HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Aug./Sept. 2006
7. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Sonderbeiträge zur Arbeitsgruppe "Feindstrafrecht - Ein Gespenst geht um im Rechtsstaat" des 30. Strafverteidigertages

Redaktionelle Vorbemerkung: Mit den folgenden Beiträgen werden die Referate der Arbeitsgruppe "Feindstrafrecht - Ein Gespenst geht um im Rechtsstaat" des 30. Strafverteidigertages 2006 (Frankfurt a.M.) publiziert. Lediglich das Referat von Frank Saliger wurde bereits in JZ 2006, 756 ff. unter dem Titel "Feindstrafrecht: Kritisches oder totalitäres Strafrechtskonzept?" publiziert. Vor dem Hintergrund der zentralen Aussagen des Feindstrafrechts nach Jakobs fragt Saliger in diesem Referat nach dem kritisch-analytischen Wert der Kategorie des Feindstrafrechts und nach der ihr zugrunde liegenden Strafrechtsphilosophie. Ergänzt werden die hier publizierten Referate um Beiträge von Arbeitsgruppenleiter Klaus Malek und von Jochen Bung, die jeweils aus dem Eindruck der Frankfurter Diskussion entstanden sind.

Feindstrafrecht?* - Eine Untersuchung zu den Bedingungen von Rechtlichkeit

Von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Günther Jakobs, Bonn.

I. Einleitung

A. Absolute Rechtlichkeit?

Was jeder gegen Mitte meines Vortrags stark vermuten und spätestens am Ende sicher wissen wird, will ich gleich zu Beginn ohne Umschweife einräumen: der political correctness entspricht das, was ich sagen werde, nicht. Politically correct ist es, in jedem Menschen in jeder Hinsicht eine Person und in jeder Person einen Rechtsgenossen sehen zu wollen, correct genauer: eine Rechtsgenossin oder einen Rechtsgenossen, ausgestattet mit sogenannten Menschenrechten; aber in diesem Vortrag geht es um die Bedingungen von Rechtlichkeit und damit - wenn die Bedingungen fehlen - zugleich um die Grenzen von Rechtlichkeit. Die postulierte Welt des Korrekten mag solche Grenzen nicht kennen; die wirkliche Welt kennt sie.

Ich versuche, hier als Teil des Wissenschaftssystems zu argumentieren, nicht des Rechtssystems. Demgemäß ist es nicht mein Anliegen irgend jemanden zum Feind zu stilisieren, sondern zu beschreiben, wen das Rechtssystem als Feind behandelt, und zu prognostizieren, wem es zukünftig diese Rolle zuerkennen wird. Es geht nicht um Normierungen, noch weniger um politische Postulate, sondern um Bestandsaufnahmen und deren Verlängerungen in die Zukunft.

Nun ist bereits an dieser Stelle mit einem Einwand zu rechnen, nämlich Rechtlichkeit sei ein absolutes Vernunftgebot und könne deshalb keine Bedingungen und keine Grenzen kennen. Auch wenn man die Absolutheit des Vernunftgebots ausklammert - schließlich hat die Geschichte Jahrtausende gebraucht, um sogenannte Menschenrechte zu entwickeln -, bleibt eine starke Behauptung übrig: Jeder soll zumindest in der heutigen Zeit stets als eine Person mit Rechten behandelt werden. Jüngst hat im Rahmen einer öffentlichen Diskussion, in der ich vorgebracht hatte, dieser Satz sei viel zu abstrakt, denn es komme doch wohl - unter anderem - auch auf das Verhalten des Gegenüber an, ein Kollege entrüstet eingewandt, das sei nicht der Fall, selbst Hitler wäre, so man noch mit ihm umzugehen hätte, als Rechtsperson zu behandeln. Wahrscheinlich hat der Kollege nicht einmal gemerkt, daß sein Einwand immer noch abstrakt bleibt: In welcher Situation hat man denn mit dem menschenverachtenden Diktator umzugehen? Nach der Wiederherstellung rechtlicher Zustände als mit einem Gefangenen ohne aktuellen Wirkungskreis? Nun, dann kann man sich die Rechtlichkeit leisten und ein allseits als fair anerkanntes Verfahren ablaufen lassen. Oder geht es um den Hitler bis 1945? Dann zweifelt doch wohl niemand an der Legitimität der Tötung dieses Tyrannen durch ein Attentat, und die Tötung eines Tyrannen auf eine solche Art und Weise hat mit dessen Behandlung als Person im

Recht nichts zu tun; er wird als Feind beseitigt.

B. Rechtlichkeit der rechtlich Gesonnenen

Der kraftvolle Satz, jeder solle zumindest heute als Person im Recht behandelt werden, bedarf also, wie schon hier vermutet werden kann, eines Zusatzes: wenn dieser "Jeder" seinerseits seinen Pflichten nachkommt, oder falls nicht, wenn man ihn im Griff hat, er also nicht gefährlich werden kann. Wenn er aber wütet, muß man ihn bekämpfen, und wenn er wüten könnte, muß man sich vorsehen. Der so ergänzte - bislang freilich eher intuitiv und noch begründungsbedürftig ergänzte - Satz ist immer noch abstrakt. Daß jeder als Person behandelt werden soll, ist per se ein bloßes Postulat, ein Modell für eine Gesellschaft, damit aber nicht schon Teil einer wirklich stattfindenden Gesellschaft.

