HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Januar 2008
9. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Vorschläge zur Verbesserung des Schutzes des Strafverteidigers: Auf dem Weg zu einem "europäischen" Strafverteidiger?[*]

Von Rechtsanwalt Prof. Dr. Jörg Arnold, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Freiburg sowie Westfälische Wilhelms-Universität Münster

A. Begründung des Themas

Der erste Teil der Überschrift des Themas meines Vortrages erscheint recht komplex und müsste – wenn er nicht eingegrenzt werden würde – beispielsweise dazu führen zu fragen, welchen Gefährdungen und Gefahren ein Strafverteidiger in Ausübung seiner beruflichen Funktion ausgesetzt ist, was sich in erster Linie auf seine Tätigkeit im Strafprozess zu beziehen hätte.

Gefährdungen und Gefahren, denen sich ein Strafverteidiger im Strafprozess ausgesetzt sieht, beschreiben zu wollen, würde erfordern, die reale Wirklichkeit der Einschränkungen des Rechts auf Verteidigung zu erfassen. Ein Schwerpunkt wäre dabei darauf zu legen, derartige Einschränkungen zu schildern, die in den nationalen

Rechtsordnungen insbesondere beim staatlichen Kampf gegen organisierte Kriminalität und den Terrorismus bestehen. Denn hierin zeigt sich deutlich eine in den letzten Jahren immer stärker werdende internationale – oder besser gesagt – globale Entwicklungslinie des Ausbaus des Strafrechts und Strafprozessrechts zu einem Sicherheits- und Feindstrafrecht, die einhergeht mit einem drastischen Abbau von bürgerlichen Freiheitsrechten und eines rechtsstaatlichen Strafrechts.[1]

Dies ließe sich im Einzelnen nachweisen, worüber ich aber jetzt nicht sprechen will, sondern insoweit nur auf die intensive wissenschaftliche Diskussion dazu verweisen möchte, deren internationale Dimension in dem kürzlich von Gropp und Sinn von der Universität Giessen herausgegebenen Band über Organisierte Kriminalität und kriminelle Organisationen vor dem Hintergrund des 11. September 2001 gut zum Ausdruck kommt.[2]

Hinsichtlich des Rechts auf Verteidigung bedeutet die Entwicklungslinie von einem rechtsstaatlichen Straf- und Strafprozessrecht hin zu einem Sicherheits- und Feindstrafrecht nun weniger, dass die gesetzlich garantierten Rechte für den Strafverteidiger etwa legal außer Kraft gesetzt werden würden. Vielmehr ist festzustellen, dass die immer mehr ausufernde staatliche Strafverfolgung, die insbesondere eine Extension vorrangig geheimer polizeilicher Ermittlungsmethoden mit dem Ergebnis sich verwischender Grenzen zwischen Polizeirecht und Strafrecht betrifft, dazu führt, dass die Schere zwischen der Ermittlungstätigkeit der Strafverfolgungsbehörden auf der einen Seite und dem gesetzlich garantierten Schutz des Verdächtigten bzw. Beschuldigten durch Verteidigung auf der anderen Seite immer weiter auseinander klafft.

Für den Strafverteidiger selbst als eine justitielle Institution bringt das einen stetig wachsenden Bedeutungsverlust im System der Strafrechtspflege mit sich, was freilich im Kern einen gravierenden Verlust an Rechten des Verdächtigten und damit in erster Linie des Beschuldigten bedeutet.

Für das Thema Ihrer Tagung: "Der Schutz des Rechtsanwalts in Ausübung seiner beruflichen Funktion im Lichte der Rechtsprechung des EGMR und der nationalen Gerichte" hieße das, zu untersuchen, ob und welcher Einfluss der Rechtsprechung der genannten Gerichte zum Schutz des Strafverteidigers vor seinem zunehmenden Bedeutungsverlust und damit zugleich zum Schutz von Beschuldigtenrechten festgestellt werden kann. Garantie und Stärkung der Beschuldigtenrechte heißt immer auch Stärkung der Stellung des Strafverteidigers wie umgekehrt die Stärkung der Stellung des Verteidigers zu einer besseren Sicherung der Beschuldigtenrechte führt. Dieser Zusammenhang besteht sowohl in den jeweiligen nationalen Rechtsordnungen als auch auf der europäischen Ebene.[3]

Unabhängig von dem konkreten Tagungsthema berührt die Frage nach einem "europäischen" Strafverteidiger eine Reihe von Aspekten des weitgefächerten Themas "Strafverteidigung in Europa"[4], ein Thema, das noch immer und trotz festzustellenden verstärkten Reflexionen in letzter Zeit ein Stiefmütterchendasein fristet. Hinsichtlich der gleichwohl anzutreffenden inhaltlichen Diskussionen sind verschiedenen Konstellationen sichtbar. Dabei geht es vor allem darum, Positionen und Rechte der Strafverteidigung und des Strafverteidigers auf dem Weg der Herausbildung eines europäischen Strafrechts und einer europäisierten Strafverfolgung näher zu bestimmen.[5] Zur Bearbeitung dieser Thematik gehören solche Punkte wie die Analyse des Rechts auf Verteidigung bzw. auf einen Strafverteidiger in den jeweiligen nationalen Rechtsordnungen,[6] die europäischen Rahmenbedingungen für die Strafverteidigung[7] sowie die Strafverteidigung vor internationalen Gerichtshöfen.[8]

I. Ausgangspunkte zur Verteidigung in transnationalen europäischen Strafverfahren

Zurück kommend auf das Tagungsthema sind für Überlegungen zur Verbesserung des Schutzes des Strafverteidigers in einem europäischen Kontext – und darauf bezieht sich die Einschränkung des Themas durch den zweiten Teil der Überschrift meines Referats – zunächst vor allem strukturelle Gesichtspunkte sowie solche der Verfahrenswirklichkeit zu beachten. Insbesondere lässt sich nicht darüber hinwegsehen, dass die bisherigen Institutionen der europäischen Strafrechtspflege in erster Linie im Bereich der Strafverfolgung anzutreffen sind. Dabei haben wir es mit einem ganzen Geflecht von Institutionen europäischer Strafverfolgung zu tun: [9]

Mit dem Europäischen Polizeiamt "Europol", der zentralen Europäischen Stelle für justitielle Zusammenarbeit "Eurojust"; ferner mit dem als weisungsunabhängige Dienststelle der Kommission agierenden Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung "OLAF".[10] Diskutiert wird darüber, eine Europäische Staatsanwaltschaft zu etablieren;[11] der Entwurf für deren gesetzlichen Voraussetzungen liegt vor und bestimmte Grundzüge sind in den Entwurf des EU-Reformvertrages übernommen worden (Art. 69 i). Schon heute relevant sind das Europäische Justitielle Netz (EJN) sowie Verbindungsrichter und –staatsanwälte.[12]

Diese Einrichtungen werden virulent im Zusammenhang mit einer neuen europäischen Verfahrenswirklichkeit. Fast erscheint es in diesem Zusammenhang zu trivial darauf hinzuweisen, dass Strafverfolgung schon lange nicht mehr an nationalen Grenzen halt macht und dies logisch und konsequent erscheint. Denn die Globalisierung der ökonomischen Verhältnisse und der Kommunikation erfasst nach und nach alle Lebensbereiche, was zu der als selbstverständlich angenommenen Fragestellung führt, warum Staaten, die miteinander wirtschaftliche und militärische Abkommen abschließen und sich dabei mehr oder weniger vertrauen, beispielsweise nicht auch den Rechtshilfe- und Auslieferungsverkehr, oder die Strafverfolgung über nationale Grenzen hinweg intensivieren sollen.[13] Straftäter orientierten sich zunehmend international, planen und begehen ihre Taten in mehr als einem Land und suchen Zuflucht auf der ganzen Welt. Gerade für die Verfolgung transnationaler organisierter Kriminalität wird dabei von den Staaten versucht, mit einem hohen Maß an Effektivität grenzüberschreitender Strafverfolgung darauf zu reagieren, dass Straftäter sich dank der europäischen Grundfreiheiten innerhalb Europas ohne Schwierigkeiten bewegen. [14]

Die im Hinblick auf das Strafprozessrecht erwähnte Bestandsaufnahme des Abbaus von Beschuldigtenrechten, von Garantien und schützenden Formen wird bedeutsam auch bei grenzüberschreitender Strafverfolgung. Auch hier wird zunächst verstärkt auf präventiv wirkende Maßnahmen im Vorfeld des Tatverdachts gesetzt, insbesondere auf heimliche informationstechnische Eingriffs- und Überwachungsmaßnahmen, die Gespräche, Telefonate, Computerdaten, Aufenthaltsorte und Konten der Bürger ermitteln und zahlreiche über sie gespeicherte Daten zusammenführen. Das dahinter stehende Konzept ist das der "Vorsorge für die Strafverfolgung" mit der einhergehenden Vermischung von Prävention und Repression.[15] Darüber hinaus – so wird weiter zu Recht moniert – erfolge im Strafprozessrecht ein Abbau von Garantien und schützenden Formen.[16] Dieser Gesichtspunkt ist bei der hier zu behandelnden Thematik insbesondere vor dem Hintergrund der Strafverfolgung in Europa von Relevanz, wobei sich nicht zuletzt die Frage stellt, welche Rolle dabei die Strafverfolgungsinstitutionen auf EU-Ebene spielen. Darauf werde ich zurückkommen. Zunächst will ich auf seit geraumer Zeit anzutreffende Überlegungen eingehen, die sich mit der Strafverteidigung in transnationalen europäischen Strafverfahren befassen.

1. Reale Probleme der Verteidigung

Die Erörterungen der Verteidigung in transnationalen europäischen Strafverfahren finden angesichts realer Probleme statt, denen sich die nationalen Strafverteidiger in derartigen Strafverfahren ausgesetzt sehen, wobei hervorgehoben wird, dass sie allein und auf sich gestellt kaum in der Lage sind, die Probleme für ihren Mandanten zu lösen.

Diese Probleme sind vielfältig, und nur eine kleine Auswahl davon kann hier wiedergegeben werden:[17]

· An wen richtet der Rechtsanwalt seine Beschwerde, wenn es zu Rechtsverletzungen kommt?

· Wie lässt sich eine Doppel- oder Mehrfachverteidigung organisieren, wenn der Beklagte in mehreren Mitgliedsstaaten einen Rechtsanwalt bräuchte?

· Woher bekommt man die finanziellen Mittel für Prozesskostenhilfe?

· Wie löst man Sprachprobleme und die Kostenfrage bei Inanspruchnahme von Übersetzern bzw. Dolmetschern in einem anderen Mitgliedsstaat?

