HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Januar 2019
20. Jahrgang
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III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

77. BGH 3 StR 408/18 - Beschluss vom 18. Oktober 2018 (LG Hildesheim)

Voraussetzungen der Bejahung der besonderen Schuldschwere bei der Verurteilung wegen Mordes (infolge affektiver Erregung geminderte Steuerungsfähigkeit; brutale Begehungsweise; Abwägung; Umfang der revisionsgerichtlichen Prüfung).

§ 211 StGB; § 57a StGB

1. Die Entscheidung der Frage, ob bei der Verurteilung wegen Mordes die besondere Schuldschwere zu bejahen ist, hat der Tatrichter unter Abwägung der im Einzelfall für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände zu treffen. Dem Revisionsgericht ist bei der Nachprüfung der tatrichterlichen Wertung eine ins einzelne gehende Richtigkeitskontrolle versagt; insbesondere ist es gehindert, seine eigene Wertung an die Stelle derjenigen des Tatrichters zu setzen. Es hat jedoch zu prüfen, ob der Tatrichter alle maßgeblichen Umstände bedacht und rechtsfehlerfrei abgewogen hat.

2. Stellt das Tatgericht eine infolge hochgradiger affektiver Erregung - wenngleich nicht erheblich im Sinne von § 21 StGB – verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht nur vor, sondern auch während der Tatausführung fest, kommt die schulderschwerende Berücksichtigung einer besonders brutalen Begehungsweise nur in Betracht, wenn das Tatgericht zuvor im Rahmen der gebotenen Abwägung erörtert, ob dieses Verhalten zumindest teilweise auch durch die geminderte Steuerungsfähigkeit beeinflusst war.


Entscheidung

7. BGH 1 StR 418/18 - Beschluss vom 9. Oktober 2018 (LG München I)

Berufsverbot (Gefahr künftiger ähnlicher erheblicher Rechtsverletzungen: erforderliche Gesamtwürdigung); sexuelle Nötigung unter Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs.

§ 70 StGB; § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB

Das Berufsverbot ist ein schwerwiegender Eingriff, mit dem die Allgemeinheit, sei es auch nur ein bestimmter Personenkreis, vor weiterer Gefährdung geschützt werden soll. Es darf nur dann verhängt werden, wenn die Gefahr besteht, dass der Täter auch in Zukunft den Beruf, dessen Ausübung ihm verboten werden soll, zur Verübung erheblicher Straftaten missbrauchen wird. Voraussetzung hierfür ist, dass eine – auf den Zeitpunkt der Urteilsverkündung abgestellte – Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten den Richter zu der Überzeugung führt, dass die Gefahr, das heißt die Wahrscheinlichkeit künftiger ähnlicher erheblicher Rechtsverletzungen durch den Täter besteht (vgl. BGH, StV 2018, 219).


Entscheidung

28. BGH 2 StR 335/18 - Urteil vom 21. November 2018 (LG Darmstadt)

Grundsätze der Strafzumessung (Gesamtabwägung; Umfang revisionsgerichtlicher Überprüfbarkeit; Anwendung auf Prüfung des Vorliegens eines minder schweren Falles; Berücksichtigung der Überschreitung des Grenzwertes für eine „nicht geringe Menge“ von Rauschgift); bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (minder schwerer Fall).

§ 46 StGB; § 30a Abs. 3 BtMG

1. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in diese Einzelakte der Strafzumessung ist in der Regel nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich aner-

kannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen. Diese Maßstäbe gelten auch für die dem Tatgericht obliegende Prüfung, ob ein minder schwerer Fall vorliegt.

2. Das bloße Fehlen eines möglichen Strafschärfungsgrundes in Gestalt des denkbaren Waffeneinsatzes darf dem Angeklagten nicht strafmildernd zugute gebracht und tragend für die Annahme eines minder schweren Falles nach § 30a Abs. 3 BtMG heranzogen werden.

3. Bei der Strafzumessung im engeren Sinne innerhalb des gefundenen Strafrahmens kommt jeder Überschreitung des Grenzwertes für eine „nicht geringe Menge“ von Rauschgift – ausgehend von der Untergrenze des gesetzlichen Strafrahmens – grundsätzlich strafschärfende Bedeutung zu.


Entscheidung

54. BGH 4 StR 329/18 - Beschluss vom 20. November 2018 (LG Paderborn)

Unerlaubtes Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Strafzumessung).

§ 29a Abs. 1 Nr. 2 Var. 1 BtMG

Bei einer – auch nur teilweise erfolgten – Sicherstellung handelt es sich wegen des damit verbundenen Wegfalls der von Betäubungsmitteln üblicherweise ausgehenden Gefahr für die Allgemeinheit um einen bestimmenden Strafzumessungsgrund, der bei der Straffestsetzung zu beachten ist.


