HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Aug./Sept. 2014
15. Jahrgang
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IV. Strafverfahrensrecht (mit Gerichtsverfassungsrecht)


Entscheidung

731. BGH 2 StR 381/13 - Urteil vom 5. Juni 2014 (LG Frankfurt a.M.)

BGHSt; Mitteilungs- und Dokumentationspflichten bei Gesprächen, die auf eine Verständigung abzielen (revisionsrechtliche Rüge: keine Geltendmachung des Zwischenrechtsbehelf nach § 238 Abs. 2 StPO erforderlich; Umfang der Mitteilungs- und Dokumentationspflichten; Beruhen des Urteils auf unterlassener Mitteilung: Information des Angeklagten durch Verteidiger); Strafzumessung (Einbeziehung von strafbaren Handlungen, die nicht Teil der Anklage sind).

§ 243 Abs. 4 Satz 2 StPO; § 238 Abs. 2 StPO; § 273 Abs. 1a StPO; § 339 Abs. 1 StPO; § 46 Abs. 2 StGB

1. Die Rüge eines Verstoßes gegen die Mitteilungs- und Dokumentationspflichten gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO setzt nicht voraus, dass der Verteidiger zuvor von dem Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO Gebrauch gemacht hat. (BGHSt)

2. Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO teilt der Vorsitzende nach Verlesung des Anklagesatzes mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist, und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt (vgl. BGHSt 58, 315, 316). Diese Mitteilungspflicht ist gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO weiter zu beachten, wenn Erörterungen erst nach Beginn aber außerhalb der Hauptverhandlung stattgefunden haben (vgl. BGH StV 2014,). Das Gesetz will erreichen, dass derartige Erörterungen stets in der öffentlichen Hauptverhandlung zur Sprache kommen und dies auch inhaltlich dokumentiert wird. Gespräche außerhalb der Hauptverhandlung dürfen kein informelles und unkontrollierbares Verhalten eröffnen (vgl. BGH StV 2011, 72, 73). (Bearbeiter)

3. Die Pflicht zur Dokumentation der zur Vorbereitung einer Verständigung außerhalb der Hauptverhandlung unter Umständen erfolglos geführten Gespräche ist zwar im Vergleich zur tatsächlichen Verständigung reduziert. Gleichwohl sollen alle Verfahrensbeteiligte und die Öffentlichkeit nicht nur darüber informiert werden, dass solche Erörterungen stattgefunden haben, sondern auch darüber, welche Standpunkte gegebenenfalls von den Teilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (vgl. BVerfGE 133, 168, 215 f.; BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2010 - 3 StR 287/10, StV 2011, 72 f., vom 3. Dezember 2013 - 2 StR 410/13, NStZ 2014, 219 und vom 9. April 2014 - 1 StR 612/13, NStZ 2014, 416, 417). (Bearbeiter)

4. Zur Gewährleistung einer effektiven Kontrolle ist die Mitteilung des Vorsitzenden hierüber - sofern sie nach § 243 Abs. 4 StPO vorgeschrieben ist - gemäß § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO in das Protokoll der Hauptverhandlung aufzunehmen. (Bearbeiter)

5. Zwar hat das Verständigungsgesetz davon abgesehen, den Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO den absoluten Revisionsgründen zuzuordnen (vgl. BGH StV 2013, 740); indes ist, sofern die Mitteilung über das Gespräch unterbleibt oder sich auf eine unzureichende Darstellung beschränkt, grundsätzlich die Verteidigungsposition des Angeklagten tangiert (vgl. BVerfGE 133, 168, 223 f). Nur in besonderen Ausnahmefällen ist ein Beruhen auszuschließen (vgl. BGH NStZ 2014, 217, 218). Dies gilt selbst dann, wenn im Ergebnis eine Verständigung nicht zustande kommt, weil auch in einem solchen Fall nicht auszuschließen ist, dass das Prozessverhalten des Angeklagten durch die vorangegangenen Verständigungsgespräche beeinflusst wurde (vgl. BGH NStZ 2014, 219, 220). (Bearbeiter)

6. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Instanzverteidiger den Angeklagten über den Ablauf und den Inhalt außerhalb der Hauptverhandlung geführter Gespräche unterrichtet und so ein etwaiges Informationsdefizit seines Mandanten ausgeglichen hat oder ob dies möglich gewesen wäre. Für die Entscheidung des Angeklagten, die meist mit der Frage nach einem Geständnis in der Hauptverhandlung verbunden wird, ist es von besonderer Bedeutung, ob er über die Einzelheiten der in seiner Abwesenheit geführten Gespräche nur zusammenfassend und in nicht dokumentierter Weise von seinem Verteidiger nach dessen Wahrnehmung und Verständnis informiert wird, oder ob ihn das Gericht unter Dokumentation seiner Mitteilungen im Protokoll der Hauptverhandlung unterrichtet (vgl. BGHSt 58, 310, 314). (Bearbeiter)

7. Gemäß § 46 Abs. 2 StGB hat der Tatrichter bei der Strafzumessung die für und gegen den Täter sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen und dabei namentlich auch sein Vorleben zu berücksichtigen. Insoweit ist er bei der Feststellung und Bewertung von Strafzumessungstatsachen durch den Anklagegrundsatz nicht beschränkt und kann daher auch strafbare Handlungen ermitteln und würdigen, die nicht Gegenstand der Anklage sind, soweit diese für die Persönlichkeit eines Angeklagten bedeutsam sein können und Rückschlüsse auf dessen Tatschuld gestatten. Allerdings müssen solche Taten - wie jeder für die Strafzumessung erhebliche Umstand - prozessordnungsgemäß und damit hinreichend bestimmt festgestellt werden und zur Überzeugung des Tatrichters feststehen (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 359). (Bearbeiter)


Entscheidung

723. BGH 1 StR 726/13 - Beschluss vom 8. Mai 2014 (LG Augsburg)

Besorgnis der Befangenheit (Vorbefassung des Richters mit dem Verfahrensgegenstand; Rechtsfehler des Richters); Untersuchungshaft (Haftgrund der Fluchtgefahr: unzureichende Herleitung aus einem Verteidigerwechsel).

§ 24 Abs. 2 StPO; § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO

1. Rechtsfehler in Entscheidungen bei Vorbefassung mit dem Verfahrensgegenstand können für sich genommen eine Ablehnung der mitwirkenden Richter grundsätzlich nicht begründen (BGH, NStZ 2010, 342 f.); etwas anderes gilt jedoch, wenn die von den abgelehnten Richtern getroffene Entscheidung bzw. die darin zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung sich als rechtlich völlig abwegig erweist oder gar als willkürlich erscheint (BGHSt 48, 4, 8). Besondere Umstände können aber auch dann gegeben sein, wenn sich aus der Art und Weise der Begründung von Zwischenentscheidungen die Besorgnis der Befangenheit ergibt. Zum Einzelfall einer die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigenden Begründung von Fluchtgefahr, die vor allem aus einem nicht missbräuchlichen Verteidigerwechsel hergeleitet werden sollte.

2. Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters ist bei dem Ablehnenden gegeben, wenn er bei einer verständigen Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die die gebotene Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (st. Rspr.). Maßstab für die Beurteilung dieser Voraussetzungen ist ein vernünftiger (BGHSt 21, 334, 341) bzw. verständiger Angeklagter (BGHSt 41, 69, 71).

3. Knüpft die Besorgnis der Befangenheit an eine den Verfahrensgegenstand betreffende Vorbefassung der abgelehnten Richter - wie die Mitwirkung an den Haftbefehlen gegen die Angeklagten - an, ist dieser Umstand als solcher jenseits gesetzlicher Ausschließungsgründe (vgl. etwa § 22 Nr. 4 und 5; § 23 StPO) regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, wenn und soweit nicht besondere Umstände hinzutreten (st. Rspr).

4. „Fluchtgefahr“ im Sinne von § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO besteht dann, wenn die Würdigung der konkreten Umstände des Falls es wahrscheinlicher macht, dass der Angeklagte sich dem Verfahren entzieht, als dass er sich zur Durchführung des Verfahrens zur Verfügung hält. Das Sich-Entziehen durch den Angeklagten knüpft an Verhaltensweisen an, die bewirken, dass der Fortgang des Strafverfahrens dauerhaft oder zumindest vorübergehend durch Aufhebung der Bereitschaft des Angeklagten verhindert wird, sich für Ladungen oder Vollstreckungsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen.


