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HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 66

Bearbeiter: Stephan Schlegel

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BVR 1107/03, Beschluss v. 04.12.2003, HRRS 2004 Nr. 66


BVerfG 2 BVR 1107/03 (3. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 4. Dezember 2003

Bestimmtheitsgebot; Analogieverbot; Auslegung (Wortlautgrenze; kein Verbot der teleologischen, weiten Auslegung; Verwendung auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe; Vorhersehbarkeit der Strafandrohung); Strafvereitelung; Verfall; Arrest.

Art. 103 Abs. 2 GG; Art. 7 EMRK; § 258 Abs. 1 StGB; § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB; § 111d StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Wortlautgrenze des § 258 Abs. 1 StGB wird auf Grund seiner Verweisung auf § 11 Nr. 8 StGB nicht überschritten, wenn in der Vereitelung von strafprozessualen Maßnahmen nach § 111d StPO, die der Realisierung der späteren Verfallsanordnung dienen sollen, zugleich auch eine Vereitelungshandlung der Durchsetzung des Verfallsanspruchs selbst gesehen wird.

2. Als spezielles Willkürverbot für die Strafgerichtsbarkeit verpflichtet Art. 103 Abs. 2 GG den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen. Die hiernach gebotene Bestimmtheit des Straftatbestandes schließt aber die Verwendung von Begriffen nicht aus, die der Deutung durch den Richter bedürfen. Jedenfalls im Regelfall muss der Normadressat aber anhand der gesetzlichen Vorschrift voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist. Der mögliche Wortsinn des Gesetzes markiert dabei die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation (vgl. BVerfGE 64, 389, 393 f.; 92, 1, 12). Da Art. 103 Abs. 2 GG die Vorhersehbarkeit der Strafandrohung für den Normadressaten garantieren will, ist die Grenze aus dessen Sicht zu bestimmen (BVerfGE 92, 1, 12).

3. Das Bestimmtheitsgebot verwehrt es den Strafgerichten nicht, den Wortlaut einer Strafbestimmung weit auszulegen. Gerade wenn der Normzweck eindeutig und offensichtlich ist, kann eine daran orientierte weite Auslegung des Wortsinns geboten sein (vgl. BVerfGE 28, 175; 183; 57, 250, 262).

Entscheidungstenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft Fragen des strafrechtlichen Analogieverbots. Sie wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>). Sie hat keine Aussicht auf Erfolg.

1. Als spezielles Willkürverbot für die Strafgerichtsbarkeit verpflichtet Art. 103 Abs. 2 GG den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen. Die hiernach gebotene Bestimmtheit des Straftatbestandes schließt aber die Verwendung von Begriffen nicht aus, die der Deutung durch den Richter bedürfen. Es liegt deshalb in der Natur der Sache, dass in Grenzfällen erst durch Auslegung festgestellt werden muss, ob ein Verhalten noch unter den gesetzlichen Straftatbestand fällt. Jedenfalls im Regelfall muss der Normadressat aber anhand der gesetzlichen Vorschrift voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist. Auch in Grenzfällen ist auf diese Weise das Risiko einer Bestrafung erkennbar. Für die Rechtsprechung folgt aus dem Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit ein Verbot analoger Strafbegründung. Der mögliche Wortsinn des Gesetzes markiert die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation (vgl. BVerfGE 64, 389 <393 f.>; 71, 108 <114 ff.>; 92, 1 <12>). Da Art. 103 Abs. 2 GG die Vorhersehbarkeit der Strafandrohung für den Normadressaten garantieren will, ist die Grenze aus dessen Sicht zu bestimmen (BVerfGE 92, 1 <12>).

Danach ist es den Strafgerichten nicht erlaubt, eine Strafbestimmung über ihren eindeutigen, einer Auslegung nicht zugänglichen Wortlaut hinaus allein im Blick auf den Normzweck anzuwenden; dies verstieße gegen das in Art. 103 Abs. 2 GG festgeschriebene Analogieverbot im Strafrecht (vgl. BVerfGE 26, 41 <42>; 47, 109 <121, 124>). Nicht verwehrt ist den Strafgerichten hingegen eine weite Auslegung des Wortlauts einer Strafbestimmung. Gerade wenn der Normzweck eindeutig und offensichtlich ist, kann eine daran orientierte weite Auslegung des Wortsinns geboten sein. Denn unter dieser Voraussetzung kann der Normadressat das strafrechtlich Verbotene seines Handelns vorhersehen, was zu gewährleisten Sinn des Art. 103 Abs. 2 GG ist (vgl. BVerfGE 28, 175 <183>; 48, 48 <56>; 57, 250 <262>; Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 8. April 1982 - 2 BvR 1339/81 -, NStZ 1982, S. 285). Im Übrigen ist es auch bei der Rüge des Analogieverbots des Art. 103 Abs. 2 GG nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, seine Auffassung von der zutreffenden oder überzeugenden Auslegung des einfachen Rechts an die Stelle derjenigen der Strafgerichte zu setzen (Beschluss der 4. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Dezember 2000 - 2 BvR 1290/99 -, EuGRZ 2001, S. 76 <78>).

2. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs begegnen die angegriffenen Entscheidungen keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. § 258 Abs. 1 StGB nennt als strafrechtliche Sanktion, der die Vereitelungshandlung dient, durch die Verweisung auf § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB auch den Verfall. Der dingliche Arrest nach § 111d StPO dient u. a. der Sicherung dieser staatlichen Verfallsansprüche. Es überschreitet deshalb nicht die Wortlautgrenze des § 258 Abs. 1 StGB, in der Vereitelung von strafprozessualen Maßnahmen nach § 111d StPO, die der Realisierung der späteren Verfallsanordnung dienen sollen, zugleich auch eine Vereitelungshandlung der Durchsetzung des Verfallsanspruchs selbst zu sehen. Diese Auslegung ist aus den in dem angegriffenen Beschluss genannten Gründen auch vertretbar. Eine weiter gehende Prüfung ist dem Bundesverfassungsgericht nach den oben dargelegten Kriterien verwehrt.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 66

Bearbeiter: Stephan Schlegel