HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Dezember 2017
18. Jahrgang
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III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

1130. BGH 5 StR 72/17 – Urteil vom 25. Oktober 2017 (LG Berlin)

Sachlich-rechtlich unbedenkliche Beweiswürdigung; Voraussetzungen einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit bei Kindstötungen (Belastung durch die Geburt; weitergehende geistig-seelische Beeinträchtigungen; Berücksichtigung als minder schwerer Fall).

§ 261 StPO; § 21 StGB; § 212 StGB; § 213 StGB

Bei Kindstötungen im Sinne des § 217 StGB aF kommt eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit kaum in Betracht, wenn bei der Täterin außer der Belastung durch die Geburt keine schon unabhängig hiervon bestehenden geistig-seelischen Beeinträchtigungen festzustellen sind. Die psychische Ausnahmesituation einer Mutter, die ihr Kind in oder gleich nach der Geburt tötet, kann in einem solchen Fall allerdings bei der Anwendung des § 213 StGB Berücksichtigung finden (BGH NStZ-RR 2004, 80).


Entscheidung

1168. BGH 2 StR 101/17 – Beschluss vom 12. September 2017 (LG Limburg)

Strafzumessung (Berücksichtigung von Folgen mehrerer Taten).

§ 46 StGB; § 53 StGB

Sind psychische Schäden Folge mehrerer Taten zusammen, so können sie dem Angeklagten nur bei der Gesamtstrafenbildung angelastet werden. Sind sie dagegen unmittelbare Folge allein einzelner Taten, so können sie mit ihrem vollen Gewicht nur in diesen Fällen, nicht aber in gleicher Weise auch bei der Bemessung sämtlicher anderer Einzelstrafen und bei der Gesamtstrafenbildung in Ansatz gebracht werden (vgl. BGH NStZ 2014, 701).


Entscheidung

1202. BGH 1 StR 359/17 – Beschluss vom 26. Oktober 2017 (LG Landshut)

Grundsätze der Strafzumessung (Berücksichtigung des zeitlichen Abstandes zwischen Tat und Urteil).

§ 46 StGB

Kommt es bei einem Strafverfahren zu einem großen Abstand zwischen Tat und Urteil, kann dies bei der Bestimmung der Rechtsfolgen unter drei verschiedenen Aspekten von Belang sein. Zum einen kann der betreffende Zeitraum bereits für sich genommen ins Gewicht fallen. Unabhängig hiervon kann zum zweiten einer überdurchschnittlich langen Verfahrensdauer eine eigenständige Bedeutung zukommen, bei der insbesondere die mit dem Verfahren selbst verbundenen Belastungen des Angeklagten zu berücksichtigen sind. Zum dritten kann sich schließlich eine darüber hinausgehende rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zu Gunsten des Angeklagten auswirken.


Entscheidung

1216. BGH 2 StR 573/16 – Beschluss vom 5. Oktober 2017 (LG Köln)

Grundsätze der Strafzumessung (Berücksichtigung des zeitlichen Abstandes zwischen Tat und Urteil).

§ 46 StGB; § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO

Eine überdurchschnittlich lange Verfahrensdauer ist ungeachtet eines geringeren Strafbedürfnisses aufgrund des zeitlichen Abstands zwischen Tatbegehung und Urteil und eines gewährten Vollstreckungsabschlags bei der Strafzumessung zu berücksichtigen und stellt einen bestimmenden Strafzumessungsgrund dar.


Entscheidung

1127. BGH 3 StR 418/17 – Beschluss vom 19. September 2017 (LG Mönchengladbach)

Rechtsfehlerhafte Versagung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Sich-Aufdrängen der Voraussetzungen der Unterbringung; Hang bei fachgerechter Methadon-Substitution; symptomatischer Zusammenhang).

§ 64 StGB

Der Umstand einer fachgerechten Methadonbehandlung legt einen Hang zum Opiatkonsum nahe und erfordert deshalb eine Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen des § 64 StGB. Wird daher in diesen Fällen eine Entscheidung zur Nichtanordnung der Unterbringung nicht näher begründet, ist dies regelmäßig rechtsfehlerhaft.


Entscheidung

1166. BGH 1 StR 268/17 – Beschluss vom 21. September 2017 (LG Bamberg)

Strafzumessung (strafschärfende Berücksichtigung von Verteidigungsverhalten des Angeklagten: Äußerungen über ein Tatopfer).

§ 46 StGB

Äußerungen des Angeklagten über ein Tatopfer in der Hauptverhandlung dürfen nur dann strafschärfend verwertet werden, wenn in ihnen eine über das Leugnen eigener Schuld hinausgehende Ehrverletzung des Tatopfers oder eine rechtsfeindliche Gesinnung gesehen werden kann (vgl. BGH NStZ 2010, 692).


Entscheidung

1175. BGH 2 StR 36/17 – Urteil vom 20. September 2017 (LG Gera)

Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (Hang zu erheblichen Straftaten).

§ 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB

Das Merkmal des Hanges im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist danach derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Der Hang als „eingeschliffenes Verhaltensmuster“ bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand (vgl. BGH NStZ-RR 2011, 204).


Entscheidung

1191. BGH 4 StR 259/17 – Urteil vom 26. Oktober 2017 (LG Dortmund)

Strafzumessung (Strafmildernde Berücksichtigung von ausländerrechtlichen Folgen); unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln (Verhältnis zum mit Teilen der besessenen Betäubungsmitteln begangenen unerlaubten Handel mit Betäubungsmitteln und zum Besitz nach Aufgabe des Handelszwecks: Tateinheit).

