HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juni 2022
23. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

635. BGH 4 StR 202/21 – Beschluss vom 15. März 2022 (LG Hagen)

Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr (alte Fassung: erkaufte Verletzung von Pflichten durch Angestellte und Beauftragte von Unternehmen außerhalb von Wettbewerbslagen); Strafzumessung (überdurchschnittlich lange Verfahrensdauer); rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung (revisionsrechtliche Überprüfung ohne Verfahrensrüge).

§ 299 StGB a.F.; § 46 StGB; Art. 6 Art 1 Satz 1 EMRK

1. Die bis 25. November 2015 geltende Fassung des § 299 Abs. 2 StGB stellt lediglich die korruptive Beeinflussung mit dem Ziel einer unlauteren Bevorzugung bei dem Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen zu Zwecken des Wettbewerbs unter Strafe. Aufgrund dieser Beschränkung auf Bevorzugungen im Wettbewerb sind von der früheren Fassung Fälle der mit Schmiergeldzahlungen erkauften Verletzung von Pflichten durch Angestellte und Beauftragte von Unternehmen außerhalb von Wettbewerbslagen nicht erfasst.

2. Eine überdurchschnittlich lange Verfahrensdauer ist indes ungeachtet eines geringeren Strafbedürfnisses aufgrund des zeitlichen Abstands zwischen Tatbegehung und Urteil und eines etwa gewährten Vollstreckungsabschlags

bei der Strafzumessung zu berücksichtigen und stellt einen bestimmenden Strafzumessungsgrund im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO dar.

3. Wird hinsichtlich einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung keine Verfahrensrüge erhoben, so unterliegt die Frage, ob ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK vorliegt, nur dann der revisionsrechtlichen Überprüfung, wenn sich entweder die Verfahrensverzögerung aus den Urteilsgründen – gegebenenfalls unter Heranziehung der vom Revisionsgericht von Amts wegen zur Kenntnis zu nehmenden Verfahrenstatsachen – ergibt oder aber die Urteilsgründe jedenfalls ausreichende Anhaltspunkte enthalten, die das Tatgericht zur Prüfung einer Kompensation drängen mussten, so dass ein Erörterungsmangel gegeben ist.


Entscheidung

578. BGH 1 StR 483/21 – Beschluss vom 8. März 2022 (LG Traunstein)

Besonders schwerer Fall des Einschleusens von Ausländern (lebensgefährliche Behandlung: Begriff, erforderliche Feststellungen).

§ 96 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG; § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB; § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO

1. Das Tatbestandsmerkmal einer das Leben gefährdenden Behandlung nach § 96 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG ist auch in der Vorschrift des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB enthalten, so dass es in Anlehnung an diese Vorschrift ausgelegt wird. Danach ist das Merkmal erfüllt, wenn die Behandlung, welcher der Ausländer während der Schleusung ausgesetzt ist, nach den Umständen des Einzelfalls geeignet ist, eine Lebensgefahr herbeizuführen; eine konkrete Gefährdung des Lebens muss noch nicht eingetreten sein.

2. Die Umstände, die eine das Leben gefährdende Behandlung des Geschleusten begründen, müssen dabei im Einzelnen festgestellt und belegt sein; insbesondere müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, woraus sich im konkreten Fall die Eignung der Behandlung zur Herbeiführung einer Lebensgefahr für den Geschleusten ergibt). Für die Erfüllung des Qualifikationsmerkmals reicht ein bloßer Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften nicht aus. Es muss vielmehr eine signifikante Gefahrerhöhung für die Geschleusten vorliegen, die im Übrigen in Kenntnis der konkreten Beförderungsbedingungen eingestiegen sind. Entscheidend ist die Gefährdungslage im Einzelfall.


Entscheidung

600. BGH 6 StR 147/22 – Beschluss vom 3. Mai 2022 (LG Frankfurt [Oder])

Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Zahlung des Kaufpreises erst bei nächster Lieferung: konkurrenzrechtliche Wertung).

§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; § 52 Abs. 1 StGB

Überschneidungen der Ausführungshandlungen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln dadurch, dass der Kaufpreis für eine Drogenmenge ganz oder teilweise erst bei der Übergabe der nächsten Lieferung bezahlt wird, führen zur Annahme von Tateinheit.