HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Dezember 2013
14. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Eine Europäische Staatsanwaltschaft nach den Vorstellungen der Europäischen Kommission

Von Prof. Dr. Anette Grünewald, Humboldt-Universität zu Berlin

I. Einführung

Am 17. Juli 2013 hat die Europäische Kommission einen Verordnungsvorschlag zur Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft vorgelegt (im Folgenden: VO-EStA)[1]. Völlig überraschend kam dieser Schritt nicht. Der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Durão Barroso, hat ihn im letzten Jahr, in seiner Rede zur Lage der Union vom 12. September 2012, angekündigt: "Wir sind dem Grundsatz der Rechtstaatlichkeit verpflichtet. Aus diesem Grund möchten wir – wie in den Verträgen vorgesehen – eine Europäische Staatsanwaltschaft schaffen. In Kürze werden wir einen Vorschlag dazu vorlegen."[2] Darüber hinaus stellte die Kommission schon im Jahr 2010 in ihrem "Aktionsplan zur Umsetzung des Stockholmer Programms" in Aussicht, "die Arbeiten an einer europäischen Staatsanwaltschaft[… voranzutreiben]".[3] Erste Überlegungen, eine Europäische Staatsanwaltschaft einzurichten, reichen freilich wesentlich weiter zurück. Bereits Ende der 1990er Jahre enthielt das "Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union", das von Strafrechtsexperten auf Veranlassung des Europäischen Parlaments und der Kommission erarbeitet wurde, Bestimmungen zur Schaffung, Organisation und Funktion einer Europäischen Staatsanwaltschaft (Art. 18 ff.).[4] Diese Erwägungen fanden wenig später Eingang in das "Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft", welches die Europäische Kommission im Jahr 2001 vorgestellt hat.[5] Dass diese Pläne auf ungeteilte oder breite Zustimmung gestoßen sind,[6] lässt sich nicht sagen.[7] Eine Umsetzung der Vorschläge war indes schon

deshalb nicht ohne weiteres möglich, weil nach dem damals geltenden EG-Vertrag keine Rechtsgrundlage für die Schaffung eines solchen supranationalen Strafverfolgungsorgans vorhanden war; der Vertrag hätte also geändert werden müssen.[8] Diese Situation hat sich mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 grundlegend geändert. In Art. 86 I S. 1 AEUV heißt es: "Zur Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union kann der Rat gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren durch Verordnungen ausgehend von Eurojust eine Europäische Staatsanwaltschaft einsetzen." Von dieser Kompetenznorm – die die Einrichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft zwar gestattet, aber keine Pflicht dazu enthält – hat die Kommission nun Gebrauch gemacht. Bei der ausgesprochen dynamischen Entwicklung, die die Europäische Union auszeichnet, war es nur eine Frage der Zeit, wann die Kommission einen entsprechenden Verordnungsentwurf vorlegt.[9] Dabei sind die Ziele ehrgeizig: Die Europäische Staatsanwaltschaft soll am 1. Januar 2015 ihre Arbeit aufnehmen.[10] Im Jahr 2023 soll sie "ihren normalen Arbeitsrhythmus erreichen" und mit 235 Bediensteten personell voll ausgestattet sein.[11] Ob diese Vorstellungen realistisch sind, ist sehr die Frage. So sind die Hürden für die Etablierung einer unionsweit agierenden Europäischen Staatsanwaltschaft keineswegs gering. Nach Art. 86 I S. 2 AEUV ist ein einstimmiger Beschluss des Rates nach Zustimmung des Europäischen Parlaments nötig. Wegen starker Vorbehalte einiger Mit-gliedstaaten gegen ein derartiges Vorhaben[12] ist kaum zu erwarten, dass ein solcher Beschluss zustande kommt. Art. 86 I UA 3 AEUV eröffnet jedoch für diesen Fall die Möglichkeit, eine Europäische Staatsanwaltschaft im Wege einer verstärkten Zusammenarbeit einzusetzen, wofür mindestens neun Mitgliedstaaten erforderlich sind. Und dass dieses Ziel erreichbar ist, erscheint keinesfalls unwahrscheinlich.

II. Der Verordnungsvorschlag im Überblick

Der vorgelegte Verordnungsentwurf dürfte wenig Überraschendes enthalten für diejenigen, die die Diskussion um die Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft von Beginn an verfolgt oder sogar daran teilgenommen haben. So finden sich die Kernaussagen der Regelung schon im Grünbuch, einige davon bereits im Corpus Juris. Bevor auf diese eingegangen wird, sei zunächst noch ein kurzer Blick auf die Ermächtigungsnorm geworfen: Art. 86 II AEUV umreißt das Tätigkeitsfeld der Europäischen Staatsanwaltschaft. Diese ist zuständig für die strafrecht-liche Untersuchung und Verfolgung von Personen, die als Täter oder Teilnehmer Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union begangen haben. Hierzu zählt es, die Anklage zu erheben sowie im Weiteren die Rolle der Staatsanwaltschaft vor den zuständigen Gerichten der Mitgliedstaaten zu übernehmen. Was die Verordnung zur Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft inhaltlich regeln muss, gibt Art. 86 III AEUV vor. Danach müssen "die Satzung der Europäischen Staatsanwaltschaft, die Einzelheiten für die Erfüllung ihrer Aufgaben, die für ihre Tätigkeit geltenden Verfahrensvorschriften sowie die Regeln für die Zulässigkeit von Beweismitteln und für die gerichtliche Kontrolle der von der Europäischen Staatsanwaltschaft bei der Erfüllung ihrer Aufgaben vorgenommenen Prozesshandlungen" in ihr festgelegt werden. Der vorgelegte Verordnungsentwurf besteht aus 75 Artikeln. Dass im Rahmen dieses Beitrags eine umfassende Auseinandersetzung mit diesen Vorschriften nicht geleistet werden kann, dürfte sich von selbst verstehen. Ziel soll es sein, einige zentrale Aspekte des Verordnungsvorschlags herauszugreifen und kritisch zu erörtern.

