HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Februar 2018
19. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

(Markt-)Gerechte Tarifgestaltung bei Gefangenentelefonie

Gedankensplitter rund um BVerfG, Beschluss vom 8.11.2017 – 2 BvR 2221/16 = HRRS 2017 Nr. 1102

Von Wiss. Mit. Lorenz Bode, LL.M.

Die Preispolitik privater Anbieter für Gefangenentelefonie bereitet seit Jahren Probleme. Inhaftierte, denen das Telefonieren mittels Fernsprechapparaten innerhalb der Vollzugsabteilungen ermöglicht wird, sind vielfach gezwungen, für diese Kontaktmöglichkeit Tarife zu zahlen, die weit über den Marktpreisen der Außenwelt liegen.[1] Kritik oder gar die Forderung nach einer Absenkung der Gebühren findet in vollzugsrechtlichen Diskussionen – vor allem in der Rechtspraxis – immer noch zu wenig Rückhalt. Die aktuelle Entscheidung des BVerfG tut sich in diesem Sinne positiv hervor.

I. Telefonieren im Strafvollzug

Für Telefonate innerhalb des Strafvollzugs ist grundsätzlich festzuhalten, dass sie der Pflege und Aufrechterhaltung sozialer Kontakte und somit der Resozialisierung des Häftlings zu dienen bestimmt sind.[2] Die Verbindung zur Außengesellschaft kann gerade in Krisensituationen ein Element psychischer Entlastung sein, wie das OLG Frankfurt in seiner Entscheidung vom 15.3.2001 sehr anschaulich dargetan hat:

"Dabei ist insbesondere zu bedenken, dass sowohl nach dem Angleichungsgrundsatz (§ 3 Abs. 1 StVollzG) als auch aus der Förderungspflicht der Anstalt (§ 23 S. 2 StVollzG) Telefonkontakte der Aufrechterhaltung und Pflege sozialer Beziehungen dienen und die damit gegebenen direkten Kontaktmöglichkeiten dem Gefangenen die Chance bieten, Beziehungen zu erhalten, sich trotz Inhaftierung einzubringen und am Leben der Angehörigen oder ähnlich nahestehender Personen teilnehmen zu können. Außerdem kann das Telefon vor allem in Krisensituationen ein wichtiges Element psychischer Entlastung sein[…]. Gerade im Rahmen der Zielsetzung einer sozialtherapeutischen Anstalt kann die Möglichkeit des Telefonierens für den Strafgefangenen von besonderer Bedeutung sein." [3]

Die mittlerweile in die Kompetenz der Landesgesetzgeber fallende Ausgestaltung des Strafvollzugs zeigt für die Möglichkeit des Außenkontakts via Telefon an, dass in Anlehnung an die frühere Bundesregelung (§ 32 StVollzG: "kann") die meisten Länder dem Gefangenen lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Bescheidung zukommen lassen.[4] Allein das Bundesland Bremen bietet dem Strafgefangenen für Telefongespräche mit nahen Angehörigen in § 30 Abs. 1 S. 2 BremStVollzG einen unmittelbaren Anspruch.[5]

II. Privatisierung von Gefängnistelefonie

Es versteht sich von selbst, dass Gefängnistelefonie abweichend von außenweltlichen Bedingungen nur unter Berücksichtigung besonderer Sicherheitsaspekte stattfinden darf – ansonsten stünde bereits die Vollzugsaufgabe, die Sicherheit der Allgemeinheit zu gewährleisten (vgl. § 2 S. 2 StVollzG), in einem unauflösbaren Konflikt. Die infrastrukturellen Voraussetzungen für eine dem Sicherheitsinteresse entsprechende Telefonie werden in den Haftanstalten heutzutage größtenteils durch private Dienstleister geschaffen. Diese Teilprivatisierung der Versorgung von Strafgefangenen ist verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden.[6] Gerade im Hinblick auf die Zulässigkeit des Betriebs privater Telefonanlagen hat das BVerfG keine prinzipiellen Bedenken geäußert.[7] Insofern wird in einer Entscheidung vom 15.7.2010 – lediglich kurz – ausgeführt:

"Jedenfalls für Konstellationen, in denen die Anstalt im Zusammenhang mit einer gesetzlichen Verpflichtung Leistungen durch einen privaten Betreiber erbringen lässt, auf den die Gefangenen ohne am Markt frei wählbare Alternativen angewiesen sind, ist dementsprechend anerkannt, dass die Anstalt sicherstellen muss,

dass der ausgewählte private Anbieter die Leistung zu marktgerechten Preisen erbringt[…]". [8]