Nun mag es gerade das Beklagenswerte an einer wirklich stattfindenden Gesellschaft sein, daß sie sich um das Menschenrechtsmodell nicht schert; man denke an die massenhaften Entrechtungen der Bürger im Nationalsozialismus und im Kommunismus. Aber alle Klagen helfen nicht über den entscheidenden Befund hinweg: In solchen nun einmal zum Kulturlosen heruntergekommenen Gesellschaften können Rechte und insbesondere Menschenrechte nicht das leisten, was Recht leisten soll, nämlich Orientierung, auch für potentielle Opfer. Beispielhaft, auf einen Bürger, der in der sogenannten DDR sein Recht auf Freizügigkeit ausüben und das Territorium verlassen wollte, wurde geschossen. Wie soll sich der Bürger bei dieser Lage an seinen Menschenrechten orientieren? Offenbar muß also zwischen einem - wie überzeugend auch immer - postulierten Recht, einem Modellrecht, und der wirklichen normativen Struktur einer Gesellschaft unterschieden werden. Jenes mag in Zukunft, "im Geiste", orientieren, aber nur dieses orientiert im jeweiligen "Hier und Jetzt".

Immer noch einigermaßen intuitiv und weiterer Begründung bedürftig haben diese knappen Vorbemerkungen ein differenziertes Bild ergeben: (1) Person-im-Recht-Sein ist etwas Wechselseitiges, der andere muß "mitmachen", falls nicht der seltene Fall gegeben ist, daß man ihn als Gefangenen im Griff hat. Die Lage muß also einigermaßen ungefährlich gestaltet sein. (2) Ein Recht postulieren zu können und ein Recht wirklich zu haben, ist nicht dasselbe, und nur letzteres, das Recht, das man wirklich hat, bietet in der jeweiligen Gegenwart Orientierung.

Diese Differenzierungen sind noch kein großes Ergebnis, aber begründen doch die Hoffnung, die Sümpfe außerhalb der wohl kaum überzeugend zugeschnittenen Spielwiese der political correctness - und es sind Sümpfe - vielleicht ein wenig trockenlegen zu können. Bei diesem Unternehmen treibt mich kein rechtspolitischer Furor - ich halte hier keinen rechtspolitischen, sondern einen analytisch orientierten rechtsphilosophischen und strafrechtswissenschaftlichen Vortrag über die Bedingungen von Rechtlichkeit.

Meine Bemerkungen sind, wie ich wiederhole, deskriptiv gemeint, nicht präskriptiv. Es wäre mir nicht einmal unlieb, wenn sich die häßliche Gestalt des Feindstrafrechts auflösen ließe; zu einer bedingungslosen Auflösung sehe ich freilich nicht die geringste Chance, und deshalb versuche ich, zur Kenntnis zu nehmen und zu bringen, was der Fall ist, und sei es auch häßlich. Ich werde zu zeigen versuchen, daß der Körper des Kaisers, also des Staates, an manchen Stellen nicht mit ordentlicher rechtsstaatlicher Kleidung bedeckt, sondern nackt ist, mehr noch, daß er unter den gegenwärtigen Bedingungen nackt sein muß, wenn er nicht insgesamt wegen rechtstaatlicher Überhitzung Schaden nehmen soll. Der Standardeinwand gegen diesen Versuch, die Aufklärung fortzuführen, lautet, die Rede von der Nacktheit, also vom Feindstrafrecht sei obszön, ins politische gewendet: faschistisch. Aber es kommt allein darauf an, ob die Rede ihren Gegenstand trifft. Ich wage einen Versuch.

II. Rechtsgeltung

A. Begriffe. Reine Normativität

Es soll mit den Begriffen der Person und der Rechtsgeltung begonnen werden. Die Person wird, langer Tradition folgend, als Trägerin von Rechten und Pflichten verstanden.

Zur Rechtsgeltung seien drei Ansätze genannt: (1) Geltendes Recht ist der als richtig begründete Umgang von Personen miteinander - reine Normativität; (2) geltendes Recht ist ein als richtig oder doch immerhin als plausibel begründbarer Umgang von Personen miteinander, der im großen und ganzen praktiziert wird - verwirklichte Normativität; (3) geltendes Recht sind die Regeln des praktizierten Umgangs von Menschen miteinander - reine Tatsächlichkeit.

Den letzten Ansatz - reine Tatsächlichkeit - scheide ich sofort aus: Was im großen und ganzen praktiziert wird, kann schiere Gewalt sein; der Ansatz läßt also völlig offen, ob überhaupt Personen (also Berechtigte und Verpflichtete) miteinander umgehen. Somit bleiben die ersten beiden Ansätze.

Der erste Ansatz - geltendes Recht ist das als richtig begründete Recht - ist rein normativ; die Welt der Rechtsnormen führt hier ein Eigenleben, wobei einzig interessiert, ob die Rechtsnormen und ihre Konkretisierungen formell korrekt aus einer geltenden Ermächtigungsnorm oder materiell korrekt aus geltenden materiellen Obersätzen hergeleitet werden, konkret, aus Gottes Willen, aus dem Verstand oder der Vernunft, aus einer - warum auch immer - geltenden Verfassung. Wird einer Norm nicht genügt, so soll eine Sanktion folgen; geschieht das nicht, so soll die Säumigkeit des Staatsorgans sanktioniert werden etc. Die Orientierung für das Opfer, die diese Ordnung bietet, kann gleichfalls nur normativ ausfallen. Etwa auf die Frage, wie man mit einem teuren Sportfahrrad verfahren soll, mit dem man zur Universität gefahren ist, lautet die Antwort: "Wo es auch herumste-

hen wird, es darf nicht gestohlen werden, und sollte es doch gestohlen werden, soll der Dieb bestraft werden," etc. Die fragende Person richtet sich danach und stellt das Rad unverschlossen ab; es wird gestohlen, aber die Auskunft war richtig; denn es durfte nicht gestohlen werden und der Dieb, der unerkannt verschwunden ist, soll bestraft werden, etc.