Entscheidung

79. BGH 3 StR 432/18 - Beschluss vom 31. Oktober 2018 (LG Koblenz)

Anforderungen an die Erheblichkeit von Körperverletzungen bei der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (geringe Gewaltanwendung; unwesentliche Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle der tatbestandlich vorausgesetzten Beeinträchtigung; pathologischer, somatisch-objektivierbarer Zustand; psychische Beschwerden).

§ 63 StGB; § 223 StGB

Bei der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird. Einfache Körperverletzungen im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB, die nur mit geringer Gewaltanwendung verbunden sind und die Erheblichkeitsschwelle der tatbestandlich vorausgesetzten Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit lediglich unwesentlich überschreiten, reichen grundsätzlich nicht aus. Das gilt erst recht bei lediglich psychischen Beschwerden, da deren Feststellung bereits keinen pathologischen, somatisch-objektivierbaren Zustand belegt.


Entscheidung

16. BGH 1 StR 565/18 - Beschluss vom 22. November 2018 (LG Karlsruhe)

Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen).

§ 64 Satz 1 StGB

Für die Annahme eines Hanges nach § 64 Satz 1 StGB genügt bereits eine erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, wobei noch keine psychische Abhängigkeit bestehen muss. Die Beeinträchtigung der Gesundheit oder der Arbeits- und Leistungsfähigkeit durch den Rauschmittelkonsum indiziert zwar ein Hang im Sinne des § 64 Satz 1 StGB, ihr Fehlen schließt diesen indes nicht aus.


Entscheidung

8. BGH 1 StR 420/18 - Urteil vom 20. November 2018 (LG Freiburg)

Einziehung von Tatmitteln (subjektive Voraussetzungen); Unterlassen der Erklärung eingeführter Barmittel; Beweiswürdigung (revisionsrechtliche Überprüfbarkeit); Strafzumessung (revisionsrechtliche Überprüfbarkeit).

§ 74a Nr. 1 StGB; § 74 Abs. 3 StGB; § 31a Abs. 2 ZollVG i.V.m. § 12a Abs. 1 Satz 1 ZollVG; § 261 StPO; § 46 StGB

Nach § 74a Nr. 1 StGB können Gegenstände abweichend von § 74 Abs. 3 StGB auch dann einbezogen werden, wenn derjenige, dem sie zur Zeit der Entscheidung gehören, mindestens leichtfertig dazu beigetragen hat, dass sie als Tatmittel verwendet worden oder Tatobjekt gewesen sind. Der nicht an der Tat beteiligte Eigentümer muss es durch sein Verhalten ermöglicht haben, dass sein Eigentum Mittel oder Gegenstand der Tat des Täters oder Teilnehmers oder ihrer Vorbereitung gewesen ist. Die hier für eine Strafbarkeit notwendige Tatunterstützung (sog. Quasi-Beihilfe) setzt weiter in subjektiver Hinsicht grob fahrlässiges Handeln voraus. Danach ist es erforderlich, dass der Dritte die Begehung der Tat, wie sie vom Täter begangen wurde, in groben Umrissen hätte voraussehen können.


Entscheidung

47. BGH 4 StR 214/18 - Beschluss vom 13. September 2018 (LG Landau)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Voraussetzungen der Anordnung; Anforderungen an Darstellung der Anordnungsvoraussetzungen in den Urteilsgründen).

§ 63 StGB

1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und wenn die Tatbegehung hierauf beruht. Die Unterbringung erfordert darüber hinaus eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades, dass der Unterzubringende infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden.

2. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen. Es bedarf insbesondere der Darlegung, in welcher Weise sich das festgestellte Krankheitsbild bei Begehung der Taten auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in den jeweiligen konkreten Tatsituationen ausgewirkt haben soll.


Entscheidung

55. BGH 4 StR 356/18 - Urteil vom 22. November 2018 (LG Bielefeld)

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Voraussetzungen einer begründeten Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer erheblicher Straftaten).

§ 64 StGB

Für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die „begründete“ Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer erheblicher Straftaten erforderlich; es muss mit einer Wiederholung „zu rechnen“, dies muss „konkret (zu) besorgen“ sein. Die bloße Wiederholungsmöglichkeit genügt nicht.


Entscheidung

30. BGH 2 StR 350/18 - Beschluss vom 9. Oktober 2018 (LG Darmstadt)

Einziehung von Taterträgen bei Tätern und Teilnehmern (Bestimmung des Einziehungsbetrages bei nicht angefochtenem, durch Betrug zustande gekommenem Austauschvertrag).

§ 73 StGB

Die Gegenleistung eines durch Betrug zustande gekommenen Austauschvertrages, der zwar anfechtbar, aber nicht nichtig ist und der vom Geschädigten nicht angefochten wurde, ist bei der Bestimmung des Einziehungsbetrages abzusetzen. Daher ist der tatsächliche Wert eines minderwertigen Teppichs, den der Täter betrügerisch als hochwertige Ware verkauft hat, vom gezahlten Kaufpreis abzuziehen. Der Einziehungsbetrag entspricht in diesem Fall dem Betrugsschaden.


