HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Februar 2014
15. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

123. BGH 1 StR 544/13 - Beschluss vom 20. November 2013 (LG Nürnberg-Fürth)

BGHR; Bestimmtheit der Verweisung auf eine veraltete Umsatzsteuerrichtlinie im Rahmen der Steuerhinterziehung (harmonisierte Verbrauchsteuern für Waren; Gesetzlichkeitsprinzip).

Art. 103 Abs. 2 GG; § 370 Abs. 6 Satz 2 AO; Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG; Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG

1. Die Verweisung in § 370 Abs. 6 Satz 2 AO in ihrer geltenden Fassung wie in ihren früheren Fassungen auf unionsrechtliche Vorschriften dient lediglich der begrifflichen Konkretisierung der im Gesetz genannten „harmonisierten Verbrauchsteuern für Waren“. Für diesen Zweck kommt es auf die Geltung der unionsrechtlichen Vorschrift nicht an. (BGHR)

2. Der Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG) ist nicht verletzt, wenn eine Begriffskonkretisierung von Straftatbestandsmerkmalen durch Verweisung auf eine inhaltlich eindeutige Rechtsvorschrift erfolgt, die nicht (mehr) in Kraft ist. (BGHR)

3. In der Konsequenz wirkt die vom deutschen Gesetzgeber gewählte Technik der Begriffskonkretisierung durch Verweis auf die Richtlinie 92/12/EWG für im Zeitraum 1. April 2010 bis 13. Dezember 2011 begangene Taten allerdings insoweit tatbestandsbeschränkend, als Verbrauchsteuern, die im maßgeblichen Zeitraum zwar harmonisiert waren, die aber nicht in Art. 3 Abs. 1 der in Bezug genommenen Richtlinie 92/12/EWG genannt sind, nicht von § 370 Abs. 1 bis 5 AO erfasst werden. (Bearbeiter)

4. Dies gilt ungeachtet der Regelung in Art. 3 Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom, wonach der in der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 (ABl. EG Nr. L 76 S. 1) genannte Begriff „Mineralöle“ dahin auszulegen ist, dass er neben Mineralölen auch alle Energieerzeugnisse und elektrischen Strom nach Art. 2 der erstgenannten Richtlinie umfasst. (Bearbeiter)


Entscheidung

120. BGH 1 StR 312/13 - Beschluss vom 1. Oktober 2013 (LG Dresden)

Umsatzsteuerhinterziehung durch Umsatzsteuerkarusselle (Streckengeschäfte; buffer; missing trader; innergemeinschaftliche Lieferung; Umsatzsteuervoranmeldung; Umsatzsteuerjahreserklärung; Berichtigungserklärung; Voraussetzungen des Vorsteuerabzuges und unrichtige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen: unionsrechtskonforme Auslegung); Strafzumessung (Strafschärfung bei direktem Vorsatz); Umfang der Urteilsaufhebung (Feststellungen).

§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 AO; § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO; § 15 StGB; § 15 UStG; Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem; § 46 Abs. 3 StGB; § 353 StPO

1. Auch im Kontext des § 370 AO kommt es für die Frage, wann die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug vorliegen müssen, nicht auf den Zeitpunkt der Abgabe der Steueranmeldung an, in welcher der Vorsteuerabzug vorgenommen wird. Vielmehr ist ein Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG grundsätzlich dann zulässig, wenn dessen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Ausführung der Lieferungen bzw. sonstigen Leistungen vorgelegen haben. Eine einmal bestehende Berechtigung zum Vorsteuerabzug fällt auch nicht deshalb nachträglich weg, weil der Unternehmer später von Umständen Kenntnis erlangt, die einem Vorsteuerabzug entgegengestanden hätten, wenn er sie bereits beim Bezug der Waren gekannt hätte. Er wird durch diese nachträgliche Kenntnis auch nicht rückwirkend zum Nichtunternehmer.

2. Im Rahmen der Auslegung des § 15 UStG sind die dieser Vorschrift zugrunde liegende Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem und die hierzu ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zu beachten (richtlinienkonforme Auslegung).

3. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Vorsteuerabzug zu versagen, wenn der Steuerpflichtige – im unionsrechtlichen Sinne – selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder wenn er wusste oder hätte wissen müssen,

dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist und er deswegen als an dieser Hinterziehung Beteiligter anzusehen ist. Demgegenüber wäre es nach der Rechtsprechung des EuGH mit den Regelungen über den Vorsteuerabzug in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie nicht vereinbar, einen Steuerpflichtigen, der weder wusste noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in eine vom Leistenden begangene Steuerhinterziehung einbezogen war oder dass in der Lieferkette bei einem anderen Umsatz, der dem vom Steuerpflichtigen getätigten Umsatz vorausging oder nachfolgte, Mehrwertsteuer hinterzogen wurde, durch die Versagung des Vorsteuerabzugsrechts mit einer Sanktion zu belegen. Wirtschaftsteilnehmer, die alle Maßnahmen treffen, die vernünftigerweise von ihnen verlangt werden können, um sicherzustellen, dass ihre Umsätze nicht in einen Betrug – sei es eine Mehrwertsteuerhinterziehung oder ein sonstiger Betrug – einbezogen sind, dürfen auf die Rechtmäßigkeit dieser Umsätze vertrauen.