Einige Landesstrafvollzugsgesetze sehen sogar ausdrücklich die Möglichkeit einer Beauftragung von Privaten vor (vgl. § 30 Abs. 3 SächsStVollzG: "Die Anstalt kann die Bereitstellung und den Betrieb von Telekommunikationsanlagen, die Bereitstellung, Vermietung oder Ausgabe von Telekommunikationsgeräten sowie von anderen Geräten der Telekommunikation einem Dritten gestatten oder übertragen."). Diese Firmen tragen zwar die Kosten für Einbau und Betrieb der Telefonanlagen. Gleichzeitig sind sie jedoch vertraglich dazu berechtigt, eigene Gebühren für die Nutzung ihrer Geräte zu erheben. Was die Höhe der Telefongebühren im Einzelnen anbelangt, ist zu erkennen, dass dieser spezielle Dienstleistungssektor nur durch eine Handvoll Unternehmen bedient wird; eine echte, marktgetriebene Preisbildung findet daher jedenfalls nur bedingt statt. Derzeitiger Marktführer ist die Telio-Management-GmbH.[9] Ferner sehen die mit den Haftanstalten geschlossenen Verträge zumeist sehr lange Laufzeiten und eine spezielle Preisbindung vor, sodass die Gefängnisleitungen ihren Einfluss auf die Gestaltung der Telefongebühren de facto aus der Hand gegeben haben.[10] Diese Praxis erfährt schließlich auch in der aktuellen Entscheidung des BVerfG – zutreffende – Kritik. Hierzu ventiliert das BVerfG Folgendes:

"Das Gericht hat insoweit verkannt, dass der geltend gemachte Anspruch auf Anpassung der Telefongebühren nicht mit dem Hinweis auf eine Vertragsbindung im Verhältnis zu dem Anbieter abgelehnt werden konnte. Das Festhalten an dem Vertrag, den das Justizministerium sehenden Auges mit einer Laufzeit von 15 Jahren ausgehandelt hat und dessen vorzeitige Kündigung es auch nicht beabsichtigt, hindert die Justizvollzugsanstalt nicht daran, dem Beschwerdeführer lediglich marktgerechte Preise in Rechnung zu stellen oder ihm kostengünstigere Alternativen der Telefonnutzung anzubieten."[11]

III. Telefonkosten privater Dienstleister versus Gefangenenrechte

Die aktuelle Verfassungsbeschwerde lässt eines deutlich erkennen: Zu hohe Telefonkosten müssen im Ergebnis als unbillig gewertet werden. Indes erscheint fraglich, wie dieses vorweggenommene Ziel im Einzelfall zu erreichen ist. Zur Klärung dieser Frage bedarf es einer näheren Betrachtung des Spannungsverhältnisses von Telefonkosten privater Dienstleister und Gefangenenrechten sowie anschließend der vom BVerfG erzielten Auflösung.

1. Telefonkosten

Hinsichtlich der für Telefongespräche anfallenden Gebühren ist im Vergleich zwischen der Bundesregelung und den einzelnen Landesgesetzen zu erkennen, dass die grundsätzliche Kostentragungspflicht auch weiterhin beim Strafgefangenen liegt. Gleichwohl sind (im Lichte des Sozialstaatsprinzips) anstaltsseitige Übernahmen der Kosten in begründeten Ausnahmefällen – etwa bei finanzieller Überforderung – in vielen Ländern (u. a. Saarland, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Schleswig-Holstein oder Bayern) als Möglichkeit vorgesehen.[12]