B. Wirklichkeit der Normen

Warum wird der Person diese Orientierung trotz ihrer Richtigkeit in Zukunft nicht mehr genügen? Weil die Rechtsperson als reine Rechtsperson (und mehr kann sie bei diesem Ansatz nicht sein) nur ein abstrakter Anfang bei der Verwirklichung des Rechts ist, während eine entwickelte Rechtsordnung den Personen nicht nur das nackte Recht, sondern auch - im großen und ganzen - die Nutzung des Rechts garantiert. Mit anderen Worten, daß ein formeller wie materieller Eigentümer auch im Fall eines Diebstahls immerhin formeller Eigentümer bleibt, ist das erste, aber daß auch die materielle Seite, die Nutzungsmöglichkeit, erhalten wird, also daß es nicht zum Diebstahl kommt, und so doch, daß Schadensersatz geleistet wird, ist ein weiteres, und ohne dieses weitere paßt die Rolle der Person im Recht, hier: die Rolle des Eigentümers, nur für bedürfnislose Engel, nicht aber für Wesen, die, abgesehen davon, daß sie Rechte und Pflichten haben, auch ihr Auskommen in der Welt finden müssen. Abstrakte Personalität ist nicht das Ganze und kein Endzweck; Rechte sind nur als nutzbare Rechte gut, ansonsten, als nackte Rechte, unbrauchbar. Systemtheoretisch formuliert, die Person ist dergestalt mit dem Individuum, dem Bedürfniswesen, strukturell gekoppelt, daß sie ohne dessen Befriedigung ihrerseits nicht wirklich werden kann. Insoweit, zur Opferseite, abschließend: Eine Rechtsordnung muß auch im großen und ganzen etabliert sein, wenn sie für potentielle Opfer mehr als eine nur abstrakte, nämlich eine nutzbare Orientierung leisten soll.

Freilich ist noch ein Wort zur anderen Seite der Orientierung, zur Orientierung des Täters, erforderlich: Wenn dieser weiß, daß eine Norm richtig begründet ist, dann weiß er genug, um seine Pflicht zu kennen, die Norm zu befolgen. So stellt ja auch die Regel des geltenden Rechts zum "Verbotsirrtum" (§ 17 StGB) nicht darauf ab, ob dem Täter die Strafbarkeit seines Verhaltens zugänglich ist, und schon gar nicht kommt es darauf an, ob er ernsthaft mit einer Bestrafung rechnen muß; es genügt die Erkennbarkeit des Unrechts. Der Täter kann sich schon dann an einer Norm orientieren, wenn er sie als richtig begründet akzeptieren muß. Da freilich der Geist willig, das Fleisch aber schwach ist - eine biblische Weisheit - wird sich der Täter an eine zwar richtige, aber in der gesellschaftlichen Wirklichkeit noch nicht etablierte Norm nicht halten, zumindest nicht einigermaßen zuverlässig. Es bedarf einer praktizierten Bereitschaft zur Strafverfolgung, notfalls auch erfolgender Bestrafung etc., um der Norm allseits Orientierungskraft zu verschaffen. Ohne kognitive Untermauerung gilt selbst eine optimal begründete Norm in der gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht mehr als ein unverbindlicher Wunsch.

Es ist deshalb nur konsequent, wenn der größte Normativist des 20. Jahrhunderts, Hans Kelsen, der den Staat als einen Zusammenhang von Normen begreift, nur bei einer "im großen und ganzen wirksame(n) Verfassung" und bei einer verfassungsgemäß erzeugten "im großen und ganzen wirksame(n) Zwangsordnung" eine "Grundnorm" und damit einen logischen Geltungsgrund der Ordnung annehmen will (Reine Rechtslehre, 2. Auflage, 1960, S. 204), und das heißt, außerhalb dieser Wirksamkeit gibt es bei Kelsen keinen geltenden normativen Zusammenhang. Man mag sich Millionen Komplexe von Normzusammenhängen ausdenken, einer besser begründet als der andere, aber das sind Gedankenspiele, ebenso wie ausgedachte Einzelnormen, mögen sie auch noch so richtig ausgedacht worden sein, vor ihrer Etablierung nur Gedankenspiele sind. Wirkliche Staaten und wirkliches Recht finden im Gegensatz dazu im Ablauf der Gesellschaft auch wirklich, nicht nur gedanklich statt.

(Ergänzend: Kelsen verlangt in der Reinen Rechtslehre eine im großen und ganzen gegebene Wirksamkeit nur für die Verfassung eines Staates, nicht für jede einzelne rechtliche Institution, etwa eine Norm, ein Gericht, eine Person etc., da er nur das Problem der Orientierung an der Staatlichkeit behandelt, genauer: am rechtlichen Konnex staatsinternen Verhaltens. Wird der Blickwinkel erweitert, so muß auch das Verlangen nach der im großen und ganzen gegebenen Wirksamkeit entsprechend ausgedehnt werden.)

C. Das Kontrafaktische

Nun darf diese Verbindung von Geltung und gesellschaftlicher Wirklichkeit nicht dahin verstanden werden, jeder Normbruch mache eine Norm unwirklich, da sie die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht aktuell gestalte. Diese Annahme wäre falsch. Was gesellschaftliche Wirklichkeit ist, entscheidet nicht ein einzelner, zumal nicht der Verbrecher, sondern die Gesellschaft selbst. Wenn sie das Verbrechen als Verbrechen bezeichnet und den Verbrecher als einen solchen behandelt, also bestraft, beweist das die Wirklichkeit der Norm, ihre gesellschaftliche Geltung. Eine Norm gilt also gesellschaftlich nicht nur, wenn sie befolgt, sondern auch wenn sie kontrafaktisch durchgehalten wird; denn in beiden Fällen erfüllt sie die Funktion, Erwartenssicherheit zu leisten (Luhmann Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 124 ff).

Mit einer Norm verhält es sich also anders als mit einer kognitiven Regel: Trifft bei dieser das Regelgemäße nicht ein, ist die Regel falsch oder falsch angewandt worden, und die kognitive Lage muß verbessert werden; man muß, wie es genannt wird, umlernen. Anders bei einer Norm: Wird sie übertreten, so ist nicht etwa sie falsch, sondern das Verhalten des Verbrechers ist falsch, und wie schon gesagt wurde, seine Behandlung als Verbrecher ist die Bestätigung, genauer, das Durchhalten der Norm.