1. Eine Europäische Staatsanwaltschaft "ausgehend von Eurojust"

Nach Art. 86 I S. 1 AEUV ist die Europäische Staatsanwaltschaft "ausgehend von Eurojust" einzusetzen. In der Literatur besteht Uneinigkeit darüber, was hiermit genau gemeint ist, mithin in welchem institutionellen und funktionellen Verhältnis Europäische Staatsanwaltschaft und Eurojust zueinander stehen sollen.[13] Einige Autoren vertreten die Auffassung, die Europäische Staatsanwaltschaft sei nicht als "aliud", sondern als eine Fortentwicklung zu Eurojust zu kreieren.[14] Selbst für den Fall, dass eine Europäische Staatsanwaltschaft zunächst als zusätzliche Institution zu Eurojust geschaffen werde, solle Eurojust auf längere Sicht in einer Europäischen Staats-

anwaltschaft aufgehen.[15] Der vorgelegte Verordnungsentwurf verfolgt allerdings (zunächst) das "Aliud-Modell". Hiernach wird die Europäische Staatsanwaltschaft als "eigen-ständige"[16] und "neue Einrichtung der Union"[17] geschaffen, die mit Rechtspersönlichkeit ausgestattet ist (Art. 3 I und II VO-EStA).[18] Um besser zu erfassen, in welche Beziehung beide Institutionen zueinander gesetzt werden, empfiehlt es sich, ergänzend den "Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Agentur der Europäischen Union für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (Eurojust)" heranzuziehen.[19] Dieser Verordnungsvorschlag wurde zeitgleich mit dem zur Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft vorgestellt. Aus beiden Entwürfen ergibt sich, dass die Europäische Staatsanwaltschaft eng mit Eurojust zusammenarbeiten soll. "Die Europäische Staatsanwaltschaft", heißt es in Art. 57 VI S. 1 VO-EStA, "ist auf die Unterstützung und Ressourcen der Verwaltung von Eurojust angewiesen". Dies zielt auf den "Bereich der operativen Tätigkeit, der Verwaltung und des Managements".[20] Personenidentität besteht zwischen den Mitgliedern von Eurojust und der Europäischen Staatsanwaltschaft nicht, und in Art. 3 I S. 2 VO-Eurojust werden die Zuständigkeitsbereiche voneinander abgegrenzt. Danach ist Eurojust nicht zuständig für die Verfolgung von Straftaten, die in den Zuständigkeitsbereich der Europäischen Staatsanwaltschaft fallen.[21] Zwischen beiden Einrichtungen besteht also, fasst man es knapp zusammen, ein enges Arbeits- und Kooperationsverhältnis, wobei insbesondere Eurojust die Aufgabe zufällt, die Europäische Staatsanwaltschaft bei ihrer Tätigkeit zu unterstützen (Art. 41 II ff. VO-Eurojust).[22] Darüber hinaus ist Eurojust noch ein weiteres und eigenes Aufgabenfeld zugewiesen, sofern es nämlich um Straftaten geht, die nicht die finanziellen Interessen der Union betreffen.[23]

2. Personale Zusammensetzung

An der Spitze der Europäischen Staatsanwaltschaft steht der Europäische Staatsanwalt. Er leitet die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft und organisiert deren Arbeit (Art. 6 II S. 1 VO-EStA). Zur Seite gestellt werden ihm vier Stellvertreter, die seine Arbeit unterstützen (Art. 6 II S. 2 VO-EStA). Die Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen der Europäischen Staatsanwaltschaft werden sodann von abgeordneten Europäischen Staatsanwälten unter der Leitung und Aufsicht des Europäischen Staatsanwalts wahrgenommen (Art. 6 IV S. 1 VO-EStA). Damit steht das Hauptpersonal der Europäischen Staatsanwaltschaft fest: Dieses umfasst "einen Europäischen Staatsanwalt, seine[vier]Stellvertreter[…]sowie die Abgeordneten Europäischen Staatsanwälte in den Mitgliedstaaten" (Art. 6 I VO-EStA). Jeder Mitgliedstaat muss mindestens einen Staatsanwalt zur Europäischen Staatsanwaltschaft abordnen (Art. 6 V S. 1 VO-EStA). Bei der Durchführung von Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen, die dem abgeordneten Europäischen Staatsanwalt vom Europäischen Staatsanwalt übertragen werden, unterliegt er ausschließlich dessen Weisungsrecht (Art. 6 V S. 2 VO-EStA). Dem Europäischen Staatsanwalt kommt neben der Befugnis, Weisungen zu erteilen, ein Devolutiv- und ein Substitutionsrecht zu (Art. 6 IV S. 2 sowie Art. 16 II und 18 V VO-EStA), wie sie aus den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten bekannt sind. Soweit abgeordnete Europäische Staatsanwälte Aufgaben der Europäischen Staatsanwaltschaft wahrnehmen, sind sie von den einzelstaatlichen Strafverfolgungsbehörden "vollständig unabhängig und haben ihnen gegenüber keinerlei Verpflichtungen" (Art. 6 V S. 3 VO-EStA). Aus dieser Einschränkung geht bereits hervor, dass die abgeordneten Europäischen Staatsanwälte nicht ausnahmslos für die Europäische Staatsanwaltschaft tätig sein müssen. Vielmehr dürfen sie zusätzlich mit Aufgaben der Staatsanwaltschaft ihrer Mitgliedstaaten befasst werden (Art. 6 VI S. 1 VO-EStA). Folge hiervon ist, dass die abgeordneten Europäischen Staatsanwälte zwei Vorgesetzten unterstellt sind, die beide weisungsbefugt sind. Wenngleich es auch Gründe für diese duale Konzeption gibt, wäre es wohl günstiger, in jedem Fall klarer gewesen, den Tätigkeitsbereich abgeordneter Europäischer Staatsanwälte auf die Europäische Staatsanwaltschaft zu beschränken[24]; nicht zuletzt weil die Europäische Staatsanwaltschaft als eine unabhängige Institution konzipiert ist (Art. 5 I und II VO-EStA).[25] Diese Begrenzung könnte auch eher eine hinreichende Spezialisierung auf Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Union gewährleisten, die wegen der Komplexität dieser Fälle unerlässlich erscheint.[26] Hinzu kommt, dass sich für abgeordnete Europäische Staatsanwälte eine längerfristige Perspektive bietet. So beträgt deren Amtszeit fünf Jahre und ist verlängerbar (Art. 10 I S. 2 VO-EStA), wohingegen die Amtszeit des Europäischen Staatsanwalts wie seiner vier Stellvertreter acht Jahre beträgt, ohne dass

eine Verlängerungsoption existiert (Art. 8 I S. 1 und Art. 9 I VO-EStA).[27]

