HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2011
12. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Im Spannungsfeld zwischen Strafrichtern und (zu?) aktiver Strafverteidigung - 2. Teil: Der Tadel für die Offensiv-Verteidiger

Die Vorworte des 6. Strafsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf

Von Jochen Thielmann, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht

Es kann kein ernsthafter Zweifel darüber bestehen, dass die veröffentlichten Vorworte, die VRiOLG Breidling als Vorsitzender des 6. Strafsenats des Oberlandesgericht Düsseldorf zu Beginn einer jeden seiner mündlichen Urteilsbegründungen in medienwirksamen Fällen vorträgt, aus seiner Feder stammen. Dabei darf aber natürlich nicht übersehen werden, dass er nicht allein im Strafsenat sitzt und daher alle anderen Richter insofern nach außen Mitverantwortung für deren Inhalt tragen (müssen). Schon der Umstand, dass die weitere Besetzung des Senats sich von Verfahren zu Verfahren ändert, Stil und Inhalt der Vorworte jedoch stets gleich bleiben, zeigt jedoch, dass die Vorworte auf den Vorsitzenden Richter zurückgehen. Im Folgenden werden die letzten fünf Vorworte näher darauf untersucht, was sie zu den Verteidigungsaktivitäten im jeweiligen Verfahren zu sagen haben: das Abdalla-Vorwort[1], das Al-Tawhid-

Vorwort[2], das Al-Qaida-Vorwort[3], das Kofferbomber-Vorwort[4] und das Sauerland-Vorwort[5]. (Das letzte von Breidling als Vorsitzendem Richter geleitete Verfahren gegen mutmaßliche Mitglieder der türkischen Organisation DHKP-C endete im Dezember 2010 ohne großes Medieninteresse - und demzufolge auch ohne Vorwort.)

I. Die Verteidigungsstrategie

Die Vorworte beschäftigen sich nicht selten mit der Strategie der beteiligten Verteidiger. Dabei fällt auf, dass jede Taktik - egal, welche von den Anwälten auch gewählt wird - vom Senat durchschaut wird und folglich nie aufgeht - es sei denn, es wird ein Geständnis "in der Nähe des Anklagevorwurfs" abgelegt.

Es ist daher alles andere als eine Überraschung, wenn die Bemühungen der Verteidiger im Al-Tawhid-Verfahren, den inoffiziellen Kronzeugen "in die Enge zu treiben oder ihn gar als dreisten Lügner zu überführen", im Vorwort als ein "insgesamt erfolgloses Unterfangen"[6] bezeichnet werden. Im Vorwort zum Al-Qaida-Verfahren wird auf zwei Verteidigungsargumente (Vereinigungsqualität der Al-Qaida; Verwertbarkeit der Wohnraumüberwachung) explizit Bezug genommen, die der Senat sodann mit voller Überzeugung zurückweist. Unterschwellig wird dadurch der Eindruck vermittelt, die Verteidiger hätten versucht, durch formal-juristische Argumentation ihre terroristischen Mandanten freizubekommen, was in der Öffentlichkeit - dem offensichtlichen Adressaten der Vorworte - entsprechend wenig Sympathien ausgelöst haben wird.[7] Im Vorwort zum "Kofferbomber-Verfahren" wird schließlich mitgeteilt, dass "die einzig denkbare im Ansatz mögliche" Entlastungsstrategie "aufgrund der objektiven Beweislage von vornherein zum Scheitern verurteilt" war[8].

1. Die kontraproduktive Verteidigung

Die Vorworte bieten diverse Beispiele für die ihnen innewohnende Tendenz, engagierte Verteidigung als schädlich und für den angeklagten Mandanten kontraproduktiv darzustellen. So heißt es im Vorwort zum "Kofferbomber-Urteil", dass die Beweisanträge zum Thema "Folter des Mittäters im Libanon" - ein angesichts des Vorwurfs, um den es geht, und der Zeit, in der wir leben, nicht völlig abwegiger Gedanke - "nicht nur ins Leere gegangen (sind), vielmehr hat sich zur Gewissheit des Senats ergeben, dass Hamad nicht gefoltert wurde..."[9] Die Beweisantritte haben somit das Gegenteil dessen ergeben, was beabsichtigt gewesen ist. Wenn es im "Kofferbomber"-Vorwort außerdem heißt, dass die Verteidigungsstrategie "von vornherein zum Scheitern verurteilt" war, gleichzeitig aber eingeräumt wird, dass es keine andere Verteidigungsmöglichkeit gab, so legt dies die Vermutung nahe, dass das Urteil aus Sicht des Gerichts tatsächlich bereits vor dem ersten Hauptverhandlungstag feststand.

2. Einlassungsverhalten

Auch bei den Bemerkungen über das Einlassungsverhalten der Angeklagten wird die Einstellung des Gerichts mehr als deutlich. Die Frage, ob eine Einlassung der Angeklagten erfolgen soll oder nicht, ist eine der - wenn nicht die - wichtigsten Fragen, die die Verteidigung vor Beginn einer Hauptverhandlung klären muss. Die Vorworte können künftigen Verteidigern die Entscheidung insofern erleichtern, als es scheint, dass jede Einlassung abseits eines "Geständnisses in der Nähe des angeklagten Tatgeschehens" bei dem 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf kaum einen Sinn macht. Das "Kofferbomber"-Verfahren begann mit dem Rat des Senats, ein ebensolches Geständnis abzulegen, "wenn es denn etwas zu gestehen gebe"[10]. Ein solcher Halbsatz verkommt jedoch zu einer reinen Floskel, wenn gleichzeitig betont wird, dass "die objektive Beweislage von vornherein" klar war.

Der 6. Strafsenat ist sich des "taktischen Aussageverhaltens" von Angeklagten sehr bewusst. Ob die Richter dafür Verständnis aufbringen oder es verdammen, scheint davon abzuhängen, inwieweit eine Einlassung einer Verurteilung nützt oder nicht. So wird das Verhalten des zunächst schweigenden und erst dann kooperierenden Verurteilten Abdalla sogar als "nachvollziehbar und vernünftig aus der Sicht eines Angeklagten"[11] bezeichnet. Ein Angeklagter im folgenden Al-Tawhid-Verfahren hatte sich zu einem "weitgehenden, ja nahezu umfassenden Geständnis durchgerungen", konnte jedoch in einem Punkt "nicht über seinen Schatten springen" und blieb in dieser Hinsicht bei seiner "geradezu absurden Geschichte."[12] In dem einen Punkt, in dem der Angeklagte also nicht die Anklageschrift bestätigte, sondern davon abwich, wurde ihm nicht mehr geglaubt. In demselben Verfahren gingen andere Angeklagte den Weg über den Anklagevorwurf bestreitende Teileinlassungen,

