE 115, 166, 198).

3. Auf Grund der Weite des Tatbestandes von § 84 Abs. 1 AsylVfG kann auch eine Rechtsberatung unkundiger Asylbewerber, die zulässigerweise darauf ausgerichtet ist, diese bei der Antragstellung zu unterstützen, in die Nähe einer strafbaren Handlung nach dieser Vorschrift geraten. Den besonderen Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zwischen dem tatbestandlichen Handeln und einer zulässigen Rechtsberatung ist jedenfalls bei dem schwerwiegenden Eingriff der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei dadurch Rechnung zu tragen, dass diese nur bei konkreten Hinweisen auf eine strafbare Handlung nach § 84 AsylVfG und nach sorgfältiger Prüfung der objektiven Umstände und des Vorsatzes vorgenommen wird.

Entscheidungstenor

Der Beschluss des Landgerichts Münster vom 10. Dezember 2009 - 11 Qs-500 Js 192/09-63/09 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihren Grundrechten aus Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes, aus Artikel 14 Absatz 1 des Grundgesetzes und aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Münster zurückverwiesen.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

A.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine Durchsuchung wegen Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung gemäß § 84 AsylVfG.

I.

Gegen die Beschwerdeführerin, eine Rechtsanwältin, wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Unterstützung einer missbräuchlichen Asylantragstellung (§ 84 Abs. 1 AsylVfG) eingeleitet.

Die Beschwerdeführerin führte nach ihren Angaben am 3. April 2008 ein Beratungsgespräch mit S. M., einer serbischen Staatsangehörigen, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 9 AufenthG ist. Dabei sei es um die Frage gegangen, ob und welche Möglichkeiten es gebe, ihren Ehemann, B. M., in die Bundesrepublik Deutschland einreisen zu lassen. Frau M. habe mitgeteilt, dass ein Antrag auf Familienzusammenführung bereits gescheitert sei sowie dass der Ehemann in Serbien wegen der Verweigerung des Wehrdienstes vom "Militär" und wegen seiner Zugehörigkeit zum Volk der Roma von den "Nazis" verfolgt werde. Sie habe um die Übernahme des Mandats gebeten, woraufhin die Beschwerdeführerin ihr ein undatiertes Asylantragschreiben mitgegeben habe, in dem die "Vorverfolgung" des Ehemanns mitgeteilt wurde. Ferner habe S. M. ein Vollmachtsformular erhalten, das sie sich per Telefax von ihrem Ehemann habe unterzeichnen lassen wollen.

Um ihren Ehemann abzuholen, fuhr S. M. in Begleitung ihres Vaters und einer Tante am 17. April 2008 nach Österreich. Auf der Rückreise am 18. April 2008 wurde das Fahrzeug von der Polizei kontrolliert und der Ehemann vorläufig festgenommen, weil er kein Visum aufweisen konnte. B. M. führte nur das von der Beschwerdeführerin unterschriebene Asylantragschreiben mit. Bei der Vernehmung durch die Polizei gab er zum Zweck der Einreise an, dass er in Deutschland bei seiner schwangeren Frau leben wolle. In Serbien werde er nicht verfolgt. S. M. kontaktierte die Beschwerdeführerin wegen der Inhaftierung. Am Nachmittag rief sie erneut in der Kanzlei der Beschwerdeführerin an, wo sie nur die Kollegin der Beschwerdeführerin erreichte. Sie bat um die Stellung eines Asylantrags, der noch am selben Tag an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge übermittelt wurde.

Das Strafverfahren gegen B. M. wegen unerlaubter Einreise vor dem Amtsgericht Deggendorf wurde im August 2008 gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt. Auch die Ermittlungsverfahren gegen S. M. und ihren Vater wurden, nachdem bereits Strafbefehle erlassen worden waren, nach Rücknahme der Anklage gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt. Hinsichtlich der Kostenentscheidung kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen der Staatsanwaltschaft Deggendorf, dem Amtsgericht Deggendorf und der Beschwerdeführerin, die im September 2009 schließlich zu einem Beschluss des Amtsgerichts führte, in dem die Kosten der Staatskasse auferlegt wurden.