3. Dezentrale Struktur

Ein elementares Kennzeichen der Europäischen Staatsanwaltschaft ist deren dezentrale Struktur (Art. 3 I VO-EStA). Nach der Vorstellung der Kommission sind es in erster Linie die abgeordneten Europäischen Staatsanwälte, die in ihren jeweiligen Mitgliedstaaten die Ermittlungstätigkeit im Vorverfahren mit dem Personal der Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten durchführen (Art. 18 I VO-EStA). Hierbei haben die abgeordneten Europäischen Staatsanwälte unparteiisch zu sein und belastende wie entlastende Beweise gleichermaßen zu berücksichtigen (Art. 11 V VO-EStA). Darüber hinaus erheben sie die Anklage und vertreten diese im Hauptverfahren (Art. 27 I VO-EStA), falls es nicht zu einer Einstellung oder zu einem Vergleich kommt (Art. 28 und 29 VO-EStA).[28] Da ein europäisches Strafverfahrensrecht nicht vorhanden ist und zudem (derzeit) nicht erwogen wird, ein solches einzuführen, werden die abgeordneten Europäischen Staatsanwälte nach dem Strafverfahrensrecht ihrer Mitgliedstaaten tätig. Den Vorzug dieser Lösung sieht die Kommission in einer Schonung der Rechtssysteme der Mitgliedstaaten, weil Eingriffe in deren Verfahrensordnungen so weit wie möglich vermieden würden. Zugleich werde auf diese Weise dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung getragen (Art. 5 IV EUV).[29] Dieses Modell mag auf den ersten Blick durch seine formal minimalistische Ästhetik bestechen. In der Sache geht es darum, ein "neues unionsweites Strafverfolgungssystem"[30] zu etablieren (Art. 25 I VO-EStA), ohne ein neues unionsweites Strafverfahrensrecht zu schaffen. Im Weiteren setzt dies die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung im Strafverfahren voraus, wonach strafrechtliche Entscheidungen, die in einem Mit-gliedstaat (rechtmäßig) getroffen werden, in den anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen sind.[31] Denn nur auf diese Weise lässt sich die gewünschte Effizienz bei der Verfolgung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union auch erreichen, welche das maßgebliche Anliegen des Verordnungsvorschlags ist.[32]

4. Ermittlungsbefugnisse

In Art. 26 I lit. a – u VO-EStA findet sich eine Auflistung von Ermittlungsmaßnahmen, die der Europäischen Staatsanwaltschaft zur Verfügung stehen und die zudem aus den einzelstaatlichen Strafverfahrensordnungen bekannt sind.[33] Die Voraussetzungen, von denen die Anordnung und Durchführung der jeweiligen Maßnahme abhängt, regelt der Verordnungsentwurf nicht. Insoweit wird auf das Recht der Mitgliedstaaten verwiesen. Hierzu heißt es in Art. 26 II VO-EStA: "Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die in Absatz 1 genannten Maßnahmen im Rahmen der Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen der Europäischen Staatsanwaltschaft angewandt werden können. Für diese Maßnahmen gelten die Voraussetzungen dieses Artikels und des einzelstaatlichen Rechts." Durch Satz 1 soll also zunächst gewährleistet werden, dass die Mitgliedstaaten die in Art. 26 I VO-EStA aufgeführten Ermittlungsbefugnisse in ihren Verfahrensordnungen auch vorsehen. Denn die ordnungsgemäße Anordnung und Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen lässt sich – da ein supranationales Verfahrensrecht nicht existiert – nur nach den einzelstaatlichen Rechtssystemen bemessen. Gleichzeitig stellt Satz 1 damit sicher, dass die Europäische Staatsanwaltschaft unionsweit auf ein festes Ensemble von Ermittlungsbefugnissen zurückgreifen kann. Aus dem weiteren Verweis auf die "Voraussetzungen dieses Artikels" ergibt sich schließlich: Der Passus betrifft – erstens – die besonders eingriffsintensiven Ermittlungsmaßnahmen nach Art. 26 I lit. a – j VO-EStA, zu denen etwa die Durchsuchung von Privatwohnungen, die Überwachung der Telekommunikation und anderes mehr gehören. Art. 26 IV VO-EStA stellt diesbezüglich klar: "Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass für die in Absatz 1 Buchstaben a bis j genannten Ermittlungsmaßnahmen eine Genehmigung der zuständigen Justizbehörde des Mitgliedstaats erforderlich ist, in dem die Maßnahmen durchgeführt werden sollen." Hierdurch wird auf der einen Seite zwar gewährleistet, dass die Durchführung dieser Ermittlungsmaßnahmen, die den Verdächtigen besonders belasten, ohne Genehmigung nicht zulässig ist. Andererseits bedeutet die weite Formulierung "eine Genehmigung der zuständigen Justizbehörde" aber nicht zwingend eine richterliche Genehmigung.[34] Da in Deutschland für den

Einsatz derart gravierender Zwangsmittel eine richterliche Anordnung nötig ist, impliziert dies eine Verschlechterung der Rechtsstellung des Beschuldigten.[35] Zweitens folgt aus Art. 26 V VO-EStA, dass bei den weniger eingriffsintensiven Ermittlungsmaßnahmen nach Art. 26 I lit. k – u VO-EStA "eine richterliche Genehmigung[nur]erforderlich[ist], sofern diese im innerstaatlichen Recht des Mitgliedstaats, in dem die Ermittlungsmaßnahme durchgeführt werden soll, vorgeschrieben ist". Auch hieraus ergeben sich wiederum je nach Mitgliedstaat unterschiedliche Anforderungen bei der Anordnung und Durchführung dieser Maßnahmen. Drittens enthält Art. 26 II S. 3 VO-EStA eine Erweiterung der Ermittlungsbefugnisse. Denn nach dieser Vorschrift sind auch andere als die in Art. 26 I VO-EStA benannten Ermittlungsmaßnahmen zulässig, "wenn sie nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem die Maßnahme durchgeführt werden soll, zur Verfügung[stehen]".[36] Die Europäische Staatsanwaltschaft verfügt nach allem über eine große Flexibilität bei ihrer Ermittlungstätigkeit. So kann sie sich bei der Anordnung und Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen eines multiplen Verfahrens bedienen, da sie prinzipiell die Möglichkeit hat, auf sämtliche Verfahrenssysteme der Mitgliedstaaten zurückzugreifen und diese zu kombinieren.[37] Die Verteidigung, die in komplexen Verfahren, die mehrere Mit-gliedstaaten betreffen, schwerlich in der Lage sein dürfte, alle betroffenen Rechtsordnungen einschließlich deren praktischer Handhabung zu kennen, dürfte dieses unionsweite Strafverfolgungskonzept vor enorme und derzeit kaum zu bewältigende Probleme stellen.[38]