die von ihren Verteidigern verlesen wurden. Fragen des Senats wurden hingegen nicht beantwortet: "Dies spricht für sich", lautet die abschätzige Antwort des Verfassers zu dieser inzwischen nicht seltenen Vorgehensweise.[13] Es wird fortgefahren: "Der Senat hatte diese Verteidigungsstrategie der Angeklagten Abu Dh. und Al Da. von Gesetzes wegen hinzunehmen, denn wie ein Angeklagter seine Verteidigung gestalten will, steht in seinem Belieben." Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Senat nicht auch bei dieser Taktik der Verteidigung noch einmal vorhielt, sich damit selbst geschadet zu haben, denn: "Fazit der Teileinlassungen dieser beiden Angeklagten ist, auch sie konnten die Angaben Abdallas nicht nur nicht erschüttern, sondern belasteten sich letztlich selbst."[14] Nicht anders beurteilte der Senat die Angaben des Angeklagten im "Kofferbomber-Verfahren", der sich umfassend eingelassen hatte: Sein Verteidigungsverhalten habe dazu geführt, dass sich dieser - nach Auffassung des Senats - "ein über das andere Mal in Widersprüche verwickelte und offenbar seine spontan aus der jeweiligen Prozesssituation heraus gemachten Schutzbehauptungen nicht nachzuhalten vermochte."[15]

II. Strafverfahren gegen Strafverteidiger

Strafverteidiger sind sicherlich eine Berufsgruppe, zu deren Berufsrisiko es gehört, selbst einmal in den Fokus der Strafverfolgungsbehörden zu geraten. Vor dem 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf scheint die Luft in diesem Sinne besonders dünn zu sein.

Das Vorwort im Al Tawhid-Verfahren, das in den Jahren 2004/2005 in Düsseldorf stattfand, beinhaltet besonders scharfe Angriffe auf die Verteidigung. Dort heißt es, dass "nicht verschwiegen werden (solle), dass die Bemühungen des Senats um Wahrheitsfindung nach den Regeln der Strafprozessordnung durch Verteidigerverhalten behindert wurden, durch Verteidigerverhalten, das nicht den Regeln der Strafprozessordnung entspricht und die Frage eines strafbaren Verhaltens aufwirft." Hintergrund dieses Satzes war eine - angeblich "unter konspirativen Umständen" erfolgte - Kontaktaufnahme von Verteidigern mit Zeugen, die dazu "vergattert" worden sein sollen, über diesen Umstand vor Gericht zu schweigen. Dieser "ungeheuerliche" Vorfall hatte ein Ermittlungsverfahren gegen zwei Strafverteidiger zur Folge.[16]

Um diese Worte besser verstehen zu können, muss die Ausgangsposition dieses Strafverfahrens kurz erläutert werden. Der Generalbundesanwalt hatte das Verfahren gegen den geständigen Mittäter Abdalla zuvor abgetrennt und nur gegen diesen Anklage vor dem 6. Strafsenat in Düsseldorf erhoben. Es wurde sodann gegen diesen "Kronzeugen" fünfzig Hauptverhandlungstage verhandelt, bevor ein Urteil gefällt wurde. Das Vorwort des Senats zum Urteil gegen Abdalla weist darauf hin, dass es sich der Senat "nicht leicht gemacht", aber aufgrund "umfassender und langwieriger Prüfung der Glaubhaftigkeit der wesentlichen Angaben überzeugt" habe.[17] Die am Nachfolgeverfahren beteiligten Anwälte konnten also schon Monate vor dem ersten Hauptverhandlungstag - nämlich im Vorwort des vorangegangenen Verfahrens des Oberlandesgerichts Düsseldorf - den Schuldspruch ihrer Mandanten lesen, denn der Senat verpasste dem Angeklagten und zukünftigen Hauptbelastungszeugen sein offizielles Gütesiegel. Das folgende Al-Tawhid-Verfahren war damit praktisch schon entschieden, bevor es überhaupt begonnen hatte. Die Glaubwürdigkeit Abdallas war von eben diesem Senat bereits festgestellt, der nun über die übrigen Gruppenmitglieder zu Gericht sitzen sollte. Das Wort "Ohnmachtgefühl" stellt die Situation für engagierte Verteidiger in den folgenden 136 Hauptverhandlungstagen sicherlich richtig dar, auch wenn dies keine Entschuldigung für strafbares Verhalten gewesen wäre, wie es das Vorwort medienwirksam in den Raum gestellt hatte.

Nach Auskunft des betroffenen Strafverteidigers[18], der von Breidling zusammen mit seiner Mitverteidigerin angezeigt worden war, ist die zitierte Passage im Vorwort jedoch "schlicht falsch. Dort wird behauptet, dass wir hätten angezeigt werden müssen, da wir Zeugen zum Schweigen vergattert hätten. Dies war jedoch nicht Thema der Anzeige! Angezeigt wurden wir, da ich einen Zeugen in der Verhandlung gefragt habe, ob er sich an einen bestimmten Vorgang während eines Treffens mit uns erinnerte. Er erinnerte sich nicht. Der Senat meinte nun, ich hätte wider besseren Wissens gefragt, da ich gewusst hätte, dass es dieses Vorkommnis nicht gegeben habe. Dies sei eine Anstiftung zur Falschaussage. Die Anzeige gegen die Kollegin war noch absurder. Sie wurde angezeigt, weil sie sich nicht von meiner Frage distanziert habe, dies sei ein Unterlassen."[19] Das Strafverfahren gegen die beiden Verteidiger aus dem Al-Tawhid-Verfahren endete nach drei Jahren im Juni 2008 mit einem Freispruch.

Auch im anschließenden Al-Qaida-Verfahren wurde gegen einen Verteidiger Strafanzeige wegen übler Nachrede erstattet, weil er dem Senat in einem Schriftsatz u.a. ein "rein ergebnisorientiertes" Verhalten vorgeworfen hatte.[20] Und auch in diesem Verfahren wurde der Mitverteidiger - Wochen nach Bekanntwerden des Ermittlungsverfahrens! - vom Vorsitzenden Richter in der Hauptverhandlung gefragt, ob er sich dem Inhalt dieses Schreibens anschließe. Es gab für diesen somit zwei Alternativen: entweder selbst auch eine Strafanzeige zu riskieren oder aber sich von seinem Mitverteidiger zu distanzieren.[21] Auch dieses Strafverfahren endete im Übrigen letztend-

lich mit einem Freispruch. Die Amtsrichterin erklärte dies in ihrer mündlichen Urteilsbegründung in Anspielung auf den Vorsitzenden Richter mit dem Argument, dass auf einen groben Klotz auch ein grober Keil gehöre.

