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HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 4

Bearbeiter: Stephan Schlegel

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 1249/04, Beschluss v. 14.12.2004, HRRS 2005 Nr. 4


BVerfG 2 BvR 1249/04 (2. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 14. Dezember 2004 (BGH/LG Frankfurt/Main)

Darlegungsanforderungen bei einer Verfassungsbeschwerde (Geltendmachung einer verfassungsrechtlich zwingenden Rechtsfolge in Abweichung zu einer fachgerichtlich gewählten); Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde; Folterverbot (Verfahrenshindernis; Beweisverwertungsverbot; Beweiserhebungsverbot; "Fall Gäfgen").

Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 104 Abs. 1 Satz 2 GG; Art. 3 EMRK; § 136a StPO; § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG; § 92 BVerfGG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Anwendung von Folter macht die Vernehmungsperson zum bloßen Objekt der Verbrechensbekämpfung unter Verletzung ihres verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wert- und Achtungsanspruchs und zerstört grundlegende Voraussetzungen der individuellen und sozialen Existenz des Menschen.

2. Grundrechtsverletzungen außerhalb der strafverfahrensrechtlichen Hauptverhandlung, führen nicht zwingend dazu, dass auch das auf dem Inbegriff der Hauptverhandlung beruhende Strafurteil gegen Verfassungsrecht verstößt.

3. Strebt ein Beschwerdeführer hinsichtlich aus der Verfassung abgeleiteter strafprozessualer Verwertungsverbote eine andere Rechtsfolge als die Fachgerichte an, so muss er darlegen, dass die von ihm geltend gemachte Folge verfassungsrechtlich zwingend sei. In derartigen Konstellationen hat er deshalb unter Berücksichtigung der Rechtsansicht der angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen die Frage zu behandeln, welche Folgerungen sich aus dem Verfahrensverstoß im Ermittlungsverfahren für die Verwertbarkeit der dabei gewonnenen Erkenntnisse in der Hauptverhandlung und im Urteil ergeben.

Entscheidungstenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

Das Landgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen Mordes in Tateinheit mit erpresserischem Menschenraub mit Todesfolge sowie einer gesonderten Tat zu lebenslanger Freiheitsstrafe unter Feststellung der besonderen Schwere der Schuld.

Der Beschwerdeführer hatte ein elfjähriges Kind in seine Gewalt gebracht und erstickt, um für die Freilassung des (bereits toten) Opfers ein hohes Lösegeld zu erpressen; bei der Abholung des Geldes war er beobachtet und später festgenommen worden. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde dem Beschwerdeführer im Rahmen seiner anschließenden Vernehmung auf Weisung der Polizeiführung (in der Annahme, das Leben des Kindes so möglicherweise noch retten zu können) die Zufügung von Schmerzen angedroht, wenn er den Aufenthaltsort des Entführungsopfers nicht preisgebe. Aus Angst vor den angedrohten Maßnahmen machte der Beschwerdeführer daraufhin Angaben, die zum Auffinden der Leiche führten.

Nachdem das Landgericht zu Beginn der Hauptverhandlung festgestellt hatte, dass die früheren Aussagen des Beschwerdeführers wegen des Einsatzes einer verbotenen Vernehmungsmethode einem Verwertungsverbot unterliegen, legte der verteidigte Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung nach Erteilung einer qualifizierten Belehrung ein Geständnis ab, auf welches das Landgericht seine Verurteilung maßgeblich stützte. Die vom Beschwerdeführer gegen dieses Urteil eingelegte Revision hat der Bundesgerichtshof verworfen.

II.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Entscheidungen des Landgerichts und des Bundesgerichtshofs. Er rügt die Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG sowie Art. 104 Abs. 1 Satz 2 GG. Seine Behandlung durch die Polizei sei in Anbetracht seiner damaligen psychischen und physischen Verfassung sowie des planmäßigen, durch die Polizeihierarchie abgesicherten und von dem ernsthaften Willen zur (spurenlosen) Umsetzung getragenen Vorgehens Folter im Sinne des Art. 3 EMRK gewesen. Aus diesen - unter keinen Umständen zu rechtfertigenden - Grundrechtseingriffen ergäben sich für das Strafverfahren sowohl ein Verfahrenshindernis als auch eine Fernwirkung des Beweisverwertungsverbots.

III.

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>). Sie ist unzulässig.

1. Soweit der Beschwerdeführer die fachgerichtlichen Entscheidungen im Hinblick auf die unterbliebene Verfahrenseinstellung angreift, erfüllt sein Vorbringen nicht die gemäß §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde zu stellenden Anforderungen. Danach hat ein Beschwerdeführer nicht nur die Grundrechtsverletzung durch Bezeichnung des angeblich verletzten Rechts und den die Verletzung enthaltenden Vorgang substantiiert und schlüssig darzulegen, sondern er ist weiterhin gehalten vorzutragen, inwieweit das geltend gemachte Grundrecht durch die angegriffenen Maßnahmen verletzt ist (vgl. BVerfGE 99, 84 <87>).