5. Verwertung von Beweismitteln

Die Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen dient maßgeblich dem Zweck, Beweise, die im Hauptverfahren verwertet werden sollen, zu sammeln und zu sichern. Zur "Zulässigkeit von Beweismitteln" regelt Art. 30 I VO-EStA: "Die von der Europäischen Staatsanwaltschaft vor dem Prozessgericht beigebrachten Beweismittel sind ohne Validierung oder ein sonstiges rechtliches Verfahren zulässig – auch wenn das innerstaatliche Recht des Mit-gliedstaats, in dem das Gericht seinen Sitz hat, andere Vorschriften für die Erhebung oder Beibringung dieser Beweismittel enthält –, wenn sich ihre Zulassung nach Auffassung des Gerichts nicht negativ auf die Fairness des Verfahrens oder die Verteidigungsrechte auswirken würde, wie sie in den Artikeln 47 und 48 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sind." Mit anderen Worten: Beweise, die in anderen Mitgliedstaaten erhoben wurden, sind im Hauptverfahren ohne weitere Prüfung als Beweismittel zuzulassen.[39] Es gilt also das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von Ermittlungsmaßnahmen, welches im Ergebnis auf einen "europäischen Beweis" hinausläuft.[40] Beweise werden hiernach wie "fertige Produkte" behandelt, was sie jedoch wegen der unterschiedlichen Strukturen der einzelstaatlichen Verfahrenssysteme nicht sind.[41] Anders als noch im Grünbuch[42] wird die Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der Beweiserhebung im Verordnungsentwurf nicht thematisiert.[43] Als Korrektiv dienen dem Prozessgericht nunmehr Art. 47 und 48 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, mithin vor allem das Fairness-Prinzip und die Verteidigungsrechte. In letzter Konsequenz implizieren diese Vorgaben die Schaffung eines europäischen Strafprozesses sui generis – genau genommen einer schwer überschaubaren Vielzahl von möglichen Strafverfahrenskonzepten.[44] So können zunächst im Stadium des Vorverfahrens, wie bereits erläutert, die Verfahrensordnungen sämtlicher Mitgliedstaaten zur Anwendung kommen und kombiniert werden. Darüber hinaus folgt aus Art. 30 VO-EStA für das Hauptverfahren, dass die Beweisregeln außer Kraft gesetzt werden (können), die in der Rechtsordnung des Mitgliedstaats vorgesehen sind, in dem der Prozess stattfindet. Denn die Anforderungen dieser Rechtsordnung an die Beweiserhebung sollen für die Beweisverwertung keinen Maßstab mehr liefern, sondern es soll vielmehr fingiert werden, dass die Erhebung des Beweises den Anforderungen dieser Rechtsordnung genügt. Die Kommission erläutert hierzu: "Die von der Europäischen Staatsanwaltschaft vor dem Prozessgericht beigebrachten Beweismittel sollten als zulässige Beweismittel anerkannt werden und es sollte daher die Vermutung gelten, dass sie die einschlägigen Anforderungen an Beweismittel nach dem innerstaatlichen Recht des Mitgliedstaats, in dem das Prozessgericht seinen Sitz hat, erfüllen, sofern dabei nach Auffassung dieses Gerichts die Fairness des Verfahrens und die Verteidigungsrechte des Verdächtigen nach der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gewahrt sind. Das Prozessgericht kann die von der

Europäischen Staatsanwaltschaft beigebrachten Beweismittel nicht deshalb als unzulässig ablehnen, weil die Erhebung dieser Art von Beweismitteln nach dem für das Gericht geltenden einzelstaatlichen Recht anderen Bedingungen und Vorschriften unterliegt."[45] Bei diesem Verfahren wird verkannt, dass Beweiserhebung und Beweisverwertung in den einzelstaatlichen Rechtsordnungen jeweils ein kohärentes System zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Wahrheitsfindung[46] darstellen und nicht isoliert nebeneinander stehen und beliebig miteinander verbunden werden können.[47] Daher stellt sich die Frage, wie das erklärte Ziel der Kommission, die Auswirkungen auf die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten so gering wie möglich zu halten,[48] hiermit zusammenpasst. Denn die Eingriffe in die einzelstaatlichen Rechtsordnungen sind gravierend, zumal mit dem Beweisrecht eine Kernmaterie des Strafverfahrens betroffen ist. Man erspart sich durch die Einführung dieses einfach umzusetzenden Verfahrensmodells aber langwierige und mühsame Auseinandersetzungen um ein europäisches Strafverfahrensrecht (supranational oder harmonisiert), das in sich konsistent ist und rechtsstaatlichen Anforderungen genügt.[49] Mit Verweis auf die Fairness-Maxime sowie die weiteren justiziellen Rechte der Charta dürften sich die Probleme jedenfalls nicht lösen lassen, da diese keine hinreichend konkreten Vorgaben enthalten.[50] Als weiteres und damit zweites Korrektiv käme noch Art. 30 II VO-EStA in Betracht. Danach berührt die "Zulassung der Beweismittel[…]nicht die Befugnis der einzelstaatlichen Gerichte, die von der Europäischen Staatsanwaltschaft im Verfahren beigebrachten Beweismittel frei zu würdigen". Ob das Prinzip der freien Beweiswürdigung von den einzelstaatlichen Gerichten dazu eingesetzt wird, Beweiserhebung, die ihren Rechtsordnungen (grob) zuwiderlaufen, auszuhebeln,[51] wird die Praxis zeigen. Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung (von Ermittlungshandlungen) ließe sich auf diese Weise partiell ausschalten, was den Intentionen der Kommission zweifellos widerspricht.

