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HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 474

Bearbeiter: Stephan Schlegel

Zitiervorschlag: BVerfG, 1 BvR 142/05, Beschluss v. 08.03.2011, HRRS 2011 Nr. 474


BVerfG 1 BvR 142/05 (1. Kammer des Ersten Senats) - Beschluss vom 8. März 2011 (LG Hamburg/AG Hamburg-Altona)

Freiheit der Person (Abgrenzung von Freiheitsentziehung und Freiheitsbeschränkung; mehrstündige Ingewahrsamnahme durch die Polizei zur Identitätsfeststellung; Anfertigung von Lichtbildern); Verhältnismäßigkeit.

Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG; Art. 104 Abs. 2 S. 2 GG; § 81b Alt. 1 StPO; § 163b Abs. 1 Satz 2 StPO; § 163c Abs. 2 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Der Schutzbereich des Grundrechts auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG umfasst sowohl freiheitsbeschränkende als auch freiheitsentziehende Maßnahmen. Eine Freiheitsbeschränkung liegt vor, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt gegen seinen Willen daran gehindert wird, einen Ort oder Raum aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten, der ihm an sich (tatsächlich und rechtlich) zugänglich ist. Eine Freiheitsentziehung als schwerste Form der Freiheitsbeschränkung ist nur dann gegeben, wenn die tatsächlich und rechtlich an sich gegebene körperliche Bewegungsfreiheit durch staatliche Maßnahmen nach jeder Richtung hin aufgehoben wird (vgl. BVerfGE 94, 166, 198).

2. Eingriffe in die Freiheit der Person bedürfen einer gesetzlichen Grundlage (vgl. BVerfGE 2, 118, 119; 29, 183, 195), wobei die Formvorschriften dieser Gesetze von den Gerichten so auszulegen sind, dass ihnen eine der Bedeutung des Grundrechts angemessene Wirkung zukommt (vgl. BVerfGE 65, 317, 322 f.; 96, 68, 97). Bei der Beschränkung im Einzelfall muss die Stellung des Grundrechts auch im Rahmen des Abwägungsprozesses angemessen berücksichtigt werden. Insbesondere ist sorgfältig abzuwägen, ob ein Eingriff in den Grenzen bleibt, die ihm durch den im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden, mit Verfassungsrang ausgestatteten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gezogen werden (vgl. BVerfGE 29, 312, 316).

3. § 163b Abs. 1 Satz 1 StPO ermächtigt Polizeibeamte, gegenüber einem Verdächtigen die notwendigen Maßnahmen zur Identitätsfeststellung zu treffen, also den Betreffenden nach seinen Personalien zu befragen und diesen aufzufordern, mitgeführte Ausweisdokumente auszuhändigen. Nur dann, wenn die Identität des Betreffenden auch unter Ausschöpfung dieser Maßnahmen nicht mit der erforderlichen Sicherheit geklärt werden kann oder dies mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden wäre, kommt ein weiteres Festhalten nach Satz 2 in Betracht. Ein weiterer Eingriff in das Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG darf also nur dann erfolgen, wenn die Polizei auf der Basis der bereits bekannten Daten berechtigte Zweifel an der Identität der Person hat.

4. Weist sich der Betroffene mit einem Reisepass aus, und bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser gefälscht ist, oder der Betroffene nicht mit dem Passinhaber übereinstimmt, ist ein Festhalten aus reinen Praktikabilitätserwägungen gestützt auf § 163b Abs. 1 Satz 1 StPO nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig.

5. Die Polizei als Strafverfolgungsbehörde ist - soweit nicht ein genereller entsprechender Bedarf besteht - nicht gezwungen, Personal und Material für erkennungsdienstliche Maßnahmen in solchem Maß vorzuhalten, dass eine Bearbeitung in unmittelbarer zeitlicher und räumlicher Nähe erfolgen kann. Vielmehr kann es durchaus verhältnismäßig sein, derartige spezielle Ressourcen insbesondere räumlich zusammenzufassen. Eine Verbringung von Personen an diesen Ort und eine organisatorisch nicht zu vermeidende und gemäßigte Wartefrist können jedenfalls bei hinreichend gewichtigen Straftaten angemessene Eingriffe im Verhältnis zur Bedeutung des staatlichen Strafanspruches sein.

6. Das Festhalten einer Person über mehrere Stunden allein zum Anfertigen von drei einfachen Fotos für erkennungsdienstliche Zwecke gestützt auf § 81b Alt. 1 StPO erfordert eine besonders genaue Prüfung der Verhältnismäßigkeit.