Dieses kontrafaktische Durchhalten der Norm kann freilich nicht "endlos kontrafaktisch" ausfallen. Das wäre nichts anderes als eine Rückkehr zu dem bereits als (im

hiesigen Zusammenhang) unbrauchbar abgelehnten reinen Normativismus; denn "endlos kontrafaktisch" würde heißen "ohne jede gesellschaftliche Wirklichkeit", "immer wieder auf den nächsten Schritt verweisend". Aber wenn die Norm nicht beachtet wird, muß das wirklich geahndet werden, und wenn die Ahndung ausbleibt, muß wenigstens der säumige Justizfunktionär bestraft werden, - eine noch größere Spannung zwischen Norm und Wirklichkeit wird sich kaum je ertragen lassen. Passiert im zweiten oder dritten Schritt nichts, so erodiert die Normgeltung auf der Täter- wie der Opferseite; die Norm spielt dann für den Fortgang der Gesellschaft keine Rolle mehr, wofür der Niedergang sämtlicher Regelungen, welche die Abtreibung verhindern sollen, ein Beispiel bildet - das nächste Beispiel wird der Niedergang der Verbote aktiver Euthanasie bieten.

Zurück zum Thema! Normen bedürfen einer kognitiven Untermauerung, wenn sie die Orientierung leiten sollen; es reicht nicht hin, daß sie als richtig oder als plausibel dargetan werden können, vielmehr müssen sie auch etabliert werden. Fehlt diese Untermauerung im Einzelfall oder gar generell, so wird sich niemand an der Norm orientieren. Beispielhaft gefragt, wer begäbe sich ohne Not in die Gefahr, getötet oder auch "nur" beraubt zu werden, allein mit der Sicherheit, daß dies nicht sein darf, oder wer läßt sein Haus nachts unverschlossen, nur weil ohnehin kein Unbefugter eintreten darf?

III. Person im Recht versus Feind

A. Notwehr. "Normale" Delinquenz

Was für Normen der Fall ist und, wie zur Reinen Rechtslehre Kelsens dargetan wurde, sich für den Staat als normatives System nicht anders verhält, gilt nicht minder für die normativ, als Trägerin von Rechten und Pflichten, bestimmte Person: Auch sie verliert ihre orientierende Kraft, wenn sie sich ins "endlos Kontrafaktische" verflüchtigt. Abermals beispielhaft, niemand betraut einen notorischen Defraudanten mit der Kassenverwaltung und niemand einen notorisch Pädophilen mit der Aufsicht über Kinder; denn der normativen Erwartung, das Verhalten werde pflichtgemäß ausfallen, fehlt die kognitive Untermauerung, wenn sie immer wieder, eben notorisch, enttäuscht wird.

Das heißt allerdings nicht, diese Täter hätten damit aufgehört, Personen zu sein. Es mag sich ja so verhalten, daß die Täter nur einmal oder wenige Male eine Pflicht aus dem riesigen Bündel ihrer Pflichten nicht erfüllen, so daß sich insgesamt ein noch erträglicher modus vivendi finden läßt. Etwa den in der früheren Strafzweckdiskussion immer wieder in polemischer Absicht herangezogenen "notorischen Radfahrer ohne Licht" muß man ja nicht sogleich als rechtliche Unperson aus der Gesellschaft exmittieren. Die damit angedeutete Elastizität der Beurteilung soll nunmehr etwas verdeutlicht werden, und zwar zunächst am aufschlußreichen Beispiel der Notwehr.

Der rechtswidrige Angriff als Auslöser der Notwehrbefugnis schafft den krassen Fall einer aktuell nicht mehr orientierenden normativen Erwartung: Daß der Angreifer sich wie eine Person im Recht, also wie ein Bürger, benehmen werde, wäre eine offenbar falsche Annahme, und deshalb muß die Situation kognitiv bereinigt werden, eben durch die Abwehr. Es verhält sich aber nicht so, als spiele nunmehr die Personalität des Angreifers keine Rolle mehr: Er bleibt eine rechtlich gebundene Person, und der Angriff darf auch nicht beliebig, sondern nur im Rahmen des Erforderlichen abgewehrt werden. Kurzum, die Situation liegt in einem Zwielicht: Die kognitive Untermauerung der normativen Erwartung ist zerbrochen, und deshalb darf der Angreifer fremdverwaltet werden - das widerspricht seinem Person-Sein -, aber doch wiederum nur unter Berücksichtigung seiner an sich gegebenen Personalität. Mit anderen Worten, der Angreifer bleibt dem Begriff nach Person im Recht, Bürger, auch wenn er der Sache nach als gefährlich behandelt werden muß. Es verhält sich mit der Personalität ebenso wie mit der Normgeltung: Endlos läßt sie sich nicht ins Kontrafaktische verlängern, aber ein bißchen eben doch. Wenn der Angreifer heute wütet, muß man ihn nicht sogleich zur rechtlichen Unperson erklären, sondern kann darauf setzen, daß er morgen vom Gericht zur Räson gerufen sowie zur Leistung von Schadensersatz verurteilt wird und dann auch wieder seinen Pflichten nachkommt.

Dasselbe gilt im - sit venia verbo - Normalfall eines Verbrechens: Der Verbrecher steigt wegen einer Tat oder wegen einer Handvoll Taten nicht sogleich aus der Gesellschaft aus - an vielen anderen Stellen mag er sich bestens angepaßt verhalten -, sondern agiert eher punktuell falsch, dies freilich massiv. Auch wenn die kognitive Untermauerung seines Person-Seins durch sein Verbrechen erschüttert wird (so insbesondere Grolmann; Nachweise, auch für die in den folgenden Absätzen Genannten bei Jakobs Staatliche Strafe. Bedeutung und Zweck, 2004, passim), läßt sich darauf setzen, sie werde sich bei erfolgender Bestrafung wieder festigen, und so verfährt das Strafrecht im Regelfall: Der Verbrecher bleibt Person im Recht.

