HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2008
9. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

591. BGH 1 StR 166/07 - Urteil vom 30. Mai 2008 (LG Mannheim)

BGHSt; Versendung standardisierter Gewinnmitteilungen und Geschenkversprechen im Versandhandel; strafbare Werbung (Unwahrheit; Eignung zur Irreführung; geschäftliche Verhältnisse; Zusammenhang zwischen Werbeaussage und beworbener Ware oder Leistung: intendierter rein wirtschaftlicher Zusammenhang); (Wertersatz-)Verfall von Kaufpreiszahlungen, die aus strafbarer Werbung erlangt worden sind (Bereicherungszusammenhang bei Drittbegünstigten; entgegenstehende Schadensersatzansprüche von Kunden aus unerlaubter Handlung); Bestimmung des Erlangten (Bruttoprinzip; Differenzierung zwischen Verpflichtungsgeschäft und dinglichem Erfüllungsgeschäft: Divergenz zum 5. Strafsenat – „Kölner Müllfall“; Wettbewerbsvorteil); Härtefallklausel (Ermessen; Verhältnis von Insolvenzverfahren und Verfall); Verbotsirrtum.

§ 263 StGB; § 16 Abs. 1 n.F. UWG; § 4 Abs. 1 a.F. UWG; § 73 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 StGB; § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB; § 73a StGB; § 823 Abs. 2 BGB; § 661a BGB; § 17 StGB

1. Zum Zusammenhang zwischen Werbeaussage und beworbener Ware oder Leistung als Voraussetzung strafbarer Werbung. (BGHSt)

2. Werden Kunden mittels strafbarer Werbung zu Warenbestellungen veranlasst, sind die Kaufpreiszahlungen, welche die Kunden dafür an den Täter oder Drittbegünstigten leisten, von diesem aus den Taten erlangt und unterliegen – unbeschadet vorrangiger Ansprüche von Verletzten – in vollem Umfang dem Verfall. (BGHSt)

3. Infolge der strafbaren Werbung können den Bestellern Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung jeweils in Höhe des gezahlten Kaufpreises zustehen, die den Verfallsbetrag vermindern. (BGHSt)

4. Der erforderliche Zusammenhang zwischen Werbung und beworbener Ware oder Leistung ist unzweifelhaft gegeben, wenn im Sinne eines rechtlichen Zusammenhangs der in der Werbeaussage versprochene Vorteil vom beabsichtigten Erwerbsgeschäft abhängig gemacht wird, so dass eine Kopplung der – vermeintlichen – Vorteilserlangung an die Bestellung der beworbenen Ware bzw. an die Inanspruchnahme der beworbenen Leistung vorliegt. Auf diese Fallkonstellation ist § 16 UWG aber nicht beschränkt. Für Fälle der vorliegenden Art ist ein rechtlicher Zusammenhang nicht zwingend erforderlich. Von Bedeutung ist in Fällen der vorliegenden Art insoweit nur, ob der angepriesene geldwerte Vorteil mit der Ware oder Leistung als einheitliches Angebot zu qualifizieren ist. Für die Frage, ob ein einheitliches Angebot gegeben ist, ist maßgeblich der – vom Täter intendierte – Gesamteindruck der Werbeaussage auf die Adressaten. Dabei kommt es im Sinne eines wirtschaftlichen Zusammenhangs entscheidend darauf an, dass nach den Vorstellungen des Täters („Absicht“) die Entscheidung des Adressaten für das Erwerbsgeschäft unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten von dem angepriesenen geldwerten Vorteil beeinflusst wird. (Bearbeiter)

5. Ein „Wettbewerbsvorteil“, der zunächst nur in einer Chance auf Warenbestellungen besteht, ist kein tauglicher Anknüpfungspunkt für den Verfall. Eine solche Chance ist für den Begünstigten überhaupt nur in dem Umfang werthaltig, in dem Empfänger auch tatsächlich Waren bestellen. Einen hiervon zu trennenden Marktwert hat eine solche Chance nicht. (Bearbeiter)