Entscheidung

738. BGH 2 StR 489/13 - Urteil vom 11. Juni 2014 (LG Frankfurt a.M.)

Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit (Vorbefassung mit der Sache); Konfrontationsrecht des Angeklagten (Pflicht des Gerichts, eine Befragung zu ermöglichen); Zurücknahme der Bestellung eines Pflichtverteidigers (keine Zurücknahme bei Wahl eines anderen Verteidigers; Rücknahmegrund des Interessenskonflikts: Interessenskonflikt bei Vertretung von Mitangeklagten durch Anwälte einer Kanzlei).

Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 lit. d EMRK; § 24 Abs. 2 StPO; § 143 StPO

1. Die Besorgnis der Befangenheit ist zwar nicht generell begründet, wenn ein Richter im Rahmen einer früheren Entscheidung mit der Sache befasst war. Die Ablehnung eines mit der Sache schon früher befassten Richters ist jedoch gerechtfertigt, wenn konkrete Umstände vorliegen, die der Vermutung seiner Unvoreingenommenheit widersprechen (vgl. BGHSt 21, 334, 343).

2. Wenn absehbar ist, dass eine Auskunftsperson im weiteren Verfahren als Zeuge benötigt wird, hat das Gericht im Allgemeinen dafür Sorge zu tragen, dass eine Vernehmung dieser Person in der Hauptverhandlung möglich bleibt (vgl. EGMR NJW 2013, 3225, 3226). Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK erfasst auch Aussagen von Mitangeklagten (vgl. BGH StV 2010, 673), so dass es auf die Prozessrolle der Auskunftsperson im Sinne der Strafprozessordnung nicht ankommt.

3. Nach § 143 StPO ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers zurückzunehmen, wenn ein anderer Verteidiger gewählt wird und dieser die Wahl annimmt. Eine Verteidigerbestellung kann – als ungeschriebene Ausnahme von der gesetzlichen Regel – nur aufrechterhalten werden, wenn konkrete Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass andernfalls die ordnungsgemäße Durchführung der Hauptverhandlung sei.

4. Ein konkret manifestierter Interessenkonflikt ist – unabhängig vom Fall des § 143 StPO – ein Grund, von der Verteidigerbestellung abzusehen oder eine bereits bestehende Bestellung aufzuheben, weil dadurch die mindere Effektivität des Einsatzes dieses Verteidigers für seinen Mandanten zu befürchten ist (vgl. BGHSt 48, 170, 173). Das Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten, ist geeignet und erforderlich, im Interesse von Mandanten und Rechtspflege die mit dem Gesetz bezweckten Ziele zu erreichen (vgl. BVerfGE 108, 150, 167).

5. Zwar ist eine Verteidigerbestellung von Anwälten aus derselben Kanzlei für Mitbeschuldigte nicht generell unzulässig (vgl. BVerfGE 43, 79, 93 f). Eine gemeinschaftliche Verteidigung kann bei gleichartigem Verteidigungsziel auch sachdienlich sein. Liegen aber konkrete Hinweise auf einen Interessenkonflikt vor, hat eine Verteidigerbestellung von Sozien oder Mitgliedern einer Bürogemeinschaft für die Beschuldigten aus Gründen der Fairness des Verfahrens zu unterbleiben; eine bereits erfolgte Bestellung ist in diesem Fall aufzuheben. Ob ein solcher Interessenkonflikt vorliegt, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu prüfen und objektiv zu bestimmen (vgl. BGH NJW 2012, 3039, 3040).

6. Die Annahme, ein solcher Interessenkonflikt sei durch rechtskräftige Aburteilung des Mitangeklagten und dessen Ausscheiden als Mitangeklagter aus dem Verfahren beendet, ist unzutreffend. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Frage eines Interessen-

konflikts nicht auf die Mandatsbeendigung an (vgl. BGHSt 34, 190, 191).