Die Strafrechtsphilosophie der Aufklärungszeit hat das überwiegend anders gesehen und argumentiert, der Verbrecher löse sich durch seine Tat aus dem Gesellschaftsvertrag und falle in den Naturzustand zurück. Beispielhaft sei nur Leibniz zitiert: "Qui sciens nocet sine necessitate in eum est jus belli" (Busche, Hrsg., G. W. Leibniz. Frühe Schriften zum Naturrecht, 2003, S. 102), und dieses "jus belli" kennt zwar eine Grenze, aber erst nach einem Sieg: "Pugna suum finem cum jacet hostis habet" (aaO. S. 124). So oder so ähnlich findet es sich bei zahlreichen Autoren und wird dann sogar noch von Fichte wiederaufgenommen, und auch bei Kant verliert der Verbrecher seinen Bürgerstatus, also die bürgerliche Personalität, (obgleich Kant die angeborene Persönlichkeit, von der hier nicht die Rede ist, für unverlierbar hält). Diese sehr harte Lösung dürfte mit der ebenfalls sehr harten Strafenpraxis im 17. und 18. Jahrhundert zusammenhängen; es sei nur daran erinnert, daß noch

Kant für Diebe den Sklavenstand, Karrenstrafe, vorsieht, das preußische ALR von 1794 noch die Todesstrafe des Räderns kennt und Fichte den Mörder für Vieh erklärt, das (da es nun einmal Vieh ist) konsequenterweise nicht bestraft werden kann, sondern vor dem man sich zu sichern hat.

B. Bürgerliche Delinquenten und Feinde

Rund 150 Jahre früher hat freilich ein Aufklärer bereits ein differenzierteres Konzept vorgelegt, und es ist kein Wunder, daß er weniger Vertragstheoretiker als Institutionentheoretiker war: Der Vertrag ist bei Hobbes, um den es hier geht, eher eine Metapher dafür, daß die künftigen Bürger die Selbstorganisation der zentralen Macht nicht stören: Vertrag oder Unterwerfung oder anderes, Hauptsache ist, daß eine Zentralgewalt entsteht. Hobbes unterscheidet zwischen dem bürgerlichen Delinquenten und dem Hochverräter; jener wird nach den erlassenen Gesetzen verurteilt, dieser aber als Feind bekämpft, und der Grund für diese Differenz liegt auf der Hand, da jener einen einzelnen Vorteil sucht, was zwar nicht zu dulden ist, aber das Ganze nicht in Frage stellt, während dieser, der Hochverräter, das Prinzip bekämpft, und das Prinzip ist bei Hobbes in der konkreten Herrschaft verkörpert.

Nun ist nicht zu erwarten, die vor mehr als 350 Jahren formulierten Gedanken des Hobbes ließen sich eins zu eins in die Gegenwart übertragen, obgleich die Erkenntnis, daß ein prinzipieller Gegner eben anders, als Feind, zu behandeln ist als ein Bürger mit eher passageren Defekten, nach wie vor richtig ist. Nur darf unter einem prinzipiellen Gegner heute nicht (nur) ein Gegner der etablierten Herrschaft verstanden werden, vielmehr ist er als ein Gegner der freiheitlich verfaßten Gesellschaft zu begreifen. Wer genau dazu gerechnet werden muß, läßt sich gewiß nur schwierig bestimmen, aber unmöglich ist es nicht: Wer sich selbst zu einem Teil verfestigter krimineller Strukturen gemacht hat, bei dem verdünnt sich die Hoffnung, ein gemeinsamer modus vivendi werde sich trotz einzelner verbrecherischer Taten finden lassen, zur schieren Illusion, eben zur "endlos kontrafaktischen" Erwartung.

Es kann deshalb kaum verwundern, daß der deutsche Gesetzgeber diejenigen Gesetze, die er selbst "Bekämpfungsgesetze" genannt hat, unter anderem gegen die "Wirtschaftskriminalität" gerichtet hat, die ja in ihren schwereren Formen weitgehend organisierte Kriminalität ist, ferner gegen den "Terrorismus" und gegen den "illegalen Rauschgifthandel und andere Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität": Wer sein Leben zurechenbar und einigermaßen dauerhaft an kriminellen Strukturen ausrichtet, für den bricht zwar nicht rundum, aber doch bereichsweise die Präsumtion rechtstreuen Verhaltens und damit eine Bedingung seines Status als Person im Recht zusammen. Der organisierte Kriminelle mag ein rührender Familienvater und sorgfältiger Autofahrer sein, er mag Gewalt hassen und Tiere lieben, aber einfach abzuwarten, was seine Organisation alles an Taten produziert, wäre schlicht dumm. Ein Feind muß nicht unbedingt Totalfeind sein; wenn nicht, dann ist er eben Partialfeind. Entsprechendes gilt für Täter, die sich haltungsgemäß, genauer, mangels Haltung, mutmaßlich nicht nur passager vom Recht entfernt haben, etwa für manche Sexualdelinquenten; das wird hier nicht weiter verfolgt.

Geläufig wird mir vorgeworfen, diese Bestimmung des Feindes sei einigermaßen ungenau. Die Feststellung stimmt, aber sie ist als Vorwurf falsch formuliert: Beim "Bürger" oder "Bürgerstrafrecht" und beim "Feind" oder "Feindstrafrecht" handelt es sich um Idealtypen, die in reiner Ausprägung praktisch nicht vorkommen. Das Praktische liegt immer dazwischen und trägt deshalb das Stigma aller Mischtypen, eben ungenau zu sein. Ich habe die Charakterisierungen des Feindes ja auch nicht frei erfunden, sondern versucht, sie aus den vom Gesetzgeber so genannten Bekämpfungsgesetzen und anderen Vorschriften zu destillieren. Wenn sich da - um im Bild zu bleiben - reine Alkohole und Fuselstoffe mischen, liegt das an der Maische des Gesetzes, nicht am Destillateur.