Die Beschwerdeführerin legte im Zuge dieser Auseinandersetzung eine Aufsichtsbeschwerde ein, die dem Generalstaatsanwalt in München vorgelegt wurde. Dieser gab der Aufsichtsbeschwerde mit Bescheid vom 26. August 2009 keine Folge und regte die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die Beschwerdeführerin wegen der Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung nach § 84 AsylVfG an. Das von der Staatsanwaltschaft Deggendorf am 2. September 2009 eingeleitete Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft Münster übernommen. Diese beauftragte das Polizeipräsidium Münster, eine Zeugenvernehmung des Ehepaars M. "zu allen Fragen im Zusammenhang mit dem Kontakt in der Asylangelegenheit zu der Beschuldigten RAin H. (Zustandekommen, wann, wie, Besprechungen, Teilnehmer, Begründung des Asylbegehrens gegenüber oder seitens der Beschuldigten)" durchzuführen.

Der Ermittlungsbeamte lud das Ehepaar M. im Oktober 2009 zu einer Zeugenvernehmung in einem Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen missbräuchlicher Asylantragstellung. Auf Nachfrage der Beschwerdeführerin gab der Ermittlungsbeamte keine weiteren Auskünfte zu dem Verfahren, weil diese den Zeugen erst vor der Vernehmung mitgeteilt werden würden. Die Beschwerdeführerin teilte daraufhin mit, dass das Ehepaar M. zu dem Termin nicht erscheinen werde.

Das Amtsgericht Münster ordnete mit Beschluss vom 6. November 2009 die Durchsuchung der Geschäftsräume der Beschwerdeführerin, ihrer Person, der ihr gehörenden Sachen sowie ihrer Kraftfahrzeuge an. Aus den Akten des Ausländeramtes ergebe sich, dass B. M. die Vollmacht für die Beschwerdeführerin erst am 21. April 2008 unterzeichnet habe, aber bei seiner Einreise bereits einen von der Beschwerdeführerin vorgefertigten, nicht datierten Asylantrag mit sich geführt habe. Bei der Vernehmung habe B. M. angegeben, in Serbien nicht verfolgt zu sein. Es bestehe der Verdacht, dass die Beschwerdeführerin den vorformulierten Antrag nach Serbien übermittelt habe, worin sie wahrheitswidrig angegeben habe, dass B. M. unter persönlicher Verfolgung leide. Dadurch sollte seine Einreise ermöglicht werden. Die Durchsuchung solle zum Auffinden des anwaltlichen Schriftverkehrs und der Anwaltsakten im Zusammenhang mit der Asylantragstellung im Jahr 2008 führen.

Am 24. November 2009 wurde das Büro der Beschwerdeführerin durchsucht, wobei deren Kollegin Rechtsanwältin G. anwesend war. Dabei wurden mehrere Akten durchgesehen und eine Akte mit der Aufschrift "M." beschlagnahmt, wobei auch Unterlagen zu einem weiteren Ermittlungsverfahren gegen B. M. betroffen waren. Dieser Aktenteil wurde durch die Staatsanwaltschaft Münster im Dezember 2009 zurückgegeben. Ferner wurden aus dem Rechner der Beschwerdeführerin Dateien kopiert, die den Namen B. M. enthielten. Der E-Mail-Verkehr der Beschwerdeführerin sollte ebenfalls überprüft werden, wobei es den Ermittlungsbeamten nicht gelungen sei, an die auf dem Rechner abgespeicherten Daten zu gelangen.

Die Beschwerde gegen die Durchsuchung und der "Widerspruch gegen die Beschlagnahme" wurden vom Landgericht Münster mit Beschluss vom 10. Dezember 2009 als unbegründet verworfen.

