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HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 618

Bearbeiter: Stephan Schlegel

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 1117/06, Beschluss v. 14.06.2006, HRRS 2006 Nr. 618


BVerfG 2 BvR 1117/06 (3. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 14. Juni 2006 (LG Chemnitz/AG Chemnitz)

Durchsuchungsanordnung (ausnahmsweise Entbehrlichkeit der weitergehenden Umschreibung des Tatvorwurfs bei sehr detaillierter Beschreibung der zu suchenden Beweismittel); Unverletzlichkeit der Wohnung (Rechtsanwaltskanzlei); Anforderungen an die richterliche Entscheidung (Begrenzungsfunktion; genaue Beschreibung der zu suchenden Gegenstände); ausnahmsweise Nachholung der Tatvorwurfumschreibung im Beschwerdeverfahren; Nichtannahmebeschluss.

Art. 13 Abs. 1 GG; Art. 13 Abs. 2 GG; § 102 StPO; § 103 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine mangelhafte Umschreibung des Tatvorwurfes in einem Durchsuchungsbeschluss verletzt jedenfalls dann nicht das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG, wenn der Durchsuchungsbeschluss die zu suchenden Gegenstände so genau und detailliert benennt, dass es der Umschreibung des Tatvorwurfes nicht mehr bedarf um diese zu identifizieren.

2. Die Kontrollfunktion des Richtervorbehalts (Art. 13 Abs. 2 GG) verbietet ein Nachbessern oder Nachholen einer mangelhaften Umschreibung des Tatvorwurfs im Beschwerdeverfahren nur dann, wenn diese Angaben zur Begrenzung des Eingriffs auf das zur Zweckerreichung erforderliche Maß erforderlich waren und deshalb den ermittelnden Beamten vor der Durchsuchung zur Kenntnis gelangen mussten (vgl. BVerfGK 5, 84, 88; BVerfG NJW 2004, 3171). Außerhalb der für den Vollzug der Durchsuchung unabdingbaren Umgrenzung können Defizite in der Begründung der Durchsuchungsanordnung hingegen durch das Beschwerdegericht nachgebessert werden, etwa zur Darlegung des Tatverdachts oder der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs.

Entscheidungstenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund nicht gegeben ist (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Sie hat keine Aussicht auf Erfolg.

1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sich der Beschwerdeführer gegen eine Beschlagnahmeanordnung wendet; denn eine solche Anordnung (§ 98 Abs. 2 StPO) ist bislang nicht ergangen. Der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts erfüllt nur die Funktion einer Richtlinie zur Beschlagnahme aufzusuchender Gegenstände. Er enthält zwar eine sehr spezielle Bezeichnung der für die Ermittlungen relevanten Geschäftspapiere, die in den Kanzleiräumen des Beschwerdeführers gesucht werden sollen, aber dennoch handelt es sich um Gattungsbezeichnungen, nicht um konkret-individuelle Bezeichnungen bestimmter, von anderen sicher unterscheidbarer Schriftstücke. Nur eine solche Bezeichnung würde den Anforderungen an eine Beschlagnahmeanordnung gerecht; sie ist in aller Regel erst mit Hilfe eines Sicherstellungsverzeichnisses möglich, das die sichergestellten und zu beschlagnahmenden Gegenstände individualisiert, indem es Aufschriften oder von den durchsuchenden Beamten angebrachte Asservatnummern verwendet.

2. Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Durchsuchungsanordnung und die insoweit ergangene Beschwerdeentscheidung richtet. Das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG ist nicht verletzt.

a) Der angegriffene Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts genügt der von ihm zu erfüllenden Begrenzungsfunktion. Die angegriffene Beschwerdeentscheidung berührt diese Begrenzungsfunktion nicht.

aa) Der Eingriff in die durch Art. 13 Abs. 1 GG garantierte Unverletzlichkeit der Wohnung unterliegt der vorbeugenden Kontrolle durch einen Richter (Art. 13 Abs. 2 GG). Das dient insbesondere der Begrenzung der Durchsuchungsgestattung. Der Schutz der Privatsphäre, die auch von übermäßigen Maßnahmen im Rahmen einer an sich zulässigen Durchsuchung betroffen sein kann, darf nicht allein dem Ermessen der mit der Durchführung der Durchsuchung beauftragten Beamten überlassen bleiben (vgl. BVerfGE 42, 212 <220>). Der richterliche Durchsuchungsbeschluss dient dazu, die Durchführung der Durchsuchung messbar und kontrollierbar zu gestalten (vgl. BVerfGE 20, 162 <224>; 42, 212 <220>; 103, 142 <151>). Um das Vorgehen der ermittelnden Beamten in der Wohnung zu lenken und auf den Ermittlungszweck zu konzentrieren, muss der Beschluss Art und Inhalt der Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, so genau bezeichnen, wie es nach Lage der Dinge geschehen kann. Dies geschieht entweder durch eine Beschreibung der zu suchenden Beweismittel selbst oder durch eine Umschreibung des aufzuklärenden Tatvorwurfs (vgl. BVerfGE 20, 162 <220 f., 224>). Die Umschreibung der vorgeworfenen Tat kann deutlich werden lassen, welche Gegenstände für die Ermittlungen als Beweismittel von Bedeutung sein können und was andererseits nicht als Beweismittel in Betracht kommen kann, weil es keinen Rückschluss auf das aufzuklärende Geschehen zulässt.