Um einen Eindruck von der tatsächlichen Kostenbelastung der Häftlinge zu bekommen, kann beispielhaft auf eine erst kürzlich (6.4.2017) durch das OLG Zweibrücken ergangene Entscheidung verwiesen werden. In diesem Beschluss hatte sich der I. Strafsenat mit der Beschwerde eines Häftlings die Höhe der Telefongebühren innerhalb einer JVA betreffend zu befassen. Die in Rede stehenden Kosten belaufen sich auf 0,60 € pro Minute für Telefonate in das deutsche Mobilfunknetz, auf 0,12 € pro Minute für Ortsgespräche und auf 0,20 € pro Minute für Anrufe in das anderweitige deutsche Festnetz.[13] Ergänzend dazu findet sich eine interessante Übersicht in der Antwort des sächsischen Staatsministeriums der Justiz auf die Drucksache 6/3482 vom Dezember 2015. Dort erfolgt auf die Anfrage der Abgeordneten Katja Meier (Bündnis 90/Die Grünen) zum Thema Telefonkosten im Strafvollzug eine umfassende Aufschlüsselung von Gesprächskosten in sächsischen Justizvollzugsanstalten.[14] Gleichzeitig wird aus diesem Dokument ersichtlich, dass auf Seiten der sächsischen Staatsregierung keine Erkenntnisse hinsichtlich der Gewinnspanne pro Telefonat und über das Gesamtvolumen (an Umsatz der Anbieter oder an Gewinn derselben) existieren. Die Abrechnung der Telefonanbieter (Telio und JVA Media) erfolgt in Bezug auf die vermittelten Telefonate unmittelbar mit den Gefangenen auf Guthabenbasis.[15] Mit Blick auf diese (unbefriedigende) Praxis zeichnet sich indes ab, dass die Behörden in der Tendenz zunehmend dazu angehalten sind, sich mit der Kostenfrage für telefonische Kommunikation zu beschäftigen.[16] Symptomatisch für die Ge-

samtlage können erneut die Zahlen aus dem Bereich des sächsischen Strafvollzugs herangezogen werden: Der Anfrage an die sächsische Staatsregierung ist zu entnehmen, dass zwischen 2010 und 2015 knapp 1.000 Eingaben und Beschwerden gegen Anstaltsleitungen (bzw. den Freistaat Sachsen) zu verzeichnen waren, wobei eine nähere Auswertung, welcher Anteil davon sich gegen überhöhte Telefongebühren richtet, nicht erfolgt ist.[17]

2. Rechte des Gefangenen

Telefongespräche dienen – wie zuvor festgestellt – in besonderer Weise der Wiedereingliederung des Strafgefangenen in die Gesellschaft. Durch den Kontakt zu Familie und nahestehenden Personen wird die soziale Bindung zur Außenwelt aufrechterhalten.[18] Desozialisierenden Folgewirkungen und Belastungen der Haft, wie Vereinsamung oder "Prisonisierung",[19] aber auch einem Rückfall in kriminelle Verhaltensmuster lässt sich gezielt entgegenwirken. Schließlich ist der Gefangene auch mit Blick auf seine Entlassungssituation auf ein stabilisierendes soziales Umfeld angewiesen. Wird ihm diese – im Vergleich zu Briefwechsel oder Besuchen unkompliziertere – Form des Außenkontakts genommen, entsteht die Gefahr einer weiteren Entfremdung von der Außenwelt.[20] Häftlinge vor einer übermäßigen Kostenbelastung bei Telekommunikationsdienstleistungen zu schützen, fußt daher neben der generellen Fürsorgepflicht der Anstalt, die auch die Wahrung der finanziellen Interessen des Gefangenen umfasst, vor allem auf dem Resozialisierungsgedanken (Art. 2. Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG). Denn eine gedeihliche Reintegration ist nur gewährleistet, wenn die finanziellen Interessen des Gefangenen in angemessenem Umfang gewahrt werden. Resozialisierungsauftrag und die Belastung durch überhöhte Telefongebühren stehen deshalb unweigerlich in einem angespannten Verhältnis zueinander. Dazu führt das BVerfG aus: "Dies[das Gebot, die finanziellen Interessen des Häftlings zu wahren]entspricht dem Grundsatz, dass die Missachtung wirtschaftlicher Interessen der Gefangenen mit dem verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebot unvereinbar wäre[…]." [21] Schließlich sei es geboten, "Strafe nur als ein in seinen negativen Auswirkungen auf die Persönlichkeit des Betroffenen nach Möglichkeit zu minimierendes Übel zu vollziehen[…]".[22]

In dieser Sicht der Dinge wird eine übertriebene monetäre Belastung des Häftlings durch überhöhte Preise bei der Gefangenentelefonie zugunsten des Resozialisierungsgebots sowohl auf verfassungsrechtlicher als auch auf einfachgesetzlicher Ebene zu thematisieren sein.