6. Verfahrensrechte des Beschuldigten

Art. 32 I VO-EStA stellt klar: "Die Tätigkeiten der Europäischen Staatsanwaltschaft werden in vollem Einklang mit den in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Rechten Verdächtiger, einschließlich des Rechts auf ein faires Verfahren und der Verteidigungsrechte, durchgeführt." Jedem Beschuldigten oder Verdächtigen stehen sowohl die im innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten als auch die im Unionsrecht vorgesehenen Verfahrensrechte zu (Art. 32 II sowie V VO-EStA). Zu letzteren gehören das Recht auf Dolmetscherleistung und Übersetzung,[52] auf Belehrung oder Unterrichtung und Einsicht in die Verfahrensakte,[53] auf Rechtsbeistand und auf Kontaktaufnahme zu Dritten und deren Benachrichtigung im Falle der Festnahme, auf Aussageverweigerung und Unschuldsvermutung, auf Vorlage von Beweisen, Benennung von Sachverständigen und Anhörung von Zeugen sowie ein Anspruch auf Prozesskostenhilfe (Art. 32 II lit. a – f VO-EStA). Es mag sein, dass der Verordnungsentwurf mit der Gewährung dieser Rechte ein "bisher nicht erreichtes Schutzniveau für die Angeklagten" enthält.[54] Angesichts der bislang nur völlig unzureichend ausgestalteten Rechtsposition des Beschuldigten[55] heißt dies freilich nicht viel. Zumal sich durch die Zuerkennung der genannten Schutzrechte auch nicht alle Verfahrensdefizite ausgleichen lassen, die der Verordnungsvorschlag für den Beschuldigten enthält. Zu nennen ist hier die schon angesprochene Befugnis der Europäischen Staatsanwaltschaft, Ermittlungsmaßnahmen grundsätzlich in sämtlichen Mitgliedstaaten durchzuführen. Die "Waffengleichheit" rückt hierdurch in weite Ferne, weil der flexibel fungierenden Europäischen Staatsanwaltschaft (jedenfalls derzeit noch) keine gleichermaßen effektiv und wendig arbeitende Strafverteidigung gegenübersteht.[56] Mit Blick auf das Hauptverfahren kommt ferner hinzu, dass sich während des Ermittlungsverfahrens nicht hinreichend absehen lässt, in welchem Mitgliedstaat und damit nach welcher Rechtsordnung dieses stattfinden wird. Art. 27 IV VO-EStA gibt hierzu zwar vor, dass das zuständige Prozessgericht von der Europäischen Staatsanwaltschaft unter Berücksichtigung der folgenden Kriterien auszuwählen ist: a) dem Ort, an dem die Straftat oder im Falle mehrerer Straftaten die Mehrheit der Straftaten begangen wurde; b) dem Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Beschuldigten; c) dem

Ort, an dem sich die Beweismittel befinden; d) dem Ort des gewöhnlichen Aufenthalts der direkten Opfer. Eine Rangfolge impliziert diese Auflistung aber offenbar nicht. Im Verordnungsvorschlag heißt es dazu lediglich: "Das Prozessgericht sollte vom Europäischen Staatsanwalt anhand einer Reihe transparenter Kriterien ausgewählt werden."[57] Die genannten Kriterien mögen für sich genommen durchaus "transparent" sein. Unklar bleibt indes, wie sie zu gewichten sind.[58] Hieraus resultiert zum einen die Möglichkeit des "forum shopping". Zum anderen dürfte die Verteidigung schwerlich in der Lage sein, eine effektive Verteidigungsstrategie zu entwickeln, wenn sich unter Umständen erst mit der Anklageerhebung herausstellt, in welchem Mitgliedstaat der Prozess stattfindet.[59] Als Gegenkonzept zum Vorschlag der Kommission lässt sich ein vor einigen Jahren von Vertretern des Schrifttums einge-brachter Vorschlag anführen: Danach soll "eine frühe Zuständigkeitskonzentration in der Weise erfolgen, dass ein einziger Staat für die Ermittlung und Aburteilung ausschließlich zuständig wird".[60] Dieses Verfahren hätte in der Tat den großen Vorteil, dass "nur ein einziges Verfahrensrecht" zur Anwendung kommt.[61] Fraglich erscheint allerdings die Praktikabilität des Vorschlags. So lässt sich bei Fällen, die mehrere Mitgliedstaaten betreffen, vielfach nicht frühzeitig abschätzen, in welchem Mitgliedstaat der Prozess sinnvollerweise geführt werden sollte. Hierin zeigt sich einmal mehr, dass eine adäquate Lösung der Probleme wohl nur über ein europäisches Strafverfahrensrecht zu erreichen ist.

7. Gerichtliche Kontrolle

Es existieren weder ein europäischer Ermittlungsrichter oder eine europäische Vorverfahrenskammer ("pre-trial chamber")[62] noch ein europäisches Strafgericht[63], welche die gerichtliche Kontrolle der Europäischen Staatsanwaltschaft übernehmen könnten. Insofern bleibt nur die Möglichkeit, die Kontrolle den einzelstaatlichen Gerichten zu übertragen.[64] Dementsprechend bestimmt Art. 36 I VO-EStA: "Bei der Annahme verfahrensrechtlicher Maßnahmen in Wahrnehmung ihrer Aufgaben gilt die Europäische Staatsanwaltschaft zum Zwecke der gerichtlichen Kontrolle als einzelstaatliche Behörde." Hieraus folgt eine gewisse strukturelle Ambivalenz: Die Europäische Staatsanwaltschaft ist zwar eine supranationale Einrichtung; sie wird aber, soweit es um ihre gerichtliche Kontrolle geht, wie eine nationale Behörde behandelt.[65] Im Verordnungsentwurf führt die Kommission ergänzend aus, dass "Handlungen [der Europäischen Staatsanwaltschaft]für Zwecke der gerichtlichen Kontrolle nicht als Handlungen einer Einrichtung oder sonstigen Stelle der Union angesehen werden[sollten], so dass keine unmittelbare Zuständigkeit der Unionsgerichte nach den Artikeln 263, 265 und 268 AEUV gegeben ist".[66] Ob nationale Gerichte in der Lage sind, eine supranationale Einrichtung wirksam zu kontrollieren, ist äußerst fraglich. Bedenken ergeben sich aus der begrenzten Perspektive und Prüfungskompetenz.[67] Nimmt man zunächst das Vorverfahren, so entscheidet der Ermittlungsrichter (oder die "zuständige Justizbehörde") eines Mitgliedstaates lediglich über die Zulässigkeit von Ermittlungsmaßnahmen, die in seinem (bzw. ihrem) Mitgliedstaat durchgeführt werden. Da in grenzüberschreitenden Fällen Zwangsmaßnahmen üblicherweise in mehreren Mitgliedstaaten vorgenommen werden, entscheiden mehrere Ermittlungsrichter (respektive Justizbehörden). Hieraus resultiert eine "‘Parzellierung‘ des Rechtsschutzes".[68] Den Ermittlungsrichtern fehlt regelmäßig der Überblick über sämtliche Zwangsmaßnahmen, die durchgeführt werden, weshalb sie deren "Kumulationswirkung" auch nicht berücksichtigen können.[69] Im Hauptverfahren schließlich wird die gerichtliche Prüfungskompetenz durch die bereits erläuterten Vorgaben zur Zulassung von Beweismitteln begrenzt (oben zu 5.).