§ 46 StGB; § 29 Abs. 1 BtMG

1. Ausländerrechtliche Folgen einer Verurteilung sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich keine bestimmenden Strafmilderungsgründe. Dies war bereits zur früheren ausländerrechtlichen Rechtslage auch für die damals vorgesehene zwingende Ausweisung anerkannt und gilt nunmehr vor dem Hintergrund der seit 17. März 2016 geltenden Regelung des § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG, nach der bei einer Ausweisungsentscheidung generell eine Abwägung zwischen Ausweisungsinteresse (§ 54 AufenthG) und Bleibeinteresse (§ 55 AufenthG) vorzunehmen ist, umso mehr. Eine andere strafzumessungsrechtliche Bewertung ist nur gerechtfertigt, wenn im Einzelfall zusätzliche Umstände hinzutreten, welche die Beendigung des Aufenthalts im Inland als besondere Härte erscheinen lassen (st. Rspr).

2. Dient der Besitz an den Betäubungsmitteln dem Zweck der gewinnbringenden Weiterveräußerung, tritt die Strafbarkeit wegen Besitzes hinter das unerlaubte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zurück (vgl. BGHSt 42, 162, 165 f.). Dies gilt indes nur, soweit der einheitliche Besitz von Betäubungsmitteln in dem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln aufgeht. Besitzt der Täter Betäubungsmittel teils zu Handelszwecken und teils aus anderen Gründen, geht lediglich der Besitz an der zum Handel bestimmten Betäubungsmittelmenge im

Handeltreiben mit Betäubungsmitteln auf, während es für die anderen Zwecken dienende Menge bei der Strafbarkeit wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln verbleibt. Zwischen dem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und dem gleichzeitigen Besitz der davon nicht betroffenen Betäubungsmittelmenge besteht Tateinheit (vgl. BGH NStZ-RR 2015, 174).

3. Nicht anders zu bewerten ist der Fall, in dem der Täter bei unverändert fortbestehender Sachherrschaft über die Betäubungsmittelmenge den ursprünglich verfolgten Handelszweck aufgibt. Auch in diesem Fall verbleibt es für den nach der Aufgabe des Handelszwecks nicht mehr im Handeltreiben mit Betäubungsmitteln aufgehenden Besitz bei der Strafbarkeit wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln, die angesichts der durchgehend unverändert gebliebenen Besitzlage zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln im Verhältnis der Tateinheit steht. Allein die Veränderung der mit den besessenen Betäubungsmitteln verfolgten Zwecksetzung, die vom tatbestandlich erforderlichen Besitzwillen zu unterscheiden ist, ist nicht geeignet, einen einheitlichen Betäubungsmittelbesitz in verschiedene materiellrechtliche Taten aufzuspalten.


Entscheidung

1226. BGH 4 StR 255/17 – Beschluss vom 30. August 2017 (LG Freiburg)

Immaterieller Schaden (Adhäsionsausspruch: Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters).

§ 253 Abs. 2 BGB

1. Es gefährdet den Bestand des Adhäsionsausspruchs des angefochtenen Urteils nicht, dass das Landgericht bei der Bemessung des Schmerzensgeldes neben tatbezogenen Umständen auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten und der Geschädigten berücksichtigt hat.

2. Insoweit sieht sich der Senat – in Übereinstimmung mit dem 3. Strafsenat – nicht in einer entscheidungserheblichen Divergenz zum Beschluss der Vereinigten Großen Senate vom 16. September 2016. Zwar wird dort ausgeführt, dass Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen und deren Einfluss auf die Bemessung der billigen Entschädigung in Geld geboten sind, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse dem Einzelfall ein besonderes Gepräge geben und deshalb bei der Entscheidung ausnahmsweise berücksichtigt werden müssen. Aus diesen Maßstäben lässt sich jedoch nicht die Annahme eines Rechtsfehlers folgern, wenn der Tatrichter die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten und der Geschädigten berücksichtigt, ohne dass diese dem Fall ihr besonderes Gepräge geben (so aber BGH, Beschluss vom 11. Mai 2017 – 2 StR 324/14, juris Tz. 10). Vielmehr sieht das Gesetz in § 253 Abs. 2 BGB beim Ausgleich immaterieller Schäden gerade keine starre Regelung vor, sondern eine billige Entschädigung, ohne dem Tatrichter hinsichtlich der zu berücksichtigenden oder berücksichtigungsfähigen Umstände Vorgaben zu machen.


Entscheidung

1229. BGH 4 StR 286/17 – Beschluss vom 2. November 2017 (LG Landau)

Art des Rauschgifts als strafzumessungsrelevanter Faktor („harte“ und „weiche“ Drogen; Amphetamin keine harte Droge).

§ 29 BtMG

Der Art des Rauschgifts und seiner Gefährlichkeit kommt im Rahmen der Strafzumessung zwar grundsätzlich eine eigenständige Bedeutung zu. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht insoweit indes ein für die Strafzumessung maßgebliches Stufenverhältnis, das von sog. harten Drogen, wie Heroin, Fentanyl, Kokain und Crack über Amphetamin, das auf der Gefährlichkeitsskala einen mittleren Platz einnimmt, bis hin zu sog. weichen Drogen, wie Cannabis reicht.