Es bleibt damit festzuhalten, dass bei der Auseinandersetzung mit der Strafverteidigung auch mit dem Mittel der Strafanzeige gegen einzelne Verteidiger gearbeitet wird. Es scheint vor dem Düsseldorfer Staatsschutzsenat schneller ein Anfangsverdacht im Raum zu stehen, wenn es um Verteidigerverhalten geht, als dies sonst der Fall ist. Dies allein zeigt die gespannte Atmosphäre in diesem Gerichtssaal gegenüber der Strafverteidigung. Die Frage des Vorsitzenden an den Mitverteidiger eines bedrängten Anwalts, ob er sich dessen Verhalten zu eigen macht, muss als Versuch interpretiert werden, einen Keil zwischen die beiden Verteidiger eines Angeklagten zu treiben. Dass dies nicht der Stärkung der Verteidigung dienen soll, muss nicht weiter betont werden. Da der Vorsitzende Richter nicht ausnahmsweise so vorgegangen ist, sondern in zwei Verfahren nacheinander nach demselben Strickmuster, ist davon auszugehen, dass dies gut überlegt gewesen ist. Der Umstand, dass die Strafverfahren gegen die drei Verteidiger sämtlich mit Freisprüchen endeten, lässt einen faden Beigeschmack und die Vermutung zurück, dass mit diesem gezielten Vorgehen nicht nur die Einschüchterung der Betroffenen, sondern auch die Disziplinierung der anderen beteiligten Rechtsanwälte erreicht werden sollte.[22]

III. Schwächung der Verteidigung

Nicht nur Strafanzeigen gegen Verteidiger können zur Unsicherheit der tätigen Verteidiger und damit zur Schwächung der gesamten Verteidigung führen.

1. Spaltung der Verteidigerriege

Da eine geschlossene Verteidigungsbank und ein enger Zusammenhalt der Verteidiger im Sinne einer Sockelverteidigung die Aussichten der einzelnen Angeklagten in der Regel erhöhen bzw. zumindest die Arbeit eines Gerichts stark erschweren kann, bedeutet eine Spaltung der Verteidigerriege in einem Strafverfahren gleichzeitig eine Schwächung der Verteidigung. Einen Keil zwischen die Verteidiger der verschiedenen Angeklagten oder zwischen Verteidigern desselben Angeklagten zu treiben, kann einer gemeinsamen Verteidigungsstrategie aus Sicht des Gerichts wirksam vorbeugen bzw. dieser begegnen. Beim 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf ist zu beobachten, dass genau dies versucht wird. Dies erfolgt nicht nur durch den gerade anhand von zwei Beispielen beschriebenen Versuch, einzelne Verteidiger zu kriminalisieren und sie auf diesem Weg aus dem Kollegenkreis auszugrenzen.

Dies zeigt sich auch im den Vorworten beispielsweise dadurch, dass ausdrücklich erwähnt wird, dass sich das Geständnis eines Angeklagten, zu dem er sich "auf den Rat seiner Verteidiger" durchgerungen hatte, deutlich bei seinem Strafmaß zu seinen Gunsten niederschlagen" musste[23], während die Verteidigungsstrategie von Mitangeklagten durchschaut worden ist. Im Al-Qaida-Vorwort wird hinsichtlich der das Verfahren angeblich verzögernden zahlreichen Beweisanträgen ausdrücklich von "einzelnen Verteidigern" gesprochen.[24] Im Kofferbomber-Prozess wird dies schließlich dadurch deutlich, dass nicht beide Pflichtverteidiger in die Schusslinie geraten, sondern nur einer der Anwälte hinsichtlich von Verteidigungsaktivitäten namentlich erwähnt wird, die "ins Leere geführt"[25] haben.

2. Einflussnahme auf Verteidigerauswahl

An diese Stelle gehört auch eine Besonderheit, die in den Vorworten nicht auftaucht, aber in Verteidigerkreisen durchaus bekannt ist. Breidling nimmt eine aktive Rolle ein, wenn es darum geht, bestimmte Strafverteidiger für seine Hauptverhandlungen zu "verpflichten". Das beste Beispiel für dieses Vorgehen ist ein Düsseldorfer Rechtsanwalt, der an den meisten Verfahren der letzten Jahre vor dem 6. Strafsenat (u.a. Al-Tawhid-, Kofferbomber- und Sauerland-Verfahren) beteiligt war. Dass dies kein reiner Zufall ist, sondern offensichtlich auch dem Einfluss des Vorsitzenden Richters zuzuschreiben war, zeigt der Umstand, dass Breidling im Vorfeld des Al-Qaida-Prozesses bei jedem der drei Verteidiger, die zu diesem Zeitpunkt noch keinen Mitverteidiger ausgewählt hatten, diesen Rechtsanwalt in einem Telefongespräch als geeigneten Advokaten für die Position des beizuordnenden zweiten Pflichtverteidigers vorgeschlagen hatte.[26] Das zeigt, dass der Vorsitzende des 6. Strafsenats versucht, Einfluss auf die Besetzung der Verteidigerbank zu neh-

men und ihm dies nicht selten zu gelingen scheint. Von dieser Seite kann nicht beurteilt werden, aus welchen Gründen diesem Anwalt eine Art ständige Vertretung vor dem 6. Strafsenat verschafft wird.[27] Angesichts des Umstandes, dass eine regelmäßige Teilnahme an Staatsschutzverfahren aufgrund der Vergütung gem. § 51 RVG sehr wohl höchst attraktiv ist, besteht jedenfalls die konkrete Gefahr, dass ein Abhängigkeitsverhältnis entsteht, das Auswirkungen auf das Verteidigungsengagements eines Strafverteidigers haben kann.

Dabei ist allerdings anzumerken, dass Richter Breidling im Sauerland-Verfahren auch mitgeholfen hat, einen Strafverteidiger aus Essen in das Verfahren zu bekommen, obwohl dieser ihm aus dem Al-Qaida-Verfahren als einer der Verteidiger bekannt war, der nicht nur für seinen Mandanten mehrere Befangenheitsanträge gestellt, sondern zudem zahlreiche Beweisanträge gestellt hat, die - laut Vorwort - "mit dem berechtigten Interesse einer - auch engagierten - Verteidigung nichts mehr zu tun hatten und die die Beweisaufnahme in unnötiger Weise über Monate hinauszögerten."[28] Es bleibt in jedem Fall ein fader Beigeschmack, wenn sich ein Vorsitzender Richter aktiv - über seine von der Strafprozessordnung zugedachte Rolle hinaus - bei der Besetzung der Verteidigerbank engagiert und sogar soweit geht, einen bestimmten Rechtsanwalt gleichsam wie Sauerbier anzupreisen.