6. Bei Fällen der durch strafbare Werbung erlangten Warenbestellungen sind sowohl die Vertragsschlüsse als auch die Kaufpreiszahlungen Erlangtes im Sinne des (Wertersatz-)Verfalls (Abgrenzung von BGHSt 50, 299 ff. – 5. Strafsenat). (Bearbeiter)

7. Wäre das vom 5. Strafsenat in BGHSt 50, 299 herangezogene Kriterium der strafrechtlichen Bemakelung dahin zu verstehen, dass die Ausführung eines Vertrags für sich gesehen strafbar sein müsse, könnte der 1. Strafsenat dieser Einschränkung nicht folgen. (Bearbeiter)

8. Ein Verbotsirrtum im Sinne von § 17 StGB liegt nicht schon dann vor, wenn der Täter keine Kenntnis von der Strafbarkeit seines Verhaltens und der Anwendbarkeit eines Strafgesetzes hat. Für die Unrechtseinsicht ist bereits ausreichend das Bewusstsein eines Verstoßes gegen die Rechtsordnung (BGHR StGB § 17 Unrechtsbewusstsein 1). Ob der Täter glaubt, straf-, öffentlich- oder zivilrechtliche Normen zu verletzen, hat hingegen grundsätzlich keine Bedeutung. (Bearbeiter)


Entscheidung

623. BGH 5 StR 342/04 – Beschluss vom 9. Juni 2008 (LG Augsburg)

BGHSt; ne bis in idem nach dem Schengener Abkommen (Strafklageverbrauch; Anwendung auf eine einheitliche Schmuggelfahrt; Verfahrenseinstellung; Kriterien des EuGH und Berücksichtigung des Einzelfalles; Behandlung von Jurisdiktionsgrenzen); Steuerhehlerei und Steuerhinterziehung (Zigarettenschmuggel).

Art. 54 SDÜ; Art. 103 Abs. 3 GG; § 206a StPO; § 154 Abs. 2 StPO; § 370 AO; § 374 AO

1. Strafklageverbrauch nach Art. 54 SDÜ bei einheitlicher „Schmuggelfahrt“ durch mehrere EU-Mitgliedstaaten. (BGHSt)

2. Art. 54 SDÜ ist dahin auszulegen, dass das maßge-

bende Kriterium für die Anwendung dieses Artikels das der Identität der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines Komplexes unlösbar miteinander verbundener Tatsachen ist, unabhängig von der rechtlichen Qualifizierung der Tatsachen oder von dem geschützten rechtlichen Interesse. Handlungen, die in der Übernahme geschmuggelten ausländischen Tabaks in einem Vertragsstaat sowie in der Einfuhr in einen Vertragsstaat und dem dortigen Besitz bestehen und sich dadurch auszeichnen, dass der in zwei Vertragsstaaten verfolgte Angeklagte von Anfang an vorhatte, den Tabak nach der ersten Übernahme über mehrere Vertragsstaaten zu einem endgültigen Bestimmungsort zu transportieren, sind Vorgänge, die unter dem Begriff „dieselbe Tat“ im Sinne dieses Art. 54 SDÜ fallen können. Die endgültige Beurteilung ist Sache der zuständigen nationalen Instanzen. Dies führt in der Regel zur Annahme einer Tat im Sinne des Art. 54 SDÜ, es sei denn besondere Umstände wie etwa eine wesentliche Unterbrechung der Fahrt begründeten eine Zäsur. (Bearbeiter)