III. Fazit

Ob die Einschätzung der Kommission zutrifft, wonach die Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft zur "effektiven Bekämpfung" von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Union er-

forderlich ist[70], wurde hier nicht weiter hinterfragt[71]. Selbst wenn man davon ausgeht, dass dies der Fall ist, dann lässt sich dem Vorschlag der Kommission nicht folgen. Wesentlicher Bestandteil dieses Vorschlags ist es, Elemente eines Strafrechtssystems mit Elementen eines anderen oder auch verschiedener anderer Strafrechtssysteme zu verbinden. Für ein solches Verfahren sind die Prozessrechtssysteme der einzelnen Mitgliedstaaten jedoch (noch) zu unterschiedlich.[72] Insofern liegt das Hauptproblem des Vorstoßes der Kommission darin, dass eine europäische Strafverfolgungsbehörde bzw. ein europäischer Strafverfolgungsraum geschaffen werden soll, ohne dass es hierfür eine hinreichende, nämlich rechtsstaatlichen Anforderungen genügende verfahrensrechtliche Grundlage gibt.


[1] COM (2013) 534 final.

[2] Barroso, Rede zur Lage der Union 2012 (Speech/12/596), S. 11.

[3] KOM (2010) 171 endg., S. 5 f., 20.

[4] Delmas-Marty (Hrsg.), Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union (1998) sowie die überarbeitete Fassung: Corpus Juris (2000, Fassung Florenz).

[5] KOM (2001) 715 endg.

[6] In der Follow-Up-Mitteilung zum Grünbuch hält die Kommission fest, dass die "Mehrheit der Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft grundsätzlich positiv" gegenüberstehe; KOM (2003) 128 endg., S. 5.

[7] Eingehende Analyse des Grünbuchs bei Biehler/Gleß/Parra/Zeitler, Strafrechtlicher Schutz der finanziellen Interessen der EG und Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft – Analyse des Grünbuchs der Europäischen Kommission (2002). – Kritisch zum Vorschlag, eine Europäische Staatsanwaltschaft einzurichten, insbesondere Böse, in: Schwarze (Hrsg.), Der Verfassungsentwurf des Europäischen Konvents: verfassungsrechtliche Grundstrukturen und wirtschaftsverfassungsrechtliches Konzept (2004), S. 151, 157 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht, 4. Aufl. (2012), § 14 Rn. 39 ff.; Scheuermann, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung im geltenden und künftigen Europäischen Strafrecht (2009), S. 106 ff., 137 ff.; befürwortend hingegen Brüner/Spitz NStZ 2002, 393, 396 ff.; Schünemann (Hrsg.), Alternativentwurf Europäische Strafverfolgung (2004), S. 5 ("unbedingt notwendig"); Radtke GA 2004, 1, 13 f.; Lingenthal ZEuS, 2010, 79, 102 ff.

[8] Was die Kommission seinerzeit auch vorschlug; zum neu einzuführenden Art. 280a EGV vgl. KOM (2000) 608 endg., S. 7 ff.

[9] Vgl. schon die Prognosen von Böse (Fn. 7), S. 151, 160, und Lingenthal ZEuS 2010, 79, 109.

[10] So die EU-Justizkommissarin Viviane Reding in einer Pressemitteilung der Kommission vom 17. Juli 2013 (IP/13/709).

[11] Vorgesehen sind 180 Planstellen und 55 Stellen für externes Personal; siehe COM (2013) 534 final, S. 9.

[12] Eingehende Nachweise in KOM (2003) 128 endg., S. 6 mit Anm. 22, 23.

[13] Vgl. Dannecker, in: Streinz (Hrsg.): EUV/AEUV, 2. Aufl. (2012), Art. 86 AEUV Rn. 8 f., 15; Vogel, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim: Das Recht der Europäischen Union, Band I, EUV/AEUV (Stand Oktober 2011), Art. 86 AEUV Rn. 14 ff.; Lingenthal ZEuS 2010, 79, 97 ff.

[14] Suhr, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. (2011), Art. 86 AEUV Rn. 12; ferner Weigend ZStW 116 (2004), 275, 300, zum Entwurf einer Europäischen Verfassung, und wortgleich Weertz, Der Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (2008), S. 127.

[15] Suhr (Fn. 14), Art. 86 AEUV Rn. 12; Lingenthal ZEuS 2010, 79, 101; dagegen mit beachtlicher Argumentation Vogel (Fn. 13), Art. 86 AEUV Rn. 17.

[16] COM (2013) 534, S. 4.

[17] COM (2013) 534, S. 6.

[18] Ferner COM (2013) 534, S. 6.

[19] COM (2013) 535 final.

[20] COM (2013) 534 final, S. 8, 16 ; Einzelheiten finden sich in Art. 57 VI VO-EStA sowie im konvergenten Art. 41 VII VO-Eurojust.

[21] Der Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich von Eurojust wird positiv formuliert in Art. 2 und 3 VO-Eurojust, wobei insbesondere die im Anhang 1 aufgelisteten Straftaten hinzuzuziehen sind, die als "Formen schwerer Kriminalität" gelten und damit in das Aufgabenfeld von Eurojust fallen, "wenn zwei oder mehr Mitgliedstaaten betroffen sind oder eine Verfolgung auf gemeinsamer Grundlage erforderlich ist" (siehe Art. 2 I VO-Eurojust). Dem ist hier nicht weiter nachzugehen, weil Thema dieses Beitrags der Verordnungsentwurf zur Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft ist.

[22] Weitgehend in diesem Sinne bereits Vogel (Fn. 13), Art. 86 AEUV Rn. 18.

[23] Art. 86 IV AEUV sieht zwar die Möglichkeit einer Erweiterung der Befugnisse der Europäischen Staatsanwaltschaft "auf die Bekämpfung der schweren Kriminalität mit grenzüberschreitender Dimension" vor (vgl. in diesem Zusammenhang auch Fn. 21); diese Kompetenznorm wurde aber bislang nicht in Anspruch genommen.

[24] Ausführlich Biehler/Gleß/Parra/Zeitler (Fn. 7), 8 ff.; ferner Weertz (Fn. 14), S. 138 f.

