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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Januar 2024
25. Jahrgang
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1. Die Durchsuchung einer Wohnung mit dem Ziel der Ermittlung der Einkommensverhältnisse des Beschuldigten – als Grundlage für die Festsetzung der Tagessatzhöhe – in einem Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung ist unverhältnismäßig, wenn die Ermittlungsbehörden weder den Beschuldigten zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen befragt noch auf dessen Erklärung, er sei „Beamter im aktiven Dienst“, die zuständige Besoldungsstelle um Mitteilung
der Besoldungshöhe gebeten haben. Zudem hätten über eine – ebenfalls grundrechtsschonendere – Anfrage bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht eventuelle weitere Einkünfte ermittelt werden können.
2. Dem mit einer Wohnungsdurchsuchung verbundenen schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte persönliche Lebenssphäre des Einzelnen entspricht ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Eine Durchsuchung ist unverhältnismäßig, wenn naheliegende grundrechtsschonendere Ermittlungsmaßnahmen ohne greifbare Gründe unterbleiben oder zurückgestellt werden und die Maßnahme außer Verhältnis zur Stärke des im jeweiligen Verfahrensabschnitt bestehenden Tatverdachts steht.
3. Eine Wohnungsdurchsuchung ist nicht bereits deshalb unzulässig, weil sie allein dem Zweck dient, die Einkommensverhältnisse des Beschuldigten festzustellen. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft haben sich auch auf Umstände zu erstrecken, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind; hierzu zählen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters zur Bestimmung der Tagessatzhöhe. Durchsuchungen sind insoweit jedoch grundsätzlich nur dann verhältnismäßig, wenn anhand der übrigen zur Verfügung stehenden Beweismittel selbst eine Schätzung nach § 40 Abs. 3 StGB nicht möglich ist.
4. Das Rechtsschutzbedürfnis für die verfassungsgerichtliche Überprüfung einer Durchsuchungsanordnung besteht angesichts des damit verbundenen tiefgreifenden Grundrechtseingriffs fort, wenn die Durchsuchung vollzogen und damit erledigt ist. Dies gilt auch dann, wenn Durchsuchungsbeamte unter Vorlage des Durchsuchungsbeschlusses dessen Vollzug lediglich ankündigen, den – kooperativen – Betroffenen so zur Herausgabe der gesuchten Gegenstände veranlassen und dabei seine Wohnung betreten.
1. Die Durchsuchung der Wohnung einer Beschuldigten, welche dabei betroffen wurde, wie sie ein Werbeplakat der Bundeswehr einem Schaukasten an einer Bushaltestelle entnahm, um es durch ein verändertes Plakat zu ersetzen, das Kritik an der Bundeswehr und einem Rüstungsunternehmen zum Ausdruck brachte („Adbusting“), ist unverhältnismäßig, wenn die Gerichte im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung die fehlende Schwere der konkret aufzuklärenden Tat und die im Einzelfall niedrige Straferwartung nicht hinreichend in den Blick nehmen und verkennen, dass für das Auffinden von Beweismitteln betreffend die nur in Rede stehende Tat allenfalls eine geringe Wahrscheinlichkeit bestand.
2. „Adbusting“ kann als Diebstahl strafbar sein, wenn das Originalplakat nicht vor Ort verbleibt, sondern mitgenommen wird, wobei ein besonders schwerer Fall regelmäßig wegen Geringwertigkeit des Plakats auszuschließen sein wird. Wird das Originalplakat selbst verfälscht, so kommt (auch) eine Sachbeschädigung in Betracht. Die Meinungs- oder Kunstfreiheit stehen der Strafbarkeit nicht zwingend entgegen, weil die Grundrechte im Einzelfall hinter den Eigentumsinteressen des Geschädigten zurücktreten können.
3. Der mit einer Wohnungsdurchsuchung verbundene schwerwiegende Eingriff in die durch Art. 13 Abs. 1 GG geschützte räumliche Lebenssphäre des Einzelnen setzt zu seiner Rechtfertigung einen Anfangsverdacht voraus, der über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen und auf konkreten Tatsachen beruhen muss.
4. Um den Eingriff messbar und kontrollierbar zu gestalten, muss der Durchsuchungsbeschluss den Tatvorwurf und die konkreten Beweismittel so beschreiben, dass der äußere Rahmen für die Durchsuchung abgesteckt wird. Der Richter muss die aufzuklärende Straftat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist.
5. Eine Durchsuchung ist unverhältnismäßig, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen oder die Maßnahme außer Verhältnis zur Schwere der konkreten Straftat oder der Stärke des Tatverdachts steht. Hierbei sind auch die Bedeutung des aufzufindenden Beweismittels für das Strafverfahren sowie der Grad des Auffindeverdachts zu bewerten. Die Auffindewahrscheinlichkeit ist insbesondere bei länger zurückliegenden Ereignissen oder bei Kenntnis des Betroffenen von den Ermittlungen sorgfältig zu prüfen.
Die Entscheidung eines Oberlandesgerichts, mit der eine Auslieferung an die Türkei zum Zwecke der Strafvollstreckung für zulässig erklärt wird, verletzt möglicherweise das Grundrecht des Verfolgten aus Art. 19 Abs. 4 GG und ist daher einstweilen auszusetzen, wenn das Gericht nicht hinreichend aufgeklärt hat, ob die prozessualen Mindestrechte des Verfolgten verletzt worden sind, weil die zu
vollstreckenden Urteile zum Teil in dessen Abwesenheit ergangen sind, und ob der Gefahr eines erneuten Suizidversuchs des Verfolgen hinreichend Rechnung getragen ist.