4. Gemessen an den unionsrechtlichen Maßstäben hat es für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug keine Bedeutung, ob der Leistungsempfänger, der eine Lieferung noch „in gutem Glauben“ erhalten hat, nachträglich erkennt, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt hat, der in eine anderweit begangene „Mehrwertsteuerhinterziehung“ einbezogen war. Es verstieße auch gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit, wenn einem Unternehmer, der von solchen Umständen zum Zeitpunkt des Leistungsbezuges weder wusste noch hätte wissen müssen, wegen nachträglich eingetretener „Bösgläubigkeit“ rückwirkend das Recht auf den Vorsteuerabzug entzogen werden könnte.

5. Eine Steuerhinterziehung kann aber aus dem Umstand folgen, dass dem Angeklagten schon beim Warenbezug bekannt war, dass die von ihm geleitete Firma in ein Umsatzsteuerkarussell einbezogen war und die Waren von „missing tradern“ bzw. einem „buffer“ erhalten hatte. Damit fehlte es in diesen Fällen an einer zum Vorsteuerabzug berechtigenden Lieferung an diese Unternehmen (vgl. BGH wistra 2011, 264). Indem der Angeklagte in diesen Fällen gleichwohl in den Steueranmeldungen einen Vorsteuerabzug vornimmt, macht er gegenüber den Finanzbehörden unrichtige Angaben.

6. Ob der Leistungsempfänger weiß oder zumindest hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogenen Umsatz beteiligt, hängt von den Gegebenheiten des Einzelfalls ab, die vom Tatgericht in einer Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände zu würdigen sind.

7. Will das Tatgericht zum Nachteil des Angeklagten werten, dass er bei der Steuerhinterziehung mit direktem Vorsatz gehandelt habe, wobei er sich im Wissen um die Zusammenhänge gezielt aus eigenem Gewinnstreben dem Umsatzsteuerkarussellsystem angeschlossen habe, muss hinreichend deutlich werden, ob das Gericht insoweit allein auf die Vorsatzform abgehoben hat oder – was erforderlich ist – eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls vorgenommen hat (vgl. BGHR § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 5).


Entscheidung

96. BGH 1 StR 388/13 - Beschluss vom 5. Dezember 2013

Vorlagebeschluss zu Art. 2 Buchstabe a) der Richtlinie 2001/83/EG (Auslegung von Unionsrecht); unerlaubtes Handeltreiben mit Grundstoffen (Pseudoephedrin); Ersuchen um eine Entscheidung im beschleunigten Verfahren.

§ 267 Abs. 1 AEUV; Art. 2 Buchstabe a) RL 2001/83/EG; § 19 Abs. 1 Nr. 1 GÜG; Art. 53 Abs. 4, 105 Verfahrensordnung des Gerichtshofs der Europäischen Union

1. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung der Verordnung betreffend Drogenausgangsstoffe sowie der Verordnung (EG) zur Festlegung von Vorschriften für die Überwachung des Handels mit Drogenausgangsstoffen zwischen der Gemeinschaft und Drittländern folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Sind Arzneimittel gemäß der Definition der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, die von den Verordnungen (EG) Nr. 273/2004 und (EG) Nr. 111/2005 „erfasste Stoffe“ enthalten, gemäß Art. 2 Buchstabe a) dieser Verordnungen stets von deren Anwendungsbereich ausgenommen, oder ist dies lediglich dann anzunehmen, wenn die Arzneimittel so zusammengesetzt sind, dass sie im Sinne der genannten Verordnungen nicht einfach verwendet oder leicht und wirtschaftlich extrahiert werden können?

2. Der deutsche Wortlaut dieser Vorschriften könnte eher darauf hindeuten, dass vom Anwendungsbereich der Verordnungen Arzneimittel lediglich dann nicht erfasst werden, wenn sie so zusammengesetzt sind, dass die in ihnen enthaltenen, erfassten Stoffe nicht einfach verwendet oder leicht und wirtschaftlich extrahiert werden können.

3. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union schließt es die Notwendigkeit einheitlicher Anwendung und damit Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts aus, sie in einer ihrer Fassungen isoliert zu betrachten, sondern gebietet vielmehr, sie nach dem wirklichen Willen des Urhebers und dem von diesem verfolgten Zweck namentlich im Licht ihrer Fassung in allen anderen Amtssprachen auszulegen.