3. Einschränkung von Verteidigungsrechten

Die Vorworte im Al Qaida- und Kofferbomber-Verfahren machen die Verteidigung in der Öffentlichkeit für die Dauer der Umfangsverfahren vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf verantwortlich. Während im Al Qaida-Verfahren "zahlreiche Beweisanträge von einzelnen Verteidigern"[29] dafür verantwortlich gewesen sein sollen, musste sich der Senat im "Kofferbomber"-Prozess angeblich damit auseinandersetzen, dass "seitens der Verteidigung trotz erster gemeinsamer Terminabsprachen zur Beendigung des Verfahrens bereits im September gleichwohl bis zur letzten Woche, also bis Anfang Dezember, fortlaufend Beweisanträge gestellt wurden, durch die das Verfahren weiter in die Länge gezogen wurde."[30] Die besondere, für diesen Senat jedoch nicht ungewöhnliche Länge dieser beiden Verfahren wird auf diese Weise der Verteidigung in die Schuhe geschoben. Es ist logisch, dass ein Senat, der in seiner Entscheidungsfindung bereits sehr weit fortgeschritten ist, jeden weiteren Beweisantrag als überflüssig und störend ansieht. Es ist aber ebenso logisch, dass eine Verteidigung, die diesen Verfahrensausgang voraussieht, bis zuletzt für den Mandanten mit den ihr verbleibenden prozessualen Mitteln kämpft und dann unter besonderem Zugzwang steht, wenn das Gericht das eigene Programm abgeschlossen hat. Dies wird nicht als typische Eigenart der Praxis des Strafprozesses hingenommen, sondern als Problem ausgemacht, dessen Lösung im Vorwort auch mitgeliefert wird. Die Rechte der Verteidigung, die der Anklagebehörde und dem Gericht in ihren Möglichkeiten - vor allem in Staatsschutzverfahren hoffnungslos - unterlegen sind, sollen noch weiter eingeschränkt werden, indem eine Neugestaltung des Beweisantragsrechts gefordert wird[31], mit dem Ziel das Strafverfahren "straffer und effektiver führen zu können."[32] Der Hinweis darauf, dass die Vorschläge des Senates für eine Modernisierung der Strafprozessordnung "durchaus ein offenes Ohr im politischen Raum bei den zuständigen Gremien finden"[33], ist für Verteidiger durchaus als Drohung zu verstehen und soll womöglich auch künftige Verteidiger schon im Voraus disziplinieren. Die Balance im Strafprozess noch weiter zulasten der Angeklagten zu verändern, zeigt erneut die innere Einstellung des Verfassers dieser Vorworte zur Stellung der Strafverteidigung.

IV. Die vorbildliche Verteidigung

Abschließend soll nicht verschwiegen werden, dass ein Vorwort auch ausdrückliches Lob für die beteiligten Rechtsanwälte bereithält. In dem Verfahren gegen die Sauerland-Gruppe hatten sich die Angeklagten nach wenigen Hauptverhandlungstagen (in einem vom Senat erlaubten Gespräch ohne ihre Verteidiger) darauf verständigt, umfassende Geständnisse abzugeben, was in der Folgezeit mithilfe der Verteidiger umgesetzt wurde. Es war schon zu erwarten, dass die Verteidiger im Vorwort diesmal positiv erwähnt würden: "Wenn wir hier die kurze Verfahrensdauer hervorheben, soll in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, dass die Verteidigung sämtlicher Angeklagter in bemerkenswerter Weise hierzu beigetragen hat. Es gab keine Konfliktverteidigung, wie wir sie aus anderen Verfahren kennen, keine das Verfahren zielgerichtet in die Länge ziehenden sachfremde Beweisanträge oder sonstige Verfahrensanträge, die nicht am Interesse der Mandanten orientiert sind. Die Verteidigung hat, so wie sie prozessual agiert hat, nicht nur zu einem angenehmen und für den raschen Verfahrensverlauf förderlichen Verfahrensklima beigetragen, sondern sie hat die Interessen der Angeklagten bei der gegebenen Beweislage in bestmöglicher Weise vertreten, die Beispiel geben sollte."[34]

Es drängt sich die Frage auf, ob Strafverteidigung nur dann als beispielhaft angesehen werden kann, wenn sie sich in einer Art "Verurteilungsbegleitung" für den geständigen Angeklagten erschöpft. Was sollen umfassende Beweisanträge auch in einem Verfahren, in dem die Angeklagten glaubhafte Geständnisse abliefern und auch darüber hinaus kein Konfliktpotential mehr im Raume steht? Wo ist die besondere Leistung zu sehen, wenn Verteidiger neben Mandanten sitzen, die - wie vom Gericht gefordert - "sämtliche Karten auf den Tisch legen"? Insoweit ist dieses Verteidigerlob ebenso aufschlussreich hinsichtlich der Einstellung des Gerichts zur Strafverteidigung wie die sonst übliche Verteidigerschelte.

V. Verteidigung ohne Orientierung am Interesses des Angeklagten

Es soll abschließend noch einmal auf den zuvor zitierten Satz eingegangen werden, der sich im Vorwort zum Urteil gegen die Sauerlandgruppe findet, wo es heißt: "Es gab keine Konfliktverteidigung, wie wir sie aus anderen Verfahren kennen, keine das Verfahren zielgerichtet in die Länge ziehenden sachfremde Beweisanträge oder sonstige Verfahrensanträge, die nicht am Interesse der Mandanten orientiert sind."

Danach zeichnet sich Konfliktverteidigung (auch) durch die fehlende Orientierung am Interesse des Angeklagten aus. Dies ist ein unglaublicher Vorwurf, der Verteidigern nicht nur standeswidriges, sondern mitunter sogar strafbares Verhalten unterstellt. Verteidigung, die sich nicht an den Interessen des Beschuldigten orientiert, ist ein Widerspruch in sich und kann im Grunde nicht als Strafverteidigung angesehen werden. Trotzdem wird beiläufig ein solcher Vorwurf erhoben und man fragt sich unweigerlich, an wessen Interessen solche Anträge orientiert sein sollen, wenn nicht an denen des Beschuldigten? Und was meinen Richter damit, wenn sie einen solchen Vorwurf in den Raum stellen?

Es erscheint zunächst unwahrscheinlich, dass damit impliziert wird, dass Verteidiger im Interesse von Dritten arbeiten, die außerhalb des Verfahrens stehen. Allerdings ist dies angesichts der Erfahrung aus dem PKK-Verfahren nicht ganz auszuschließen, denn aus Richtersicht wurde dieses Verfahren - und damit auch die Verteidiger der einzelnen Beschuldigten - von der verbotenen Vereinigung politisch instrumentalisiert.[35] Eine solche Möglichkeit ist aber nur in den wenigsten Strafverfahren denkbar.