Entscheidung

732. BGH 2 StR 428/13 - Beschluss vom 27. Mai 2014 (LG Gießen)

Aufrechterhaltung von Feststellungen nach Aufhebung des Urteils durch das Revisionsgericht.

§ 353 Abs. 2 StPO

Urteilsfeststellungen bleiben bestehen, soweit sie nicht durch einen gesonderten Ausspruch aufgehoben werden. An dieser Rechtsprechung, für die sich auch Hinweise in den Gesetzgebungsmaterialien finden, hält der Senat weiterhin fest.


Entscheidung

764. BGH 3 StR 139/14 - Urteil vom 12. Juni 2014 (LG Hannover)

Innerprozessuale Bindungswirkung nicht aufgehobener Feststellungen bei Aufhebung allein des Strafausspruchs in der Revision.

§ 353 StPO

1. Hebt das Revisionsgericht ein Urteil in Anwendung des § 353 Abs. 2 StPO nur im Strafausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen auf, so bezieht sich diese Aufhebung nur auf solche Umstände tatrichterlicher Sachverhaltsdarstellung, die ausschließlich die Straffrage betreffen. Hinsichtlich des nicht beanstandeten Schuldspruchs tritt Teilrechtskraft ein. Tatrichterliche Feststellungen, die ausschließlich die Schuldfrage betreffen, und solche, die als doppelrelevante Umstände zugleich für Schuld- und Straffrage von Bedeutung sind, bleiben aufrechterhalten. An die nicht aufgehobenen Feststellungen ist der Tatrichter im weiteren Verfahren gebunden. Er darf diese zwar noch ergänzen; diese zusätzlichen Feststellungen dürfen den bestehen gebliebenen und mithin bindend gewordenen jedoch nicht widersprechen.

2. Nicht erfasst von der (Teil-)Aufhebung werden zunächst einmal alle jene Umstände der Sachverhaltsdarstellung, in denen die gesetzlichen Merkmale der dem Angeklagten zur Last gelegten Straftaten gefunden wurden. Hätte dabei von mehreren Tatsachen bereits ein Teil ausgereicht, um ein Tatbestandsmerkmal zu erfüllen, so gehören gleichwohl alle zum Schuldspruch. An dessen Bindungswirkung nimmt also nicht etwa nur das Mindestmaß an Tatsachen teil, ohne das der Schuldspruch überhaupt keinen Bestand mehr hätte. Vielmehr unterliegen auch solche Abweichungen, durch die nur der Schuldumfang betroffen, die rechtliche Beurteilung aber nicht in Frage gestellt wird, dem Widerspruchsverbot.

3. Über die Tatumstände hinaus, die die gesetzlichen Merkmale der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat ausfüllen oder auszufüllen geeignet sind, entfalten zum einen auch die Bestandteile der Sachverhaltsschilderung innerprozessuale Bindungswirkung, aus denen der Tatrichter im Rahmen der Beweiswürdigung seine Überzeugung von der Schuld des Angeklagten abgeleitet hat. Zum anderen nehmen aber auch jene Teile der Sachverhaltsdarstellung als den Schuldspruch tragend an der Bindungswirkung teil, die das Tatgeschehen im Sinne eines geschichtlichen Vorgangs näher beschreiben, zum Beispiel die Umstände schildern, die der Tatausführung das entscheidende Gepräge gegeben haben. Der geschichtliche Vorgang, der dem Schuldspruch zugrunde liegt, bildet ein geschlossenes Ganzes, aus dem nicht Einzelteile heraus gegriffen und zum Gegenstand neuer, abweichender Feststellungen gemacht werden dürfen.


Entscheidung

679. BGH 1 StR 39/14 - Beschluss vom 9. April 2014 (LG Traunstein)

Verwertung der Abhörmaßnahmen eines anderen EU-Mitgliedstaates (Verwertungsverbot bei Verstößen gegen ausländisches Prozessrecht und gegen Völkerrecht; Rechtshilfe; Prüfungsverbot); Einbeziehung ausländischer Verurteilungen in der EU (Rechtskraft; schuldangemessene Strafzumessung).

