HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

April 2013
14. Jahrgang
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Schrifttum

Ingo Flore/Michael Tsambikakis (Herausgeber): Steuerstrafrecht Kommentar, Carl Heymanns Verlag, 1406 Seiten, 144 €, Köln 2013.

Wenn auch, wie die Herausgeber im Vorwort festhalten, der Markt an Publikationen im Steuerrecht und im Strafrecht allgemein übersättigt ist, so gilt dies nicht für die steuerstrafrechtliche Ausbildungsliteratur. Hier existiert lediglich eine Handvoll seriöser Veröffentlichungen − korrespondierend damit, dass die Materie an den Universitäten (noch) als randseitig wahrgenommen wird und deutlich außerhalb des Pflichtprogramms der beiden Examina liegt: Ein Volljurist muss - nach den aktuellen Prüfungsordnungen - nicht wissen, wo der Straftatbestand der Steuerhinterziehung normiert ist.

Damit kontrastiert die heutige praktische Bedeutung des Steuerstrafrechts. Salditt stellt in seiner "Einführung" zum neuerschienenen Kommentar programmatisch den (bei Joecks entlehnten) Begriff des Klimawandels voran: In einer von medial spektakulären Fällen begleiteten Entwicklung haben Gesetzgeber und Justiz bekanntlich den Umgang mit Steuerstraftätern deutlich verschärft, wobei zuletzt der strafprozessual fragwürdige Ankauf von Daten-CDs sowie die Neuregelung der Selbstanzeige im Fokus standen. Angesichts dieser Sachlage versteht sich, so die Herausgeber im Vorwort, "diese Neukommentierung des Steuerstrafrechts … als Rettungsschirm". Sie "richtet sich an die Praxis", soll nämlich dem "Praktiker im Alltag" ein Arbeitsmittel sein, das in diesem Zuschnitt in der Tat bisher auf dem Markt noch kaum vertreten ist: "der einbändige Kommentar" zum Steuerstrafrecht.

Zweierlei Schwierigkeiten muss ein solcher Kommentar meistern. Zum einen überlagern sich hier mit dem Steuer- und dem Strafrecht zwei Rechtsgebiete in komplexer Weise, die ihrerseits bereits überaus komplex sind (erwähnt seien nur der auch für einen Straftatbestand vergleichsweise sehr komplizierte § 370 AO sowie der im Steuerstrafprozess auf die Spitze getriebene Interessenkonflikt um die Selbstbelastungsfreiheit). Für die Kommentierung bedarf es also steuer- und straf(prozess)rechtlichen Spezialsachverstandes, und zugleich muss ein praxisorientierter Kommentar so gefasst sein, dass er in den jeweiligen Passagen auch dem jeweils nicht spezialisierten Leser verständlich ist. Die Aufgabe ruft die von Staatsanwalt Paravant in Thomas Manns Zauberberg unternommene Quadratur des Kreises in Erinnerung, und es ist beeindruckend, wie weit sie in dieser Neukommentierung bewältigt wird.

Die zweite Schwierigkeit, die insbesondere ein Kommentar zum Steuerstrafrecht meistern muss, liegt darin, dass, wenn auch der Begriff Kommentar es vorgibt, die Materie entlang den Tatbestandsvoraussetzungen der gegenständlichen Normen zu entwickeln, die Darstellung doch auch systematisch klar und konsistent sein soll. Beschränkt man die Kommentierung (konsequent) auf die §§ 369 ff.

AO, so kommt man nicht umhin, die Probleme des strafrechtlichen Allgemeinen Teils im Wesentlichen in die Kommentierung zu § 369 und § 370 AO einzuflechten, was zwar logisch schlüssig, aber nicht unbedingt übersichtlich ist. Flore und Tsambikakis begegnen dieser Schwierigkeit, indem sie wichtige Vorschriften des StGB separat kommentieren lassen. Wie die Umsetzung dieser originellen und einleuchtenden Herangehensweise und allgemein die Überwindung der zweitgenannten Schwierigkeit gelingt, soll im Fokus dieser Besprechung stehen.

Das Werk umfasst in seiner Gesamtanlage drei Teile: "Materielles Steuerstrafrecht", "Steuerstrafverfahrensrecht" und "Steuerrecht als ausfüllende Normen". Der erste Teil untergliedert sich in "1. Kapitel Abgabenordnung" (unterteilt in die Abschnitte "Strafvorschriften" und "Bußgeldvorschriften") und "2. Kapitel Strafgesetzbuch". Das überzeugt im Ganzen; systematisch angreifbar ist der erste Teil indes insofern, als die Vorschriften zu den Steuerstraftaten (im engeren Sinn) auseinandergerissen sind und dass kein - zu erwartendes - Kapitel zum OWiG enthalten ist. Ein systematischer Überblick zu Letzterem findet sich, eher versteckt, in der Anmerkung zu § 377 AO, hier Rn. 31 ff.