Es habe ein ausreichender Tatverdacht bestanden. Nach § 84 AsylVfG sei jede Handlung unter Strafe gestellt, durch die ein Asylbewerber unterstützt werde, im Asylantragsverfahren unrichtige oder unvollständige Angaben zu machen. Ein bedingter Vorsatz sei ausreichend. Das Auffinden eines undatierten und vorformulierten Asylantrags bei der Einreise lege den Verdacht nahe, dass das Vorliegen von Asylgründen nicht konkret geprüft worden sei. Dafür spreche auch, dass die Asylgründe nicht konkret benannt seien, sondern lediglich von einer "Vorverfolgung" gesprochen werde. Es werde der Eindruck erweckt, dass das Verfolgungsschicksal auch nach Überzeugung der Beschwerdeführerin bestehe. Über das Bestehen eines Asylgrundes habe sich aber insbesondere ein Rechtsanwalt vorab zu informieren. Er müsse die Angaben zwar nicht im Einzelnen auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen, aber zumindest von einem Sachverhalt ausgehen, der nachvollziehbar und geeignet wäre, bei seinem Vorliegen einen Asylgrund darzustellen. Der Rechtsanwalt müsse einen konkreten Sachverhalt vor Augen haben, der das bloße Schlagwort "Verfolgung" ausfülle und die Voraussetzungen des Asylrechts umfasse. Wenn keine Anhaltspunkte für das Durchführen einer solchen Prüfung wie etwa ein Gespräch mit dem Asylbewerber vorlägen, bestehe der hinreichende Tatverdacht, dass bezüglich des Fehlens eines Asylgrundes zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt worden sei und die Beschuldigte die Grenzen des üblichen und zulässigen Verteidigerhandelns überschritten habe. Dafür spreche auch der Tatablauf. B. M. sei mit dem undatierten Antrag und der nicht unterschriebenen Vollmacht nach seiner Einschleusung aufgegriffen worden. Es sei nicht ersichtlich, wie ein Gespräch zwischen ihm und der Beschuldigten im Vorfeld hätte stattfinden können. Dies werde auch durch die Aussage der mitreisenden Tante bestätigt. Diese habe ausgesagt, dass die Anwältin gesagt habe, dass es "überhaupt kein Problem wäre", dass B. M. nach Deutschland komme. Er könne Asylantrag stellen. Auch die Beschuldigte habe in ihrer Beschwerde ausgeführt, dass sie lediglich Kontakt zu S. M. gehabt habe. Diese habe nur behauptet, dass ihr Ehemann verfolgt sei. Die Beschwerdeführerin habe nicht vorgetragen, dass S. M. konkrete Asylgründe genannt habe. Auch die Umstände der Mandatserteilung habe die Beschuldigte nicht erläutert. Ferner seien die weiteren Widersprüche der Beteiligten zum Bestehen der Asylgründe und zum Sachverhalt in dem Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft vom 26. August 2009 dargelegt.

Die Durchsuchung sei auch unter Berücksichtigung der Anwaltseigenschaft der Beschwerdeführerin verhältnismäßig. Sie sei erforderlich und angesichts des Tatvorwurfs auch nicht unangemessen gewesen. Mildere Mittel seien nicht ersichtlich gewesen. Insbesondere hätten die Zeugen S. und B. M. auf Anraten der Beschwerdeführerin erklärt, keine Aussagen in dem Ermittlungsverfahren zu tätigen. Die Ausweitung der Durchsuchung auf Nebenräume und den Pkw sei erfolgt, um der nicht auszuschließenden Gefahr zu begegnen, dass Beweismittel dort verwahrt werden würden.

Die beschlagnahmten Unterlagen seien weiterhin als Beweismittel für die Ermittlungen von Bedeutung.

II.

Die Beschwerdeführerin beruft sich auf ihre Grundrechte aus Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 13 GG, Art. 2 GG, Art. 10 GG und Art. 12 GG.

Durchsuchung und Beschlagnahme seien rechtswidrig gewesen.

Es habe kein Anfangsverdacht bestanden, der eine Durchsuchung hätte rechtfertigen können. Vielmehr habe es nahe gelegen, dass S. M. die Beschwerdeführerin mit der Antragstellung beauftragt habe. Außerdem sei nicht bewiesen, dass bei dem Ehemann keine Asylgründe bestünden. Dieser habe solche bei der Anhörung vor dem Bundesamt jedenfalls geltend gemacht.

