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HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 358

Bearbeiter: Stephan Schlegel

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvQ 22/06, Beschluss v. 12.04.2006, HRRS 2006 Nr. 358


BVerfG 2 BvQ 22/06 (2. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 12. April 2006 (Justizvollzugsanstalt Rheinbach)

Einstweilige Anordnung im Verfassungsbeschwerdeverfahren (Erforderlichkeit; Maßstab); Missbrauchsgebühr (Vielzahl von Anträgen ohne Rechtswegerschöpfung).

§ 32 Abs. 1 BVerfGG; § 34 Abs. 2 BVerfGG

Leitsatz des Bearbeiters

Für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG ist ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 93, 181, 186). Dies gilt nicht nur im Hinblick darauf, dass einstweilige Anordnungen des Bundesverfassungsgerichts weittragende Folgen haben können (vgl. BVerfGE 3, 41, 44; stRspr), sondern auch im Hinblick auf die besondere Funktion und Organisation des Bundesverfassungsgerichts. Das Bundesverfassungsgericht ist nach den ihm durch Verfassung und Gesetz zugewiesenen Aufgaben und nach seiner gesamten Organisation weder dazu berufen noch in der Lage, vorläufigen Rechtsschutz unter ähnlichen Voraussetzungen zu gewährleisten wie die Fachgerichtsbarkeit.

Entscheidungstenor

Die Anträge auf Erlass von einstweiligen Anordnungen werden abgelehnt.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwältin Schäfer, Bonn, wird abgelehnt.

Gründe

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall auch schon vor Anhängigkeit eines Verfahrens zur Hauptsache einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

Für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG ist ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 93, 181 <186>). Dies gilt nicht nur im Hinblick darauf, dass einstweilige Anordnungen des Bundesverfassungsgerichts weittragende Folgen haben können (vgl. BVerfGE 3, 41 <44>; stRspr), sondern auch im Hinblick auf die besondere Funktion und Organisation des Bundesverfassungsgerichts. Das Bundesverfassungsgericht ist nach den ihm durch Verfassung und Gesetz zugewiesenen Aufgaben und nach seiner gesamten Organisation weder dazu berufen noch in der Lage, vorläufigen Rechtsschutz unter ähnlichen Voraussetzungen zu gewährleisten wie die Fachgerichtsbarkeit. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 32 BVerfGG ist - anders als der von Art. 19 Abs. 4 GG geprägte vorläufige Rechtsschutz im fachgerichtlichen Verfahren - nicht darauf angelegt, möglichst lückenlosen vorläufigen Rechtsschutz zu bieten (vgl. BVerfGE 94, 166 <212 ff.>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. November 1999 - 2 BvR 2039/99 -, NJW 2000, S. 1399 <1400>).

Erst recht ist ein Einschreiten des Bundesverfassungsgerichts regelmäßig dann nicht dringend geboten, wenn vorläufiger Rechtsschutz auch durch Anrufung der Fachgerichte erlangt werden kann (BVerfGE 37, 150 <151>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. November 1999, a.a.O.). Davon ist hier auszugehen. Der Antragsteller hat beim Landgericht Bonn Eilrechtsschutz beantragt. Besondere Gründe, deretwegen ihm ein Abwarten der landgerichtlichen Entscheidungen nicht zugemutet werden kann, sind nicht ersichtlich. Zwar hat der Antragsteller dort nach eigenen Angaben bereits Ende Februar 2006 um Eilrechtsschutz nachgesucht; er hat diese Eilanträge aber dann zurückgezogen und unter dem 22. März 2006 hinsichtlich aller Begehren neue Eilanträge an das Landgericht Bonn gestellt, die sich seinen Angaben zufolge auch auf neue "Ereignisse und Erkenntnisse" stützen. Der Antragsteller musste daher damit rechnen, dass das Landgericht der Justizvollzugsanstalt hierzu erneut Gehör gewährt und sich dadurch die Entscheidung verzögert. Die Befassung des Bundesverfassungsgerichts mit der Angelegenheit schon unter dem 27. März 2006 ist unter diesen Umständen nicht ansatzweise nachvollziehbar.

2. Das Bundesverfassungsgericht wird im Hinblick auf die Vielzahl der vom Antragsteller seit Jahresbeginn ohne vorherige Erschöpfung des Rechtswegs erhobenen Eingaben prüfen, ob bei ähnlich offensichtlich unzulässigen Eilanträgen oder Verfassungsbeschwerden des Antragstellers in Zukunft die Verhängung einer Missbrauchsgebühr gemäß § 34 Abs. 2 BVerfGG in Betracht kommt. Das Bundesverfassungsgericht muss es nicht hinnehmen, dass es bei der Erfüllung seiner Aufgaben durch wiederholt offensichtlich unzulässige Anträge behindert wird und dadurch anderen Bürgern nur mit erheblicher Verzögerung in deren Angelegenheiten Grundrechtsschutz gewähren kann.

3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung einer Rechtsanwältin ist entsprechend § 114 ZPO abzulehnen, da die Anträge auf Erlass von einstweiligen Anordnungen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg haben.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 358

Bearbeiter: Stephan Schlegel