Neben diesen bedeutsamen, aber vor allem organisatorischen Problemen wird auf beträchtliche inhaltliche Konstellationen hingewiesen, wie die der Zulässigkeit von unterschiedlichen Beweiserhebungen, ferner auf das Problem der gegenseitigen Anerkennung von justitiellen Entscheidungen (etwa des europäischen Haftbefehls), oder auch auf die Frage nach der Anwendbarkeit unterschiedlichen materiellen Strafrechts.[18]

Herausgestellt wird, dass es im Grunde immer der Mandant selbst ist, der ohne professionelle Hilfe im transnationalen Strafverfahren derartigen Situationen quasi ohnmächtig gegenüber steht und deshalb im sogenannten einheitlichen europäischen Raum Gefahr läuft, durch das Netz zu fallen.[19]

2. Fehlende Gesamtbalance und fehlende "Waffengleichheit"

Ein weiterer Gesichtspunkt bei den anzutreffenden Überlegungen zur Funktion des Strafverteidigers in transnationalen europäischen Strafverfahren wird in dem Kontext einer fehlenden Gesamtbalance in derartigen Strafverfahren bzw. der fehlenden "Waffengleichheit" gesehen.[20] Wollte man diesem Zusammenhang nahe treten, könnte dafür das Ungleichgewicht zwischen den europäischen Strafverfolgungsbehörden auf der einen Seite und einer fehlenden europäischen Strafverteidigungsbehörde auf der anderen Seite problematisiert werden.

Dies lässt sich vielleicht am ehesten mit der Vorstellung von dem Bild der Waage der Justitia verdeutlichen. Verstünde man das Gleichgewicht dieser Waage auch als ein Symbol für Verfahrensgerechtigkeit und für ein faires Verfahren überhaupt, so wäre es naheliegend, im Hinblick auf die europäische Strafverfolgung zu konstatieren, dass wir es dabei gegenwärtig mit einem gravierenden Ungleichgewicht zu tun haben. Wenn auf einer Waagschale das Geflecht der europäischen Strafverfolgungsbehörden Platz gefunden hat, befindet sich auf der anderen Waagschale kein Gegenstück einer institutionalisierten europäischen Strafverteidigung bzw. eines institutionalisierten "europäischen" Strafverteidigers.

II. Der Begriff "europäischer Strafverteidiger"

Ich muss vorausschicken, dass der Begriff "europäischer Strafverteidiger" nicht unproblematisch ist, jedenfalls erfordert er eine nähere Bestimmung. Diese lässt sich aber zunächst wohl nur in einer Antwort darauf suchen, was darunter nicht zu verstehen ist.

Mit dem Begriff "europäischer Strafverteidiger" wird nicht so sehr ein Thema berührt, dass als "europäisierter" Strafverteidiger bezeichnet werden könnte. Der "europäisierte" Strafverteidiger stünde in einem engen Zusammenhang mit dem Terminus "Europäisiertes Strafrecht". Dieser wiederum bezieht sich auf "nationales Europäisches Straf- und Strafverfahrensrecht". Mit ihm wird danach gefragt, ob das Strafrecht der Mitgliedsstaaten durch europäisches Recht in seiner Ausgestaltung und Anwendung beeinflusst wird.

Bei Überlegungen für einen "europäisierten" Strafverteidiger wären die Untersuchungen demzufolge vor allem darauf zu richten, ob und inwieweit sich Europäisches Strafverfahrensrecht auf die Rolle und Stellung des Strafverteidigers in den nationalen Strafprozessordnungen auswirkt. Das beträfe vor allem die Untersuchung der entsprechenden Einflüsse der Europäischen Menschenrechtskonvention auf das jeweilige nationale Strafverfahrensrecht, wobei hierzu die Erörterungen über einheitliche europäische Mindeststandards der Strafverteidigung gehören.[21]

Im Rahmen der Europäisierung des Rechts auf Verteidigung erfolgte ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer öffentlichen europäischen Diskussion über das Recht auf einen Strafverteidiger unter europäisierten Bedingungen durch das Grünbuch der Kommission vom 19.2.2003 über Verfahrensgarantien innerhalb der Europäischen Union,[22] fortgeführt durch den Kommissionsvorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates der EU vom 28.4.2004.[23]

Ich möchte die dazu stattgefundene Diskussion[24] hier vor allem deswegen nicht aufgreifen, sondern nur darauf verweisen, weil die Situation gegenwärtig dadurch gekennzeichnet ist, dass der Europäische Rat auf seiner Tagung vom 12. und 13. Juni 2007 den Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über bestimmte Verfahrensrechte in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union für gescheitert erklärt hat.[25]

Der zweite Aspekt der Europäisierung der Strafverteidigung besteht in einem Rechtsvergleich der nationalen Strafprozessordnungen. Ein solcher Rechtsvergleich erstreckt sich insbesondere auf das jeweilige Vorverfahren, da gerade hierin markante Schwachstellen des Rechts auf Verteidigung liegen. Aufgrund der vorliegenden jüngsten Untersuchung zum Recht auf Verteidigung in nationalen Prozessordnungen durch Weigend u.a.[26] von der Universität Köln will ich auch diesen Aspekt hier nur erwähnen, allerdings nicht ohne das Gesamtergebnis zu nennen. Dieses besteht darin, dass hinsichtlich der in die Untersuchung einbezogenen Länder England, Wales, USA, Niederlande, Spanien, Italien und Polen nur sehr wenige weitgehend übereinstimmende Grundlinien festgestellt werden konnten.[27] Dabei sind freilich unterschiedliche Verfahrensstrukturen zu beachten,[28] so auf der einen Seite das inquisitorische System (Niederlande, Spanien, Polen), auf der anderen Seite das adversatorische Verfahren (England, USA), und schließlich Mischformen (Italien), die sich nicht mehr eindeutig dem einen oder anderen Strukturtyp zuordnen lassen, sondern gewisse Elemente beider Systeme miteinander verbinden. Es wird bei weiteren Forschungen darauf zu achten sein, in welcher Weise diese unterschiedlichen Systeme das Recht auf einen Strafverteidiger repräsentieren und welche Schlussfolgerungen für eine weitere Europäisierung dieses Rechts zu ziehen sind.[29]

Nach dieser Abschichtung des Begriffs des europäisierten Strafrechts und des europäisierten Strafverteidigers von dem Begriff des "europäischen" Strafverteidigers bleibt festzuhalten, dass letzterer seine Begründung zunächst durch die Gegenüberstellung von europäischen Strafverfolgungsbehörden und europäischer Strafverteidigung auf der Waage der Verfahrensgerechtigkeit im Kontext mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens findet.

Allerdings ist die europäische Strafverteidigung weniger "europäisch" als die Strafverfolgungsbehörden, und zwar weniger in dem Sinn, dass die europäischen Strafverfolgungsbehörden nicht nur im europäischen Raum agieren , sondern im Gegensatz zu den Verteidigern in transnationalen Strafverfahren auch Institutionen der EU sind. Ob und welcher institutionelle Charakter einer europäischen

Strafverteidigung etwa durch einen "europäischen" Strafverteidiger zukommen muss, ist eine Frage, die es erst noch zu beantworten gilt, obwohl einige der bereits unterbreiteten Vorschläge in die Richtung einer bejahenden Antwort weisen.

In Bezug auf die Wörter "Strafverteidigung" und "Strafverteidiger" gehe ich von dem schon im 19. Jahrhundert erwähnten Zusammenhang und berühmt gewordenen Ausspruch aus, dass die Geschichte des Strafprozesses die Geschichte der Verteidigung ist und die Geschichte der Verteidigung weitgehend die Geschichte der Rechtsstellung des Verteidigers.[30] Das bedeutet einerseits, dass zwangsläufig eine gewisse synonyme Verwendung beider Begriffe nicht zu vermeiden ist, andererseits aber auch beachtet werden muss, dass der Strafverteidiger innerhalb des Begriffes "Strafverteidigung" seine eigene Berechtigung hat und der Fokus bei den von mir vorzustellenden Forschungsperspektiven in erster Linie genau darauf liegt.

Nach dieser etwas längeren Einführung, die ich Ihnen gewissermaßen als notwendiges Vorverständnis meinte unterbreiten zu sollen, wende ich mich im Folgenden einigen bereits vorliegenden Überlegungen zur Rolle der Strafverteidigung und des Strafverteidigers in transnationalen europäischen Strafverfahren zu.

B. Bisherige Vorschläge zu einer europäischen Strafverteidigung

Vorschläge zur Stärkung der Verteidigung in transnationalen europäischen Strafverfahren werden in der letzten Zeit verstärkt diskutiert, ohne dass man allerdings davon sprechen kann, dass das Für- und Wider der unterbreiteten Vorschläge schon ausreichend beleuchtet worden sei.

I. Eurodefensor

In einem Alternativentwurf Europäische Strafverfolgung aus dem Jahre 2004, dessen Herausgeber Schünemann ist, wird ein sogenannter EURODEFENSOR vorgeschlagen.[31] Dieser Vorschlag erfolgte vor dem Hintergrund der Position, dass es bei der zunehmenden Europäisierung der Strafverfahren zu einer Verschiebung der Gesamtbalance komme.

Auch die Erwägungen des Grünbuchs über die Verfahrensgarantien – von denen ich bereits gesprochen hatte – würden hier keine ausreichende Abhilfe erwarten lassen, weil sie nur auf punktuelle Verbesserungen gerichtet seien, ohne die Verschiebung der Gesamtbalance auszugleichen. Durch die auf europäischer Ebene zu schaffende neue Institution Eurodefensor solle ein Gegengewicht geschaffen werden, um damit die Gesamtbalance im europaweiten Strafverfahren wieder herzustellen.