7. Das Einsperren in eine Gewahrsamszelle auf der Polizeiwache beziehungsweise auf dem Polizeipräsidium sowie als Verbindungsglied zwischen beiden das Verbringen dorthin mittels Polizeifahrzeugen stellen eine Freiheitsentziehung im Sinne von Art. 104 Abs. 2 GG und nicht lediglich eine Freiheitsbeschränkung dar.

Entscheidungstenor

Der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-Altona vom 30. April 2004 - 325 Cs 7101 Js 18/04 (171/04) - und der Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 10. Dezember 2004 - 614 Qs 38/04 - verletzen den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 und Artikel 104 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes, soweit sie die gegenüber dem Beschwerdeführer am 27. und 28. September 2003 ergangenen Maßnahmen der Polizeibehörden der Freien und Hansestadt Hamburg auch nach Vorlage und Überprüfung seiner Ausweispapiere als rechtmäßig feststellen.

Die Beschlüsse werden insoweit aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Hamburg-Altona zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Die Freie und Hansestadt Hamburg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 € festgesetzt.

Gründe

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde im Wesentlichen gegen Beschlüsse des Amtsgerichts und Landgerichts, mit denen eine mehrstündige Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers durch die Polizei zur Identitätsfeststellung für rechtmäßig erklärt wurde.

I.

1. Am Nachmittag des 27. September 2003 betrat der Beschwerdeführer mit einer Gruppe von circa 100 Personen aus dem Umfeld der sogenannten Bauwagenszene in Hamburg ohne entsprechende Erlaubnis oder Billigung der Berechtigten ein Grundstück in der Absicht, das Gelände für sich als neuen Wohnsitz und ständigen Aufenthaltsort sowie als Abstellort für vier mitgeführte Bauwagen zu nutzen. Der Aktion vorausgegangen waren Verhandlungen zwischen der Stadt und Vertretern der Bauwagenszene über dieses Gelände als Ersatzstandort für einen im Jahre 2002 geschlossenen Bauwagenplatz.

Gegen 18.00 Uhr versperrte die angerückte Polizei die Ausgänge des Geländes, so dass die an der Aktion beteiligten Personen das Gelände nicht mehr verlassen konnten. Um 18.35 Uhr stellte ein Vertreter der Berechtigten Strafantrag gegen die auf dem Gelände befindlichen Personen. Die Polizei stellte die Identität der betreffenden Personen vor Ort fest. Gegen 19.55 Uhr umstellte die Polizei die sich auf dem Gelände befindlichen Personen. Die Feuerwehr leuchtete den Platz mit Flutlicht aus und die Polizei gab den Eingeschlossenen um 20.12 Uhr über Megaphon bekannt, dass sie wegen des Verdachts des Hausfriedensbruchs vorläufig festgenommen seien. Insgesamt handelte es sich hierbei einschließlich des Beschwerdeführers noch um circa 80 Personen. Die Polizei führte die Personen ab circa 20.20 Uhr nacheinander aus dem Kessel; die Räumung dauerte bis 21.55 Uhr. Der Beschwerdeführer wies sich dabei nach Aufforderung erneut unter Vorlage eines gültigen Reisepasses samt Meldebestätigung aus. Die Polizei verbrachte ihn zusammen mit anderen Personen zu einer Polizeiwache, wo der Beschwerdeführer bis circa 3.00 Uhr in einer Zelle festgehalten wurde, ohne dass die Polizei in der Zwischenzeit ihn betreffende Maßnahmen durchführte. Gegen 3.00 Uhr verbrachte die Polizei den Beschwerdeführer zum Polizeipräsidium, wo der Beschwerdeführer wiederum eine Stunde in einer Zelle verbrachte, bis er erkennungsdienstlich behandelt wurde (Anfertigung von zwei Lichtbildern). Die Polizei stützte diese Maßnahme auf § 81b Alt. 1 StPO. Sie entließ den Beschwerdeführer am 28. September 2003 gegen 4.30 Uhr.