3. Rechtliche Auflösung des BVerfG

Zwar hat die Preisgestaltung auch durch die aktuelle Entscheidung des BVerfG weiterhin keine endgültige Konkretisierung – etwa in Form einer festen Prozentregelung – erfahren. Dennoch bestätigen die Karlsruher Richter (erneut) die fachgerichtliche Praxis, nach der sich die Kostenbelastung der Gefangenen für Telefondienste jedenfalls nicht als unverhältnismäßig herausstellen darf.[23] Dass überhaupt eine Kostentragungspflicht zu Lasten der Gefangenen besteht, Telefongespräche also nicht entgeltfrei zur Verfügung gestellt werden müssen, hält das BVerfG i. S. d. Angleichungsgrundsatzes (vgl. § 3 Abs. 1 StVollzG), demzufolge die Verhältnisse im Strafvollzug so weit wie möglich den allgemeinen Lebensverhältnissen angeglichen werden sollen, für nachvollziehbar. Allerdings geraten die von Privatanbietern erhobenen Telefongebühren regelmäßig dann mit dem verfassungsrechtlich verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Konflikt, wenn sie – gemessen am Resozialisierungsgedanken sowie der anstaltlichen Fürsorgepflicht – stark von der in der Außenwelt üblichen Preisgestaltung abweichen. Die Frage der Angemessenheit der Telefontarife steht letztlich im Fokus. Dies beinhaltet zugleich die Wertung, dass die Preise der Gefangenentelefonie, um den besonderen (Sicherheits‑)Verhältnissen im Strafvollzug Rechnung zu tragen, notwendigerweise über den üblichen Marktpreisen der Außenwelt liegen dürfen. Die Anstalt ist allerdings verpflichtet, dem Gefangenen immerhin "marktgerechte Preise" anzubieten. Daran ändert – nach Sicht des BVerfG – auch der Umstand nichts, dass das Justizministerium mit dem Telefon-Anbieter einen Vertrag über 15 Jahre abgeschlossen hat. Auch einem Blick auf bisher ergangene Judikatur lässt sich die Forderung nach "marktgerechten Preisen" immer wieder entnehmen.[24] Diese Formulierung entspricht zuweilen der aus früheren Ausführungen der Gerichte zur Preisgestaltung bei Teilnahme am Kabelempfang im Zusammenhang mit Fernsehempfangsanlagen. Dabei bestand für die Anstaltsleitungen in Erfüllung der aus § 69 StVollzG resultierenden Verpflichtung, Fernsehempfang zu gewährleisten, auch die Obliegenheit, sich durch Einholen von Preisvergleichen konkurrierender Unternehmen darüber zu versichern, dass der gewählte Anbieter seine Leistung zu "marktgerechten Preisen" anbietet.[25] Leider vermag der Beschluss des BVerfG zur Höhe von Telefongebühren, speziell was die Bestimmung angemessener Tarife angeht, keine abschließende Klarheit zu liefern. Eine weitergehende Konkretisierung, die vor allem eine implizite Stärkung der Gefangenenrechte bedeutet hätte, bleibt aus. Vielmehr wird zur Frage der Bewertung der Markt-

gerechtigkeit des geltenden Tarifs lediglich Folgendes vorgegeben:

"Jedenfalls für Konstellationen, in denen die Anstalt im Zusammenhang mit einer gesetzlichen Verpflichtung Leistungen durch einen privaten Betreiber erbringen lässt, auf den die Gefangenen ohne eine am Markt frei wählbare Alternative angewiesen sind, ist dementsprechend anerkannt, dass die Anstalt sicherstellen muss, dass der ausgewählte private Anbieter die Leistung zu marktgerechten Preisen erbringt[…].

Für die Beurteilung, ob die Preise des privaten Anbieters noch marktgerecht sind, ist eine Vertragsbindung der Anstalt an den Anbieter nicht maßgeblich. Auch erfolglose Bemühungen um Tarifanpassungen im Vertragsverhältnis zu dem Anbieter entbinden die Justizvollzugsanstalt nicht von ihrer Fürsorgepflicht für die Gefangenen, denen ein alternatives Angebot nicht zur Verfügung steht. Sie führen insbesondere nicht dazu, dass die Gefangenen eine nicht marktgerechte Preisgestaltung hinzunehmen hätten. Eine lange Vertragsdauer mit dem Anbieter, mag diese auch durchaus vollzugstypisch sein, darf sich nicht in der Weise auswirken, dass Preisentwicklungen auf dem Markt längerfristig ohne jeden Einfluss auf die von Gefangenen zu zahlenden Entgelte bleiben[…]." [26]