C. (Partielle) Exklusion des Feindes

Darf diese Behandlung eines Verbrechers - eben nicht als vollgültige Person, vielmehr als zumindest partieller Feind - überhaupt sein? Wie steht es um den eingangs schon genannten Satz, jeder habe jederzeit einen Anspruch auf Behandlung als Person? Der Satz gilt, aber er läßt sich, wie zuvor schon vermutet und nunmehr belegt worden ist, nun einmal nicht einseitig anwenden. Die Grundlage der Vermutung zukünftigen Legalverhaltens zu pflegen, ist eine elementare Bringschuld aller Bürger; denn nur beim begründeten Bestand dieser Vermutung, und die Begründung können nur die Bürger selbst leisten, ist ein ebenso freier wie furchtloser Umgang miteinander möglich. Wirkliche, orientierungsleitende Personalität läßt sich eben nicht durch bloße Postulate erreichen, vielmehr muß, wer Person sein soll, "mitmachen", und das heißt, er muß seinen Teil leisten, also hinreichende Rechtstreue garantieren. Der genannte Satz muß also ergänzt werden: Jeder, der zumindest einigermaßen verläßlich Rechtstreue verspricht, hat den Anspruch, als Person im Recht behandelt zu werden. Wer dieses Versprechen nicht in glaubhafter Weise leistet, wird tendenziell fremdverwaltet; ihm werden Rechte genommen. Seine Pflichten bleiben ungeschmälert (wenn auch mit Pflichterfüllung kognitiv nicht mehr gerechnet wird), sonst wäre er mangels einer Pflichtverletzung nicht Verbrecher. Soweit ihm Rechte genommen werden, wird er - definitionsgemäß - nicht als Person im Recht behandelt. Das ist der Kern meiner Ausführungen: Wird dieser Kern ausgeräumt, bricht meine These zusammen; hat er Bestand, betrifft alles weitere nur Details, nicht den Grundsatz.

Meist wird der Betreffende wohl nur partiell in der Position eines Feindes stehen, genauer, er wird sich dort hinstellen; denn Exklusion in einer freiheitlichen Gesellschaft ist immer Selbstexklusion: Durch eine Verhaltensänderung könnte der Feind wieder zum Bürger werden. Es verhält sich also nicht so, als lasse die Gesellschaft den Feind nicht "herein"; er selbst hindert sein "Hinein-

kommen", weil er seine Bringschuld nicht leistet, also nicht dafür sorgt, daß bei ihm rechtstreues Verhalten vermutet werden kann. Mit dieser Feststellung - eher partielle und zudem selbst veranlaßte Exklusion - soll freilich das Problem nicht verniedlicht und soll vor allem nicht von der naheliegenden Frage abgelenkt werden, ob der Umgang mit dem - und sei es partiellen und auf eigene Veranlassung dazu gewordenen - Feind überhaupt ein rechtlicher Umgang ist. Die Antwort liegt auf der Hand: Soweit mit dem Feind als Feind umgegangen wird, fehlt mangels Gegenseitigkeit das Rechtsband, das die bürgerliche Gesellschaft knüpft; der Umgang erfolgt also im Verhältnis zum Feind nicht als rechtlicher (daß er deswegen nicht grenzenlos sein muß, wird noch darzulegen sein, und von den Rechten, die sich aus der angeborenen Persönlichkeit ergeben, ist hier nicht die Rede; siehe schon oben III. A.). "Feindstrafrecht" kann also nicht heißen, der Feind werde, auch soweit er eben Feind ist, als bürgerlicher Rechtsgenosse inkludiert.

Also ist der Feind exkludiert, genauer, von einigen seiner Rechte exkludiert. Das könnte dahin mißverstanden werden, der Verbrecher habe es in der Hand, sich durch Wandlung zum Feind aus der bürgerlichen Gesellschaft zu verabschieden. So verhält es sich freilich nicht: Die Gesellschaft entscheidet selbst, wer in sie eingeschlossen ist und wer nicht, und - beiläufig - der Feind würde es wohl in der Regel vorziehen, eingeschlossen zu bleiben. Zudem entscheidet die Gesellschaft, inwieweit sie ein- oder ausschließt, und sie entläßt auch den hartnäckigen Verbrecher nicht aus seiner Pflicht, kein Verbrechen zu begehen. - Was die Exklusion von den Rechten und in diesem Sinn die Entrechtlichung angeht, so kann die Gesellschaft freilich ihre Entscheidung nicht abgehoben von dem alltäglich Praktizierten und in dem Sinne von ihrer eigenen Wirklichkeit treffen, wenn das Ergebnis zur Orientierung in eben dieser alltäglichen Praxis taugen soll. Salopp gesprochen, eine abstrakt gedachte Gesellschaft kann zur Person im Recht erklären, "wen, genauer: was (!) sie will", aber gerade diese "Beliebigkeit" nimmt ihr die Orientierungskraft in der alltäglichen Praxis. Eine wirklich stattfindende Gesellschaft kommt um eine mehr oder weniger umfassende Exklusion der hartnäckigen Gegner nicht herum.

Aber das Feindstrafrecht bleibt doch insoweit Recht, als es die Bürger ihrerseits, genauer, den Staat, seine Organe und Funktionäre, bei der Bekämpfung der Feinde bindet. Feindstrafrecht ist eben kein Regelwerk zur grenzenlosen Vernichtung, sondern ist im klug verwalteten Rechtsstaat eine ultima ratio, die bewußt als Ausnahme angewandt wird, als etwas, das nicht zu dauerndem Gebrauch taugt. Um zu dieser Selbstbescheidung zu kommen, ist es freilich erst einmal nötig zu wissen, was man bei feindstrafrechtlichen Regeln "in der Hand hält". Die vielleicht gutgemeinte, aber gewiß nicht gute Annahme, alles Recht sei stets jedermann gegenüber Recht, weil das nicht anders sein dürfe, vertuscht in ihrer einfältigen Zeichnung der Lage die - mehr oder weniger umfassende - Exklusion des Feindes, was seine Rechte angeht, und damit das Warnzeichen der Ausnahme.