Entscheidung

104. BGH 2 ARs 319/13 - Beschluss vom 24. Oktober 2013 (BGH)

Unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln (Tateinheit: keine Verklammerung durch zusammenfallende Handlungen des Handeltreibens in Bezug auf mehrere Einfuhrhandlungen, Bewertungseinheit); Anfrageverfahren.

§ 29 Abs. 1 Nr. 1BtMG; § 52 Abs. 1 StGB

1. Der Senat neigt zu der Ansicht, dass auf der Grundlage des ohnehin sehr weit ausgelegten Begriffs des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln die Annahme von Tateinheit nicht noch weiter dahin ausgedehnt werden sollte, dass hierdurch auch mehrere selbständige Einfuhrakte durch Annahme eines einheitlichen Handeltreibens verklammert werden. Es bestehen bereits Bedenken gegen die Annahme, dass allein das zeitliche Zusammentreffen

eines Bezahlungsvorgangs in Bezug auf eine frühere Drogenbeschaffung mit der Abholung der nächsten Lieferung zu einer Bewertungseinheit des Handeltreibens führt.

2. Jedenfalls dann, wenn durch die Annahme einer Bewertungseinheit des Handeltreibens auch eine Mehrzahl von auf selbständigen Tatentschlüssen beruhende Einfuhrhandlungen mit verschiedenen Drogenmengen insgesamt zu einer Tat im Rechtssinn verklammert würde, würde dies nach Ansicht des Senats zu einer zu weit gehenden Verbindung selbständiger Handlungen im strafrechtlichen Sinn führen und den Begriff der Handlungseinheit noch über den der früheren sogenannten fortgesetzten Handlung hinaus ausdehnen.


Entscheidung

159. BGH 3 StR 224/13 - Beschluss vom 15. Oktober 2013 (LG Kleve)

Bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Bewaffnung eines Teilnehmers nicht ausreichend); Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme im Betäubungsmittelstrafrecht; unzureichende tatrichterliche Ausführungen zum Umfang des Aufklärungserfolges bei der Aufklärungshilfe; rechtsfehlerhafte Verfallsanordnung (unzureichende tatrichterliche Erörterungen); Voraussetzungen des erweiterten Verfalls.

§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG; § 31 BtMG; § 25 StGB; § 73 StGB; § 73a StGB; § 73d StGB

Die Bewaffnung im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG ist ein tatbezogenes Merkmal, so dass nicht nur derjenige, der unmittelbaren Zugriff etwa auf eine Schusswaffe hat, Täter eines Verbrechens nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG sein kann; vielmehr kann die vom gemeinsamen Tatplan umfasste Bewaffnung eines Mittäters den anderen Tätern nach allgemeinen Grundsätzen gemäß § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden. Nach dem Wortlaut der Norm, nach dem „der Täter“ die Waffe mit sich führen muss, ist die Bewaffnung eines Teilnehmers hingegen nicht ausreichend; das Mitsichführen einer Waffe durch den Gehilfen des Rauschgifthändlers führt demnach grundsätzlich weder bei diesem noch beim Haupttäter zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG.


Entscheidung

118. BGH 4 StR 469/13 - Beschluss vom 18. Dezember 2013 (LG Bielefeld)

Rücktritt vom Versuch (beendeter Versuch: Vorstellungsbild des Täters); bewaffnetes unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Vorliegen des qualifizierenden Umstandes in der Beendigungsphase).

§ 24 Abs. 1 S. 2 StGB; § 22 StGB; § 23 Abs. 1 StGB; § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG

Setzt sich die Tat des bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln aus mehreren Einzelakten zusammen, so reicht es nach ständiger Rechtsprechung zur Tatbestandserfüllung aus, wenn der qualifizierende Umstand des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG auch nur bei einem Einzelakt verwirklicht ist. Der Qualifikationstatbestand ist auch dann erfüllt, wenn die Waffe erst zwischen Vollendung und Beendigung der Tat mitgeführt wird.


Entscheidung

132. BGH 2 StR 455/13 - Beschluss vom 13. November 2013 (LG Erfurt)

Anstiftung zur versuchten gefährlichen Körperverletzung (Bedeutung der Tatvollendung); Voraussetzungen der Jugendstrafe (schädliche Neigungen).

§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB; § 26 StGB; § 22 StGB

Schädliche Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG sind erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel, die ohne längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründen. Sie können in der Regel nur bejaht werden, wenn erhebliche Persönlichkeitsmängel, aus denen sich eine Neigung zur Begehung von Straftaten ergibt, schon vor der Tat angelegt waren. Die schädlichen Neigungen müssen auch noch zum Urteilszeitpunkt bestehen.