Die Durchsuchungsanordnung sei nicht hinreichend begrenzt gewesen, weil die Ermittlungsbeamten Zugriff auf alle Akten in ihrem Büro gehabt hätten. Auch hätte ihr Privathaus durchsucht werden können.

Die Ladung der Zeugen durch die Polizei ohne Angabe des Straftatbestandes und der Person, gegen die sich die Ermittlungen richteten, sei nicht ordnungsgemäß gewesen und sei mit Täuschungsabsicht erfolgt. Bei ordnungsgemäßer Vorgehensweise hätte ein milderes Mittel bestanden. Auch hätte die Kollegin der Beschwerdeführerin zunächst als Zeugin vernommen werden müssen.

Durch die Durchsuchung sei ferner ihr Persönlichkeitsrecht verletzt worden, da sie selbst, ihre Sachen und ihr Pkw hätten durchsucht werden sollen. Das Grundrecht des Postgeheimnisses sei verletzt worden, da die Polizei versucht habe, an E-Mails zu gelangen, die auf ihrem Rechner gespeichert waren. Das Grundrecht aus Art. 12 GG sei verletzt, weil sie wegen der Beschlagnahme der Akten an der Verteidigung in dem anderen Strafverfahren gegen B. M. gehindert gewesen sei. Ferner hätten sich in der Akte Unterlagen zur anwaltlichen Tätigkeit für S. M. in Zivilsachen befunden.

III.

Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hatte Gelegenheit zur Stellungnahme; es hat hiervon keinen Gebrauch gemacht. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Münster betreffend die Beschwerdeführerin (500 Js 192/09) sowie der Staatsanwaltschaft Deggendorf betreffend B. M. (7 Js 3776/08) vorgelegen.

B.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung der Kammer sind gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zu Art. 13 Abs. 1 GG, Art. 14 Abs. 1 GG und zu Art. 2 Abs. 1 GG hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Der angegriffene Beschluss zur Rechtmäßigkeit der Durchsuchung und der Beschlagnahme verletzt die Beschwerdeführerin in ihren Grundrechten aus Art. 13 Abs. 1 GG, Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG.

I.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere hat die Beschwerdeführerin den Rechtsweg hinsichtlich der Beschlagnahme erschöpft (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Das Amtsgericht hat dadurch, dass es neben der Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung auch dem "Widerspruch" gegen die Beschlagnahme der Akten nicht abhalf, entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO über die Beschlagnahme der Akten entschieden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. März 2009 - 2 BvR 1036/08 -, juris Rn. 52).

II.

Mit der Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung durch Art. 13 Abs. 1 GG erfährt die räumliche Lebenssphäre des Einzelnen einen besonderen grundrechtlichen Schutz, in die mit einer Durchsuchung schwerwiegend eingegriffen wird (vgl. BVerfGE 42, 212 <219 f.>; 96, 27 <40>; 103, 142 <150 f.>). Dem Schutz unterfallen auch beruflich genutzte Räume wie Rechtsanwaltskanzleien (vgl. BVerfGE 32, 54 <69 ff.>; 42, 212 <219>; 96, 44 <51>).

Erforderlich zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Unverletzlichkeit der Wohnung ist der Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde. Das Gewicht des Eingriffs verlangt Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen (vgl. BVerfGE 44, 353 <371 f.>; 115, 166 <197 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Januar 2008 - 2 BvR 1219/07 -, NStZ-RR 2008, S. 176 <177>). Diesen Verdacht hat der für die vorherige Gestattung des Eingriffs oder dessen nachträgliche Kontrolle zuständige Richter eigenverantwortlich zu prüfen und dabei die Interessen des Betroffenen angemessen zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 103, 142 <151>). Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt vor, wenn sich sachlich zureichende, plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht mehr finden lassen (vgl. BVerfGE 59, 95 <97>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Januar 2008 - 2 BvR 1219/07 -, NStZ-RR 2008, S. 176 <177>). Der besondere Schutz von Berufsgeheimnisträgern (§ 53 StPO) gebietet bei der Anordnung der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei zudem die besonders sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Januar 2008 - 2 BvR 1219/07 -, NStZ-RR 2008, S. 176 <177>). Die Strafverfolgungsbehörden haben dabei auch das Ausmaß der - mittelbaren - Beeinträchtigung der beruflichen Tätigkeit der Betroffenen zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 113, 29 <48 f.>).