§ 100a StPO; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 6 EMRK; § 46 StGB; Art. 3 Abs. 5 Satz 2 Rahmenbeschluss 2008/675/JI

1. Die Verwertbarkeit mittels Rechtshilfe eines ausländischen Staates gewonnener Beweise richtet sich nach der Rechtsordnung des um diese Rechtshilfe ersuchenden Staates (BGHSt 58, 32 mwN). Die Unverwertbarkeit kann sich dabei aus der inländischen Rechtsordnung des ersuchenden Staates sowie aus der Verletzung völkerrechtlicher Grundsätze oder rechtshilferechtlicher Bestimmungen ergeben. Eine Überprüfung hoheitlicher Entscheidungen des ersuchten Staates am Maßstab seiner eigenen Rechtsordnung durch die hiesigen Gerichte ist unzulässig.

2. Selbst dann, wenn im Einzelfall besondere Bestimmungen des Rechtshilferechts eine Überlassung von Beweismitteln ausdrücklich an die Vereinbarkeit der im ersuchten Staat durchgeführten Beweiserhebung mit dessen inländischem Recht knüpfen, wird die Rechtmäßigkeitsprüfung durch die hiesigen Strafverfolgungsbehörden nicht umfassend, sondern allenfalls im Umfang eines „eingeschränkten Prüfungsmaßstabs“ durchgeführt (Senat aaO, Rn. 38).

3. Eine nicht rechtskräftige Verurteilung in einem anderen Mitgliedstaat der EU muss auch unter dem Aspekt eines schuldangemessenen Gesamtstrafübels bei der Bemessung der Freiheitsstrafe nicht einbezogen werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn keine Anhaltspunkte für einen zwischenzeitlichen Eintritt der Rechtskraft der Verurteilung bestehen.


Entscheidung

791. BGH 5 StR 169/14 (alt: 5 StR 239/13) - Beschluss vom 15. Juli 2014 (LG Braunschweig)

Ausnahmsweise Ausschluss des Beruhens auf einer Verletzung der Mitteilungspflicht bei schweigendem Angeklagten; Tateinheit beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln im Falle sich überschneidender unmittelbar aufeinanderfolgender Umsatzhandlungen.

§ 243 Abs. 4 Satz 2 StPO; § 337 StPO; § 29 BtMG; § 52 StGB

Das Beruhen des Urteils auf einer fehlerhaften Unterrichtung nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO ist ausnahmsweise dann ausgeschlossen, wenn der Angeklagte nicht nur konstant von seinem Schweigerecht Gebrauch macht, sondern auf ausdrückliches Befragen noch vor der Mittei-

lung des Vorsitzenden deutlich macht, dass bei ihm prinzipiell keine Verständigungsbereitschaft besteht. Auf die Unterrichtung durch den Vorsitzenden kommt es in einem solchen Fall nicht an.


Entscheidung

742. BGH 2 StR 624/12 - Urteil vom 5. Juni 2014 (LG Bonn)

Tatrichterliche Beweiswürdigung (Bewertung von Zeugenaussagen); Anforderungen an die Urteilsbegründung.

§ 261 StPO; § 267 Abs. 1 StPO

Fehldeutungen bei der Wahrnehmung und Erinnerung von zunächst alltäglich wirkenden Ereignissen durch Zeugen sind theoretisch immer möglich. Sie dürfen im Prozess aber nicht ohne weiteres - im Ergebnis mit belastender Wirkung für einen Angeklagten - unterstellt werden.


Entscheidung

759. BGH 3 StR 24/14 - Beschluss vom 29. April 2014 (LG Koblenz)

Mitteilungspflicht des Vorsitzenden bei Gesprächen über eine Verständigung (Anforderungen an die revisionsrechtliche Rüge von Verstößen).

§ 243 Abs. 4 Satz 2 StPO; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO

Die Rüge eines Verstoßes gegen § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO wegen einer unzureichenden Mitteilung über Gespräche außerhalb der Hauptverhandlung, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung war, erfordert für ihre Zulässigkeit den konkreten Vortrag des Revisionsführers darüber, welchen Inhalt die zwischen den Verfahrensbeteiligten stattgefundenen Erörterungen hatten.