Es ist vermutlich auch nicht gemeint, dass Rechtsanwälte in erster Linie am Interesse des Gerichts orientiert sind. Wenn es so etwas tatsächlich geben sollte, würde es sicher nicht publik gemacht und schon gar nicht als Vorwurf gesehen, denn schließlich würde damit der Funktionsfähigkeit der Strafjustiz ein (Bären-)Dienst erwiesen. Außerdem wäre die Bezeichnung "Konfliktverteidigung" in diesem Kontext aus Richtersicht nicht angebracht, auch wenn ein solches Verhalten ganz sicher im Konflikt mit den Aufgaben einer rechtsstaatlichen Verteidigung stünde.

Es bleibt daher nur die Schlussfolgerung, dass der Vorwurf dahin zu interpretieren ist, dass es bei Konfliktverteidigung nicht um den Beschuldigten, sondern in Wahrheit um die Interessen des jeweiligen Verteidigers geht, um seine persönlichen Motive, seien diese finanzieller oder ideologischer Natur oder aber nur Ausdruck reiner Selbstbestätigung. Auch hier wäre der Parteiverrat nicht weit. Das Paradoxe an diesem Vorwurf wird deutlich, wenn man genauer betrachtet, welcher Art Verteidiger dieser Vorwurf gemacht wird: nicht demjenigen, der sich bei der Verteidigung seines Mandanten in der Hauptverhandlung im Nichtstun verliert, der sich duckt, damit der Sturm über ihn hinüberzieht und der den persönlich guten Kontakt zum Richter nicht verlieren möchte, mit dem er schließlich in den nächsten Jahren noch viel zu tun haben könnte, während er den Mandanten nach Abschluss des Verfahrens möglicherweise nie mehr wieder sieht. Nein, dieser ungeheuerliche Vorwurf wird Verteidigern gemacht, die im genauen Gegenteil sehr viel - aus Richtersicht zu viel - arbeiten, was zwangsläufig zur Mehrarbeit auch der übrigen Prozessbeteiligten führt und Hauptverhandlungen - im Vergleich zu Verfahren mit untätigen Verteidigern - natürlich verlängert. Wenn ein Gericht sich schon frühzeitig eine Meinung über die Schuld des Angeklagten gebildet hat, empfindet man auf der Richterbank solche Verteidigungsaktivitäten sehr schnell als "Verschleppung" von Prozessen, die sonst, sprich bei einem "vernünftigen" Verteidiger, in abgemessener Zeit über die Bühne gegangen wären.

Wie kann es aber sein, dass sich ein Gericht, das von aus seiner Sicht überflüssigen Verteidigungsaktivitäten genervt ist, zu der Behauptung versteigt, diese Aktivitäten seien nicht am Wohl des Mandanten orientiert? Wie kann ein Gericht denn erkennen, ob sich die Arbeit des Strafverteidigers am Wohle seines Mandanten orientiert oder nicht? Ist einem Richter diese Einschätzung nicht verwehrt, weil er nicht wissen kann, was zwischen Angeklagtem und Verteidiger besprochen wird? Und müssen Richter nicht auch im Zweifel davon ausgehen, dass die Arbeit der Verteidiger - so wie vom Gesetz vorgesehen - immer im Interesse ihrer Mandanten ist? Vermutlich lässt sich ein Gericht durch folgende Überlegungen zu diesem Ergebnis verleiten:

Nach dem Akteninhalt steht es sicher fest, dass die Anklage zu Recht erhoben und der Angeklagte schuldig ist. Daraus folgt, dass ein am Interesse des Angeklagten orientierter Verteidiger sich dieses Umstandes bewusst ist. Als Folge dieses Bewusstseins muss die Verteidigung darauf bedacht sein, die für den Mandanten niedrigste Verurteilung zu erreichen, die möglich ist. Dies ist wiederum nur mit einem Geständnis in unmittelbarer Nähe des Anklagevorwurfs zu erreichen. Werden aber stattdessen Beweisanträge gestellt, die sogar auf eine Negierung des Anklagevorwurfs hinauslaufen, sind diese objektiv nicht im Interesse des Angeklagten gestellt.

Die hinter einer solchen Argumentationskette stehende Grundeinstellung wäre, dass das Gericht schon weiß, was für den Angeklagten das Beste ist, auch wenn es diesen persönlich nicht ein einziges Mal gesehen bzw. gesprochen hat. Solche Gespräche wären aber auch nicht notwendig, weil sich aus den Gerichtsakten alle für die Entscheidung bedeutsamen Informationen bereits ergeben.

Es muss nicht näher darauf eingegangen werden, dass eine solche Einstellung anmaßend wäre und sich mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht deckt.

VI. Die größte Herausforderung des Gerichts

Schließlich soll auch in diesem Beitrag der größte Fauxpas der Vorworte nicht verschwiegen werden, der aus Sicht der Verteidigung besonders deutlich macht, mit welcher Grundeinstellung man es beim 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf zu tun hat und dass es sich daher um keinen "Vorzeigesenat" handelt, wie die Generalbundesanwältin meint.[36] Im Al-Qaida-Vorwort: werden die Schwierigkeiten, den Angeklagten ihre Täterschaft nachzuweisen, als "die größte Herausforderung an den Senat" bezeichnet.[37] Möglicherweise ist diese Formulierung dem Verfasser unbewusst in den Text gerutscht, ohne zu merken, was er damit ausspricht, eine Art Freud`scher Versprecher. Verteidigung vor einem Gericht, das die Verurteilung eines Angeklagten als Herausforderung ansieht und dadurch die Unschuldsvermutung nicht mehr zu ihrem Recht verhilft, gestaltet sich schwierig bis unmöglich. Eine solche unakzeptable und mit dem Grundgesetz nicht vereinbare Einstellung eines Gerichts kann der Nährboden für das sein, was zu Reaktionen führt, die dann als Konfliktverteidigung gebrandmarkt werden.

VII. Fazit

Fügt man die Ergebnisse aus den Analysen der Vorworte des 6. Strafsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf und des Inhalts des Seminars über "Konfliktverteidigung" zusammen, so kommt man zu folgenden Ergebnissen:

1. Das Ziel

Das vorrangige Ziel der Aktivitäten Breidlings ist die Bekämpfung von sog. Konfliktverteidigung, einem "Phänomen", auf das er in seiner Karriere nach eigenen Angaben "immer wieder" gestoßen ist.[38] Angesichts des Umstands, dass diese Art der Verteidigung - nach der übereinstimmenden Auffassung des Bundesanwalts Senge und des Strafverteidigers Dahs - nur sehr wenige Strafverfahren betrifft,[39] stellt sich schon die Frage, ob eine Fortbildung gegen Konfliktverteidigung überhaupt Sinn macht. Die Tatsache, dass das Seminar seit Jahren erfolgreich ist und das es eine Nachfrage unter Richtern nach dem Umgang mit konfliktträchtigen Strafverfahren gibt, zeigt jedoch, dass dies von vielen Richtern anders empfunden wird.

