HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

April 2014
15. Jahrgang
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III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

298. BGH 4 StR 496/13 – Urteil vom 16. Januar 2014 (LG Detmold)

Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Darlegungsvoraussetzungen im Urteil; Heilungsaussicht); Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (Verhältnis zur Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt; Hang zur Begehung von erheblichen Straftaten bei Begehung von Gelegenheitstaten); Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht (Gefährdung des Maßregelzwecks bei Weisung, den Wohnort nicht zu verlassen).

§ 64 StGB; § 66 StGB; § 145a Abs. 1 StGB; § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB

1. Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist an die Voraussetzung geknüpft, dass eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Süchtigen zu heilen oder doch über eine gewisse Zeitspanne vor dem Rückfall in die akute Sucht zu bewahren (§ 64 Satz 2 StGB). Erforderlich ist deshalb jedenfalls in Fällen, in denen sich dies angesichts der Feststellungen nicht von selbst versteht, die Darlegung im Urteil, dass sich unter Berücksichtigung der Art und des Stadiums seiner Sucht sowie bereits eingetretener physischer und psychischer Veränderungen und Schädigungen in Persönlichkeit und Lebensumständen des Angeklagten konkret zu benennende Anhaltspunkte dafür finden lassen, dass es innerhalb eines zumindest „erheblichen“ Zeitraums nicht (mehr) zu einem Rückfall kommen wird (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 48).

2. Erweist sich die Ablehnung einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB als rechtsfehlerhaft, so ist damit zugleich einer angeordneten Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung die Grundlage entzogen (§ 72 Abs. 1 StGB; vgl. BGH, NStZ-RR 2012, 106, 107). Nichts anderes gilt im umgekehrten Fall, wenn also das Landgericht von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen hat, weil es rechtsfehlerhaft davon ausgegangen ist, dass der vom Angeklagten ausgehenden Gefahr schon durch die Anordnung einer Maßnahme nach § 64 StGB und eine erfolgreiche Therapie begegnet werden kann.

3. Liegen die Voraussetzungen sowohl des § 66 StGB als auch des § 64 StGB vor, erfordert das Absehen von der Sicherungsverwahrung im Hinblick auf die Unterbringung nach § 64 StGB ein hohes Maß an prognostischer Sicherheit, dass mit der alleinigen Unterbringung gemäß § 64 StGB die vom Angeklagten ausgehende Gefahr beseitigt werden kann (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ-RR 2011, 204). Unsicherheiten über den Erfolg der milderen Maßnahme müssen dagegen – bei Vorliegen der Voraussetzungen im Übrigen – zur kumulativen Anordnung der Maßregeln führen (§ 72 Abs. 2 StGB; vgl. auch BGH NStZ-RR 2012, 106).

4. Die Neigung immer wieder straffällig zu werden, wenn sich die Gelegenheit bietet, kann auch bei sogenannten Gelegenheits- und Augenblickstaten zu bejahen sein (vgl. BGH NStZ-RR 2011, 77). Die Anwendung des § 66 StGB unter dem Gesichtspunkt des Spontan- oder Gelegenheitscharakters der Tat ist lediglich dann ausgeschlossen, wenn eine äußere Tatsituation oder Augenblickserregung die Tat allein verursacht hat (vgl. BGH NStZ 2007, 114).


Entscheidung

280. BGH 1 StR 10/14 – Beschluss vom 12. Februar 2014 (LG München I)

Minder schwerer Fall des Totschlags (Verhältnis zu sonstigen Strafmilderungsgründen); Beweiswürdigung des Tatrichters (Bedeutung von Sachverhalten, die aufgrund des Zweifelssatzes anzunehmen sind).

§ 213 StGB; § 49 Abs. 1 StGB; § 261 StPO

1. Führt die Anwendung des § 49 Abs. 1 StGB zu einem milderen Strafrahmen als die Annahme eines minder schweren Falles unter Verbrauch von vertypten Milderungsgründen, so ist der Tatrichter zwar nicht von vornherein gehalten, bei der Bemessung der Strafe von dem milderen Strafrahmen aus-

zugehen. Er hat vielmehr im Rahmen einer Gesamtabwägung zu prüfen und darzulegen, welchen Strafrahmen er nach den konkreten Umständen des Einzelfalls für angemessen hält.

2. Auch in den Fällen, in denen unter Anwendung des Zweifelssatzes von einem bestimmten Sachverhalt auszugehen ist, ist dieser Sachverhalt bei der rechtlichen Würdigung von der gleichen Bedeutung, wie ein zur Überzeugung des Gerichts festgestellter (vgl. BGH NStZ-RR 2000, 166).


Entscheidung

274. BGH 4 StR 551/13 – Beschluss vom 11. Februar 2014 (LG Paderborn)

Anordnung über die Anrechnung erfüllter Bewährungsauflagen (Ausschluss im Jugendstrafrecht).

§ 58 Abs. 2 Satz 2 StGB; § 56f StGB; § 31 JGG; § 354 Abs. 1 StPO

Anders als bei einer nachträglich gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe im Erwachsenenstrafrecht ist bei der Anwendung von Jugendstrafrecht für einen die Strafvollstreckung verkürzenden Ausspruch durch die Anrechnung von Bewährungsleistungen kein Raum, wenn eine Verurteilung zu Jugendstrafe mit Bewährung nachträglich in eine Verurteilung zu einer Einheitsjugendstrafe ohne Bewährung einbezogen wird (BGHSt 49, 90). Erbrachte Bewährungsleistungen können und müssen jedoch gegebenenfalls – wenn sie unter Berücksichtigung des Gewichts der Tat, des Umfangs der erbrachten Bewährungsleistungen und der übrigen Umstände des Einzelfalles Rückschlüsse auf den bestehenden Erziehungsbedarf zulassen – bei der Strafzumessung berücksichtigt werden (vgl. BGH aaO S. 93).


Entscheidung

285. BGH 1 StR 601/13 – Beschluss vom 12. Februar 2014 (LG Essen)

Nachträglich gebildete Gesamtstrafe (Höhe einer Gesamtfreiheitsstrafe; Anrechnung von zur Erfüllung von Bewährungsauflagen geleisteten Geldleistungen).

§ 55 Abs. 1 StGB; § 58 Abs. 2 StGB; § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB; § 56b Abs. 2 Satz 1 StGB

1. Eine nachträglich gebildete Gesamtfreiheitsstrafe darf nicht höher sein als die Summe aus der alten Gesamtfreiheitsstrafe und der hinzukommenden Einzelstrafe (vgl. BGHSt 15, 164, 166).

2. Entfällt die Strafaussetzung zur Bewährung wegen nachträglicher Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wird, so sind Geldleistungen, die der Verurteilte zur Erfüllung von Auflagen nach § 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 4 StGB erbracht hat, gemäß § 58 Abs. 2 i.V.m. § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB in aller Regel auf die Strafe anzurechnen; es ist nur in eng begrenzten Ausnahmefällen denkbar, dass eine Anrechnung der erbrachten Leistungen unterbleiben kann (vgl. BGHSt 36, 378, 381 mwN).