2. Am 27. Oktober 2003 beantragte der Beschwerdeführer beim Amtsgericht die nachträgliche Feststellung, dass die Freiheitsentziehung von 18.00 Uhr bis 4.30 Uhr von Anfang an dem Grunde und der Dauer nach sowie die Behandlung während der Freiheitsentziehung rechtswidrig waren. Mit Beschluss vom 30. April 2004 stellte das Amtsgericht fest, dass die zum Nachteil des Beschwerdeführers vollzogene Freiheitsentziehung ungeachtet der falschen Bezeichnung als vorläufige Festnahme gemäß § 163b StPO rechtmäßig gewesen sei. In Anbetracht der großen Anzahl der Beschuldigten sei eine Identitätsfeststellung vor Ort nur unter sehr erschwerten Bedingungen möglich gewesen.

3. Mit Beschluss vom 10. Dezember 2004 verwarf das Landgericht die Beschwerde des Beschwerdeführers. Diese sei schon unzulässig, da ein Rechtsschutzinteresse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit erledigter Ermittlungsmaßnahmen nicht vorliege. Im Übrigen sei die Beschwerde auch unbegründet. Es habe sich bei der Maßnahme ersichtlich nicht um eine vorläufige Festnahme nach § 127 Abs. 2 StPO gehandelt. Die Polizei habe die Identität des Beschwerdeführers feststellen und ihn dafür auch nach § 163b StPO festhalten und gemäß § 81b StPO erkennungsdienstlich behandeln dürfen.

Auf eine Gegenvorstellung des Beschwerdeführers beschloss das Landgericht, die Entscheidung nicht abzuändern.

4. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 8 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 104 Abs. 1 und 2 GG. Es habe sich um eine Freiheitsentziehung gehandelt. Eine Rechtsgrundlage für die Verwahrung habe nicht vorgelegen; jedenfalls sei der Eingriff nicht verhältnismäßig. Die Gerichte hätten wegen der Verkennung des Vorliegens einer Freiheitsentziehung auch übersehen, dass das Unverzüglichkeitsgebot des Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt sei.

5. Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg hat von der Gelegenheit zur Äußerung keinen Gebrauch gemacht.

6. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Ausgangsverfahrens vorgelegen. Aus ihnen ergibt sich, dass das Amtsgericht das gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfahren wegen Hausfriedensbruchs gemäß § 153a Abs. 2 StPO nach der Zahlung eines Bußgeldes in Höhe von 150 € endgültig eingestellt hat.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung anzunehmen, da dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist; im Übrigen ist sie nicht zur Entscheidung anzunehmen.

1. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen insoweit vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).

Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Dies gilt für die verfassungsrechtlichen Maßstäbe im Hinblick auf Eingriffe in das Freiheitsgrundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 und 2 GG einschließlich der besonderen Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsprinzips (vgl. BVerfGE 10, 302 <322>; 29, 312 <316>; 94, 166 <198>; 105, 239 <249 f.>).

a) Die Verfassungsbeschwerde, die sich bei verständiger Würdigung nur gegen die die polizeilichen Maßnahmen bestätigenden Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts und nicht auch unmittelbar gegen die polizeilichen Maßnahmen selbst richtet, ist zulässig. Dem Beschwerdeführer fehlt es insbesondere nicht an einem allgemeinen Rechtsschutzinteresse, weil der Freiheitseingriff beendet ist. Es würde der Bedeutung des Schutzes der persönlichen Freiheit in der im Grundgesetz garantierten Form nicht entsprechen, wenn das Recht auf eine verfassungsgerichtliche Klärung der Rechtmäßigkeit eines Eingriffs in das Freiheitsrecht bei Wiedergewährung der Freiheit ohne Weiteres entfiele (vgl. BVerfGE 9, 89 <93 f.>; 10, 302 <308>; stRspr).

b) Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit auch im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet.

aa) Die angegriffenen Beschlüsse verletzen, indem sie die gegen den Beschwerdeführer gerichteten polizeilichen Maßnahmen bestätigen, den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG.

(1) Der Schutzbereich des Grundrechts umfasst sowohl freiheitsbeschränkende als auch freiheitsentziehende Maßnahmen. Eine Freiheitsbeschränkung liegt vor, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt gegen seinen Willen daran gehindert wird, einen Ort oder Raum aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten, der ihm an sich (tatsächlich und rechtlich) zugänglich ist. Eine Freiheitsentziehung als schwerste Form der Freiheitsbeschränkung ist nur dann gegeben, wenn die tatsächlich und rechtlich an sich gegebene körperliche Bewegungsfreiheit durch staatliche Maßnahmen nach jeder Richtung hin aufgehoben wird (vgl. BVerfGE 94, 166 <198>).