3. Die rechtliche Einordnung des Sachverhaltes nach den Strafrechtsordnungen der Vertragsstaaten ist für die Auslegung des Begriffs der Tat im Sinne von Art. 54 SDÜ unbeachtlich. Die Subsumtion des Tatgeschehens unter den Begriff der Tat nach Art. 54 SDÜ ist von der rechtlichen Qualifizierung der Tatsachen unabhängig. Damit richtet sich die Auslegung des Begriffs der Tat gemäß Art. 54 SDÜ nicht nach strafrechtlichen Kriterien der Vertragsstaaten. Vielmehr handelt es sich bei dem Tatbegriff des Art. 54 SDÜ um einen eigenständigen, autonom europarechtlich auszulegenden Begriff des SDÜ. Die Auslegung dieses Begriffs hat sich am Zweck des Art. 54 SDÜ auszurichten, die ungehinderte Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit der Unionsbürger zu sichern (vgl. EuGH, Urteile vom 11. Februar 2003 in den verbundenen Rechtssachen C-187/01 und C-385/01 ,Gözütok und Brügge’ Slg. 2003, I-1345, Rdn. 36 ff.). (Bearbeiter)

4. Für die Auslegung des Begriffs der Tat im Sinne des Art. 54 SDÜ ist ohne Bedeutung, ob das Verhalten des Angeklagten nach dem Rechtsverständnis des deutschen Strafrechts als mehrere Taten im prozessualen Sinn (§ 264 StPO) zu werten ist. (Bearbeiter)

5. Die von einem Gericht eines Vertragsstaats verhängte Sanktion ist im Sinne von Art. 54 SDÜ „bereits vollstreckt“ worden oder wird „gerade vollstreckt“, wenn der Angeklagte nach dem Recht dieses Vertragsstaats zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. (Bearbeiter)

6. Die von einem Gericht eines Vertragsstaats verhängte Sanktion ist im Sinne von Art. 54 SDÜ weder „bereits vollstreckt“ worden noch wird sie „gerade vollstreckt“, wenn der Angeklagte kurzfristig in Polizei- und/oder Untersuchungshaft genommen worden ist und dieser Freiheitsentzug nach dem Recht des Urteilsstaats auf eine spätere Vollstreckung der Haftstrafe anzurechnen wäre. (Bearbeiter)

7. Ob der Grundsatz, dass die Auslegung des Begriffs der Tat im Sinne von Art. 54 SDÜ unabhängig von den geschützten rechtlichen Interessen zu erfolgen hat, auch dann uneingeschränkt Geltung beanspruchen kann, wenn die Grenzen der Jurisdiktionsbefugnis im Erstverurteilungsstaat eine Berücksichtigung bestimmter Geschehensabläufe in anderen Mitgliedstaaten nicht zulassen, lässt der Senat offen. (Bearbeiter)


Entscheidung

594. BGH 1 StR 196/08 - Beschluss vom 28. Mai 2008 (LG Deggendorf)

BGHR; Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nach deren Sicherstellung (Divergenz der Strafsenate; straflose versuchte Beihilfe; weite Auslegung des Handeltreibens); redaktioneller Hinweis.

§ 27 StGB; § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG

1. Zur Strafbarkeit der Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nach deren Sicherstellung (in Abgrenzung zu BGH NJW 2008, 1460). (BGH)

2. Für die Strafbarkeit wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln genügt es, wenn der Gehilfe das Handeltreiben der Lieferungsempfänger zumindest erleichtert, während es unerheblich ist, dass sein Tun infolge der Sicherstellung des Betäubungsmittels von vornherein nicht erfolgreich sein konnte (vgl. BGH NStZ 1994, 441; BGH NStZ-RR 1996, 374; gegen BGH HRRS 2008 Nr. 220 – 5. Strafsenat). (Bearbeiter)


Entscheidung

618. BGH 5 StR 93/08 – Beschluss vom 21. Mai 2008 (LG Potsdam)

Beendigung beim Subventionsbetrug (Verjährung); rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung (Kompensation und Beachtung konkreter Belastungen bei der Strafzumessung); Strafzumessung beim Subventionsbetrug.

Art. 6 EMRK; Art. 13 EMRK; § 264 StGB; § 78 StGB; § 46 StGB; § 54 StGB

1. Ein Subventionsbetrug im Sinne des § 264 Abs. 1 StGB ist beendet, wenn der Subventionsempfänger auf der Grundlage des Zuwendungsbescheids die letzte (Teil-)Auszahlung erhält (vgl. BGHR StGB § 264 Abs. 1 Konkurrenzen 3).