[25] Siehe ferner COM (2013) 534 final, S. 6, 11 und 12.

[26] Biehler/Gleß/Parra/Zeitler (Fn. 7), 8 f., betrachten die fachliche Spezialisierung "sogar als conditio sine qua non für eine effiziente und erfolgreiche Arbeit der Europäischen Staatsanwaltschaft".

[27] Hauptargument hierfür ist die Gewährleistung der Unabhängigkeit; siehe COM (2013) 534 final, S. 6.

[28] Vgl. ferner COM (2013) 534 final, S. 11 f. (zu 9, 13, 14) . – Eine Einstellung des Verfahrens ist auf Anordnung des Europäischen Staatsanwalts möglich (Art. 27 II S. 2 mit Art. 28 VO-EStA). Einstellungsgründe sind etwa die Unmöglichkeit der weiteren Strafverfolgung (Gründe: Tod des Verdächtigen, Straflosigkeit des Verhaltens, Immunität des Verdächtigen, Ablauf der Verjährungsfrist oder eine bereits erfolgte Aburteilung wegen derselben Tat; Art. 28 I VO-EStA) und die Geringfügigkeit der Tat oder das Fehlen hinreichender Beweise (Art. 28 II VO-EStA). Der Vergleich soll offenbar ausschließlich zwischen Europäischer Staatsanwaltschaft und Verdächtigem stattfinden, mithin ohne Beteiligung eines Gerichts, was auch eine gerichtliche Kontrolle ausschließt (siehe Art. 29 III VO-EStA). Diese Regelung ist wegen des fehlenden Rechtsschutzes des Verdächtigen mehr als problematisch, zumal die Voraussetzungen für einen Vergleich vage sind, wie insbesondere das Merkmal "[wenn]… es der geordneten Rechtspflege dienen würde" zeigt (Art. 29 I S. 1 VO-EStA; vgl. ferner die Begründung des Entwurfs COM[2013]534 final, S. 14[zu 31]).

[29] COM (2013) 534 final, S. 5, 10 f., 12.

[30] So die Worte der Kommission, COM (2013) 534 final, S. 2; vgl. bereits KOM (2001), 715 endg., S. 27, wo von "einem gemeinsamen Ermittlungs- und Strafverfolgungsraum" die Rede ist.

[31] Zur Bedeutung dieses Grundsatzes siehe Art. 82 AEUV; aus der Literatur Ambos, Internationales Strafrecht, 3. Aufl. (2011), § 9 Rn. 12; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 6. Aufl. (2013), § 10 Rn. 24 ff.

[32] Vgl. die vielfachen Hinweise auf Effektivität und Effizienz des Verfahrens: COM (2013) 534 final, S. 2, 5, 11, 13, 57.

[33] Dazu gehören – beispielhaft: Durchsuchung, Sicherstellung, Überwachung des Telekommunikationsverkehrs, Überwachung finanzieller Transaktionen, verdeckte Ermittlungen.

[34] Nicht ganz klar wegen der uneinheitlichen Terminologie; vgl. demgegenüber COM (2013) 534 final, S. 11 (zu 11).

[35] Vgl. hierzu auch die Kritik an solchen Regelungen – konkret bezogen auf die Europäische Beweisanordnung –, weil sie gegen den in Deutschland geltenden Richtervorbehalt verstießen, bei Ambos (Fn. 31), § 12 Rn. 67.

[36] In diesem Kontext ist auf die bereits am Grünbuch geäußerte Kritik von Biehler/Gleß//Parra/Zeitler (Fn. 7), 20, hinzuweisen. Zur unterschiedlichen Ausgestaltung von Ermittlungsmaßnahmen in den Mitgliedstaaten Perron ZStW 112 (2000), 202, 211 ff.; Ligeti, in: Karsai/Nagy/Szomora (Hrsg.), Freiheit, Sicherheit, (Straf-)Recht (2011), S. 157, 171 ff.

[37] Kritisch deshalb Böse (Fn. 7), S. 151, 155; Satzger (Fn. 31), § 10 Rn. 23; ferner Scheuermann (Fn. 7), S. 139 ff.

[38] Scheuermann (Fn. 7), S. 135 ff.; Satzger (Fn. 31), § 10 Rn. 23.

[39] Implizit wird hiermit dem Vorschlag, ein "europäisches Beweiszulassungsverfahren" einzuführen, eine Absage erteilt. Vgl. zu diesem Vorschlag besonders Gleß ZStW 115 (2003), 131, 148 ff.; ferner Radtke GA 2004, 1, 19 ff.; Ambos (Fn. 31), § 13 Rn. 68.

[40] Gleß ZStW 115 (2003), 131, 137, 148; Radtke GA 2004, 1, 8.

[41] Zur Kritik insbesondere Ambos (Fn. 31), § 9 Rn. 12 und § 12 Rn. 61; ders. ZIS 2010, 557, 559 f.; Sieber ZStW 121 (2009), 1, 37; mit instruktiven Beispielen Gleß ZStW 115 (2003), 131, 139 ff.; siehe weiterhin Radtke GA 2004, 1, 7, 16 ff.; Busemann ZIS 2010, 552, 555.

[42] KOM (2001) 715 endg., S. 63 ff.

[43] Dem Kriterium der Rechtswidrigkeit der Beweiserhebung wird für die anschließende Frage der Verwertung des Beweises aber ohnehin keine hinreichende Aussagekraft zugesprochen; siehe Böse ZStW 114 (2002), 148, 150 ff.; Gleß ZStW 115 (2003), 131, 143 ff.; dies., Beweisrechtsgrundsätze einer grenzüberschreitenden Strafverfolgung (2006), S. 172 f.

[44] Satzger (Fn. 31), § 10 Rn. 23, spricht von einem "Patchwork-Strafprozesssystem"; siehe ferner Schünemann, in: ders. (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege (2006), S. 93, 100: "Schaffung eines hybridisierten Strafverfahrensrechts".

[45] COM (2013) 534 final, S. 14 (zu 32).

[46] Dazu, was Wahrheitsfindung im Strafprozess "nur" bedeuten kann, eingehender Gleß (Fn. 43), S. 82 ff.

[47] Gleß ZStW 115 (2003), 131 f., 136 ff., 148 ff.; dies. (Fn. 43), S. 141 f., 267 ff., 288 f.; Sieber ZStW 121 (2009), 1, 37; Ambos (Fn. 31), § 9 Rn. 12, § 12 Rn. 61; Radtke GA 2004, 1, 16 ff.; ferner Wolter, Festschrift für Kohlmann (2003), S. 693, 715.