Aufs Ganze gesehen wird durch die Erwägungen des BVerfG der Konflikt um die Kostenhöhe bei Gefängnistelefonie erneut thematisiert. Gleichwohl verpasst die Kammer dabei die Gelegenheit, eine an grundrechtlichen Wertungen orientierte und somit für das gesamte deutsche Vollzugssystem Geltung entfaltende Kostenregelung für telefonische Außenkontakte zu etablieren. Die konkretisierende Feststellung des Merkmals "marktgerechte Preise" und somit die Bemessung eines verhältnismäßigen Gebührensatzes bleiben weiterhin den Fachgerichten überantwortet.

IV. Schlussbemerkungen

Die Telefongebühren im deutschen Strafvollzug sind nach wie vor zu hoch.[27] Dies macht die aktuelle (erfolgreich beschiedene) Verfassungsbeschwerde aufs Neue deutlich.[28] Ob sie auch zu einer merklichen Verbesserung der Lage beitragen kann, bleibt indes abzuwarten. Zumindest entfaltet diese Entscheidung angesichts der Tatsache, dass es sich bei ihr um das Wort des letztverbindlichen Interpreten der Verfassung handelt, eine gewisse Symbolkraft. Neben den bereits angeführten Aspekten verbleibt jedoch mit Blick auf die Gesamtlage weiterhin Raum für Kritik.

1. Landesgesetzliche Regelungen zu Telefongesprächen

Bereits die restriktive Ausgestaltung von telefonischer Kommunikation innerhalb der neuen Landesgesetze erscheint gemessen am Resozialisierungspotential von sozialen Außenkontakten wenig fortschrittlich. Es fehlt vor allem an einer weiteren Stärkung der Gefangenenrechte dahin gehend, dass für Telefongespräche künftig nicht nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Bescheidung, wie ihn die meisten Länder vorsehen, sondern ein – echter – Anspruch auf Nutzung dieser Außenkontaktform für Rechtssicherheit sorgt. Denn schon im Jahr 2007, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die meisten Länder noch mit der Ausarbeitung eigener Strafvollzugsgesetze befasst waren, war weitestgehend anerkannt, dass Telefongespräche in besonderem Maße dem Angleichungsgrundsatz und der Förderungspflicht der Anstalt Rechnung tragen. So heißt es etwa in einem Beschluss vom 16.7.2007 des LG Fulda:

"Die Kommunikation mit der Außenwelt ist eine Notwendigkeit zur Sicherstellung eines humanen und menschenwürdig ausgestalteten Strafvollzugs. Im Hinblick auf § 3 StVollzG kommen ihr folgende Funktionen zu: zumindest die partielle Angleichung des Daseins innerhalb der Anstalt an die allgemeinen Lebensverhältnisse, Vermeiden der schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs, Erhöhung der Chancen einer gesellschaftlichen Wiedereingliederung[…]. Diesbezüglich ist die Anstalt gem. § 23 S. 2 StVollzG zur Förderung des Verkehrs mit Personen außerhalb der Anstalt verpflichtet.

Dabei ist zu beachten, dass sich nur dann, wenn den Gefangenen gestattet wird, sich jedenfalls mit den Personen, die zu ihrer Wiedereingliederung beitragen können, länger und ausführlicher auszutauschen, menschliche Bindungen erhalten und pflegen lassen. Im Hinblick auf Telefonate ist die gestiegene Bedeutung der Telekommunikation zu berücksichtigen und in Bezug auf § 3 Abs. 1 StVollzG der Entwicklung Rechnung zu tragen, dass das Telefon heute in vielen Bereichen den Brief als Kommunikationsmedium abgelöst hat[…]." [29]

2. Zur künftigen Kostenhöhe bei Gefangenentelefonie

Die tarifliche Ausgestaltung des Telefonierens bleibt im Einzelfall streitig. Dabei sind einige Fachgerichte in der Vergangenheit in Bezug auf die Feststellung "marktgerechter Preise" bereits deutlich weiter gegangen, als es das BVerfG mit der aktuellen Entscheidung tut. Besonders hervorzuheben ist insofern das OLG Zweibrücken, das – gewissermaßen in einem obiter dictum – für die Ermittlung eines marktgerechten Preises Folgendes zu berücksichtigen aufgibt:

"Der Senat sieht unter Berücksichtigung dieser Erwägungen für einen Markt, bei dem die Marktanteile jedes Anbieters kleiner sind als 50 %, eine Preisgestaltung jedenfalls dann als marktgerecht an, wenn sie den Preis nicht übersteigt, den der Mediankunde zahlt. Der Median stellt bei einer aufsteigenden Sortierung von Zahlenwerten den Wert dar, der an der mittleren Stelle steht. Dementsprechend werden sowohl die Marktpreise als auch

die Marktanteile der jeweiligen Anbieter für Gefangenentelefonie zu ermitteln sein, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses tatsächlich zur Verfügung standen und in der Lage waren, die geforderten Leistungen zu erbringen. Bei der Ermittlung des Marktpreises ist von einem erwarteten durchschnittlichen Telefonieaufkommen in den unterschiedlichen Gesprächskategorien (Ferngespräch, Gespräch ins Ausland etc.) auszugehen. Aus einer Reihung der Marktpreise unter Berücksichtigung des jeweiligen Marktanteils (Kundenzahlen) kann auf den Mediankunden in diesem Sinne zurückgeschlossen werden. Unwesentliche Abweichungen von dem so ermittelten Preis nach oben können auch noch ermessensgerecht sein, wesentliche Abweichungen indes nur bei Vorliegen eines triftigen Grundes." [30]

Gemessen an den vorstehenden Erwägungen des OLG Zweibrücken ist die Preisgestaltung für Gefangenentelefonie an den Preisen auszurichten, die ein sog. Mediankunde zahlt. Dabei setzt sich das Gericht gleichzeitig auch mit einer vom OLG Naumburg angeführten Berechnungsgrundlage kritisch auseinander.[31] Das OLG Naumburg sieht Preise, die den niedrigsten Marktpreis um 100 Prozent übersteigen, noch als vertretbar an.[32] Eine weitere Auffälligkeit in den unterschiedlichen Herangehensweisen der Gerichte ist, dass das OLG Naumburg – ähnlich der Vorinstanz (LG Stendal)[33] – auch auf eine Sachverständigenbewertung zurückgreifen kann. In der Zusammenschau bleibt zu konzedieren, dass die Frage, welche Preise als "marktgerecht" einzuschätzen sind, immer noch einer unterschiedlichen Beurteilung durch die Fachgerichte unterliegt. Zugespitzt führt dies dazu, dass Strafgefangene je nach Bundesland mit unterschiedlich hohen Kostenbelastungen zurechtkommen müssen.[34] Eine in naher Zukunft bundesweit (markt-)gerechte Preisgestaltung zu erreichen, ist kein Tageswerk und wird durch dieses Vorgehen verkompliziert.

3. Alternatives Vorgehen

Abschließend bleibt zu erwägen, ob den nachteilig wirkenden Einflüssen überteuerter Tarife nicht durch die weitergehende Zulassung moderner Kommunikationsformen wie des Internets begegnet werden kann. Das Internet, dessen Nutzung bereits jetzt in allen Bundesländern bis auf Bayern und Baden-Württemberg durch Strafvollzugsgesetze ermöglicht und geregelt wird, bietet eine Vielzahl von Anwendungen – z. B. WhatsApp, Skype oder Internettelefonie – durch die Telefongespräche weitgehend substituiert werden können.[35] Zudem bietet der durch das Internet ermöglichte Kontakt zu Familie oder Freunden mittels Live-Bildern einen deutlich intensiveren, emotional differenzierteren Austausch, als er in Telefongesprächen zu erreichen ist. Hinzu kommt, dass die angesprochenen Internetdienste kostengünstiger als das Telefonangebot sind und damit zudem eine Kontaktpflege über nationale Grenzen hinweg in höherem Maße zulassen als Telefonie. Die Erwägung, auf internetbasierte Kommunikation auszuweichen, erfährt auch dadurch Rückhalt, dass die mit den Privatanbietern von Telefonanlagen geknüpften vertraglichen Bindungen oftmals noch auf viele Jahre unkündbar sind und eine wirkungsvolle Nachverhandlung der Preise für die Vollzugsanstalten eher fernliegend erscheint. Die Notwendigkeit einer Modernisierung der Vollzugsinfrastruktur zugunsten Neuer Medien ist damit bereits jetzt angezeigt. Die Nutzungspotentiale des Internets würden sowohl dem Vollzugspersonal als auch den Strafgefangenen unmittelbar zu Gute kommen.[36] Anfallende Sicherungs- und Betriebskosten ließen sich u. a. durch den Beitritt in Verbundsysteme, wie dem sog. eLiS-Verbund,[37] moderat halten.