Nach den Vorstellungen der Autoren des Alternativentwurfes soll es sich bei dieser Institution ebenso um eine zentrale Institution handeln wie bei Eurojust oder dem Europäischen Staatsanwalt, wobei die Finanzierung von der EU zu leisten sei; die eigentlichen Träger müssten aber die nationalen Rechtsanwalts- oder Strafverteidigerorganisationen sein, seitens Deutschlands beispielsweise die Bundesrechtsanwaltskammer.[32]

Eurodefensor soll über zahlreiche Mitarbeiter und Niederlassungen in den einzelnen Mitgliedsstaaten verfügen. Es handele sich bei Eurodefensor im Grunde um eine Zwillingsinstitution, die in Gestalt der "Protoverteidigung" ein Vorbild in der in Österreich realisierten Figur des Rechtsschutzbeauftragten besitze,[33] während sie als Serviceeinrichtung beispielsweise Auskünfte über ausländisches Recht erteile, Kontakte zu ausländischen Strafverteidigern vermittele oder auch schlicht mit einer finanziellen Unterstützung eingreife, wenn die nationalen Regelungen über die Pflichtverteidigung den spezifischen Bedürfnissen einer transnationalen Verteidigung nicht gerecht werde.[34]

Eurodefensor habe den Auftrag, in Strafverfahren wegen schwerer grenzüberschreitender Kriminalität die Verteidigung zu unterstützen und zu verstärken. Zu dessen Aufgaben gehöre es im Einzelnen insbesondere:

· die Herstellung und Vermittlung von Kontakten der Verteidigung

· die Koordination der Verteidigung, bei der mehrere Verteidiger in verschiedenen Staaten beteiligt sind;

· die Bereitstellung von Informationen und Dokumenten für die Verteidigung

· die finanzielle Unterstützung der Verteidigung, wenn dafür aus der Sicht von Eurodefensor eine Notwendigkeit besteht

· die Beauftragung von Ombudsmännern in einem konkreten Strafverfahren, bis der Beschuldigte durch einen Verteidiger seines Vertrauens vertreten wird.[35]

Der Ombudsmann hat bei grenzüberschreitenden Ermittlungen das Recht, vor der Anordnung von Zwangsmaßnahmen von den Gerichten (oder von anderen für die Anordnung von Zwangsmaßnahmen nach nationalem Recht zuständigen Justizorganen) angehört zu werden. Seine Beteiligung dient dem Zweck, dass die Argumente vorgebracht werden, die gegen die Anordnung der Zwangsmaßnahmen sprechen. Weiterhin hat der Ombudsmann das Recht, an Zeugen- oder Beschuldigtenvernehmungen wie ein Verteidiger teilzunehmen.[36]

Im Entwurf einer Regelung transnationaler Strafverfahren in der Europäischen Union aus dem Jahre 2006 hat der Eurodefensor konkrete Ausgestaltungen erfahren.[37]

II. Ombudsperson

Von einer Ombudsperson spricht auch der Rat der Anwaltschaften und Anwaltskammern in Europa (Council of Bars and Law Societies of Europe – CCBE) . Während im "Modell Schünemann" der Ombudsmann jedoch auf Initiative von der Körperschaft Eurodefensor in den umschriebenen Fällen eingesetzt wird, rückt die Ombudsperson im Modell der CCBE bereits an die Stelle von Eurodefensor und agiert als konkrete Person mit einem Mitarbeiterstab.

Die Ombudsperson soll von den Bürgern und Anwälten in den einzelnen Mitgliedsstaaten angerufen werden können. In diesem Zusammenhang werden der Ombudsperson koordinierende und beobachtende Funktionen eingeräumt, die mit der Befugnis, mit Europol und Eurojust Verbindung aufzunehmen, einhergeht. Die Ombudsperson soll im Wechsel der Mitgliedsstaaten durch die jeweilige nationale Anwaltsorganisation für eine Amtsdauer von je 12 Monaten benannt werden. Es ist vorgesehen, dass die Besetzung im Jahresturnus wechselt. So soll gewährleistet werden, dass die Anwaltschaften aller Mitgliedsstaaten zum Zuge kommen und mit den Notwendigkeiten und mit dem Funktionieren der grenzüberschreitenden Strafverfahren vertraut werden.

Eine besondere Aufgabe der Ombudsperson soll darin bestehen, vermittelnd dafür Sorge zu tragen, dass in den jeweils betroffenen Staaten so schnell wie möglich eine funktionsfähige Verteidigung organisiert wird, die zur Zusammenarbeit in der Lage ist und deren Finanzierung in den betroffenen Staaten abgestimmt stattfindet.[38]

III. Pro und Contra

Anhand der Vorschläge der CCBE wird deutlich, dass ein weiterer wichtiger Unterschied zu dem Modell von Schünemann darin besteht, dass die Ombudsperson von CCBE nicht selbst in konkreten Mandaten tätig wird, sondern allein die koordinierende, unterstützende und vermittelnde Funktion wahrnimmt, also gewissermaßen die Anlaufstelle für Verteidigungsfragen in europäischen transnationalen Strafverfahren darstellt.

Aufgrund fehlender Praxis ist es freilich verfrüht, Vor- und Nachteile dieser beiden Modelle diskutieren zu wollen. Es scheint aber auf der Hand zu liegen, dass das Modell der CCBE jedenfalls in der Umsetzung realistischer ist als das von Schünemann.

Die Verfechter der dargestellten Modelle halten sich mit gegenseitiger Kritik nicht zurück und schätzen den jeweils anderen Vorschlag als wirkungslos ein.

Die hauptsächlichsten Kritikpunkte an dem Vorschlag eines Criminal Law Ombudsmannes bestehen darin, dass die Institution des Ombudsmannes vom CCBE selbst vollständig kontrolliert und mit eigenen Vertretern besetzt werden solle. Es handele sich – so die Kritiker weiter – um einen typischen Ombudsmann als Bürgerbeauftragter, der Beschwerden entgegennimmt und im konkreten Fall gegenüber den Europäischen Institutionen Missstände aufzeigt. Ein Ombudsmann, ausgestattet mit einem Büro und einigen wenigen Mitarbeitern sei keine Institution, die auch nur annähernd ein adäquates Gegengewicht zu der strukturellen wie organisatorischen Übermacht transnationaler Strafverfolgungsbehörden herstellen könne, weshalb dadurch eine effektive Verteidigung in diesen Fällen nicht zu gewährleisten sei.[39]

"Die Einrichtung eines ‚Ombudsmannes’, wie sie vom CCBE vorgeschlagen wird, wird eine neue salbungsvolle Persönlichkeit auf europäischer Ebene installieren, die aber im Ganzen weitgehend und im einzelnen Verfahren vollständig wirkungslos bleiben wird." [40]

Demgegenüber wird das Konzept des Eurodefensor von dem Vorstandsmitglied der European Criminal Bar Association (ECBA), einer unabhängigen Organisation von Strafverteidigern aus allen Mitgliedsstaaten, die dem Europäischen Rat angehören, Rechtsanwalt Jonathan Mitchel mit drastischen Worten als "völlig töricht" und mit der EMRK unvereinbar bezeichnet.[41]

Dieses Pro und Contra weist darauf hin, dass zwischen den Verfechtern der verschiedenen Modelle jedenfalls verbal mit recht harten Bandagen gekämpft wird, wobei die Frage nach den Ursachen dafür noch weitgehend unbeantwortet bleiben muss, obwohl verschiedentlich zu vernehmen ist, es handele sich bei diesem Streit keinesfalls nur um einen verbalen Schlagabtausch, sondern es gehe letztlich auch um "Machtfragen" von unterschiedlichen Anwaltsorganisationen. Darüber habe ich hier freilich nicht zu spekulieren.

Kritik an dem Modell des Eurodefensor ("Modell Schünemann") kommt aber nicht nur von Anwälten, sondern auch aus der Wissenschaft. Eine wichtige Stimme ist dabei die von Vogel. Diesem erscheint der Vorschlag für einen Eurodefensor zu wenig verteidigungsbetont. Hin-

sichtlich der Vertikalisierung der Strafverteidigung hält Vogel das Ombudsmann-Projekt der CCBE gegenüber dem Eurodefensor vorzugwürdig, "weil es nicht auf beamtete Verteidiger nach staatssozialistischem Vorbild, sondern auf freie Verteidiger setzt, die von der CCBE vorgeschlagen und vom Europäischen Parlament bestätigt werden".[42]

In der Sache hingegen präferiert Vogel das Eurodefensor-Modell, weil es dem Eurodefensor wirkliche Beteiligungsrechte einräume, während der Ombudsmann auf ein "weiches" Monetoring beschränkt sei. Vogel spricht sich dafür aus, die Vorzüge beider Modelle zu kombinieren.[43]

IV. Europäischer Strafverteidigungsverbund

In einem eigenen Vorschlag plädiert Vogel dafür, alle drei Säulen des bereits geschaffenen europäischen Strafverfolgungsbundes – gegenseitige Anerkennung, Harmonisierung, Vertikalisierung – auf einen noch zu schaffenden europäischen Strafverteidigungsverbund zu übertragen.[44]

Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung müsse in der Weise für die Verteidigung berücksichtigt werden, dass ausländische Verteidiger in allen Belangen, rechtlich und praktisch, inländischen Verteidigern gleichgestellt sind; ausgehend davon, dass die Rechtsstellung des Verteidigers in den Mitgliedsstaaten – bei allen Gemeinsamkeiten in den "Kernrechten" - durchaus unterschiedlich geregelt sei. Daraus leitet Vogel einen dringenden Bedarf für eine Mindestharmonisierung der Verteidigerrechte ab.

V. Europäisches Netzwerk von Strafverteidigern

An anderer Stelle wurde angeregt, über die Bildung eines "Europäischen Netzwerkes der Strafverteidigung" innerhalb eines europäischen Rechtsrahmens nachzudenken.[45] Dabei handelt es sich um ein Akkreditierungssystem für "Europäische Strafverteidiger" mit Kenntnissen und Erfahrungen in europäisch-transnationaler Strafverteidigung, das durch die CCBE verwaltet werden könnte. Der Zugang von Beschuldigten und anderen Betroffenen in transnationalen Strafverfahren solle dadurch gewährleistet werden, dass sowohl europäische als auch mitgliedstaatliche Stellen verpflichtet werden, Beschuldigte und andere Betroffene so früh wie möglich über das "Europäische Netzwerk der Strafverteidigung" und das Recht auf Rechtsbeistand zu informieren.[46]

Daneben gibt es Überlegungen für ein weiteres Projekt bezüglich des Aufbaus eines europäischen Netzwerkes von Rechtsanwälten, welches von der Anwaltsorganisation Fair Trial Abroad initiiert wird. Fair Trial Abroad unterstützt als Nicht-Regierungsorganisation Großbritanniens weltweit Bürger der Europäischen Union, die unfairer Strafverfolgung ausgesetzt sind und verfügt dabei über einen reichen Erfahrungsschatz mit der Strafverteidigung in transnationalen Prozessen.