[48] Siehe COM (2013) 534 final, S. 10 f. sowie S. 5.

[49] Zur Forderung ein solches einzuführen: Gaede ZStW 115 (2003), 845, 876 f. und öfter; Ligeti (Fn. 36), S. 157, 166; Radtke GA 2004, 1, 16, 19 f.; Sieber ZStW 121 (2009), 1, 36 ff.; Ambos (Fn. 31), § 12 Rn. 68; Böse RW 2012, 172, 174 f., sowie bereits Perron ZStW 112 (2000), 202, 210.

[50] Vgl. – wenngleich mit Bezug auf die EMRK – Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht (2002), S. 402 f., 626, 628 f.; Gleß ZStW 115 (2003), 131, 149 ff.; dies. (Fn. 43), S. 189 ff., 425 f., sowie ferner Gaede ZStW 115 (2003), 845, 859.

[51] Zu dieser Vermutung Satzger StV 2003, 137, 141.

[52] Entsprechend der Richtlinie 2010/64/EU vom 20.10.2010, ABlEU 2010 Nr. L 280/1.

[53] Entsprechend der Richtlinie 2012/13/EU vom 22.05.2012, ABlEU 2012 Nr. L 142/1.

[54] So – laut einem Bericht der F.A.Z. vom 7. Oktober 2013, S. 10 – Claudia Korthals, Kommissionsbeamtin in der Generaldirektion Justiz, auf einer Veranstaltung der Strafverteidigervereinigung Nordrhein-Westfalen. Siehe zum Vergleich auch "Draft model rules" (insbes. rule 12-18), abzurufen über www.eppo-projekt.eu/EU model rules (zuletzt abgerufen am 11.11.13).

[55] Siehe nur Satzger (Fn. 31), § 10 Rn. 56 ff., und Arnold HRRS 2008 (Heft 1), 10, 12 ff. Wie mühsam es ist, Fortschritte in diesem Bereich zu erzielen, lässt sich nachlesen bei Vogel/Matt StV 2007, 206 ff.

[56] Darüber, wie eine effiziente Verteidigung in diesen Fällen erreicht und ggf. institutionell abgesichert werden könnte, besteht ein reger Streit. Siehe hierzu die Beiträge von Nestler, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, S. 166 ff., sowie Vogel, ebd., S. 122, 123, 129 ff.; ferner bereits Nestler ZStW 116 (2004), 332, 351 f.; Schünemann ZStW 116 (2004), 376, 388 ff.; Vogel ZStW 116 (2004), 400, 414 ff. Zum Ganzen eingehend und zugleich zusammenfassend Arnold HRRS 2008 (Heft 1), 10, 12 ff.

[57] COM (2013) 534 final, S. 14 (zu 30).

[58] Sämtliche der genannten Kriterien tauchen bereits im Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft auf; siehe KOM (2001) 715 endg., S. 60 f. Dort führt die Kommission aus, dass diese Kriterien "gewichtet werden" müssten. Andererseits soll der Europäischen Staatsanwaltschaft aber ein "Ermessensspielraum" bei der Wahl des Gerichts zustehen, und die Kriterien sollen "nicht in eine Rangfolge gestellt, sondern in Kombination wie ein Bündel von Hinweisen behandelt werden". Was dies bedeutet und was daraus genau folgt, erschließt sich nicht ohne weiteres.

[59] Dezidiert kritisch daher Gaede ZStW 115 (2003), 845, 871, 873 ff.

[60] Schünemann (Fn. 44), S. 93, 100.

[61] Schünemann (Fn. 44), S. 93, 100. Als weitere Alternative könnte man hier an die Anerkennung des Herkunfts-landprinzips denken; vgl. Sieber ZStW 121 (2009), 1, 14.

[62] Zum Vorschlag, einen europäischen Ermittlungsrichter einzuführen und den rechtlichen Umsetzungsmöglich-keiten, jüngst eingehend Böse, RW 2012, 172, 181 ff.; außerdem Satzger StV 2003, 137, 149. Bereits im Corpus Juris war ein sog. Freiheitsrichter ("juge des libertés", "judge of freedoms") vorgesehen, siehe Fn. 4, insbes. Art. 25bis.

[63] Es lässt sich fragen, ob Art. 86 II S. 2 AEUV einer Kontrolle der Europäischen Staatsanwaltschaft durch ein europäisches Gericht nicht entgegensteht. Denn danach nimmt die "Europäische Staatsanwaltschaft[…]vor den zuständigen Gerichten der Mitgliedstaaten die Aufgaben der Staatsanwaltschaft wahr". Im Ergebnis dürfte eine solche Auffassung abzulehnen sein; siehe zu den Gründen ausführlich Böse RW 2012, 172, 190.

[64] Neben der gerichtlichen Kontrolle, mit der sich der Haupttext beschäftigt, besteht eine Rechenschaftspflicht des Europäischen Staatsanwalts. Danach ist der "Europäische Staatsanwalt[…]dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Europäischen Kommission für die allgemeinen Tätigkeiten der Europäischen Staatsanwaltschaft rechenschaftspflichtig, insbesondere durch Vorlage eines Jahresberichts[…]" (Art. 5 III VO-EStA).

[65] Zu solchen "Mischformen", die aus supranationalen und kooperativen Elementen bestehen, siehe Sieber ZStW 121 (2009), 1, 23, 48.

[66] COM (2013) 534 final, S. 8, ferner 15 f.

[67] Siehe hierzu vor allem Böse RW 2012, 172, 180, 187 f.

[68] So Böse RW 2012, 172, 181.

[69] Böse RW 2012, 172, 182; Biehler/Gleß/Parra/Zeitler (Fn. 7), S. 22, 33 f.

[70] Zur Begründung insbesondere COM (2013) 532 final, S. 3 f.

[71] Siehe dazu aber die Nachweise in Fn. 7 sowie Satzger NStZ 2013, 206, bes. 211 ff., mit einem Alternativvorschlag.

[72] Zur Problematik Esser (Fn. 50), S. 4 ff.; Wolter, Festschrift für Kohlmann, S. 693, 715; eingehend bereits Eser ZStW 108 (1992), 86 ff.; Weigend ZStW 104 (1992), 486 ff.; Perron ZStW 112 (2000), 202, 211 ff.; zu den kulturellen Hintergründen instruktiv Hörnle ZStW 117 (2005), 801 ff.