[1] Umfassend dazu Fährmann/Oelbermann, FS 2014, 387; vgl. auch Steiner, Krawumm! Durch ist die dünne Decke, Der Lichtblick Heft Nr. 362 (2015), 14-15, abrufbar unter http://www.lichtblick-zeitung.de/index_htm_files/01_2015.pdf, zuletzt abgerufen am 30.11.2017.

[2] Statt vieler Knauer, in: Feest/Lesting/Lindemann (Hrsg.), AK-StVollzG, 7. Aufl. 2017, § 30 Rn. 3.

[3] OLG Frankfurt, NStZ-RR 2001, 286, 287.

[4] Zur aktuellen Gesetzeslage siehe ferner Knauer, in: Feest/Lesting/Lindemann (Hrsg.), AK-StVollzG, 7. Aufl. 2017, § 30 Rn. 2.

[5] BeckOK Strafvollzug Bremen/Temming, 7. Ed. 15.12.2016, BremStVollzG § 30 Rn. 1.

[6] Ausführlich dazu BeckOK Strafvollzug Bund/Gerhold, 12. Ed. 1.7.2017, StVollzG Rn. 24.

[7] Lübbe-Wolff, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Strafvollzug und Untersuchungshaftvollzug, 1. Aufl. 2016, S. 61-62.

[8] BVerfG, Beschluss vom 15.7.2010 – 2 BvR 328/07, BeckRS 2010, 51329, Rn. 12 f. = BVerfGK, 17, 415, 418 f.

[9] Vgl. Kaufmann, 12.000 Euro Telefonkosten, LTO, abrufbar unter https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/lg-stendal-telefon-kosten-gefaengnis/, zuletzt abgerufen am 30.11.2017; siehe dazu auch die Homepage der Telio-Management-GmbH, abrufbar unter http://www.tel.io/de/, zuletzt abgerufen am 30.11.2017.

[10] Vgl. Fährmann/Oelbermann, FS 2014, 387; sehr kritisch auch Steiner, Krawumm! Durch ist die dünne Decke, Der Lichtblick Heft Nr. 362 (2015), 14-15, abrufbar unter http://www.lichtblick-zeitung.de/index_htm_files/01_2015.pdf, zuletzt abgerufen am 30.11.2017.

[11] BVerfG, HRRS 2017 Nr. 1102, Rn. 23.

[12] Vgl. nur BeckOK Strafvollzug Saarland/Kangarani, 6. Ed. 15.6.2017, SLStVollzG § 30.

[13] OLG Zweibrücken, Beschluss vom 6.4.2017 – 1 Ws 291/16 (Vollz.), BeckRS 2017, 109749, Rn. 2.

[14] Antwort des sächsischen Staatsministeriums der Justiz auf SächsLT-Drs. 6/3482, S. 3, abrufbar unter https://s3.kleine-anfragen.de/ka-prod/sn/6/3482.pdf, zuletzt abgerufen am 30.11.2017.

[15] Antwort des sächsischen Staatsministeriums der Justiz auf SächsLT-Drs. 6/3482, S. 5, abrufbar unter https://s3.kleine-anfragen.de/ka-prod/sn/6/3482.pdf, zuletzt abgerufen am 30.11.2017.

[16] Einige Beispiele sind: NRWLT-Drs. 16/11253, abrufbar unter https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument?Id=MMD16/11253%7C1%7C0, zuletzt abgerufen am 30.11.2017; OLG Celle, Beschluss vom 20.10.2014 – 1 Ws 427/14 (Vollz.); LG Stendal, Beschluss vom 30.12.2014 – 509 StVK 179/13; OLG Naumburg, Beschluss vom 22.4.2016 – 1 Ws (RB) 123/15; dazu auch OLG Zweibrücken, Beschluss vom 6.4.2017 – 1 Ws 291/16 (Vollz.); grundlegend dazu Galli/Weilandt, FS 2014, 142, 146.