a) Ob eine Art Verteidigung vorliegt, die man unter Konfliktverteidigung subsumieren kann, hängt stets mit den Maßstäben des einzelnen Richters zusammen. Es steht zu befürchten, dass die Maßstäbe Breidlings eher niedrig angesetzt sind und er schon Verhalten als Konfliktverteidigung ansieht, das von anderer Seite noch mit Fug und Recht als engagierte Strafverteidigung bezeichnet werden kann. Je frühzeitiger sich ein Gericht Gewissheit verschafft, wie der Sachverhalt - und die Schuldfrage - aussieht, umso störender wird natürlich eine Verteidigung, die dies nicht akzeptiert. Daher ist es fast zwangsläufig so, dass vermehrt diejenigen Richter "Opfer von Konfliktverteidigung" werden, die ihrem Gegenüber von Beginn an spiegeln, dass jede Art der Verteidigung der Beschuldigten, die außerhalb eines Geständnisses in der Nähe des Anklagevorwurfs liegt, keinerlei Aussicht auf Erfolg hat. Je deutlicher ein Richter diese Einstellung herüberbringt, umso stärker wird der Versuch der Verteidigung sein, dieses Gericht im Interesse des Mandanten mit allen dazu zur Verfügung stehenden Mitteln zu beschäftigen, um ggf. Fehler zu provozieren, die eine erfolgreiche Revision und im Anschluss daran eine Hauptverhandlung vor einem unvoreingenommenen Richter ermöglichen. Eine solche Verfahrenstaktik ist unter solchen Umständen nicht nur verständlich, sondern geradezu unvermeidlich, um einem Angeklagten eine ungerechtfertigte Verurteilung zu ersparen.

b) Wenn in dem Seminar Problemfelder behandelt werden, die mit Konfliktverteidigung nicht das Geringste zu tun haben,[40] deutet dies an, dass darin bereits ein Zeichen für Konfliktverteidigung gesehen werden könnte. Das Seminar übernimmt darüber hinaus die von Senge beschriebenen Wege der Reaktion auf einen "Rechtsmissbrauch durch die Verteidigung" bereits für ein Verfahrensstadium, bei dem ein "Rechtsmissbrauch" - für Senge noch die Grundvoraussetzung für eine Bezeichnung als Konfliktverteidigung und für die Reaktionen darauf - noch gar nicht festgestellt werden kann. Die Veränderungen, die als Antwort auf rechtsmissbräuchliche Verteidigungsaktivitäten konzipiert worden sind, werden damit für den Normalfall für unbedenklich erklärt und somit zum Standardvorgehen. Breidling vermittelt zudem nicht nur die von Senge oder der höchstrichterlichen Rechtsprechung vorgeschlagenen Reaktionen, sondern darüber hinaus eigene Wege, wie Offensiv - Verteidigern effektiv zu begegnen ist.

Dadurch wird der Begriff der "Konfliktverteidigung" in Bereiche vorverlagert, in die er bislang - zu Recht! - nicht hingehörte. Die Messlatte wird gesenkt, was natürlich dazu führt, dass wesentlich mehr Verteidigerhandeln unter diesen Begriff subsumiert werden kann. Es ist dann keine wirkliche Überraschung, dass über eine Ausbreitung der Konfliktverteidigung geklagt wird. Zwangsläufige Folge dieser Veränderung des Maßstabs ist, dass engagierte und aktive Offensiv-Verteidigung mit "Konfliktverteidigung" gleichgesetzt, dadurch verunglimpft wird und mit gutem Gewissen bekämpft werden kann. Der Inhalt des Seminars zeigt, dass dort Themen angesprochen werden, die isoliert betrachtet mit der vom Bundesgerichtshof aufgestellten Definition von "Konfliktverteidigung" nicht das Geringste zu tun haben. An diesen Stel-

len kippt ein Seminar contra "Konfliktverteidigung" in ein Seminar contra "engagierter Strafverteidigung" um.

2. Der Weg zum Ziel

Ebenso wenig zu tolerieren ist, auf welchen Wegen dieses Ziel erreicht werden soll.

a) Das in den Vorworten vermittelte Bild des Strafverteidigers schwankt zwischen zwei Extremen. Auf der einen Seite steht die auch mithilfe seiner Tagungen bekämpfte "Konfliktverteidigung", auf der anderen Seite die ausdrücklich gelobte Verteidigung, die sich vornehmlich durch Tatenlosigkeit bzw. durch tatkräftige Kooperation mit dem Gericht auszeichnet. Es ist jedoch Grund zur Sorge angebracht, wenn Verteidiger scharf kritisiert werden, weil sie (über-)eifrig agieren, und ausdrücklich gelobt werden, sobald sie ihre Verteidigungsbemühungen praktisch einstellen. Ein solches Verteidigerbild, dessen Ausbreitung aufgrund des bundesweit durchgeführten Seminars möglich erscheint, unterliegt durchgreifenden Bedenken. Verteidigung darf sich nicht nur auf Verurteilungsbegleitung reduzieren. Vor allem in politischen Prozessen kommen bei einem solchen Ansatz unweigerlich Gedanken an Staaten auf, in denen noch heute ein mutiges Entgegentreten der Anklage selbst die Gefahr der Strafverfolgung für den Rechtsanwalt heraufbeschwört. Es wird allgemeiner Konsens sein, dass dies nicht das Gesicht des Rechtsstaats darstellt.

b) Auch nicht akzeptabel sind die Versuche, die Verteidigerriege zu schwächen, indem das Gericht auf Spaltung aus ist, etwa durch konzentrierte Angriffe auf einzelne Verteidiger bis hin zu Strafanzeige. Auch die Gefahr der Einflussnahme auf die Besetzung der Verteidigerbank durch Anpreisen vom Gericht bevorzugter Verteidiger ist vorliegend gegeben. Es ist eine Binsenweisheit, dass die Verteidigerbank durch Geschlossenheit eine besondere Stärke erreichen kann und dies für die Richterbank viel Arbeit und Mühe zur Folge hat. Dies kann aber keine Rechtfertigung für bewusste Störfeuer in diesem Bereich sein.

c) Schließlich stellt sich die Frage nach dem Umgang der Verfahrensbeteiligten im Verfahren. Es hört sich auf den ersten Blick vernünftig an, ein Strafverfahren "prozessual-sportiv" zu sehen, wie dies Breidling propagiert.[41] Offensichtlich kommt das Seminar bei Teilnehmern auch nicht "scharfmachend" an.[42] Es ist aber schon fraglich, ob man einen Vergleich zu einem sportlichen Wettkampf ziehen kann, wenn die daran Beteiligten mit völlig unterschiedlichen Voraussetzungen an den Start gehen, weil der eine die Anliegen des anderen zu entscheiden hat. Den Strafprozess als "sportlichen Wettkampf" zwischen Verteidigung und Gericht zu verstehen, wie Breidling es offenbar tut und wohin ihm auch schon Verteidiger folgen,[43] verkennt jedoch die Realität der Strafprozessordnung, in der es per se keine Gegnerschaft zwischen den Verfahrensbeteiligten gibt. Und einem Angeklagten nach einer Verurteilung mitzuteilen, das Gericht wäre in diesem sportlichen Wettkampf einfach stärker gewesen, wird dessen Verständnis vom rechtsstaatlichen Strafprozess (zu Recht) ins Wanken bringen.