Bei den erwähnten Projektplänen von Fair Trial Abroad handelt es sich um die Idee eines Netzwerkes, welches aus Verteidigern, Aktivisten aus Nichtregierungsorganisationen und Wissenschaftlern bestehen soll, deren Schwerpunkt insbesondere auf den Menschenrechten und dem Strafrecht liegt. Dieses Projekt zielt nach den uns vorliegenden ersten Informationen darauf ab, innerhalb einer EU-weiten Kampagne fundamentale Rechte im Zusammenhang mit der Strafverteidigung zu schützen und zu fördern, wie

· den Schutz der Daten des Beschuldigten im Strafverfahren

· die Rechtshilfe und Übersetzungshilfe

· das Informationsrecht über Anschuldigungen

· das Recht des Beschuldigten mit Konsularbeamten und Familienangehörigen zu kommunizieren,

· das Recht der Bewegungsfreiheit des Beschuldigten innerhalb einer vor dem Hauptverfahren liegenden Supervision sowie

· den Zugang zu Rechtswegen.

Diese Vorschläge korrespondieren offenbar mit der Idee von mehrnationalen Verteidigungsteams, auf die ich jetzt zu sprechen komme.

VI. Mehrnationale Verteidigerteams

Die Idee dazu wurde von Ahlbrecht und Lagodny im Kontext mit der Diskussion von einheitlichen Strafverfahrensgarantien in Europa eingebracht. Vorgeschlagen wird eine Meistbegünstigungsklausel bei grenzüberschreitender Zusammenarbeit.[47]

Diese besteht darin, das keines der von Ahlbrecht und Lagodny diskutierten Strafverfahrensrechte nur deshalb in geringerem Maße gewährt oder in höherem Maße eingeschränkt werden dürfen, weil in einem bestimmten Strafverfahren die Behörden oder Gerichte auch eines anderen Staates tätig werden sollen oder müssen.

Gesichert werden soll die Meistbegünstigungsklausel, die sich – obwohl unausgesprochen – auch gegen das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung richtet, durch das Recht auf mehrnationale Verteidigerteams. Bei grenzüberschreitender Strafverfolgung hat danach jeder Betroffene das Recht auf Verteidigerteams aus den beteiligten Staaten. Bezugspunkt ist ein international arbeitsteiliges Strafverfahren. In diese Überlegungen sind auch die relevanten Vorschriften über die Rechtshilfe in Strafsachen einzubeziehen.[48]

Der Gedanke mehrnationaler Verteidigerteams war freilich schon durch einen Vorschlag von Rechtsanwalt Prof. Franz Salditt, dem früheren deutschen Vorsitzenden des Strafrechtsausschusses des Rates der europäischen Anwaltschaften, zur doppelten Verteidigung auf einheitlichem Raum am Beispiel des europäischen Haftbefehls entwickelt worden. Nach Salditt ist es geboten, die Verteidigung von Anfang an und bis zum Abschluss des Verfahrens doppelt zu besetzen, nämlich durch einen Anwalt jeweils im Staat des Haftbefehls ebenso wie im Auslieferungsstaat, weil nur so die beiderseitigen Mängel der Unkenntnis von Sprache, Kultur und Recht ausgeglichen werden könnten.[49]

Salditt ist es übrigens, der sich – soweit zu sehen ist – bislang am umfänglichsten zur Begründung der Ombudsperson der CCBE im Schrifttum geäußert hat, und zwar in "Forum der Europäischen Rechtsakademie Trier" (ERA-Forum), Heft 2/2006. Dieser Beitrag steht im Zusammenhang mit der am 7. April 2006 an der Europäischen Rechtsakademie Trier veranstalteten Tagung "Der Europäische Bürgerbeauftragte für Strafrechtsfragen". Allerdings ließ sich auch im Ergebnis dieser Tagung eine einheitliche Meinung zu dem Modell für das Amt des Ombudsmannes für Strafrecht nicht feststellen.

VII. Überlegungen aus dem Völkerstrafprozessrecht

Für den Fall, dass für den Bereich eines europäisierten bzw. europäischen Strafverfahrens die Idee eines Protodefensors aufgegriffen werden sollte, so wäre nach Kress hinsichtlich der Frage, wann und in welchem Umfang diese Institution zu beteiligen ist, ein Blick auf das Völkerstrafprozessrecht zu empfehlen. Schlüsselbestimmung sei hier Art. 56 Abs. 2 lit. d und Abs. 3 lit. a des IStGH-Statuts, wonach im Fall einer unique investigative opportunity ein Vertreter der Interessen der Verteidigung zu bestellen ist, und zwar auch entgegen dem Votum der Anklageseite, sofern die Verteidigungsinteressen dies nach Einschätzung der Vorverfahrenskammer gebieten.[50]

VIII. "Europäischer Rechtsanwalt"

Bei dem Modell des "Europäischen Rechtsanwalts" handelt es sich nicht um einen Vorschlag zur Entwicklung einer europäischen Strafverteidigung, sondern um ein innerhalb der EU bereits bestehendes Regelwerk. Im Hinblick darauf, ob dieses möglicherweise in die Diskussion über eine europäische Strafverteidigung einzubeziehen ist, finden sich jedenfalls in der deutschen Wissenschaft – soweit zu sehen ist – Ausführungen wohl allein bei Nelles[51] und bei Schünemann.[52]

Dabei wird hervorgehoben, dass die Möglichkeiten für Rechtsanwälte, als Verteidiger grenzüberschreitend tätig zu werden, im Rahmen der Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs von der EG schon sehr früh geschaffen worden sind.

Eine EWG-Richtlinie des Rats hat schon vor mehr als 25 Jahren angeordnet, dass jeder Mitgliedsstaat für die Ausübung der Tätigkeiten der Rechtsanwälte alle Personen als Rechtsanwalt anerkennt, die in anderen Mitgliedsstaaten die entsprechende Anerkennung besitzen. Allerdings wird vorgeschrieben, dass das nur über einen vor Ort zugelassenen sogenannten Einvernehmungsanwalt möglich ist, was man die sogenannte Gouvernantenklausel nennt.

Nach einer weiteren europäischen Liberalisierung im Jahre 1998 gilt heute in Deutschland das Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte aus dem Jahre 2000 (EuRAG), dem auch Gesetze in den Mitgliedsstaaten entsprechen und das die Gouvernantenklausel nur für die Fälle der notwendigen Verteidigung im Strafverfahren und beim Verkehr mit einem inhaftierten Beschuldigten enthält.

In Anwaltskreisen ist allgemein anerkannt, dass die Verteidigung in einem im Ausland geführten Ermittlungsverfahren nur in Zusammenarbeit mit im dortigen Recht ausgebildeten und in der Verteidigertätigkeit vor Ort

sozialisierten Rechtsanwälten in einer die vom Standesrecht geforderte Qualitätsgarantie einhaltenden Weise geführt werden kann.

Für die weitere Diskussion der Vorschläge für einen europäischen Strafverteidiger empfiehlt es sich, die EG-Richtlinien zum europäischen Rechtsanwalt und besonders die dafür vorliegenden praktischen internationalen Erfahrungen zu bedenken.

IX. Sonstiges

Die Bestandsaufnahme bisheriger Vorschläge zu einer europäischen Strafverteidigung ergibt auch, dass über die Frage gestritten wurde, ob eine Bestimmung über einen "europäischen" Strafverteidiger Eingang in den europäischen Verfassungsvertrag hätte finden sollen.[53] Zweifel bezogen sich darauf, dass sich in Staatsverfassungen üblicherweise keine Bestimmungen zur Institution der Strafverteidigung fänden.[54] Dem wurde entgegengehalten, dass angesichts der Anerkennung eines Verfahrensgrundrechts auf Verteidigung in Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK einer Aussage zur Organisation des Rechts auf Verteidigung die verfassungsvertragliche Dignität keineswegs fehle. Wenn der Verfassungsvertrag die Rolle der Europäischen Staatsanwaltschaft thematisiere, sei es sinnvoll, auch die Frage zu behandeln, wie die Interessen des Beschuldigten speziell in der – typischerweise geheimen – Ermittlungsphase zu berücksichtigen seien.[55]

C. Erste Überlegungen zu einem Projekt "Europäischer Strafverteidiger"

Aus der vorgenommenen Bestandsaufnahme von Vorschlägen zur Entwicklung und Stärkung der Verteidigung in transnationalen europäischen Strafverfahren ergeben sich einige Überlegungen und Schlussfolgerungen für neue Forschungsperspektiven.[56]

I. Drei mögliche grundlegende Untersuchungsrichtungen

Für ein Projekt "Europäischer Strafverteidiger" bestehen drei mögliche grundlegende Untersuchungsrichtungen, die sowohl unabhängig voneinander als auch in unmittelbarer Verknüpfung – oder auch nacheinander – in den Blick genommen werden können.

1. Verfahrens- und Verteidigungsrechte des Beschuldigten

Es handelt sich zum einen um die Ebene der Beschuldigten- und weiterer Verfahrensrechte. Hinsichtlich des Rechts auf Verteidigung bzw. auf einen Verteidiger/Beistand steht hier die Frage nach entsprechenden Standards auf europäischer Ebene im Mittelpunkt der Untersuchungen, die man auch als Europäisierung des Rechts auf Verteidigung bezeichnen könnte. Wie bereits dargelegt, galt dieser Frage sowohl in der Wissenschaft wie auch in der europäischen Rechtspolitik eine durchaus nicht nur marginale Aufmerksamkeit, wovon die Diskussion über das schon erwähnte Grünbuch und den Entwurf für einen Rahmenbeschluss des Rates über die Verfahrensrechte des Beschuldigten Zeugnis abgelegt hat. Obwohl die diesbezüglichen rechtspolitischen Bemühungen von vornherein unzureichend waren und letzten Endes gescheitert sind, ist es Aufgabe der Wissenschaft, nicht ihrerseits dieses Themenfeld zu den Akten zu legen, sondern unablässig weiter bzw. verstärkt darum zu ringen, dass der entsprechende europäische rechtspolitische Diskurs zumindest wieder aufgenommen wird.[57] Die Frage nach einem "europäischen" Strafverteidiger ist in diesem Rahmen zwar ein wichtiger, aber nur ein Aspekt.