Eingriffe in die Freiheit der Person bedürfen einer gesetzlichen Grundlage (vgl. BVerfGE 2, 118 <119>; 29, 183 <195>), wobei die Formvorschriften dieser Gesetze von den Gerichten so auszulegen sind, dass ihnen eine der Bedeutung des Grundrechts angemessene Wirkung zukommt (vgl. BVerfGE 65, 317 <322 f.>; 96, 68 <97>). Bei der Beschränkung im Einzelfall muss die Stellung des Grundrechts auch im Rahmen des Abwägungsprozesses angemessen berücksichtigt werden. Insbesondere ist sorgfältig abzuwägen, ob ein Eingriff in den Grenzen bleibt, die ihm durch den im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden, mit Verfassungsrang ausgestatteten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gezogen werden (vgl. BVerfGE 29, 312 <316>). Diesen zu beachten, ist bei allen Eingriffen durch die öffentliche Gewalt ein zwingendes verfassungsrechtliches Gebot (vgl. BVerfGE 30, 173 <199>). Ein Eingriff ist jedenfalls dann unverhältnismäßig, wenn er nicht zur Erreichung des angestrebten Zwecks erforderlich ist. Dies wiederum ist nicht der Fall, wenn ein gleich geeignetes, milderes Mittel zur Erreichung des Zwecks ausreichend ist (vgl. BVerfGE 67, 157 <173>; 81, 156 <192> m.w.N.).

(2) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts nicht, die das Festhalten des Beschwerdeführers und die Aufrechterhaltung der Ingewahrsamnahme bis zur Entlassung durch die Polizei gegen 4.30 Uhr für rechtmäßig erklären. Es kann im Ergebnis dahin stehen, ob die Polizei den Beschwerdeführer auf der Grundlage von § 163b Abs. 1 Satz 2 StPO oder aufgrund von § 81b StPO festgehalten hat, denn die Maßnahmen erweisen sich jedenfalls nicht als erforderlich.

Die Vorschrift des § 163b Abs. 1 Satz 2 StPO lässt ein Festhalten zur Identitätsfeststellung nur zu, wenn die Identität sonst nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Die Vorschrift stellt insofern eine gesetzliche Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgebots dar und soll sicherstellen, dass ein Eingriff in die persönliche Freiheit nur dann erfolgt, wenn er zur Feststellung der Identität unerlässlich ist. Ein solcher Fall lag hier nicht vor. § 163b Abs. 1 Satz 1 StPO ermächtigt Polizeibeamte, gegenüber einem Verdächtigen die notwendigen Maßnahmen zur Identitätsfeststellung zu treffen, also den Betreffenden nach seinen Personalien zu befragen und diesen aufzufordern, mitgeführte Ausweisdokumente auszuhändigen. Nur dann, wenn die Identität des Betreffenden auch unter Ausschöpfung dieser Maßnahmen nicht mit der erforderlichen Sicherheit geklärt werden kann oder dies mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden wäre, kommt ein weiteres Festhalten nach Satz 2 in Betracht. Ein weiterer Eingriff in das Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG darf also nur dann erfolgen, wenn die Polizei auf der Basis der bereits bekannten Daten berechtigte Zweifel an der Identität der Person hat. Hiervon kann im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden. Der Beschwerdeführer hat sich gegenüber der Polizei vor Ort mit einem Reisepass samt Meldebestätigung ausgewiesen. Diese amtlichen Dokumente sind zur Feststellung der Identität geeignet. Anhaltspunkte dafür, dass der Pass des Beschwerdeführers gefälscht war oder seine Person nicht mit dem Passinhaber übereinstimmte, etwa, weil das Foto keine oder nur geringe Ähnlichkeit mit ihm aufwies, sind weder von der Polizei noch vom Landgericht benannt worden noch sind sie ansonsten ersichtlich. Daher ist - insbesondere im Hinblick auf das verfassungsrechtlich fundierte Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen bloßer Identitätsfeststellung und weiterem Festhalten - davon auszugehen, dass es den Polizeibeamten möglich war, die Identität aufgrund des vorgelegten Reisepasses vor Ort hinreichend sicher festzustellen. Ein Festhalten aus reinen Praktikabilitätserwägungen vermag schon die Erforderlichkeit der Maßnahme nicht zu begründen und dürfte im Übrigen auch auf die Abwägung im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer derartigen Maßnahme keinen Einfluss haben (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 1992 - 2 BvR 658/90 -, NVwZ 1992, S. 767 <768>).