Falls mit diesem Bild eine faire Vorgehensweise miteinander gemeint ist, ist dies zu befürworten, sollte aber aufgrund des Grundsatzes des "fair trial" selbstverständlich sein. Es zeugt aber nicht von "prozessual-sportivem Verhalten", wenn Strafverteidiger in der Hauptverhandlung zu Unrecht kriminalisiert werden; wenn die Regeln des Strafprozesses nicht nur angewendet, sondern eigenmächtig ausgedehnt werden; und wenn ausdrücklich angekündigt wird, dass man sich in den politisch verantwortlichen Kreisen dafür einsetzen werde, die Rechte der Verteidigung zu Lasten der Beschuldigten weiter einzuschränken, weil das Verhalten einzelner Verteidiger als störend oder nicht akzeptabel angesehen wird. Hier setzt sich das konkrete Vorgehen in Widerspruch zu dem angeblichen Anliegen, die Auseinandersetzung "prozessual-sportiv" zu nehmen.

3. Konsequenzen des Vorgehens

Es muss nicht betont werden, dass die Atmosphäre zwischen Strafverteidigung und Gerichten empfindlich gestört werden kann, wenn bereits nach wenigen Anträgen der Begriff der Konfliktverteidigung fällt und wenn anstelle von Kommunikation auf Konfrontation gesetzt wird. Schon der Beitrag von Gatzweiler[44] zeigt, dass das Seminar Breidlings und seine sonstigen Äußerungen nicht dazu geeignet sind, die Atmosphäre zwischen Richtern und Strafverteidigern zu verbessern. Stattdessen wird ein Keil zwischen die Verfahrensbeteiligten getrieben, das geeignet ist, unser Rechtssystem zu erschüttern, das aktive Strafverteidigung nicht nur akzeptiert, sondern fordert. Dabei erscheint es aber als zu weitgehend, davon zu sprechen, dass Verteidigung in dem Seminar als Feindbild aufgebaut würde.

Nichtsdestotrotz wird versucht, "Offensiv-Verteidigung" - im Sinne einer engagierten und aktiven Strafverteidigung in jeder Phase des Verfahrens - bereits als "Konfliktverteidigung" zu bezeichnen und auf diese Art und Weise schon im Keime zu ersticken. Es geht darum, im Vorfeld etwas gar nicht erst aufkommen zu lassen, was erst im Extremfall als Konfliktverteidigung bezeichnet werden kann. Durch dieses Vorgehen wird die Strafverteidigung im konkreten Fall jedoch zum Statisten degradiert, der sie nach der deutschen Strafprozessordnung nicht sein soll und nicht sein darf. Breidling will lehren, Konfliktverteidigung zu verhindern, und tut dies mit dem Mittel, rechtsstaatlich gebotene Verteidigung so weit wie möglich einzuschränken.

Somit kann nur gehofft werden, dass diese Einstellung nicht Schule macht und dass der Strafverteidigung die Gestaltungsspielräume gegeben werden, die sie im Sinne der rechtsstaatlichen Justiz benötigt, denn nur dann kann sie ihre Aufgabe erfüllen. Insofern soll abschließend Senges Appell an die Vernunft aller Beteiligten[45] aufgegriffen werden, dann wird die deutsche Justiz die wenigen eklatanten Fälle rechtsmissbräuchlicher Verteidigung ertragen können, ohne dass als Folge dessen Strafverteidigung im Allgemeinen an den Pranger gestellt wird. Strafverteidigung im Rechtsstaat gehört nicht im Keime erstickt, sondern muss sich frei entfalten können.


[1] Das Vorwort bezieht sich auf das Urteil des OLG Düsseldorf vom 26.11.2003 gegen Shadi Abdalla, der als Mitglied der Terrororganisation Al-Tawhid verurteilt wurde. Es ist nicht mehr auf der OLG-Internetseite zu finden.

[2] Das Vorwort bezieht sich auf das Urteil des OLG Düsseldorf vom 26.10.2005 gegen vier Angeklagte, die als Mitglieder bzw. Unterstützer der Terrororganisation Al-Tawhid verurteilt wurden. Es ist nicht mehr auf der OLG-Internetseite zu finden.

[3] Das Vorwort bezieht sich auf das Urteil des OLG Düsseldorf vom 05.12.2007 gegen drei Angeklagte, die als Mitglieder bzw. Unterstützer der Terrororganisation Al-Qaida verurteilt wurden. Es findet sich auf der OLG-Internetseite unter http://www.olg-duesseldorf.nrw.de/presse/05presse2007/2007-12-05_pm_al_quaida_vorw.pdf

[4] Das Vorwort bezieht sich auf das Urteil des OLG Düsseldorf vom 09.12.2008 gegen einen Angeklagten, der wegen der versuchten Bombenanschläge auf zwei Züge verurteilt wurde, und findet sich noch auf der OLG-Internetseite unter http://www.olg-duesseldorf.nrw.de/presse/05presse2008/2008-12-09_pm_urt_verkd_koffer/2008-12-09_vorw_urt.pdf

[5] Das Vorwort bezieht sich auf das Urteil des OLG Düsseldorf vom 04.03.2010 gegen die vier Mitglieder der sog. "Sauerlandgruppe" und findet sich im Internet unter http://www.olg-duesseldorf.nrw.de/presse/05presseAktuell/2010-03-04_pm_sauerland_urteil/Vorwort_Sauerland.pdf

[6] Vgl. Al-Tawhid-Vorwort (Fn. 2) 6.

[7] Weitere Argumente der Verteidigung, die z.B. auch zur (Teil-)Aufhebung des Urteils durch den Bundesgerichtshof geführt haben (vgl. BGHSt 54, 69), werden nicht erwähnt.

[8] Vgl. Kofferbomber-Vorwort (vgl. Fn. 4) 2.

[9] Vgl. Kofferbomber-Vorwort (vgl. Fn. 4) 3.

[10] Vgl. Kofferbomber-Vorwort (vgl. Fn. 4) 2.

[11] Vgl. Abdalla-Vorwort (vgl. Fn. 1) 7.

[12] Vgl. Al-Tawhid-Vorwort (vgl. Fn. 2) 7.

[13] Vgl. Al-Tawhid-Vorwort (vgl. Fn. 2) 7.

[14] Vgl. Al-Tawhid-Vorwort (vgl. Fn. 2) 8.