Dem erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen entspricht ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Zwangsmaßnahme muss zur Ermittlung und zur Verfolgung der vorgeworfenen Tat erforderlich sein. Auch muss der jeweilige Eingriff in einem angemessenen Verhältnis zu der Schwere der Tat und der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. BVerfGE 59, 95 <97>; 96, 44 <51>; 115, 166 <197>). Im Einzelfall können die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat, eine geringe Beweisbedeutung der zu beschlagnahmenden Gegenstände sowie die Vagheit des Auffindeverdachts der Durchsuchung entgegenstehen (vgl. BVerfGE 115, 166 <198>).

Der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss dient dazu, die Durchführung der Eingriffsmaßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten (vgl. BVerfGE 42, 212 <220>; 103, 142 <151>). Dazu muss der Beschluss insbesondere den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Dies versetzt den von der Durchsuchung Betroffenen zugleich in den Stand, die Durchsuchung seinerseits zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten von vornherein entgegenzutreten (vgl. BVerfGE 42, 212 <221>; 103, 142 <151 f.>).

Die Beschlagnahme der Akte ist an Art. 14 Abs. 1 GG zu messen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juli 2008 - 2 BvR 2016/06 -, NJW 2009, S. 281 <282>). Soweit Daten aus dem Rechner kopiert wurden, ist der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG eröffnet (vgl. BVerfGE 113, 29 <45>). Bei einer Maßnahme nach § 94 StPO muss der Tatverdacht ebenfalls in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat und zur Stärke des Tatverdachts stehen und für die Ermittlungen notwendig sein (vgl. BVerfGE 20, 162 <186 f.>; 113, 29 <53>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juli 2008 - 2 BvR 2016/06 -, NJW 2009, S. 281 <282>). Schließlich ist auch hier die mittelbare Beeinträchtigung der beruflichen Tätigkeit zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juli 2008 - 2 BvR 2016/06 -, NJW 2009, S. 281 <282>).

III.

Diesen Anforderungen wird die Entscheidung des Landgerichts Münster nicht gerecht. Die Annahme der Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung und der Beschlagnahme ist von Verfassungs wegen nicht haltbar.

1. Das Landgericht ist insbesondere im Hinblick auf die anwaltliche Tätigkeit der Beschwerdeführerin den verfassungsrechtlichen Maßstäben bei der Prüfung des Tatverdachts nicht gerecht geworden. Der Straftatbestand des § 84 Abs. 1 AsylVfG, dessen Normzweck die Bekämpfung des Schlepperunwesens ist (BT-Drucks 12/5683, S. 7), führt in Fällen der rechtsanwaltlichen Beratung zu Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen dem tatbestandlichen Verhalten einerseits und einer zulässigen Rechtsberatung andererseits (vgl. Schmidt-Sommerfeld, in: Joecks/Miebach, Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 6/2, 2009, § 84 AsylVfG Rn. 4). Die Tathandlung besteht in der Beeinflussung des Willens eines Ausländers durch Verleitung oder Unterstützung dahingehend, einen unrichtigen oder unvollständigen Asylantrag zu stellen (vgl. Schmidt-Sommerfeld, a.a.O., Rn. 22; Senge, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Bd. 1, § 84 AsylVfG Rn. 7 f. <Juli 2009>). Die Tatbestandsalternative der Unterstützung, die den Charakter einer Beihilfe hat, kann in jeder Handlung liegen, die einen bereits zur Handlung entschlossenen Ausländer in irgendeiner Art und Weise bei der Verwirklichung seines Vorhabens fördert oder bestärkt (vgl. Marx, AsylVfG, 7. Aufl. 2009, § 84 Rn. 11). Damit gerät schon jede Rechtsberatung unkundiger Asylbewerber, die zulässigerweise darauf ausgerichtet ist, diese bei der Antragstellung zu unterstützen, in die Nähe einer strafbaren Handlung nach § 84 Abs. 1 AsylVfG. Den besonderen Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zwischen dem tatbestandlichen Handeln und einer zulässigen Rechtsberatung ist jedenfalls bei dem schwerwiegenden Grundrechtseingriff einer Wohnungsdurchsuchung dadurch Rechnung zu tragen, dass diese nur bei konkreten Hinweisen auf eine strafbare Handlung nach § 84 AsylVfG und nach sorgfältiger Prüfung der objektiven Umstände und des Vorsatzes vorgenommen wird.