2. Rechtsvergleichung des Rechts auf Verteidigung

Eng damit zusammen hängt die zweite mögliche Untersuchungsrichtung: die Rechtsvergleichung auf diesem Gebiet. Dazu liegen – wie ebenfalls bereits dargetan – repräsentative und aufschlussreiche Ergebnisse vor. Diese lassen sich im Hinblick darauf auswerten, ob und inwieweit in den nationalen Strafprozessordnungen Nachhole- bzw. Angleichungsbedarf der jeweiligen nationalen Vorschriften an das bereits bestehende europäische Recht existiert (etwa im Hinblick auf Art.6 Abs. 3 Ziff. c EMRK) bzw. welche nationalen Vorschriften eine Weiterentwicklung des europäischen Rechts anzuraten scheinen. Zu be-

obachten ist im Übrigen auch eine Reihe von Dissertationsvorhaben zu diesem Thema.[58] Auch die Rechtsvergleichung des Rechts auf Verteidigung bezieht sich nicht ausschließlich auf die Stellung und Rolle des Verteidigers, sondern ordnet sie in die vergleichende Betrachtung der Verteidigungsrechte des Beschuldigten mit ein.[59]

3. Institution eines "europäischen" Strafverteidigers?

Die dritte Untersuchungsrichtung schließlich betrifft die Frage nach der Organisation bzw. der Institutionalisierung der Strafverteidigung durch einen "europäischen" Strafverteidiger in transnationalen europäischen Strafverfahren. Aus den vorgenommenen Bestandsaufnahmen aller drei gerade angesprochenen Untersuchungsrichtungen ergibt sich, dass hinsichtlich der Organisation bzw. Institutionalisierung eines "europäischen" Strafverteidigers allein schon in der Wissenschaft die meisten Fragen wohl noch offen sind, dass Forschungsdesiderate hier also offensichtlich am deutlichsten hervortreten.

Aber auch die Umsetzung eines effizienten Modells eines "europäischen" Strafverteidigers ist angesichts der immer mehr zunehmenden "Transnationalisierung" der Strafverfahren mit all ihren Auswirkungen auf die Betroffenen respektive Verfolgten und Beschuldigten ein allzu drängendes Problem. Dies freilich setzt einen praktikablen Vorschlag für ein solches Modell überhaupt erst einmal voraus.

II. Die Auswahl der dritten Untersuchungsrichtung (C.I.3.)

Besonders vor dem soeben erläuterten Hintergrund der dritten Untersuchungsrichtung drängt es sich geradezu auf, den Focus auf ein eigenständiges Projekt zur Frage nach der Organisation oder Institutionalisierung eines "europäischen" Strafverteidigers zu legen, freilich nicht ohne zuvor methodische Ausgangsüberlegungen zu diskutieren.

1. Die auszuwählende Methode

Zunächst sei auf einer horizontalen Ebene vorausgeschickt, dass es methodisch inkonsistent wäre, die beiden ersten Untersuchungsrichtungen (C.I.1. und C.I.2.) bei den Überlegungen zu einem "europäischen" Strafverteidiger völlig außer Betracht zu lassen. Es wird noch zu zeigen sein, dass die dritte Untersuchungsrichtung zwar im Mittelpunkt eines eigenständigen Projekts – so wie vorgesehen – stehen kann, dabei aber sowohl die Beschuldigtenrechte mitzubedenken bzw. einzubeziehen sind wie auch die Ergebnisse der Rechtsvergleichung hinsichtlich des Rechts auf Verteidigung nicht unberücksichtigt zu lassen.

Anknüpfend an die bereits vorliegenden Vorschläge zur Entwicklung und Stärkung der Strafverteidigung in transnationalen europäischen Strafverfahren (B.) ergibt sich ferner die Frage nach der vertikal richtigen methodischen Herangehensweise bzw. dem Ausgangspunkt für derartige Überlegungen, die sich als Weichen stellend für den Beginn und Verlauf eines solchen Projekts erweisen dürfte.

Es ist dies die Entscheidung darüber, ob gewissermaßen allein anhand von Prinzipien (eines "europäischen" Strafverfahrens) die Frage nach einem "europäischen" Strafverteidiger beantwortet werden soll, oder zunächst die tatsächlichen Fall- und Problemkonstellationen, die in transnationalen Strafverfahren auftreten können, zu ermitteln sind, wobei für Letzteres in dem hier vorliegenden Kontext natürlich unterstellt werden muss, dass sich derartige Fallkonstellationen, oder besser gesagt: die richtigen Ausgangs- und Lebenssachverhalte, auch finden lassen. Würde man demgegenüber den ersten Weg beschreiten, also a priori prinzipiengeleitet vorgehen, hieße das selbstverständlich, von vornherein jene Prinzipien zu benennen und zu begründen, die als Ableitungskriterien für einen "europäischen" Strafverteidiger gelten sollen.[60]

Betrachtet man die vorliegenden Modelle europäischer Strafverteidigung mit einem ersten Blick, so entsteht der Eindruck, dass jedenfalls die Überlegungen des Eurodefensor sich offenbar per se an Grundprinzipien wie Gesamtbalance oder "Waffengleichheit" zwischen europäischen Strafverfolgungsbehörden und europäischer Strafverteidigung haben leiten lassen, hingegen solchen Vorschläge wie der Ombudsperson oder auch eines europäischen Netzwerkes von Strafverteidigern stärker praktische Bedürfnisse zu Grunde lagen.

Mit der Mitteilung dieser zugegebenermaßen vielleicht recht oberflächlichen Beobachtung geht es nicht darum, die eine Herangehensweise gegen die andere auszuspielen. Es wäre verfehlt, dem Modell des Eurodefensor die Berücksichtigung praktischer Bedürfnisse abzusprechen, wie es auch kaum haltbar wäre behaupten zu wollen, dass die Überlegungen für eine Ombudsperson oder ein europäisches Netzwerk von Strafverteidigern ohne prin-

zipiengeleitete Fragestellungen erfolgt sind. Aber offengelegt und diskutiert wurden bisher weder die prinzipiengleiteten Fragestellungen noch die praktischen Fallkonstellationen.

Zu bedenken ist, dass sich die Fragestellung nach Entwicklung und Stärkung der Verteidigung in transnationalen europäischen Strafverfahren vor allem aufgrund der entstandenen enormen Komplexität transnationaler Kriminalität und der strafrechtlichen Reaktionen darauf ergibt. Aufgrund der dabei bestehenden komplizierten normativen und faktischen nationalen und internationalen multiplen Verflechtungen ist es nahe liegend, für die weiteren Forschungen die "empirische Problemorientierung" als methodischen Ansatz zu wählen,[61] und damit einen neuen Begriff aus der Rechtsvergleichung aufzugreifen, der auch für die beabsichtigte Untersuchung sinnvoll erscheint.

2. Fall- und Problemanalyse transnationaler "europäischer" Strafverteidigung

Der erwähnten Komplexität der Strafverteidigung Rechnung tragend, ist es erforderlich, für eine Suche nach Antworten auf die die Verteidigung bzw. die den Verteidiger betreffenden Fragestellungen die Untersuchungen in einer ersten Stufe darauf zu richten, durch eine möglichst genaue Analyse herauszufinden, welche konkreten Fall- und Problemkonstellationen sowie Erfahrungen bei der Verteidigung in transnationalen europäischen Strafverfahren überhaupt bestehen, auch unter Berücksichtigung etwa der Rechtshilfe oder des Agierens des "europäischen Rechtsanwalts".[62]

Dabei sollte allerdings nicht allein bei den Problemen der Strafverteidiger stehen geblieben, bzw. schon nicht einmal damit begonnen, sondern der Blick zuerst auf den Beschuldigten und seine Rechte gerichtet werden. Erst danach oder bereits damit im Zusammenhang ist die Tätigkeit des Strafverteidigers in die Untersuchung einzubeziehen. Anderenfalls bestünde die Gefahr einer verkürzten Betrachtung gerade in Bezug darauf, welche Schlussfolgerungen aus der Analyse der Stellung des Beschuldigten – normativen wie faktischen – in transnationalen europäischen Strafverfahren für die Entwicklung einer europäischen Strafverteidigung bzw. eines "europäischen" Strafverteidigers zu ziehen sind.

Nur aus einer jeweils darauf bezogenen Fall- und Problemkonstellation lassen sich Schlussfolgerungen für die Entwicklung einer europäischen Strafverteidigung und eines "europäischen" Strafverteidigers, bzw. möglicherweise für die Entwicklung einer europäischen Strafverteidigung als ein "europäischer" Strafverteidiger ziehen. Man könnte dies – nochmals in Anlehnung an den Ausspruch von der Geschichte des Strafprozesses als Geschichte der Verteidigung und der Geschichte der Verteidigung als Geschichte der Rechtsstellung des Verteidigers, aber auch zur Bestätigung der Wechselbeziehungen zwischen den oben beschriebenen drei grundlegenden Untersuchungsrichtungen – wie folgt skizzieren:

Beschuldigtenrechte → Verfahrensrechte → Verteidigungsrechte → Verteidiger

Wohl nur auf einer solchen Grundlage ist erkennbar, wo die wirklichen notwendigen Entwicklungslinien für einen "europäischen" Strafverteidiger liegen. Nicht außer Acht zu lassen ist ferner, dass aus einer Analyse des Rechts auf Verteidigung und ihrer Faktizität vor dem Internationalen Jugoslawiengerichtshof (ICTY) wichtige Aufschlüsse für einen "europäischen" Strafverteidiger zu erhoffen sind.

3. Analyse der europäischen Strafverfolgungsbehörden

Auf einer zweiten Untersuchungsebene – die sich ihrerseits mit dem ersten Schritt überschneiden kann – sollte es dann darum gehen, die Praxis und Normativität der bereits existierenden europäischen Strafverfolgungsbehörden – mit ihren nationalen Bezügen und entsprechenden Interaktionen – näher zu beleuchten. Es wird davon ausgegangen, dass dabei zu erkennen ist, ob und, wenn ja, welche Einschränkungen der Beschuldigten- respektive Verteidigungsrechte damit verbunden sind, und welche Konsequenzen daraus zur Stärkung der Verteidigung gezogen werden müssen. Auch und gerade im Zusammenhang mit der vorgesehenen europäischen Staatsanwaltschaft erscheint es notwendig, eine Antwort auf die Frage nach der Entwicklung einer europäischen Strafverteidigung bzw. eines "europäischen" Strafverteidigers zu suchen.

4. Unterbreitung konkreter Vorschläge

Auf der Basis der im Rahmen der vorgestellten beiden Untersuchungsebenen (C.II.2. und 3.) gefundenen Ergebnisse – die im Grunde die Frage zu beantworten haben, wo angesichts der gravierenden Veränderungen europäischer Strafverfahrenswirklichkeit die ihr entsprechenden neuen Anforderungen an die Strafverteidigung liegen –[63] sollen Überlegungen für konkrete Vorschläge zur Entwicklung eines "europäischen" Strafverteidigers erfolgen, die an dieser Stelle die Rechtsprinzipien für eine europäische Strafverteidigung zu bedenken hat. Darauf möchte ich jetzt abschließend eingehen.