Entscheidung

727. BGH 2 StR 274/13 - Beschluss vom 26. März 2014 (LG Mühlhausen)

Ablehnung eines Beweisantrages wegen eigener Sachkunde des Gerichts (Ablehnung eines Sachverständigengutachtens wegen vorheriger freibeweislicher Befragung eines Sachverständigen durch das Gericht).

§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO

Es ist rechtsfehlerhaft, einen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens mit Hinweis auf genügende eigene Sachkunde abzulehnen, wenn sich das Tatgericht diese Sachkunde zuvor gezielt durch Befragung eines Sachverständigen im Freibeweisverfahren verschafft hat, um einen - entsprechend erwarteten - Beweisantrag ablehnen zu können (vgl. BGH wistra 2013, 389, 399). Hält das Gericht die Anhörung eines Sachverständigen für erforderlich, um sich sachkundig zu machen, muss der Sachverständige in der Hauptverhandlung im Strengbeweisverfahren gehört werden.


Entscheidung

720. BGH 4 StR 488/13 - Beschluss vom 2. Juli 2014 (LG Bochum)

Antrag auf Offenlegung der Anregung eines Verwerfungsantrages; Anregung einer Verfahrenseinstellung durch das Revisionsgericht.

§ 349 StPO; § 154 StPO; Art. 103 Abs. 1 GG; Art. 6 EMRK

1. Einem an den Senat gerichteten Antrag des Verteidigers, ihm vorab „mitzuteilen, ob der nunmehrige Antrag der Generalbundesanwaltschaft seitens des Senats oder eines oder mehrere Senatsmitglieder (ggf. des Berichterstatters) bzw. eines wissenschaftlichen Mitarbeiters angeregt wurde, ist nicht nachzukommen. Eine solche Befragung des Gerichts durch den Verteidiger ist in der Strafprozessordnung nicht vorgesehen.

2. Der Senat hat nach Vorberatung durch den Berichterstatter beim Generalbundesanwalt angeregt zu prüfen, ob in einem Fall der Urteilsgründe anstelle des zunächst gestellten Teilaufhebungsantrags nach § 349 Abs. 4 StPO eine Sachbehandlung nach § 154 Abs. 2 StPO in Betracht komme. Durch eine solche Verfahrensweise ist der Revisionsführer in keiner Weise beschwert.


Entscheidung

721. BGH 4 StR 498/13 - Beschluss vom 2. Juli 2014 (LG Bayreuth)

Zulässige aber trotz objektivem Verstoß gegen das rechtliche Gehör unbegründete Anhörungsrüge.

§ 356a StPO; Art. 6 EMRK; Art. 103 Abs. 1 GG

Selbst wenn das Revisionsgericht den Anspruch des Verurteilten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) objektiv verletzt, indem es einen Vortrag des Verteidigers zur Sachrüge nicht zur Kenntnis nimmt, ist die Anhörungsrüge nur dann begründet, wenn sich die unterbliebene Kenntnisnahme auf das Ergebnis der Revisionsentscheidung auswirkt, der Anspruch des Verurteilten also „in entscheidungserheblicher Weise“ verletzt worden ist.


Entscheidung

780. BGH 3 StR 289/13 - Urteil vom 20. Februar 2014 (LG Rostock)

Verfahrenshindernis fehlender Anklage (Feststellung eines in der Anklage nicht genannten Tatortes); keine Mitteilungspflicht bzgl. eines Gesprächs über eine Verständigung nach Rücknahme der ursprünglichen und Erhebung einer neuen Anklage; Beweiswürdigung bei Sexualdelikten (Aussage des Geschädigten als alleiniges Beweismittel).

§ 260 Abs. 3 StPO; § 243 Abs. 4 S. 1 StPO; § 261 StPO

Verständigungsbezogene Erörterungen, die vor Anklageerhebung stattgefunden haben, unterfallen nicht der in § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO normierten Mitteilungspflicht. Denn nach der ausdrücklichen und eindeutigen gesetzlichen Regelung sind nur Erörterungen nach §§ 202a, 212 StPO, d.h. solche im Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, mitteilungspflichtig. Das gilt auch für den Fall, dass eine ursprüngliche Anklage aufgrund neuer Ermittlungsergebnisse zurückgenommen und eine neue (umfangreichere) Anklage erhoben wird, sofern die Gespräche nach der ersten, aber vor der zweiten Anklageerhebung stattgefunden haben und die Erörterungen ausdrücklich unter dem Vorbehalt standen, dass sich keine weiteren Tatvorwürfe ergeben.