Diesen Vorgaben ist das Landgericht schon bei der Prüfung des Tatverdachts nicht gerecht geworden. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass der Fertigung des Asylantrags und der Einreise von B. M. ein Gespräch mit dessen Frau in ihrer Kanzlei vorangegangen war, hätte das Landgericht im konkreten Fall Anlass geben müssen, von einer Durchsuchung abzusehen. Dass ein solches Gespräch stattgefunden hat, war auch der Zeugenaussage der Tante vom 18. April 2008 zu entnehmen. Es liegt nahe, dass in diesem Gespräch die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen einer Asylantragstellung zumindest ansatzweise erörtert worden sind. Dabei ist es auch unschädlich, dass das Gespräch mit der Ehefrau und nicht mit dem Antragsteller selbst geführt wurde, weil diese mit dem Sachverhalt vertraut war.

2. Selbst wenn die Auslegung des § 84 Abs. 1 AsylVfG und die Annahme des Tatverdachts durch die Gerichte als noch vertretbar eingestuft würden, ist die Maßnahme als nicht mehr verhältnismäßig anzusehen. In Anbetracht der Tatsache, dass ein kaum über bloße Vermutungen hinausreichender Tatverdacht bestanden hat, waren die Durchsuchung und die Beschlagnahme unverhältnismäßig. Zunächst hätte vor der Anordnung der Durchsuchung der Versuch unternommen werden müssen, den Sachverhalt durch eine richterliche Vernehmung der Zeugen M. weiter aufzuklären (§ 48 Abs. 1 StPO). Insoweit hätte ein Ermittlungsansatz zur Verfügung gestanden, der weniger tiefgreifend in die Rechte der Beteiligten eingegriffen hätte. Hinsichtlich der Schwere der in Frage stehenden Straftat ist von Bedeutung, dass der konkrete Sachverhalt keine schwere Tat oder den Eintritt schwerer Tatfolgen erkennen lässt. Der Tatbestand des § 84 AsylVfG ist auf die effektive Bekämpfung der Schlepperkriminalität ausgerichtet, so dass sich die Schuld der Beschwerdeführerin bei einer Tatbestandverwirklichung im unteren Bereich der Strafandrohung bewegen würde. In die Verhältnismäßigkeitsprüfung muss außerdem eingestellt werden, dass bei der Durchsuchung der Kanzlei und der Suche auf dem Rechner empfindliche Daten Dritter gefährdet waren (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Januar 2008 - 2 BvR 1219/07 -, NStZ-RR 2008, S. 176 <177>). Dementsprechend befanden sich in den Akten auch Aktenbestandteile, die andere strafrechtliche und zivilrechtliche Verfahren des Ehepaars M. zum Gegenstand hatten und für das Ermittlungsverfahren gegen die Beschwerdeführerin nicht als Beweismittel in Betracht kamen.

Auf dieser Grundlage konnte das staatliche Interesse an der Aufklärung und Verfolgung von Straftaten, welchem nach dem Grundgesetz eine hohe Bedeutung zukommt (vgl. BVerfGE 100, 313 <388>), den schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte der Beschwerdeführerin nicht rechtfertigen.

IV.

Der angegriffene Beschluss ist aufzuheben (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen.

V.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 778

Bearbeiter: Stephan Schlegel