III. Prinzipiengeleitete Forschung

Spätestens nach den Erörterungen auf den beiden genannten Untersuchungsebenen schließt sich der Kreis zu einer prinzipiengeleiteten Forschung. Die Frage nach einem "europäischen" Strafverteidiger ist eine solche Forschung,[64] auch wenn in dem hier vorgeschlagenen Projekt am Anfang die eher fallbezogene und problemorientierte Herangehensweise steht. Diese entbindet

jedoch weder davon, ein bestimmtes prinzipiengeleitetes Vorverständnis vorauszusetzen und offen zu legen, noch darf davon abgesehen werden, die empirischen Ergebnisse an Prinzipien zu messen und zu bewerten.

In nuce geht es darum zu fragen, welche nationalen und transnationalen Prinzipien der Strafverteidigung bisher anzutreffen sind, auf welchen Fundamenten sie aufbauen und welche historisch zurückliegenden Lösungsmöglichkeiten sich feststellen lassen.[65]

Eine solche Bestandsaufnahme soll dazu dienen, sowohl bereits bestehende gesamteuropäische Prinzipien der Strafverteidigung auf ihre Nutzbarkeit für die Lösung der bestehenden praktischen Probleme zu hinterfragen, als auch weitere Prinzipien dafür zu entwickeln. In diesem Zusammenhang spielen vor allem die entsprechenden menschenrechtlichen Vorschriften der EMRK eine wichtige Rolle. Die entsprechenden Vorschriften zum Recht auf Verteidigung sind Bestandteile von positivierten Verfahrensrechten der Konvention, die für die europäischen Staaten und die nationalen Gerichte unmittelbar gelten. Zugleich lassen sie Raum dafür, spezifische Neuentwicklungen zu berücksichtigen, wenn neue Verfahrenskonstellationen die Wirksamkeit althergebrachter Garantien in transnationalen Zusammenhängen entfallen lassen.[66]

Ferner erscheint es sinnvoll, die in dem Grünbuch der Kommission über die Verfahrensrechte diskutierten Beschuldigtenrechte daraufhin zu prüfen, ob sie eine trag- und ausbaufähige Grundlage für eine europäische Strafverteidigung darstellen.

Erst mit dieser prinzipiengeleiteten Herangehensweise wird letzten Endes der Kanon für eine Antwort auf die Frage nach einem "europäischen" Strafverteidiger gefunden.

Zum einen dient dieser Kanon zur Prüfung der bereits bestehenden Modelle europäischer Strafverteidigung. Das heißt, dass vor diesem Hintergrund die bereits vorliegenden Vorschläge wie Eurodefensor, Ombudsmann und Europäisches Netzwerk von Verteidigern auf den Prüfstand zu stellen sind und dabei beispielsweise danach zu fragen ist, ob sich – wie offenbar bei dem Modell des Eurodefensor – das Prinzip der Gesamtbalance des Strafverfahrens bzw. der "Waffengleichheit" wirklich als der notwendige tragende Pfeiler erweist, wobei auch das unterschiedliche Verständnis in nationalen Rechtsordnungen einerseits und auf europäischer Ebene andererseits zu beachten ist.[67]

Zum anderen ist ein solcher "Prinzipien-Kanon" überhaupt die Grundlage dafür, erforderlichenfalls einen eigenen Lösungsvorschlag im Rahmen des Projekts zu entwickeln.

Die Einbeziehung einer Prinzipiendiskussion in das Projekt betrifft zugleich das Selbstverständnis der Strafverteidigung, das sich von Überlegungen zu einem "europäischen" Strafverteidiger nicht trennen lässt. Somit könnten sich aus diesem Projekt letztlich auch Impulse für eine Wiederbelebung der wissenschaftlichen Diskussion über die Stellung und Rolle der Strafverteidigung ergeben,[68] nunmehr ergänzt um die europäischen Fragestellungen. Es ist dies die Frage danach, welchem Wandel das Modell einer klassischen rechtsstaatlichen Strafverteidigung angesichts der Entwicklung eines europäischen Straf- und Strafverfahrensrechts und deren Wirklichkeit unterliegt und vor welchen Herausforderungen die Straf-

verteidigung dabei steht. Möglicherweise sind auch "alte" längst entschiedene Fragestellungen (etwa zum "Organ der Rechtspflege" in Deutschland) neu zu beurteilen.[69] Im Idealfall lassen sich ferner Forschungslinien für eine "Philosophie der Strafverteidigung" aufzeigen.[70]

Die Bestandsaufnahme der Diskussion über einen "europäischen" Strafverteidiger rechtfertigt somit bisher nur die Feststellung, dass gegenwärtig über die Schaffung eines Weges dorthin nachgedacht wird. Ob dieser wirklich begehbar ist, wird sich erst noch herausstellen müssen. Das in Erwägung gezogene Projekt – über das ich hier nur mit ersten Überlegungen berichten konnte – könnte dazu einen Beitrag leisten und ich würde mich sehr freuen, wenn dafür auch von dieser Tagung einige Impulse ausgehen.[71]


* Teile der vorliegenden Publikation wurden am 12. Oktober 2007 in Strassburg auf der Tagung des Verbandes der Europäischen Rechtsanwaltskammern, die unter dem Thema "Der Schutz des Rechtsanwalts in Ausübung seiner beruflichen Funktionen im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und der nationalen Gerichte" stand, vorgetragen. Für wertvolle Diskussionen bei der Entstehung der Publikation danke ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Max-Planck-Instituts Frau Julia Macke, Herrn Dr. Frank Meyer, Herrn Thomas Wahl sowie Frau Nike Landsberg. Dank gebührt auch Herrn Dr. Karsten Gaede für seine Anregungen. Darüber hinaus danke ich Herrn Rechtsanwalt Prof. Dr. Franz Salditt herzlich für den fruchtbaren Meinungsaustausch, den wir über das Thema schon seit längerer Zeit führen.

[1] Vgl. dazu u. a. nur Institut für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie Frankfurt a.M. (Hrsg.), Jenseits des rechtsstaatlichen Strafrechts, 2007; Arnold, HRRS 2006, S. 303 ff.

[2] Gropp/Sinn (Hrsg.), Organisierte Kriminalität und kriminelle Organisationen, 2006.

[3] Vgl. dazu u. a. Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, 2002; Gaede, Fairness als Teilhabe – Das Recht auf konkrete und wirksame Teilhabe durch Verteidigung gemäß Art. 6 EMRK, 2007.

[4] Vgl. Nitschmann, GA 2004, S. 655 ff.; Schünemann, StV 2006, S. 361 ff. Bereits im Jahre 1990 hat Jung noch heute aktuelle Richtungen zu Überlegungen über "Strafverteidigung in Europa" aufgezeigt (Jung, StV 1990, S. 509 ff.). Stichpunkte sind u. a. Auslieferungsrecht, Strafrechtsangleichung, unterschiedliche Strukturen der einzelnen Prozessrechtsordnungen, Europäisierung des Straf- und Strafprozessrechts sowie Menschenrechtsschutz durch Straf- und Strafprozessrecht insbesondere auf der Grundlage der EMRK (Jung, ebenda).

[5] Nitschmann, GA 2004, S. 655 ff. (655).

[6] Vgl. Weigend, in: Nelles/Vormbaum (Hrsg.), Strafverteidigung in Forschung und Praxis. Kriminalwissenschaftliches Kolloquium aus Anlass des 70. Geburtstages von Jürgen Welp, 2006, S. 11 ff.

[7] Vgl. u.a. Esser, ZEuS 2004, S. 289 ff.; Nitschmann, GA 2004, S. 655 ff. (662 ff.); Pfützner, ZStW 116 (2004), S. 827 ff.; Jung/Nitschmann/Radtke, GA 2003, S. 383 ff. (387 ff.); Jung, StV 1990, S. 509 ff.

[8] Vgl. u.a. Rohde/Toufar, in: Kirsch (Hrsg.), Internationale Strafgerichtshöfe, 2005, S. 89 ff.; Kirsch, in: Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen (Hrsg.), Internationalisierung des Strafrechts. Fortschritt oder Verlust an Rechtsstaatlichkeit? Schriftenreihe der Strafverteidigervereinigungen, Bd. 27, 2004, S. 187 ff.

[9] Vgl. dazu Kretschmer, Jura 2007, S. 169 ff.

[10] Vgl. zum Ganzen Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 2005, S. 131 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht, 2006, S. 452 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht, 2007, 2. Aufl., S. 193 ff.

[11] Vgl. kritisch dazu u.a. Ambos, Internationales Strafrecht, 2006, S. 470 ff.; Sommer, Anwaltsblatt 2003, S. 61-65; Kempf, Strafverteidiger 2003, S. 128 ff.; Radtke, GA 2004, S. 1 ff.

[12] Vgl. dazu Kühne, Strafprozessrecht. Eine systematische Darstellung des deutschen und europäischen Strafverfahrensrechts, 7. völlig neu bearb. und erweiterte Auflage, 2007, S. 55 ff.

[13] Symptomatisch dafür ist die von Delmas-Marty formulierte Intention, "auf den Aberwitz zu reagieren", "der darin besteht, die Grenzen auch für Kriminelle zu öffnen, sie aber für die Strafverfolgungsbehörden geschlossen zu halten und so zu riskieren, dass unsere Länder zu einem wahren Paradies für Kriminelle verkommen."[ Delmas-Marty , in: Delmas-Marty (Hrsg.), Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union, 1998, S. 28.

[14] Vgl. Sieber, in: Delmas-Marty (Hrsg.), Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union, 1998, S. 2 f.; Delmas-Marty (Hrsg.), ebenda, S. 28; Hecker, Europäisches Strafrecht, 2. Aufl. 2007, S. 18 ff.

[15] Vgl. zu dieser gesamten materiellrechtlichen und prozessrechtlichen Bestandsaufnahme Sieber, ZStW 119 (2007), S. 1 ff. (29).

[16] Sieber, ebenda, S. 30. Vgl. auch die grundlegende Kritik bei Nestler, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, 2006, S. 166 ff.

[17] Vgl. Salditt, StV 2003, S. 136 f.; vgl. dazu demnächst Ahlbrecht/Böhm/Esser u.a., Verteidigung in internationalen Strafsachen (im Erscheinen 2008).

[18] Vgl. Salditt, StV 2003, S. 136 f.

[19] Salditt, StV 2003, S. 136 f. (137).

[20] Vgl. Schünemann, in: Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, 2006, S. 93 ff. (105 f.).