Entscheidung

746. BGH 4 StR 137/14 - Urteil vom 3. Juli 2014 (LG Kaiserslautern)

Tatrichterliche Beweiswürdigung bei freisprechendem Urteil (Schweigen des Angeklagten).

§ 261 StPO

1. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er sich von dessen Schuld nicht zu überzeugen vermag, ist

dies vom Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Die revisionsrechtliche Prüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung ist auf das Vorliegen von Rechtsfehlern (Widersprüche, Unklarheiten, Lücken, Verstöße gegen Denkgesetze, zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung, unrichtige Anwendung des Zweifelssatzes) beschränkt. Sind derartige Rechtsfehler nicht feststellbar, kann das Revisionsgericht in die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann nicht eingreifen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich gewesen wäre (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 146, 147 mwN).

2. Macht der Angeklagte von seinem Schweigerecht Gebrauch, darf ihm kein Nachteil daraus entstehen, dass er deshalb nicht in der Lage ist, zum Vorliegen einer Notwehrsituation vorzutragen (vgl. BGH NStZ-RR 2013, 117, 119). In einem solchen Fall ist von der für ihn günstigsten Möglichkeit auszugehen. Dabei sind jedoch nicht alle nur denkbaren Gesichtspunkte, zu denen keine Feststellungen getroffen werden können, zu Gunsten des Angeklagten zu unterstellen. Für ihn vorteilhafte Geschehensabläufe sind vielmehr erst dann bedeutsam, wenn für ihr Vorliegen reale Anhaltspunkte erbracht sind und sie deshalb nach den gesamten Umständen als möglich in Betracht kommen (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 147).


Entscheidung

771. BGH 3 StR 194/14 - Beschluss vom 24. Juni 2014 (LG Trier)

Rechtsfehlerhafte vorübergehende Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal (Erfordernis einer substantiierten Begründung; ausnahmsweise Entbehrlichkeit bei sich aufdrängender massiver Furcht; bloßer Wunsch der minderjährigen Zeugin nicht ausreichend).

§ 247 StPO

§ 247 Abs. 1 StPO erfordert mit Blick auf die Schwere des Eingriffs in die Rechte des Angeklagten grundsätzlich eine substantiierte Begründung dessen zeitweisen Ausschlusses von der Hauptverhandlung. Eine solche kann in Fällen minderjähriger Geschädigter allenfalls dann als entbehrlich angesehen werden, wenn sich unmittelbar aus dem Anklagegegenstand sowie aus der Person von Zeugen und Angeklagtem und ihrer Beziehung zueinander ohne Weiteres eine massive Furcht des Zeugen vor dem auszuschließenden Angeklagten aufdrängt, die geeignet erscheint, den Zeugen von wahren, insbesondere vollständigen Angaben in Gegenwart des Angeklagten abzuhalten, wie es beispielsweise bei psychisch schwer geschädigten Opfern von Sexualverbrechen auf der Hand liegt. Diese Voraussetzungen sind bei einer minderjährigen Zeugin, die einvernehmlichen geschlechtlichen Kontakt mit dem Täter hatte, nicht ohne weiteres gegeben.


Entscheidung

796. BGH 5 StR 217/14 - Beschluss vom 14. Juli 2014 (LG Flensburg)

Unzureichende Mitteilung über verständigungsbezogene Gespräche; Beruhen.

§ 243 Abs. 4 Satz 2 StPO; § 337 Abs. 1 StPO

1. Nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO ist jedes Bemühen um eine Verständigung ungeachtet des Ergebnisses der Intervention mitteilungsbedürftig. Es ist zumindest bekanntzugeben, welchen Standpunkt die Gesprächsteilnehmer vertreten und wie sie sich zu den Ansichten der übrigen verhalten haben. Die Mitteilung allein eines negativen Ergebnisses verständigungsbezogener Erörterungen genügt den Anforderungen des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO nicht.