[15] Vgl. Kofferbomber-Vorwort (vgl. Fn. 4) 2.

[16] Vgl. Al-Tawhid-Vorwort (vgl. Fn. 2) 11.

[17] Vgl. Vorwort Abdalla (vgl. Fn. 1) 5.

[18] Es handelt sich um den Bonner Rechtsanwalt Jürgen Schüttler, der dem Verfasser dazu eine email schrieb.

[19] Dieser ursprüngliche Vorwurf des Vorsitzenden Richters war in der Folge bereits der Nichteröffnung durch zwei Instanzen zum Opfer gefallen.

[20] Ausgangspunkt war in diesem Fall allerdings nicht der Senat selbst, sondern die Vertreter des Generalbundesanwalts, auf deren Hinweis die Präsidentin des Oberlandesgerichts Düsseldorf einen Strafantrag stellte.

[21] Dem so unter Druck gesetzten Strafverteidiger gelang es, sich aus dieser Situation in einer Weise herauszureden, dass weder die Strafanzeige noch die öffentliche Distanzierung zum Kollegen die Folge war.

[22] Welche Auswirkungen Ermittlungs- und Strafverfahren gegen forensisch tätige Juristen haben können, wird in einem Artikel von Cebulla/Schulte-Kellinghaus in BJ Nr.101 (März 2010), 230 (235) aufgezeigt. Da es dort um ein Strafverfahren gegen Richter geht, muss zur Anpassung an die vorliegenden Fälle das Wort Richter durch das Wort Verteidiger ersetzt werden: "Eine unberechtigte Anklage wegen Rechtsbeugung (Anstiftung zur Falschaussage; übler Nachrede) sorgt für Verunsicherung in der Richterschaft (Anwaltschaft). Und eine solche Verunsicherung wirkt sich nicht zu Gunsten der Bürger aus. Unsichere Richter (Verteidiger) orientieren sich eher danach, wie sie selbst keine Probleme oder Schwierigkeiten bekommen können. Unsichere Richter (Verteidiger) weichen eher zurück, wenn sie in den Medien angegriffen werden. Unsichere Richter (Verteidiger) haben Schwierigkeiten, Partei für den Schwachen zu ergreifen, wenn der Starke Druck ausübt. Unsichere Richter (Verteidiger) sind eher empfänglich für die Macht und für die Interessen der Politik … Unsichere Richter (Verteidiger) bieten dem Bürger eine geringere Gewähr, dass sie sich in allen Fällen nur an das Gesetz halten und sich nicht von anderen Umständen beeinflussen lassen." Es ist nach alldem absehbar, wie es auf Verteidiger wirken kann (soll?), wenn sie selbst oder Kollegen wegen der Ausübung ihres Berufes mit einem Strafverfahren überzogen werden.

[23] Vgl. Al-Tawhid-Vorwort (vgl. Fn. 2) 9.

[24] Vgl. Al-Qaida-Vorwort (vgl. Fn. 3) 10.

[25] Vgl. Kofferbomber-Vorwort (vgl. Fn. 4) 3.

[26] Dasselbe Vorgehen hatte der Vorsitzende bereits im Al-Tawhid-Verfahren praktiziert - dort mit Erfolg. Einem Verteidiger ist es vor kurzem sogar passiert, dass er bei einer Haftbefehlsverkündung beim BGH vom anwesenden Vertreter des Generalbundesanwalts angesprochen wurde, dass dieser Düsseldorfer Rechtsanwalt doch ein geeigneter zweiter Pflichtverteidiger sei. Offensichtlich ist der Advokat auch bei der höchsten Anklagebehörde hoch angesehen.

[27] Allerdings soll sich dieser Verteidiger - vorsichtig formuliert - nach Angaben von Mitverteidigern aus dem Al-Tawhid-Verfahren bzw. dem Prozess gegen die Sauerlandgruppe nicht gerade durch besonders intensive Verteidigungsaktivitäten ausgezeichnet haben.

[28] Vgl. Al-Qaida-Vorwort (vgl. Fn.3) 10; insofern ist die Handlungsweise von Breidling in diesem Punkt nicht einfach zu deuten: Warum sorgt er für die Teilnahme eines Verteidigers, dem er gerade erst derartiges unterstellt hat? Liegt es daran, dass er die Arbeit dieses Kollegen trotzdem schätzt oder ihm dieser persönlich sympathisch ist? Oder ist der böse Verdacht gerechtfertigt, dass er damit dem nächsten Eklat Vorschub leisten will, den es hinterher im politischen Bereich auszuspielen gilt?

[29] Vgl. Al-Qaida-Vorwort (vgl. Fn. 3) 10.

[30] Vgl. Kofferbomber-Vorwort (vgl. Fn. 4) 8.

[31] Vgl. Al-Qaida-Vorwort (vgl. Fn. 3) 10; Kofferbomber-Vorwort (vgl. Fn. 4) 8.

[32] Vgl. Al-Qaida-Vorwort (vgl. Fn. 3) 10.

[33] Vgl. Al-Qaida-Vorwort (vgl. Fn. 3) 10.

[34] Vgl. Sauerland-Vorwort (vgl. Fn.5) 9 f.; dabei soll darauf hingewiesen werden, dass im Sauerland-Verfahren mehrere Rechtsanwälte tätig waren, die auch im Al-Qaida-Prozess verteidigt haben, wo keine Einlassungen der Angeklagten erfolgt sind und auch Beweisanträge gestellt wurden. Das zeigt erneut, dass jedes Verfahren aus Verteidigersicht separat betrachtet werden muss. Was in dem einen Verfahren richtig ist, kann im anderen Verfahren falsch sein.

[35] Vgl. Belker "Das große PKK-Verfahren" in der Festschrift "100 Jahre Oberlandesgericht Düsseldorf" S. 311-327.

[36] Frau Prof. Harms bezeichnete den 6. Strafsenat des OLG Düsseldorf bei einem Vortrag in Düsseldorf am 21.02.2011 als "Deutschlands Vorzeigesenat".

[37] Al-Qaida-Vorwort (vgl. Fn. 3) 7.

[38] Breidling, StraFo 2010 398 (399).

[39] Senge, NStZ 2002, 225.

[40] Etwa im Spannungsbereich "Vertrauensanwalt - Beschleunigungsgrundsatz".

[41] Breidling (Fn. 38) 400.

[42] Vgl. Meier-Göring, DRiZ 2009, 371 die darauf hinweist, dass das Seminar Richter zu "größerer Gelassenheit" beim Umgang mit Konfliktverteidigung auffordert bzw. allem "sportlich" zu begegnen..

[43] Vgl. das Zitat eines Anwalts im Sauerland-Prozess in spiegel-online unter http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,681431,00.html

[44] Gatzweiler StraFo 2010, 397.

[45] Senge (Fn. 39), 233.