[21] Vgl. zu Arbeitsdefinitionen von Standards in Strafverfahren und gemeinsamen Standards Vogel, Erste Schritte zur Realisierung gemeinsamer Standards für Strafverfahren in der Europäischen Union – Kurzreferat aus Sicht der Wissenschaft (unveröfftl. Manuskript des Vortrages auf dem internationalen Symposium des Bundesministeriums der Justiz am 20. Februar 2007), S. 2; Vogel/ Matt, StV 2007, S. 206 ff.

[22] KOM (2003), 75 endgültig.

[23] KOM (2004), 328 endgültig.

[24] Am wichtigsten erscheint die durch das Grünbuch angestoßene Diskussion, die Mindestschutzgarantien für die Rechte des Einzelnen als erforderliches Gegengewicht zu den Befugnissen der Staatsanwaltschaft, der Gerichte und der Ermittlungsbeamten, die durch die europäische justitielle Zusammenarbeit gestärkt worden sind, zu sichern[KOM (2003), 75, endg., S. 9 – Ziff. 1.4.]. Diese Diskussion ist vor allem deswegen bedeutsam, weil sie zu einer wissenschaftlichen substantiellen wie auch berechtigten Auseinandersetzung mit den Mindeststandards geführt hat. So spricht Schünemann von einem "Kompendium bloßer Einzelgarantien"[Schünemann, ZStW 116 (2004), S. 376 ff. (381 – Fn. 23 m.w.N.)], das nicht in der Lage sei, eine rechtsstaatliche Gesamtbalance zwischen Verfolgungs- und Verteidigungsmöglichkeiten herzustellen [Schünemann, StV 2003, S. 344 ff. (349)]. In diesem Sinne äußert sich auch Braum, der einschätzt, dass das Grünbuch den gesamteuropäischen Standard gesamteuropäischer Strafrechtsprinzipien weit verfehle und den Inhalt strafprozessualer Prinzipien in Europa missverstehe[Braum, StV 2003, S. 576 ff. (576)]. Vogel und Matt sehen demgegenüber in dem Grünbuch vor allem einen Impuls für die notwendige Weiterentwicklung und Kodifizierung von Mindeststandards für Strafverfahren in der EU aus Völkerrecht sowie für Strafverfahren in der EU aus europäischem Gemeinschafts- und Unionsrecht (Vogel/Matt, StV 2007, S. 206 ff.). Zu dem Gesichtspunkt, dass die oftmals völlig neuartigen Fragestellungen eines gemischt national-europäischen Strafverfahrens bei einem wirksam verstandenen Grund- und Menschenrechtsschutzes dazu führen können, neue Ausprägung der garantierten Verteidigungsrechte anzuerkennen, vgl. Gaede ZStW 115 (2003), 845, 858 ff.; 867 ff., ders., Fairness als Teilhabe, S. 89 ff., 1115 f., 487 ff., 928 f.

[25] Der Rat habe kein Einvernehmen über dieses Dossier erzielen können, und dies, obwohl er sich auf seiner Tagung vom 1. und 2. Juni 2006 auf die Grundsätze für die weiteren Beratungen über diesen Vorschlag verständigt und festgelegt hatte, dass der Anwendungsbereich des vorgeschlagenen Rahmenbeschlusses auf das Recht auf Information, das Recht auf Rechtsbeistand, das Recht auf unentgeltlichen Rechtsbeistand, das Recht auf einen Dolmetscher und das Recht auf Übersetzung der Verfahrensdokumente beschränkt werden soll. Auf seiner Tagung vom 19. April 2007 hatte der Rat abschließend festgehalten, dass die betreffenden Arbeiten mit dem Ziel fortgesetzt werden sollten, auf der Tagung im Juni 2007 zu einem Konsens über den Anwendungsbereich des Rechtsakts zu gelangen. Das Scheitern dieses Vorhabens wird mit folgendem Satz festgestellt: "In der Frage, ob die Union dafür zuständig ist, Rechtsvorschriften zu rein innerstaatlichen Verfahren zu erlassen (mindestens 21 Delegationen sind dieser Auffassung), oder ob diese Rechtsvorschriften einzig und allein für grenzüberschreitende Fälle gelten sollten, gehen die Auffassungen grundlegend auseinander."[ Mitteilung an die Presse über die 2807. Tagung des Rates am 12. und 13. Juni 2007 (1026/07 – Presse 125), S. 37 ]

[26] Weigend, in: Nelles/Vormbaum (Hrsg.), Strafverteidigung in Forschung und Praxis, 2006, S. 11 ff.

[27] Ich danke Herrn Kollegen Professor Weigend herzlich dafür, dass er mir für die Überlegungen zu unserem Projekt wertvolle Informationen über das Ergebnis seines rechtsvergleichenden Projekts zur Verfügung gestellt hat.

[28] Vgl. zu den unterschiedlichen Prozessrechtssystemen Eser, in: Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen (Hrsg.), Aktuelle Probleme der Strafverteidigung unter neuen Rahmenbedingungen. 19. Strafverteidigertag vom 24. – 26. März 1995 in Freiburg, 1996, S. 59 ff. (60); ders., in: Kroeschell/Cordes (Hrsg.), Vom nationalen zum transnationalen Recht, 1995, S. 161-181 ( 171 ff.).

[29] Für das inquisitorische Rechtssystem macht Eser darauf aufmerksam, dass sich der Schwerpunkt der klassischen Aufgaben der Ermittlungsorgane praktisch immer weiter nach vorne verlagert, was dazu führt, dass in der frühen Phase polizeilicher Ermittlungen die Verfahrensgarantien entweder sehr dürftig oder überhaupt nicht geregelt sind. Hinsichtlich der damit verbleibenden Alternative, sich entweder dieser vorverlagernden Praxis entgegenzustellen oder sie in rechtsstaatlich erträglicher Weise zu kanalisieren, weist Eser auf einige Rechtentwicklungen in anderen Ländern hin, mit denen die Verteidigungsrechte von der ersten förmlichen Ermittlungshandlung gegen den Verdächtigen an beträchtlich verstärken werden sollen (Eser, in: Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen[ Hrsg. ], S. 59 ff. [ 65 ff. ]) .

[30] Glaser, Handbuch des Strafprozesses, Bd. 2, 1885, S. 223; zit. nach Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, 1980, S. 23.

[31] Schünemann, Alternativentwurf Europäische Strafverfolgung, 2004; ders., ZStW 116 (2004), S. 376 ff.

[32] Schünemann, ZStW 116 (2004), S. 376 ff. (389).

[33] Vgl. dazu §§ 146, 147 des österr. Strafprozessreformgesetzes, BGBl. I für die Republ. Österreich vom 23. März 2004, Nr. 19. Danach wird der Rechtsschutzbeauftragte durch den Minister für Justiz bestellt. Der Rechtsschutzbeauftragte ist in Ausübung seines Amtes unabhängig und an keine Weisungen gebunden. Ihm obliegt die Prüfung und Kontrolle der Anordnung, Genehmigung, Bewilligung und Durchführung bestimmter Ermittlungsmaßnahmen, wie u.a. einer verdeckten Ermittlung, einer optischen oder akustischen Überwachung von Personen, eines automationsunterstützten Datenabgleichs sowie der Überwachung von Nachrichten von Personen.

[34] Schünemann, StV 2006, S. 361 ff. (367 f.).

[35] Vgl. insoweit auch zum unabhängig von der Europäisierung diskutierten Institut des "special counsel" Gaede, StV 2006, 599, 602 ff.; ders., Fairness als Teilhabe, S. 600 f., 796.

[36] Schünemann, ebenda.

[37] Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, 2006, S. 4 ff.

[38] Vgl. zum Ganzen http://www.ccbe.org/doc/En/criminal_law_ombudsman_en.pdf

[39] Vgl. zum Ganzen Nestler, in: Schünemann (Hrsg.), Gesamtkonzept europäische Strafrechtspflege, S. 170 f.

[40] Schünemann, StV 2006, S. 361 ff. (368).

[41] Mitchell, in: Schünemann (Hrsg.), Gesamtkonzept europäische Strafrechtspflege, S. 191 ff. (192).

[42] Vogel, ebenda, S. 131.

[43] Vogel, ebenda. Nur im Rahmen einer Fußnote und ein wenig süffisant sei bemerkt, dass aber auch Vogel bei seiner Kritik mit recht drastischen Worten aufwartet, wobei sich diese Feststellung vor allem auf seine Aussage bezieht, der Eurodefensor sei mit der Installierung von beamteten Verteidigern nach staatssozialistischem Vorbild verbunden (Hervorhebung von mir – J.A.). Dazu ist zweierlei anzumerken: Zum einen dürften die Schöpfer des Vorschlages eines Eurodefensor nun wahrlich kaum verdächtig sein, Träger von staatssozialistischem Gedankengut zu sein. Zum anderen war die Stellung von Rechtsanwälten inklusive Verteidigern in den Systemen des Staatssozialismus nicht die von Beamten. Das Stigma des Staatssozialismus dürfte kaum tauglich sein für die Auseinandersetzung mit den Modellen Eurodefensor und Ombudsmann. Eine Bezugnahme darauf wirkt in diesem Kontext geradezu grotesk. Vgl. vielmehr zu dem hier in der Sache mit den beiden Modellen verfolgten Konzept, eine autonome Verteidigung so weit wie möglich durch die Mitwirkung eines von der Strafverfolgung unabhängigen Verteidigers zu bewahren, m.w.N. Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 506 f., 600 f.

[44] Vogel, in: Schünemann (Hrsg.), Gesamtkonzept europäische Strafrechtspflege, S. 122 ff. (130) f.).

[45] Vogel, ZStW 116 (2004), S. 416.

[46] Nicht ganz klar ist in diesem Zusammenhang, warum eine seit dem Jahre 2001 sich etablierte Arbeitsgruppe der Strafverteidigerorganisationen in Deutschland, die als Vorläufer einer späteren europaweit organisierten Clearingstelle für Verteidigungsproblem konzipiert worden ist, es bis heute nicht geschafft hat, ihre immer wieder erwähnte Homepage www.eu-defense.de auch wirklich aufzubauen. Nach dem Aufruf der Seite wird man nunmehr schon seit 6 Jahren darauf hingewiesen, dass sich die Homepage in Vorbereitung befinde, und dies, obwohl am 17.5.2004 ein Projektpapier "Netzwerk der Europäischen Strafverteidiger" von dieser Arbeitsgruppe vorgelegt worden ist. Dies könnte indes ein unausgesprochener Hinweis darauf sein, dass es an einer wirksamen Koordination der Vorschläge für eine europäische Strafverteidigung sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene fehlt.

[47] Ahlbrecht/Lagodny, StraFo 2003, S. 329 ff.