2. War der Angeklagte an den verständigungsbezogenen Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung nicht beteiligt, lässt sich nicht gemeinhin ausschließen, dass er sich in der Hauptverhandlung anders als geschehen verteidigt hätte, wenn er vom Vorsitzenden über die in seiner Abwesenheit abgehandelten Umstände einer Verständigung unterrichtet worden wäre. Eine Ausnahme kann insoweit dann bestehen, wenn der Angeklagte von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat.


Entscheidung

769. BGH 3 StR 185/14 - Beschluss vom 24. Juni 2014 (LG Hannover)

Unterlassene erneute Erteilung des letzten Wortes an den Angeklagten nach Wiedereintritt in die Hauptverhandlung.

§ 258 StPO

Im Falle des Wiedereintritts in die Hauptverhandlung müssen die in § 258 StPO vorgeschriebenen Worterteilungen - mithin auch das letzte Wort des Angeklagten im Sinne des § 258 Abs. 2 Halbsatz 2 StPO - wiederholt werden. Ein Wiedereintritt in die Hauptverhandlung setzt keinen Gerichtsbeschluss oder eine sonstige ausdrückliche Anordnung voraus, sondern kann auch stillschweigend geschehen. Er liegt insbesondere bei allen Prozesshandlungen vor, die ihrer Natur nach in den Bereich der Beweisaufnahme gehören (hier: Zahlung des Angeklagten an den Nebenkläger zur Wiedergutmachung des vom Angeklagten angerichteten Schadens).


Entscheidung

722. BGH 1 StR 723/13 - Beschluss vom 25. Juni 2014 (LG Würzburg)

Anhörungsrüge; Anspruch auf rechtliches Gehör (Verwerfung der Revision durch Beschluss).

Art. 103 Abs. 1 GG; § 349 Abs. 3 StPO; § 356a StPO

Den von Art. 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gewährleisteten Einflussnahmemöglichkeiten eines Revisionsführers ist im Verfahren nach § 349 Abs. 2 StPO durch die gesetzlich zwingend vorgeschriebene Übermittlung der mit Gründen versehenen Antragsschrift der Staatsanwaltschaft bei dem Revisionsgericht (§ 349 Abs. 3 Satz 1 StPO) sowie durch die Möglichkeit einer Gegenerklärung (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO), Genüge getan (BVerfG NStZ 2002, 487, 489).


Entscheidung

736. BGH 2 StR 465/13 - Urteil vom 14. Mai 2014 (LG Frankfurt a. M.)

Verständigung (Unzulässigkeit einer Verständigung, die nicht den gesetzlichen Regelungen entspricht).

§ 257c StPO

Die Regelung des § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO gestattet eine Verständigung nur nach dieser Vorschrift. Danach kommt eine Verständigung in der Hauptverhandlung zustande, wenn das Gericht ankündigt, wie die Verständigung aussehen könnte (§ 257c Abs. 3 Satz 1 StPO), und wenn der Angeklagte sowie die Staatsanwaltschaft zustimmen (§ 257c Abs. 3 Satz 4 StPO).


Entscheidung

724. BGH 2 StR 1/14 - Beschluss vom 15. Mai 2014 (LG Limburg)

Tatrichterliche Beweiswürdigung (in dubio pro reo: mehrere Angeklagte).

§ 261 StPO

In einem Verfahren gegen mehrere Angeklagte können solche Feststellungen, die nach dem Zweifelssatz zu Gunsten eines Angeklagten getroffen werden, nicht Grundlage für Feststellungen zum Nachteil eines anderen Angeklagten sein (vgl. BGH StV 1996, 81). Ist die Tatbeteiligung eines Angeklagten nicht sicher feststellbar und wird dieser deshalb freigesprochen, können daher gleichwohl hinsichtlich eines Mitangeklagten nach dem Zweifelsgrundsatz für diesen günstige Feststellungen geboten sein, die auf der Annahme der Tatbeteiligung des freigesprochenen Mitangeklagten beruhen.