2. Auch nach der Vollstreckungslösung ist nach einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung bei der Bemessung der Gesamtstrafe die schuldrelevante konkrete Belastung des Angeklagten durch die lange Verfahrensdauer zu beachten.


Entscheidung

649. BGH 3 StR 493/07 - Beschluss vom 1. April 2008 (LG Hildesheim)

Fall Heros; Untreue (Treubruchstatbestand; Geldbearbeitungsdienstleistungen; pflichtwidrige Unterlassung des Meldens einer Treupflichtverletzung; Treupflicht des Geschäftsführers; Treupflicht des Prokuristen; strafbegründendes besonderes persönliches Merkmal); psychische Beihilfe.

§ 266 Abs. 1 StGB; § 246 StGB; § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 13 StGB; § 27 StGB; § 28 Abs. 1 StGB

1. Aus der Stellung als Prokurist eines Unternehmens allein ergibt sich die Übertragung einer Treuepflicht im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB gegenüber den Kunden des Unternehmens nicht.

2. Ist die Treuepflicht einem Unternehmen übertragen worden, so kann ein Angestellter des Unternehmens - neben dessen Inhaber oder gesetzlichen Vertreter - jedoch dann Träger der qualifizierten Vermögensbetreuungspflicht sein, wenn ihm die diese Pflicht begründenden Tätigkeiten übertragen werden und er aufgrund der ihm eingeräumten Befugnisse bei der Erfüllung dieser Aufgaben hinreichend selbständig agieren kann. Dazu muss ihm auch die Möglichkeit eingeräumt sein, über das der Firma anvertraute Treugut selbständig zu verfügen.

3. Wegen der Weite des § 266 StGB sind die durch § 266 Abs. 1 StGB strafrechtlich geschützten Treueverhältnisse auf die Fälle zu beschränken, in denen für den Betreuenden eine besonders qualifizierte Pflichtenstellung in Bezug auf das fremde Vermögen begründet wird. Diese muss über allgemeine vertragliche Sorgfalts- und Rücksichtnahmepflichten ebenso hinausgehen wie über eine rein tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit. Nach ständiger Rechtsprechung ist erforderlich, dass sich die Vermögensfürsorge als Hauptpflicht, also als zumindest mitbestimmende und nicht nur beiläufige Verpflichtung darstellt, wobei es nicht darauf ankommt, ob die Beteiligten sie als solche bezeichnen. Es muss hinzukommen, dass dem Täter die ihm übertragene Tätigkeit nicht durch ins Einzelne gehende Weisungen vorgezeichnet ist, sondern ihm Raum für eigenverantwortliche Entscheidungen und eine gewisse Selbständigkeit belassen wird (BGH NJW 1991, 2574 m. w. N.). Hierbei ist aber nicht nur auf die Weite des dem Täter eingeräumten Spielraums abzustellen, sondern auch auf das Fehlen von Kontrolle, also auf seine tatsächlichen Möglichkeiten, ohne eine gleichzeitige Steuerung und Überwachung durch den Treugeber auf dessen Vermögen zuzugreifen.


Entscheidung

612. BGH 5 StR 57/08 – Beschluss vom 20. Mai 2008 (LG Berlin)

Gebundene Entscheidung über die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens; Bestechlichkeit (Dienstpflichtverletzung durch Betreibung eines Steuerstrafverfahrens trotz mangelnder Objektivität).

§ 170 Abs. 2 StPO; § 160 Abs. 2 StPO; § 332 StGB

1. Die Entscheidung, ob ein Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO einzustellen ist, stellt eine gebundene Entscheidung dar; mithin besteht kein Ermessen.

2. Wer ein Verfahren, in dem er vorher für die Verteidigung eine Stellungnahme abgegeben hatte, nunmehr als Einsatzleiter der Steuerfahndung weiterbetreibt, handelt pflichtwidrig.