[48] Vgl. dazu Lagodny, in: Widmaier (Hrsg.), Strafverteidiger, 2006, S. 826 ff.

[49] Salditt, StV 2003, S. 136 f.; vgl. auch Gaede, ZStW 115 (2003), 845, 867 ff., 875.

[50] Kress, ZStW (116) 2004, S. 471; vgl. auch den Ansatz bei BGHSt 46, 93 ff. und Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 455 ff., 566 ff., 600 f.

[51] Nelles, in: Volk (Hrsg.), Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, 2006, S. 632 ff. (638-644).

[52] Schünemann, StraFo 2003, S. 344 ff. (348).

[53] Kress, ZStW (116) 2004, S. 445 ff. (471 f.).

[54] Entsprechende Kritik von Eser und Vogel (Nachweise bei Kress, ebenda, S. 471 f.).

[55] Argumente von Nelles und Nestler (Nachweise bei Kress, ZStW[ 116 ]2004, S. 471 f.).

[56] Einige dieser Forschungsperspektiven sind im Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht aufgegriffen worden. Seit Frühjahr 2007 trifft das auch auf das Thema eines "europäischen" Strafverteidigers zu. Sich damit im Max-Planck-Institut befassen zu wollen, ist vor allem deswegen nahe liegend, weil das - aufgrund des im Jahre 2003 erfolgten Direktorenwechsels am Max-Planck-Institut - entwickelte neue Forschungsprogramm mit dem Titel "Grenzen des Strafrechts" auch den Forschungsschwerpunkt "Europäisches Strafrecht" enthält[ vgl. dazu Sieber, in: Albrecht/Sieber (Hrsg.), Perspektiven der strafrechtlichen Forschung, 2004, S. 35 ff. (39, 46 ff., 62, 64 f.); Max-Planck-Institut (Hrsg.), Forschungsbericht 2004-2005, S. 70 ff.; Sieber, ZStW 119 (2007), S. 1 ff. (59) ]. Dieser Schwerpunkt umfasst auch die Bearbeitung eines größeren Forschungsprojekts zu "Überlegungen zu einer europäischen Strafrechtspflege" ("Rethinking European Criminal Justice"). Forschungsziel dieses Projekts ist die Entwicklung von Modellen für die zukünftige europäische Strafverfolgung sowie von entsprechenden Lösungsprinzipien für andere politische und wirtschaftliche Zusammenschlüsse [vgl. dazu Sieber ZStW 119 (2007), S. 59 ]. Ein Teil dieser Forschungen bezieht sich auch auf die Verteidigung, wobei in erster Linie nach dem Aktionsradius sowie der Organisation der Verteidigung und hierbei nach der Qualifikation der Verteidiger einerseits sowie dem institutionellen und strukturellen Rahmen andererseits gefragt wird. Ein weiterer Punkt betrifft die Auswahl und Benennung des Verteidigers in den jeweiligen Ländern. Insofern soll das eigenständige Projekt über einen "europäischen" Strafverteidiger die Forschungen zur europäischen Strafrechtspflege ergänzen.

[57] In diesem Sinne auch bezogen auf die Anwendung der europäischen Verteidigungsgarantien Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 928 f.

[58] Hingewiesen sei auf das Vorhaben von Allan Plekksepp zu dem Thema "Die gleichmäßige Gewährleistung des Rechts auf Verteidigerbeistand – eine Voraussetzung der gegenseitigen Anerkennung strafrechtlicher Gerichtsentscheidungen in Europa", das unter der Betreuung von Prof. Dr. Walter Perron von der Universität Freiburg steht und im Rahmen der International Max Planck Research Scholl für Comparative Criminal Law[ vgl. dazu Sieber, ZStW 119 (2007), S. 64 f. ] bearbeitet wird.

[59] Dies ist dabei schon deshalb geboten, weil das Recht auf Verteidigung kein Recht des Verteidigers, sondern ein Recht des Angeklagten darstellt, vgl. EGMR, ZE Tuncer u.a. v. Türkei, 13.3.2003, § 2; m.w.N. Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 494 ff., der das Recht auf Verteidigerbeistand als zentralen Bestandteil des Angeklagtenrechts auf einen fairen Strafprozess einordnet.

[60] Ähnliche Methodenfragen stellen sich für die Rechtsvergleichung [ vgl. dazu insbes. Nelles, in: Arnold/Burckhardt/Gropp u.a. (Hrsg.), Eser-FS, 2005, S. 1005 ff. (1013 f.; Nelles spricht von einer "empirischen Problemorientierung" als Ansatz); Perron, ZStW (109) 1997, S. 281 ff. (Perron begründet das Projekt des Max-Planck-Instituts "Allgemeiner strafrechtlicher Strukturvergleich"); Sieber in: Sieber/Albrecht (Hrsg.), Strafrecht und Kriminologie unter einem Dach, S. 78 ff, (111 ff. zu den Methoden der Rechtsvergleichung) . Vgl. ferner zur juristischen Methode Hassemer, in: Hassemer, Erscheinungsformen des modernen Rechts, 2007, S. 119 ff.

[61] Nelles, in: FS-Eser, S. 1013 f.

[62] Vgl. dazu demnächst Ahlbrecht/Böhm/Esser u.a., Verteidigung in internationalen Strafsachen (im Erscheinen 2008).

[63] Vgl. dazu Demenko, in: Joerden/Szwarc (Hrsg.), Europäisierung des Strafrechts in Polen und Deutschland – rechtsstaatliche Grundlagen. 2007, S. 219 ff. (221 f.).

[64] Vgl. zu einer prinzipiengeleiteten Sicht europäischer Strafverteidigung Braum, StV 2003, S. 576 ff.

[65] Vgl. dazu u.a. Bayer, Die Verteidigung im Strafprozess, 1908; Heldmann, Die Bedeutung der Verteidigung im Strafprozess, 1912; Armbrüster, Die Entwicklung der Verteidigung in Strafsachen, 1980; Hettinger, Das Fragerecht der Verteidigung im reformierten Inquisitionsprozess, 1985. Vgl. aber auch Langbein, The Origins of Adversary Criminal Trial, 2002.

[66] Vgl. dazu Gaede, der das Menschenrecht des Art. 6 EMRK zutreffend als begründenden Maßstab der prozessualen Stellung des Verteidigers ansieht (Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 517 ff.).

[67] Der Begriff "Waffengleichheit" ist als Prinzip für das Verhältnis zwischen Strafverfolgungsbehörde einerseits und Verteidigung andererseits durchaus umstritten, jedenfalls in nationalen Strafrechtsordnungen (vgl. für das deutsche Strafprozessrecht nur Müller, NJW 1976, S. 1063 ff.). Im Völkerstrafrecht – speziell in der Rechtsprechung des EGMR – wird das anders gesehen[dazu Ambos, ZStW 115 (2003), S. 3 ff.]. Es versteht sich von selbst, dass das unterschiedliche Verständnis von Waffengleichheit auch zu unterschiedlichen Begründungsansätzen für die Notwendigkeit und Ausgestaltung eines "europäischen" Strafverteidigers führt. Bei der Entwicklung von Modellen für einen europäischen Strafverteidiger sollte zumindest offen gelegt werden, von welchen Prinzipien welchen Inhalts ausgegangen wird. Rekurriert man nur ganz allgemein auf bestimmte Grundsätze, wie Schünemann auf den Begriff "Gesamtbalance", wird der Eindruck vermittelt, dass es sich dabei um ein unverrückbares Prinzip handelt, dass allein nur in transnationalen europäischen Strafverfahren nicht umgesetzt wird. In Wirklichkeit aber beginnen die Probleme damit bereits in den nationalen Prozessrechtsordnungen. Ein Blick auf den von dem "Modell Schünemann" bemühten Rechtsschutzbeauftragten im österreichischen Recht zeigt beispielsweise, dass diese Figur mit dem Prinzip der Waffengleichheit kaum etwas zu tun hat. Der österreichische Rechtsschutzbeauftragte ist eine staatliche Behörde, die nicht verteidigt, sondern ohne Wissen des Verdächtigten bzw. Beschuldigten bestimmte geheime Ermittlungsmaßnahmen auf ihre Zulässigkeit überwacht. Die bisherige Fokussierung auf das Prinzip der "Waffengleichheit" respektive der Gesamtbalance im Strafverfahren für die Begründung einer europäischen Strafverteidigung – jedenfalls hinsichtlich des Vorschlages für einen Eurodefensor - setzt dieses Prinzip zudem recht abstrakt voraus, bzw. geht davon aus, dass es auf europäischer Ebene nicht gewährleistet ist. Für eine jüngste, die Bezüge zum jeweiligen Prozessmodell berücksichtigende Analyse der europäischen Garantie der Waffengleichheit vgl. Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 461 ff., 641 ff.

[68] Vgl. dazu u.a. Welp, ZStW 90 (1978), S. 101 ff.; Arbeitskreis Strafprozessreform, Die Verteidigung. Gesetzentwurf mit Begründung, 1979; Holtfort (Hrsg.), Strafverteidiger als Interessenvertreter, 1979; Hannover/Holtfort/Mauz, Strafverteidigung und Anwaltsorganisation, 1979 (herausgegeben vom Republikanischen Anwaltsverein e.V.); Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, 1980; Pieth, Strafverteidigung – wozu?, 1986; Spaniol, Das Recht auf Verteidigerbeistand im Grundgesetz und in der Europäischen Menschenrechtskonvention, 1990; Barton, Mindeststandards der Strafverteidigung, 1994. So auch die These bei Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 496 ff., der eine menschenrechtliche Sichtweise des Verteidigers vertritt.

[69] Vgl. dazu Knapp, Der Verteidiger – Ein Organ der Rechtspflege?, 1974. In diese Richtung auch Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 518 ff.

[70] Dass dies nicht so weit hergeholt ist, wie das auf den ersten Blick erscheinen mag, verdeutlicht die von Frisch vorgenommene Verknüpfung des europäischen Strafrechts mit Rechtsphilosophie (Frisch, GA 2007, S. 250 ff.); weit früher schon und speziell zur Verteidigung: Alsberg, Die Philosophie der Verteidigung, 1930. Vgl. zu einem prinzipiengeleiteten "Europäischen Strafrecht" insbesondere Albrecht/Braum, KritV 2001, S. 312 ff.; Braum, Europäische Strafgesetzlichkeit, 2003.

[71] Ich bin dem Generalsekretär des Verbandes Europäischer Rechtsanwaltskammern, Herrn Kollegen Dr. R ŏ s , sehr dankbar dafür, dass er mir die Möglichkeit eingeräumt hat, unsere Projektvorstellungen auf der Tagung zu präsentieren.