[17] Antwort des sächsischen Staatsministeriums der Justiz auf SächsLT-Drs. 6/3482, S. 7, abrufbar unter https://s3.kleine-anfragen.de/ka-prod/sn/6/3482.pdf, zuletzt abgerufen am 30.11.2017.

[18] Vgl. Schwind, in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal (Hrsg.), StVollzG, 6. Aufl. 2013, § 32 Rn. 1; vgl. auch Stein, FS 2014, 152; Gerlach, FS 2014, 141.

[19] Ausführlich dazu Jehle, in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal (Hrsg.), StVollzG, 6. Aufl. 2013, § 3 Rn. 12.

[20] Treffend Fährmann/Oelbermann, FS 2014, 387; ebenso Steiner, Krawumm! Durch ist die dünne Decke, Der Lichtblick Heft Nr. 362 (2015), 14-15, abrufbar unter http://www.lichtblick-zeitung.de/index_htm_files/01_2015.pdf, zuletzt abgerufen am 30.11.2017.

[21] BVerfG, HRRS 2017 Nr. 1102, Rn. 19.

[22] BVerfG, HRRS 2017 Nr. 1102, Rn. 20.

[23] BVerfG, HRRS 2017 Nr. 1102, Rn. 20 f; dazu bereits BVerfG, Beschluss vom 24.11.2015 – 2 BvR 2002/13, BeckRS 2016, 40537, Rn. 1.

[24] Vgl. nur OLG Zweibrücken, BeckRS 2017, 109749, Rn. 19, 24; BVerfG, BeckRS 2016, 40537, Rn. 1; BVerfG, BeckRS 2010, 51329, Rn. 12.

[25] OLG Frankfurt a.M., NStZ-RR 2004, 127, 128.

[26] BVerfG, HRRS 2017 Nr. 1102, Rn. 21-22.

[27] In diesem Sinne Knauer, in: Feest/Lesting/Lindemann (Hrsg.), AK-StVollzG, 7. Aufl. 2017, § 30 Rn. 23; ähnlich bereits Schwind, in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal (Hrsg.), StVollzG, 6. Aufl. 2013, § 3 Rn. 12.

[28] Vgl. auch BVerfG, BeckRS 2016, 40537, Rn. 1; zur Angemessenheit der Entgelte für ein in der Maßregelvollzugsklinik aufgestelltes Patiententelefon ferner BVerfG, BeckRS 2010, 51329, Rn. 12 f.

[29] LG Fulda, NStZ-RR 2007, 387.

[30] OLG Zweibrücken, BeckRS 2017, 109749, Rn. 31.

[31] OLG Zweibrücken, BeckRS 2017, 109749, Rn. 30.

[32] OLG Naumburg, Beschluss vom 26.6.2015 – 1 Ws (RB) 20/15, BeckRS 2015, 17753, Rn. 30; dazu ferner BeckOK Strafvollzug Hessen/Gescher, 8. Ed. 1.7.2017, HStVollzG § 36 Rn. 9b.

[33] LG Stendal, Beschluss vom 30.12.2014 – 509 StVK 179/13.

[34] Freilich ist anzumerken, dass in NRW am 4.1.2016 ein ministerieller Erlass mit Hinweis auf die Entscheidung des OLG Naumburg ergangen ist. Darin werden die Anstalten explizit gebeten sicherzustellen, dass die den Gefangenen eröffnete Möglichkeit der Telefonie zu marktgerechten Preisen genutzt werden kann (vgl. NRWLT-Drs. 16/11253, S. 3, abrufbar unter https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument?Id=MMD16/11253%7C1%7C0, zuletzt abgerufen am 30.11.2017).

[35] Zur Möglichkeit des "Skypens" Holt, FS 2014, 149-150; weiterführend Bode, ZIS 2017, 348, 351 f.

[36] Vgl. Theine, FS 2014, 161, 162; positiv berichten auch Kalmbach/Krenzel zum Projekt "crimeic – Onlinebegleitung im Strafvollzug", FS 2017, 344, 345-346.

[37] Bisher nehmen 12 Bundesländer (außer Bayern, Schleswig-Holstein, Thüringen und Sachsen-Anhalt) am eLiS-Verbund teil; für weitere Informationen siehe die Homepage von eLiS, abrufbar unter https://www.elis-public.de/information/, zuletzt abgerufen am 30.11.2017.