Wichtige Strukturierungsfragen stellen sich mit Blick auf die Kommentierung zu § 369 AO. Sachlich sind die dortigen Ausführungen unangreifbar, aber warum etwa die §§ 148 ff. StGB, anders als § 257 StGB, nur im Rahmen der Kommentierung zu § 369 Abs. 1 AO, nicht im "2. Kapitel Strafgesetzbuch" kommentiert werden, bleibt offen. Ebenso, dass bezogen auf § 369 Abs. 2 AO etwa § 1 und die §§ 2 ff. StGB ausführlich erörtert werden und nicht im "2. Kapitel Strafgesetzbuch", wie die §§ 13, 15-17, 22-24, 25-27, 46 ff. und 78 ff. StGB. Auch dass § 14 StGB nicht hier, sondern unter dem Stichwort "Unternehmensstrafrecht" im Rahmen der kommentierenden Einführung in die Bußgeldvorschriften §§ 377 ff. AO erläutert wird, erschließt sich nicht ohne Weiteres.

Prüfstein für die neugewählte Systematik muss sodann die Kommentierung zu § 370 AO sein: Gelingt es, diese mit Blick auf die selbständige Kommentierung der Normen des Strafgesetzbuchs von der Darstellung der AT-Dogmatik zu entlasten? Aufs Ganze gesehen ist die Frage zu bejahen; irritierend wirken indes die Ausführungen in Rn. 32-80, die die strafrechtliche Beteiligungslehre ab ovo angehen ("Das allgemeine Strafrecht unterscheidet verschiedene Täterformen…", Rn. 34) und auch entlegenere Fragen klären (etwa "Die Anstiftung zur Anstiftung…", Rn. 61). Auch dass die Irrtumslehre hier (§ 370 AO Rn. 653-665) und als Kommentierung der §§ 15-17 StGB (im Kapitel Strafgesetzbuch) auf ähnliche Weise und in ähnlichem Umfang dargestellt wird, konterkariert den Zweck der getrennten Darstellung von AO und StGB.

Im "2. Teil Steuerstrafverfahrensrecht" bestehen, bei überzeugender Gesamtanlage, vergleichbare Angriffspunkte: Ist es konsequent, im "1. Kapitel Strafverfahren" die klarstellende Verweisungsnorm § 385 Abs. 1 AO (also Parallelnorm zu § 369 Abs. 2 AO) als Aufhänger für eine Kurzeinführung in das Strafverfahren nach der StPO zu wählen, anstatt, strukturanalog zur Darstellung des materiellen Steuerstrafrechts, die zentralen Vorschriften der StPO separat zu kommentieren? Das kurze "2. Kapitel Bußgeldverfahren" ist schlüssig implementiert und strukturiert. Wie aber sind das "3. Kapitel Steuergeheimnis (§§ 30, 30a AO)", das "4. Kapitel Steuerschuldrecht (§§ 40-42 AO)" oder das "7. Kapitel Steuerfestsetzung (§ 162 AO)" mit ihrer Stellung im "2. Teil Steuerstrafverfahrensrecht" vereinbar, zumal es einen "3. Teil Steuerrecht als ausfüllende Normen" gibt, wohin sie wohl besser passten?

Überhaupt einen solchen "3. Teil" zu bilden, überzeugt wiederum als Strukturierungsidee. Welche Normen des Steuerrechts sind hier nun zu wählen, wie ist dieses überdimensionierte Rechtsgebiet zu repräsentieren? Für die wichtigsten Steuerarten zentrale Einzelvorschriften (§ 4 EStG, § 8 KStG) herauszugreifen, ist hier ebenso plausibel wie die anschließende Erläuterung zunächst exemplarisch der kommunalen Sanktionsvorschriften §§ 17, 20 KAG NW, sodann der §§ 26b, 26c UStG. Diese letzteren Normen sind nun aber gerade keine "steuerrechtlichen ausfüllenden Normen", wie es die Überschrift des "3. Teils" erwarten lässt, sondern normieren selbst Steuerstraftaten (und -ordnungswidrigkeiten) und sind ihrerseits ausfüllungsbedürftig.

Nach all diesen (detail-)kritischen Anmerkungen muss zweierlei in aller Klarheit hervorgehoben werden: Zum ersten ist ein unangreifbarer, das heißt ebenso systematisch schlüssiger wie sich dem Praktiker bei erster Nutzung erschließender und zugleich praktikabler Aufbau eines Kommentars zum Steuerstrafrecht bisher gar nicht bekannt. Weitergreifend existiert für das Steuerstrafrecht (vor dem erwähnten Hintergrund spärlicher Ausbildungsliteratur) noch keine etablierte systematisch schlüssige Darstellung der Materie, auf die rekurriert werden könnte. Mit der verdienstvollen und zugleich faszinierenden Absicht, den Komplex Steuerstrafrecht in all seinen Dimensionen in einem Buch einzufangen, bringen die Herausgeber also eine Diskussion erst ins Rollen, die in anderen Rechtsgebieten seit Jahrzehnten, ja teils seit Jahrhunderten andauert. Sie kann über die Frage der Darstellung hinaus die systematische Interaktivität von Strafrecht und Steuerrecht befruchten.