a) Schon das Landgericht hat die polizeiliche Androhung, dem Beschwerdeführer Schmerzen zuzufügen, als Verstoß gegen § 136a Abs. 1 StPO und das in Art. 3 EMRK enthaltene Folterverbot gewertet. Danach wurden die Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 104 Abs. 1 Satz 2 GG durch Maßnahmen im strafrechtlichen Vorverfahren missachtet. Denn die - hier vom Landgericht bejahte - Anwendung von Folter macht die Vernehmungsperson zum bloßen Objekt der Verbrechensbekämpfung unter Verletzung ihres verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wert- und Achtungsanspruchs und zerstört grundlegende Voraussetzungen der individuellen und sozialen Existenz des Menschen.

b) Grundrechtsverletzungen, zu denen es außerhalb der Hauptverhandlung kommt, führen jedoch nicht zwingend dazu, dass auch das auf dem Inbegriff der Hauptverhandlung beruhende Strafurteil gegen Verfassungsrecht verstößt (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 1. März 2000 - 2 BvR 2017/94 -, StV 2000, S. 233 <234>). Der Beschwerdeführer wendet sich ausschließlich gegen seine Verurteilung durch das Landgericht und die Verwerfung seiner Revision durch den Bundesgerichtshof; diese Entscheidungen beurteilen die im Ermittlungsverfahren angewandten Vernehmungsmethoden ausdrücklich als unzulässig, ziehen hieraus allerdings andere rechtliche Konsequenzen als der Beschwerdeführer. Strebt ein Beschwerdeführer hinsichtlich aus der Verfassung abgeleiteter strafprozessualer Verwertungsverbote eine andere Rechtsfolge als die Fachgerichte an, so muss er darlegen, dass die von ihm geltend gemachte Folge verfassungsrechtlich zwingend sei (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9. März 2000 - 2 BvR 1087/91 -, juris). In derartigen Konstellationen hat er deshalb unter Berücksichtigung der Rechtsansicht der angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen die Frage zu behandeln, welche Folgerungen sich aus dem Verfahrensverstoß im Ermittlungsverfahren für die Verwertbarkeit der dabei gewonnenen Erkenntnisse in der Hauptverhandlung und im Urteil ergeben (vgl. die Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 1. März 2000 - 2 BvR 2017/94 -, StV 2000, S. 233 <234>, und vom 27. April 2000 - 2 BvR 1990/96 -, NStZ 2000, S. 488).

Behauptet ein Beschwerdeführer, wie hier, nicht nur ein sich aus der Verfassung ergebendes strafprozessuales Beweisverwertungsverbot, sondern ein Verfahrenshindernis, so ist von ihm jedenfalls nicht weniger zu verlangen. Eine Verfassungsbeschwerde ist nur dann zulässig, wenn die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung schlüssig dargetan ist (vgl. BVerfGE 6, 445 <447>; 79, 1 <17 f.>); 83, 216 <226>; stRspr); eine Verletzung von Grundrechten wäre hier aber ausgeschlossen, wenn das von den Fachgerichten angenommene Beweisverwertungsverbot den in der unzulässigen Beweiserhebung liegenden Verfahrensverstoß bereits vollständig ausgeglichen hätte. Daher hat ein Beschwerdeführer bei dieser Sachlage darzulegen, warum die Anwendung des § 136a Abs. 3 StPO ausnahmsweise nicht ausreicht, um die frühere Rechtsverletzung zu kompensieren. Dies gilt umso mehr, als es in den Fällen, in denen ein Verfahrenshindernis bislang als Folge schwerster Verfahrensmängel in Betracht kommen kann, keine speziellen Gesetzesvorschriften gibt, die Art und Umfang der gebotenen Fehlerkorrektur regeln (vgl. für die Verletzung des Beschleunigungsgebots: BVerfG <Zweiter Senat Vorprüfungsausschuss>, Beschluss vom 24. November 1983 - 2 BvR 121/83 -, NJW 1984, S. 967 f.; vgl. für die rechtsstaatswidrige Tatprovokation: Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1994 - 2 BvR 435/87 -, NStZ 1995, S. 95 <96>).

c) Diesen Anforderungen wird die Verfassungsbeschwerde nicht gerecht.

Der Beschwerdeführer hat schon die Rechtsverletzung im strafprozessualen Vorverfahren nicht in der erforderlichen Weise dargestellt; seine Schilderung weicht in wesentlichen Punkten von den hier maßgeblichen Feststellungen des Tatgerichts ab. Während das angegriffene Urteil allein die Androhung von Schmerzen feststellt, unterstellt die Verfassungsbeschwerde weitere unlautere Einwirkungen. Schon deshalb hat der Beschwerdeführer zudem nicht genügend begründet, warum der hier vorliegende Verfahrensverstoß verfassungsrechtlich nicht nur ein Verwertungsverbot, sondern zwingend ein Verfahrenshindernis nach sich ziehen musste. Diese Frage lässt der Beschwerdeführer auch ansonsten unerörtert; die Verfassungsbeschwerde erschöpft sich in der Wiedergabe des außerhalb der Hauptverhandlung begangenen Verfahrensverstoßes, ohne darzulegen, weshalb gerade die von ihm angegriffenen Gerichtsentscheidungen Grundrechte des Beschwerdeführers verletzen.

2. Die Verfassungsbeschwerde ist ebenfalls unzulässig, soweit sie sich gegen die Annahme einer Fernwirkung durch das Landgericht richtet. Insoweit fehlt es bereits an der Erhebung einer entsprechenden Rüge im Revisionsverfahren.

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 4

Externe Fundstellen: NJW 2005, 656

Bearbeiter: Stephan Schlegel