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HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 165

Bearbeiter: Stephan Schlegel

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 27/04, Beschluss v. 14.01.2004, HRRS 2004 Nr. 165


BVerfG 2 BvR 27/04 (3. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 14.01.2004 (LG Itzehoe, AG Itzehoe)

Einstweilige Anordnung im Verfahren der Verfassungsbeschwerde (Substantiierung des Vorbringens; Rechtswegerschöpfung; Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei); Beschlagnahme (genaue Bezeichnung der zu beschlagnahmenden Gegenstände; Richtlinie für die Durchsuchung; vorläufige Beschlagnahme; Rechtsschutz gegen die Beschlagnahme).

Art. 13 GG; Art. 8 EMRK; § 32 BVerfGG; § 102 StPO; § 94 StPO; § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine einstweilige Anordnung im Verfahren der Verfassungsbeschwerde darf dann nicht ergehen, wenn sich das in der Hauptsache zu verfolgende Begehren als unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweisen würde (BVerfGE 103, 41, 42). Dies ist u.A. dann der Fall, wenn der Beschwerdeführer den Rechtsweg gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG noch nicht erschöpft hat.

2. Ordnet ein Richter - etwa gleichzeitig mit dem Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses - die Beschlagnahme von Gegenständen an, bevor diese von den Strafverfolgungsbehörden in amtlichen Gewahrsam genommen worden sind, so muss er die Gegenstände so genau bezeichnen, dass keine Zweifel darüber bestehen, ob sie von der Beschlagnahmeanordnung erfasst sind oder nicht. Fehlt diese genaue Bezeichnung, so handelt es sich bei der Beschlagnahmeanordnung lediglich um eine Richtlinie für die Durchsuchung.

3. Die Sicherstellung und Durchsuchung des Datenbestandes der Rechtsanwaltskanzlei bedarf jedenfalls im Hinblick darauf, dass neben dem Beschuldigten die Daten einer Vielzahl Nichtbeschuldigter betroffen sind, unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit einer besonderen verfassungsrechtlichen Rechtfertigung.

Entscheidungstenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

Eine einstweilige Anordnung darf dann nicht ergehen, wenn sich das in der Hauptsache zu verfolgende Begehren als unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweisen würde (BVerfGE 103, 41 <42>).

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft die im Rahmen der Durchsuchung sichergestellten Gegenstände. Insoweit ist das Hauptsachebegehren derzeit unzulässig. Der Beschwerdeführer hat den Rechtsweg gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG noch nicht erschöpft.

Ebenso wie die Durchsuchung stellt eine Beschlagnahme einen Eingriff in den grundrechtlich geschützten Bereich des Betroffenen dar. Ordnet ein Richter - etwa gleichzeitig mit dem Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses (vgl. Nack, in: Karlsruher Kommentar, 5. Aufl., § 98 Rn. 2) - die Beschlagnahme von Gegenständen an, bevor diese von den Strafverfolgungsbehörden in amtlichen Gewahrsam genommen worden sind, so muss er die Gegenstände so genau bezeichnen, dass keine Zweifel darüber bestehen, ob sie von der Beschlagnahmeanordnung erfasst sind. Denn anderenfalls würde die Entscheidung, welche Gegenstände unter die richterliche Beschlagnahmeanordnung fallen, nicht dem Richter obliegen, sondern den Strafverfolgungsbehörden (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. September 1991 - 2 BvR 279/90 -, NJW 1992, S. 551 <552>). Entspricht der amtsgerichtliche Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss - wie auch im vorliegenden Verfahren fachgerichtlich festgestellt - diesen Erfordernissen nicht, dann liegt - entsprechend dem Beschluss des Landgerichts Itzehoe vom 5. Dezember 2003 - noch keine wirksame Beschlagnahmeanordnung vor. Die allgemein gehaltene Beschlagnahmeanordnung hat in diesem Fall nur die Bedeutung einer Richtlinie für die Durchsuchung (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9. November 2001 - 2 BvR 436/01 -, NStZ 2002, S. 212 <213>; Nack, in: Karlsruher Kommentar, 5. Aufl., § 98 Rn. 2; Meyer-Goßner, 46. Aufl., § 105 Rn. 7). Der Beschwerdeführer hätte insoweit vor Anrufung des Bundesverfassungsgerichts zunächst eine fachgerichtliche Entscheidung gemäß § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO über die Bestätigung der Beschlagnahme konkreter Beweismittel herbeiführen müssen. Auch soweit hinsichtlich sichergestellter Daten deren Beweiserheblichkeit erst im Rahmen einer Durchsicht gemäß § 110 StPO festgestellt werden kann, muss der Beschwerdeführer zunächst die Fachgerichte mit der Angelegenheit befassen (zur Zulässigkeit eines Antrags entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Januar 2002 - 2 BvR 2248/00 -, NStZ 2002, S. 377 <378>).

2. Soweit die Sicherstellung von Beweismitteln betroffen ist, werden die Fachgerichte im weiteren Fortgang des Verfahrens zu beachten haben, dass hierfür unter anderem ein auf konkreten Tatsachen beruhender Anfangsverdacht einer Straftat vorausgesetzt ist. Auf der Grundlage des Vorbringens des Beschwerdeführers in der Verfassungsbeschwerde wird nicht ohne weiteres erkennbar, welche verfolgbare Straftat vom Beschwerdeführer durch welches Verhalten begangen worden sein soll. Im Übrigen wird von Bedeutung sein, dass insbesondere durch die Sicherstellung des Datenbestandes der Rechtsanwaltskanzlei des Beschwerdeführers rechtlich besonders geschützte Daten erfasst wurden und neben dem Beschwerdeführer eine Vielzahl Nichtbeschuldigter von dem Eingriff betroffen sind. Ein derart schwerwiegender Eingriff bedarf jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit einer besonderen verfassungsrechtlichen Rechtfertigung.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 165

Bearbeiter: Stephan Schlegel