Zum zweiten muss, nochmals, hervorgehoben werden, dass die hiesige Stellungnahme das Problem der Systematik und Struktur des Gesamtkonzepts fokussiert, keineswegs aber den Anspruch erhebt, die vorgelegte Neukommentierung umfassend zu beschreiben oder zu bewerten. Insofern sei nur knapp angemerkt, dass die Texte auf den ersten Blick die Expertise der (fast durchgehend der Anwaltschaft angehörenden) ca. vierzig Kommentatorinnen und Kommentatoren erkennen lassen. Dass Diskussionen, die wissenschaftlich durchaus indiziert, aber für die Praxis in Anbetracht gefestigter Rechtsprechung eher zweitrangig sind, zumeist nur knapp dargestellt sind, entlastet den praxisorientierten Leser in sinnvoller Weise. Die besondere Gewichtung, die die internationalen Bezüge des Steuerstrafrechts erfahren, entspricht ihrer wachsenden praktischen Bedeutung. Wenn auch jenseits der Auslegung der Rechtsvorschriften relevante Fakten (exemplarisch herausgegriffen sei die "Tatsächliche Verständigung" in ihrem Verhältnis zur strafprozessualen Absprache im 2. Teil, 11. Kapitel) erfahrungssicher und instruktiv dargelegt werden, so rundet

dies das Bild: Dem Praktiker wird mit diesem ebenso kompakten wie umfassenden Leitfaden, wie die Herausgeber es beanspruchen, ein nützliches und selbstverständlich topaktuelles "Hauptwerkzeug" an die Hand gegeben.

Prof. Dr. Georg Steinberg, EBS Wiesbaden

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Detlef Burhoff: Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 6. Aufl. (2013), 2368 Seiten inkl. CD-ROM, 118 €, ZAP Verlag, Münster 2013.

Anfang des Jahres ist die aktualisierte 6. Auflage des zum Klassiker gewordenen Handbuchs für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren erschienen. Das Standardwerk für Strafverteidiger ist mittlerweile auf über 2100 Seiten angewachsen und wurde von Herrn Burhoff auf den neuesten Stand gebracht. Stand der eingearbeiteten Rechtsprechung ist der September 2012. Im Ermittlungsverfahren werden in vielen Fällen die Weichen für das Hauptverfahren gestellt. Dieses Buch gibt äußerst praxisnah viele Hinweise, um in diesem Verfahrensabschnitt die Rechte des Beschuldigten zu wahren. Wie gewohnt, stellt Herr Burhoff nicht allein die "herrschende Meinung" dar, sondern verweist auf alternative Sichtweisen.

Auch die 6. Auflage folgt dem von Herrn Burhoff gewohnten alphabetischen Aufbau nach Stichwörtern. Diese Darstellungsform ermöglicht es dem Benutzer schnell an der gestellten Frage orientiert diese auch erschöpfend zu beantworten. Sehr hilfreich ist das wirklich umfassende Stichwortverzeichnis am Ende des Buches, welches den Nutzer zielsicher zu den richtigen Abschnitten führt. Im Gegensatz zur vorherigen 5. Auflage wurde das Stichwortverzeichnis um die Stichwörter "Kontakte des Verteidigers zu Geschädigten", "Kontakte des Verteidigers zum Zeugen", "reduzierte Besetzung der großen Strafkammer", "Verkehr mit dem inhaftierten Beschuldigten" und "Verzögerungsrüge/Verfahrensverzögerung" erweitert. Damit wurden die gesetzlichen Neuregelungen im "Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren" und im "Gesetz über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes" eingearbeitet.

Am Ende des Buches ist ein umfassendes Entscheidungsregister angefügt, welches es leicht macht, die zitierte Entscheidung im Volltext zu finden. Sämtliche Entscheidungen, die ab dem Jahre 2006 veröffentlicht wurden finden sich auf der beigefügten CD-ROM im Volltext wieder. Auf dieser CD finden sich auch wie in den Vorauflagen sämtliche Muster und Formulierungshilfen. Es sind auf der CD-ROM die wesentlichen Gesetze verlinkt.

Neu und sehr anwenderfreundlich ist das Angebot, das Handbuch als so genanntes jBook kostenlos online auf www.jurion.de frei zu schalten. Der 6. Auflage gelingt damit die Verknüpfung der neuen Medien mit der klassischen Nutzung des Druckwerks. Der Anwender kann über seinen Laptop oder Tablet das gesamte Buch unterwegs oder am Arbeitsplatz online nutzen und dort sämtliche Rechtsnormen und Gesetze einsehen. Zudem existiert eine Suchmaschine, wie in einer Datenbank, welche das Suchen nach Stichwörtern zur Problemlösung noch einmal deutlich erleichtert.

FAZIT: Auch in der neuen 6. Auflage darf dieses Handbuch in keiner anwaltlichen Bibliothek fehlen. Selbst wenn man nur gelegentlich mit strafrechtlichen Mandaten befasst ist, ist dieses Buch ein unverzichtbarer Helfer.

RA, FA für Strafrecht und für Verkehrsrecht Tobias Glienke, Berlin