bb) Dieser Begrenzungsfunktion wird der angegriffene Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts allein durch die Beschreibung der aufzusuchenden Beweismittel gerecht. Der Beschluss nannte eine Reihe von Unternehmen mit Firma, Adresse und teilweiser Bezeichnung der Geschäftsführer oder der Handelsregisterdaten. Deren "Geschäftsunterlagen" und "Unterlagen über die persönlichen Verhältnisse der Beschuldigten" sollten gesucht und beschlagnahmt werden. Der Beschluss bezeichnete in einer ungefähr zwei Seiten langen Auflistung der Gattung nach verschiedene Arten von Unterlagen und Aufzeichnungen, die bei betriebswirtschaftlichen Auswertungen und bei der Betriebsführung entstehen, und nannte die Zeiträume, für die diese Unterlagen für das Verfahren von Interesse seien. Das Amtsgericht hat damit nicht nur eine grobe Gattungsbezeichnung vorgegeben, sondern es hat eine außergewöhnlich genaue Beschreibung der aufzusuchenden Gegenstände vorgegeben, die so speziell gehalten ist, dass schon sie allein es den durchsuchenden Beamten ermöglicht und sie damit auch darauf beschränkt, in einem umfangreichen Aktenbestand das Augenmerk gerade und nur auf die verfahrensrelevanten Unterlagen zu lenken.

cc) Diese Beschreibung der aufzusuchenden Gegenstände ist so genau, dass es hier ausnahmsweise keiner weitergehenden Umschreibung des Tatvorwurfs gegenüber dem Beschwerdeführer bedurfte. Es braucht nicht erörtert zu werden, ob die - ebenfalls sehr ausführliche - Beschreibung der den anderen Beschuldigten, nicht dem Beschwerdeführer, vorgeworfenen Taten zur Begrenzungsfunktion der Durchsuchungsanordnung noch etwas beitragen konnte. Jedenfalls ist nicht ersichtlich, wie das Vorgehen der durchsuchenden Beamten durch eine Beschreibung des gegenüber dem Beschwerdeführer erhobenen Tatvorwurfs noch näher hätte eingegrenzt werden können. Im Hinblick auf die sehr detaillierte Beschreibung der zu suchenden Gegenstände und mit Blick auf die Beschreibung der Taten durfte das Landgericht hier auch die Umschreibung des Tatvorwurfs gegenüber dem Beschwerdeführer nachholen. Die Kontrollfunktion des Richtervorbehalts (Art. 13 Abs. 2 GG) verbietet ein Nachbessern oder Nachholen einer mangelhaften Umschreibung des Tatvorwurfs im Beschwerdeverfahren nur dann, wenn diese Angaben zur Begrenzung des Eingriffs auf das zur Zweckerreichung erforderliche Maß erforderlich waren und deshalb den ermittelnden Beamten vor der Durchsuchung zur Kenntnis gelangen mussten (vgl. BVerfGK 5, 84 <88>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. April 2004 - 2 BvR 2043, 2104/03 -, NJW 2004, S. 3171). Außerhalb der für den Vollzug der Durchsuchung unabdingbaren Umgrenzung können Defizite in der Begründung der Durchsuchungsanordnung hingegen durch das Beschwerdegericht nachgebessert werden, etwa zur Darlegung des Tatverdachts oder der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. April 2004, a.a.O., S. 3171 f.).

b) Die vom Amtsgericht unterlassene Beschreibung eines dem Beschwerdeführer gegenüber erhobenen Tatvorwurfs führt auch nicht aus anderen Gründen zu einer verfassungsrechtlichen Beanstandung der angegriffenen Beschlüsse. Der Verdacht einer Straftat ist Voraussetzung einer Durchsuchungsanordnung, und das Gewicht des Eingriffs verlangt als Durchsuchungsvoraussetzung Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausgehen (vgl. BVerfGE 44, 353 <371 f.>; 59, 95 <97>). Tatverdacht und Verdachtsgründe legt die Durchsuchungsanordnung ausführlich dar. Dass dies zur Rechtfertigung einer Durchsuchung ausreicht, stellt auch der Beschwerdeführer nicht in Frage. Er verkennt aber, dass es für die Rechtfertigung des Eingriffs in sein Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung ohne Belang bleibt, ob auch ihm gegenüber ein Tatvorwurf erhoben wird, was das Amtsgericht unterlassen hat. Die Durchsuchungsanordnung richtet sich auf die Kanzleiräume, die der Beschwerdeführer gemeinsam mit anderen Rechtsanwälten nutzt, denen gegenüber ein Tatvorwurf nicht erhoben wurde. Das Amtsgericht nennt als Rechtsgrundlage der Durchsuchung die Vorschrift des § 103 StPO, die die Durchsuchung beim Nichtverdächtigen regelt. Die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit des schwerwiegenden Eingriffs bei einem Nichtverdächtigen sind strenger als beim Beschuldigten. Wenn die Schwere des gegen die Beschuldigten erhobenen Vorwurfs und das Gewicht des sie treffenden Tatverdachts sogar ausreichen, um bei den nichtverdächtigen, mit dem Beschwerdeführer zur gemeinsamen Berufsausübung verbundenen Rechtsanwälten zu durchsuchen - was nicht in Frage steht -, dann bleibt es auch gegenüber dem Beschwerdeführer ohne Bedeutung, ob sich gegen ihn ein Tatverdacht richtete, denn die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung wären dann sogar geringer.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 618

Bearbeiter: Stephan Schlegel