Entscheidung

10. BGH 1 StR 439/18 - Beschluss vom 13. September 2018 (LG Nürnberg-Fürth)

Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis (erforderliche Begründung bei Nicht-Vorliegen einer Katalogtat); Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln (erforderliche Darstellungen im Urteil).

§ 69a Abs. 1 Satz 1 StGB; § 69 Abs. 2 StGB; § 267 Abs. 6 StPO; § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG; § 27 Abs. 1 StGB; § 267 Abs. 1 StPO

Soll gegen den Angeklagten wegen einer nicht im Katalog des § 69 Abs. 2 StGB enthaltenen Straftat eine isolierte Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis angeordnet werden (§ 69a Abs. 1 Satz 1 StGB), so ist die Vornahme einer Gesamtwürdigung der Tatumstände und der Täterpersönlichkeit durch den Tatrichter zum Beleg der fehlenden Eignung des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen erforderlich. Der erforderliche Umfang der Darlegung ist hierbei einzelfallabhängig. Zwar liegt es bei typischen Verkehrsdelikten, zu denen Fahren ohne Fahrerlaubnis zählt, nicht fern, dass der Täter zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet und daher eine isolierte Sperrfrist anzuordnen ist (vgl. BGH NStZ-RR 2015, 123). Eine auf den Einzelfall bezogene Begründung macht dies indes nicht entbehrlich. Zudem bedarf es bei der Bemessung der Sperrfrist der Darlegung der Prognoseentscheidung zur Dauer der voraussichtlichen Ungeeignetheit des Täters (vgl. BGH NZV 2003, 46).


Entscheidung

21. BGH 2 StR 259/18 - Beschluss vom 17. Oktober 2018 (LG Wiesbaden)

Geltendmachung eines Anspruchs im Adhäsionsverfahren (Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten: Aufgabe bisheriger Rechtsprechung des 2. Senats).

§ 403 StPO

Soweit der Senat früher angemerkt hat, es stelle regelmäßig einen Rechtsfehler dar, wenn der Tatrichter die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten oder des Tatopfers bei der Schmerzensgeldbemessung berücksichtigt hat, ohne dass diese dem Fall ein besonderes Gepräge geben, hält er hieran zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht fest.


Entscheidung

40. BGH 2 StR 474/18 - Beschluss vom 21. November 2018 (LG Bonn)

Einziehung des Wertes von Taterträgen (Kennzeichnung im Tenor).

§ 73c Satz 1 StGB

Dass der Angeklagte nur als Gesamtschuldner mit seinem Mittäter haftet, bedarf, auch nach neuem Recht, der Kennzeichnung im Tenor. Damit wird ermöglicht, dass den Beteiligten das aus der Tat Erlangte entzogen wird, aber zugleich verhindert, dass dies mehrfach erfolgt.


Entscheidung

32. BGH 2 StR 359/18 - Beschluss vom 23. Oktober 2018 (LG Meiningen)

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Voraussetzungen für einen Hang).

§ 7 Abs. 1 JGG; § 64 StGB

Eine Betäubungsmittelabhängigkeit ist für die Annahme eines Hangs zum Konsum von Betäubungsmitteln im Übermaß nicht erforderlich. Dafür ist vielmehr eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint.


Entscheidung

53. BGH 4 StR 326/18 - Beschluss vom 20. November 2018 (LG Kaiserslautern)

Einziehung von Taterträgen bei Tätern und Teilnehmern (Erlangen eines Vermögensvorteils; Haftung für einen Tatertrag: Annahme mittäterschaftlicher Zurechnung allein nicht ausreichend für Haftung); Urteilsgründe (Umfang der Dokumentation der Beweisaufnahme).

§ 73 Abs. 1 Satz 1 StGB; § 73c Satz 1 StGB; § 267 StPO

1. „Erlangt“ im Sinne der §§ 73 Abs. 1 Satz 1, 73c Satz 1 StGB ist ein Vermögensvorteil dann, wenn der Tatbeteiligte die faktische Verfügungsgewalt über den Gegenstand erworben hat. Die Annahme einer mittäterschaftlichen Zurechnung im Rahmen des Handeltreibens reicht für eine Haftung allein nicht aus.

2. Die Beweiswürdigung soll keine umfassende Dokumentation der Beweisaufnahme enthalten, sondern lediglich belegen, warum bestimmte bedeutsame Umstände so festgestellt worden sind. Insbesondere besteht regelmäßig keine Notwendigkeit, die Einlassung des Angeklagten wiederholt in allen, teils unbedeutenden Einzelheiten wiederzugeben, zumal wenn die gemachten Angaben in weiten Teilen den Feststellungen entsprechen.