Auch ein Festhalten des Beschwerdeführers auf der Grundlage des § 81b Alt. 2 StPO war jedenfalls unverhältnismäßig, denn es verkannte die Bedeutung des Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Insoweit ist zwischen der Anordnung der Maßnahme und der Durchführung zu unterscheiden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juli 2006 - 2 BvR 1255/04 -, NStZ-RR 2006, S. 381 <382>). Selbst wenn man in Bezug auf die Anordnung der Maßnahme mit dem Landgericht davon ausgeht, dass trotz eindeutig festgestellter Identität des Beschwerdeführers und aller anderen Personen die Erinnerung der einzelnen Polizisten als Zeugen vor Gericht aufgrund der Vielzahl an Personen ohne weitere Fotos möglicherweise nicht hinreichend gewährleistet gewesen wäre und es als Erinnerungsstütze noch ein Bedürfnis an weiteren im Strafprozess zu verwertenden Beweismitteln gab, rechtfertigt dies für die Durchführung jedenfalls nicht ein stundenlanges Festhalten und Einsperren des Beschwerdeführers auf verschiedenen Polizeiwachen. Die Gerichte verkennen die Anforderungen des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips, dass in der Formulierung "soweit (...) notwendig" in § 81b StPO seinen Niederschlag auch in der einfachgesetzlichen Regelung gefunden hat. Sie haben insoweit nicht ausgeführt, dass ein stundenlanges Festhalten des Beschwerdeführers für das Anfertigen der Lichtbilder des Beschwerdeführers notwendig war. Zwar kann die Masse der zu bearbeitenden Fälle eine zeitliche Verzögerung rechtfertigen, jedoch fehlt es an Ausführungen zum Vorliegen von Erschwernissen solchen Ausmaßes. Allerdings ist die Polizei als Strafverfolgungsbehörde - soweit nicht ein genereller entsprechender Bedarf besteht - nicht gezwungen, Personal und Material für erkennungsdienstliche Maßnahmen in solchem Maß vorzuhalten, dass eine Bearbeitung in unmittelbarer zeitlicher und räumlicher Nähe erfolgen kann. Vielmehr kann es durchaus verhältnismäßig sein, derartige spezielle Ressourcen insbesondere räumlich zusammenzufassen. Eine Verbringung an diesen Ort und eine organisatorisch nicht zu vermeidende und gemäßigte Wartefrist können jedenfalls bei hinreichend gewichtigen Straftaten angemessene Eingriffe im Verhältnis zur Bedeutung des staatlichen Strafanspruches sein. Ein solcher Fall liegt aber auf der Basis des festgestellten Sachverhalts nicht vor. Der Beschwerdeführer ist nach mehreren Stunden ausschließlich in der Art erkennungsdienstlich behandelt worden, dass von ihm zwei einfache Fotos angefertigt wurden. Weitere Aufnahmen insbesondere solche, die besondere fotografische oder kriminalistische Erfahrung oder Ausrüstung erforderten, sind vom Landgericht weder festgestellt noch Teil seiner Verhältnismäßigkeitserwägungen geworden. Insofern stellt sich die erkennungsdienstliche Behandlung als die Anfertigung von einfachen, alltäglichen Fotoaufnahmen dar. Für die Annahme der Erforderlichkeit in diesem Fall hätte es einer genaueren Auseinandersetzung mit anderen Möglichkeiten bedurft, zeitlich früher Aufnahmen des Beschwerdeführers in der gleichen Qualität und Machart anzufertigen, die den Zweck des § 81b StPO nicht schlechter erfüllt hätten. Hierbei hätten die Gerichte insbesondere prüfen müssen, ob die Beamten entsprechende Aufnahmen nicht mit einer verfügbaren oder kurzfristig herbeizuschaffenden Kamera auch vor Ort, als die Personen einzeln aus dem Kessel zur Identitätsfeststellung herausgeführt wurden, hätten machen können oder sonst spätestens auf den einzelnen Polizeiwachen.

bb) Die das Festhalten des Beschwerdeführers auf der Polizeiwache sowie dem Polizeipräsidium einschließlich der Verbringung dorthin bestätigenden Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts verletzen den Beschwerdeführer auch in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 104 Abs. 2 GG.

(1) Das Einsperren des Beschwerdeführers in eine Gewahrsamszelle auf der Polizeiwache beziehungsweise auf dem Polizeipräsidium sowie als Verbindungsglied zwischen beiden das Verbringen dorthin mittels Polizeifahrzeugen stellen eine Freiheitsentziehung im Sinne von Art. 104 Abs. 2 GG und nicht lediglich eine Freiheitsbeschränkung dar. Während eine Freiheitsbeschränkung schon dann anzunehmen ist, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt gegen seinen Willen daran gehindert wird, einen Ort aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten, der ihm an sich (tatsächlich und rechtlich) zugänglich ist, liegt eine Freiheitsentziehung erst dann vor, wenn die tatsächlich und rechtlich gegebene körperliche Bewegungsfreiheit nach allen Seiten hin aufgehoben wird (vgl. BVerfGE 94, 166 <198>). Die Freiheitsentziehung ist der schwerste Fall der Freiheitsbeschränkung (vgl. BVerfGE 10, 302 <323>). Beide Begriffe sind entsprechend ihrer Intensität abzugrenzen (vgl. BVerfGE 105, 239, 248). Jedenfalls muss die Unterbringung einer Person gegen ihren Willen in einem Haftraum als Freiheitsentziehung im Sinne von Art. 104 Abs. 2 GG angesehen werden (vgl. BGHZ 82, 261 <264> und BVerwGE 62, 317 <318>). Nur kurzfristige Aufhebungen der Bewegungsfreiheit stellen dagegen keine Freiheitsentziehung dar (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Mai 2004 - 2 BvR 715/04 -, NJW 2004, S. 3697).

Nach Art. 104 Abs. 2 Satz 2 und 3 GG ist die Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung allein dem Richter vorbehalten, wobei bei nicht vorgelagerter richterlicher Entscheidung diese unverzüglich nach Beginn der Freiheitsentziehung zu bewirken ist.

(2) Die Polizei hat den Beschwerdeführer jedenfalls von 19.55 Uhr bis 4.30 Uhr festgehalten und von dem Ort der Festsetzung zunächst zur Polizeiwache und dann zum Polizeipräsidium verbracht, wobei er zweimal für jeweils zumindest eine Stunde in eine Gewahrsamszelle eingesperrt wurde. Das Festhalten des Beschwerdeführers in Gewahrsamszellen auf der Polizeiwache und im Polizeipräsidium sowie die jeweilige Verbringung dahin stellen eine vollständige Aufhebung seiner Bewegungsfreiheit dar. Dabei stellt der Einschluss in Zellen den typischen Fall der hoheitlichen Freiheitsentziehung dar, den das Grundgesetz unter die besonderen Voraussetzungen des Art. 104 Abs. 2 GG stellen wollte (vgl. BVerwGE 62, 317 <318>). Anders als im Regelfall von § 81b StPO wurde der Beschwerdeführer nicht allein zur Dienststelle verbracht und im Weiteren umgehend erkennungsdienstlich behandelt, sondern über eine Dauer von mehreren Stunden allein verwahrt für eine nachfolgende erkennungsdienstliche Behandlung. Dies hat aber - umso mehr im Vergleich zu dem verfolgten Ziel, nämlich der Anfertigung von zwei Fotos - eigenes Gewicht. Insbesondere ist die Gesamtdauer der Freiheitsentziehung nicht nur als kurzfristig anzusehen, denn sie umfasst jedenfalls einen Zeitraum, der nicht mehr unbedeutend ist.

Die Gerichte haben damit die Auswirkungen des Festhaltens des Beschwerdeführers in tatsächlicher und in der Folge auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht verkannt und sich nicht mit den Anforderungen des Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG auseinandergesetzt. Bei der gebotenen Qualifikation der Maßnahme als Freiheitsentziehung hätten sich die Gerichte mit der Frage der Notwendigkeit der Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung sowie den hierzu getroffenen organisatorischen Voraussetzungen sowie den Maßnahmen im Einzelfall befassen müssen.

c) Die Sache ist zur erneuten Rechtsprüfung an das Amtsgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).

d) Ob die angegriffenen Entscheidungen zugleich gegen die Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG verstoßen, kann ebenso dahinstehen wie die Frage, ob der Beschluss des Landgerichts gegen das Recht des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG verstößt.

2. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG. Der erfolglose Teil der Verfassungsbeschwerde ist von untergeordneter Bedeutung, so dass trotz teilweisen Unterliegens des Beschwerdeführers die vollständige Erstattung seiner Auslagen anzuordnen ist.

3. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG.

HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 474

Bearbeiter: Stephan Schlegel