D. Deskription

Im Blick auf die in Deutschland und einigen spanischsprachigen Ländern bereits seit etwa fünf Jahren intensiv laufende Diskussion über das Feindstrafrecht - überwiegend freilich eher eine Demonstration der Entrüstung als ein Beitrag zum Gedankenaustausch - erlaube ich mir eine etwas herbe Bemerkung. Die Unterscheidung zwischen der Person im Recht und einem - zumindest partiellen - Feind wird hier durch eine Analyse der Bedingungen praktizierter, also orientierungsleitender, Rechtlichkeit gewonnen. In der Analyse mögen Fehler stecken, die dann als solche darzutun wären; es wäre also zu begründen, daß praktizierte Rechtlichkeit nicht auf einer zumindest unterstellbaren Gegenseitigkeit beruhe, was bislang freilich nicht einmal ansatzweise unternommen und noch weniger geleistet worden ist. Statt dessen heißt es mehr oder weniger unisono, es dürfe diese Unterscheidung nicht geben; denn Rechtlichkeit sei allumfassend. Aber das läuft auf das oben schon behandelte "endlos Kontrafaktische" hinaus, und dieses ist per definitionem nicht wirklich. Wer diese Entthronung normativistischer Omnipotenz durch die Wirklichkeit nicht aushält, sollte auf Normlogik umsatteln - da gibt es allumfassende Geltung - oder auf Rechtspolitik - da gibt es leicht formulierbare Utopien -, und ich vermute, daß sich die Entrüsteten auf letzteres verlegt haben.

E. Begriffe und Namen

In diesem Zusammenhang seien zwei Bemerkungen zum Begriff des Feindes und zur Namensgebung "Feindstrafrecht" erlaubt. Mit dem Begriff des Feindes, wie er in Carl Schmitts "Der Begriff des Politischen" (1927) gebildet wird, mit dem Feind als existentiellem Gegner, ist der hiesige Begriff nicht deckungsgleich. Bei Carl Schmitt ist der Begriff des Politischen ein säkularisierter theologischer Begriff, der eher Gottesfürchtige von Gottlosen scheidet als politische Gegner im heute geläufigen Verständnis. Der Schmittsche Begriff handelt nicht von einem Verbrecher, sondern vom hostis, vom anderen; im Staat kommt es erst bei einem Bürgerkrieg zu einer politischen Konfrontation im Sinne Schmitts. Der Feind des Feindstrafrechts ist hingegen ein Verbrecher der vermutlich nachhaltig gefährlichen Sorte, ein inimicus. Er ist nicht ein anderer, sondern er sollte sich als gleicher benehmen, und deshalb wird ihm auch Strafrechtsschuld zugeschrieben, anders als dem hostis Schmitts. Hätte ich mich bei meinen Darlegungen auf Carl Schmitt bezogen, so wäre das ein einigermaßen krasses Fehlzitat gewesen.

Das Besondere gegenüber einem - sit venia verbo - Normalverbrecher liegt darin, daß es allein mit einer schuldangemessenen Bestrafung nicht getan ist, daß vielmehr (bei Vorverlagerungen:) vor der Tat oder zusätzlich zur Strafe sichernd zu verfahren ist. Man mag fragen, warum diese Sicherung Feindstrafrecht heißt, wo es doch um ein Sicherungsrecht geht. Den Grund für diese Namensgebung liefert der Gesetzgeber, der die Sicherung formell als Strafrecht ausgestaltet: Die Mitglieder einer kriminellen Vereinigung werden dem Ge-

setz nach (über das Maß der geschehenen Friedensstörung hinaus) bestraft und nicht etwa in Verwahrung genommen, und die Maßregeln der Besserung und Sicherung werden immerhin noch als Annexe des Strafrechts im Strafgesetzbuch geregelt.

IV. Feindstrafrecht als Gefahrenabwehr

A. Vorverlagerungen

Wofür ist die Trennung der Person im Recht, des Bürgers, vom zumindest partiellen Feind wichtig? Bei der Suche nach einer Antwort auf diese Frage stelle ich abermals keine rechtspolitischen Postulate auf, sondern beschreibe, wie das geltende Recht zwischen der Bestrafung eines Bürgers, der ein Verbrechen begangen hat, und dem Umgang mit einem Feind unterscheidet.

An erster Stelle ist die - mittlerweile auf Grund eines europäischen Rahmenbeschlusses verbindliche, aber auch zuvor bereits übliche - Vorverlagerung der Strafbarkeit zu nennen, vorweg die Bestrafung der Bildung einer kriminellen oder gar terroristischen Vereinigung, also die Bestrafung eines weit vor einem Verletzungsdelikt liegenden Verhaltens. Die Entwicklung der Bestrafung der Verbrechensvorbereitung in Deutschland lehrt, wie nützlich die Unterscheidung zwischen Bürger und Feind sein könnte, so sie denn sauber durchgeführt würde. Kurz dazu:

Das preußische Strafgesetzbuch von 1851 und das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 kannten keine Bestrafung der isolierten Verbrechensvorbereitung. Nachdem sich im Kulturkampf, einem Kampf des Staates für die Verweltlichung der gesellschaftlichen Institutionen, ein Ausländer (der Belgier Duchesne) gegenüber hohen ausländischen kirchlichen Stellen (dem Jesuitenprovinzial von Belgien und dem Erzbischof von Paris) erboten hatte, gegen Zahlung einer beachtlichen Summe den deutschen Reichskanzler (Bismarck) zu töten, wurde eine Vorschrift eingeführt, die solche Vorbereitungen bei schwersten Verbrechen mit Gefängnis von 3 Monaten bis zu 5 Jahren (Gefängnis, nicht Zuchthaus!), bei allen anderen mit Gefängnis bis zu 2 Jahren bedrohte (§§ 49 a, 16 RStGB nach der Novelle von 1876) - eine Regelung, die wegen ihrer Milde offenbar nicht darauf abstellte, wie gefährlich ein Feind werden kann, sondern was ein Täter bislang angegriffen hat: die öffentliche Sicherheit. 1943 (!) wurde die Vorschrift (unter anderem) dergestalt verschärft, daß die Strafe an diejenige der geplanten Tat gebunden wurde; das Delikt gegen die öffentliche Sicherheit wurde damit in eine echte Bestrafung von Vorbereitungen verwandelt, und diese Änderung ist bis heute nicht rückgängig gemacht worden. Angeknüpft wird somit an das noch nicht betätigte, sondern an das nur geplante Verhalten, also nicht an den verwirklichten Normgeltungsschaden, sondern an die kommende Tat, mit anderen Worten, an die Stelle des aktuellen Normgeltungsschadens tritt die Gefahr künftiger Schäden - eine feindstrafrechtliche Regelung. Was bei Terroristen - prinzipiellen Gegnern - angemessen sein mag, eben auf die Größe der Gefahr und nicht auf den verwirklichten Normgeltungsschaden abzustellen, wird hier auf den Fall jeder Planung eines Verbrechens, etwa eines einfachen Raubs, übertragen. Solches überflüssige Feindstrafrecht ist ein Übel, nicht das notwendige.

Bei der Terrorismusbekämpfung steht heute praktisch die Vorschrift gegen die Bildung terroristischer Vereinigungen im Vordergrund (§§ 129 a, 129 b StGB). Die angedrohten Strafen reichen abgestuft von fünf über zehn bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsentzug, letzteres für "Rädelsführer und Hintermänner" (was diese auch immer sein mögen). Zumindest die über fünf Jahre hinausreichenden Strafen lassen sich nicht mit dem aktuell verwirklichten Unrecht einer Störung der öffentlichen Sicherheit begründen - aber was für eine Funktion haben sie dann? Diese Strafdrohungen zeigen den Übergang von einem Normgeltung erhaltenden Strafrecht, üblicherweise Schuldstrafrecht genannt, zu einem Strafrecht als Maßnahmenrecht bei drohenden Gefahren. Den Unterschied gilt es, genauer zu begründen.

B. Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht

Im Normalfall des Verbrechens ist die Strafe eine Art Schadensersatz, der bei der Person des Verbrechers zwangsweise beigetrieben wird: Die Strafe ist Widerspruch - das versteht sich von selbst - und Zufügung von Schmerz, und dieser Schmerz ist so zu bemessen, daß die kognitive Untermauerung der übertretenen Norm nicht wegen der geschehenen Tat leidet. Widerspruch wie Schmerz werden strafrechtsdogmatisch im Schuldbegriff präformiert. Für die schuldangemessene Strafe reicht es hin, wenn die Tat wegen der Strafe allgemein als mißglücktes Unternehmen verstanden wird; insbesondere geht es nicht um Abschreckung anderer Tatgeneigter: Deren Tatneigung hat der Täter in aller Regel nicht zu verantworten. Beiläufig, in der Zeit der Aufklärung sah man das anders: Die Verbrecher wurden als eine zusammengehörende Horde begriffen, so daß die Bestrafung jedes einzelnen der Abschreckung der ganzen Horde zu dienen hatte. Etwa bei Christian Wolff heißt es, bei der Bestrafung sei eher auf die anderen potentiellen Verbrecher zu sehen als auf den konkret vor Gericht stehenden Täter (Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschafftlichen Leben der Menschen etc., sog. Deutsche Politik, 1736, § 347).

Mit der Umsetzung des dem Schadensersatz analogen Modells (das ja schon als Modell des Normalfalls nicht nur der harten Realität, sondern nicht minder einer erdachten Idylle nahestehen dürfte) ist es im Fall haltungsgemäß prinzipieller wie auch aktiver Gegner, also unter anderem im Fall von Terroristen, nicht getan; denn ganz unabhängig von der Antwort auf die bisher kaum je aufgeworfene Frage, wie es um die Schuld zumindest desjenigen Terroristen bestellt ist, der in einer der hiesigen Kultur feindlichen Kultur sozialisiert wurde, gilt es im Fall eines jeden Terroristen - wie bei jedem Feind -, auch ein bereits vorhandenes Defizit an kognitiver Sicherheit auszugleichen. Wie das auch immer geschehen mag, so geschieht es gewiß nicht in einem freien Diskurs, sondern indem der Terrorist selbst oder eher noch seine

Lebensumstände in zweckdienlicher Weise durch Zwang verändert werden, und die Anwendung von Zwang zur Änderung des Lebens eines anderen ist mit dessen Anerkennung als Person insoweit, als Zwang angewendet wird, definitionsgemäß unverträglich. Praktisch wird die Sicherung vor dem Täter im Vordergrund stehen, entweder durch eine als solche ausgewiesene Sicherungsverwahrung oder durch eine Sicherung garantierende, also entsprechend lange Freiheitsstrafe. Letzteres ist - neben der schieren Abschreckung - einer der Gründe für die hohen Strafen, die gegen die Bildung einer terroristischen Vereinigung angedroht werden; diese Strafen lassen sich nicht durch dasjenige erklären, was bereits geschehen ist - es wurde die öffentliche Sicherheit beeinträchtigt, aber bislang zu keiner Verletzung angesetzt -, sondern nur durch die bestehende Gefahr.

Freilich ist die Abwehr drohender Gefahren an sich Aufgabe der Polizei. Warum übernimmt das Strafrecht diese Aufgabe trotz der Gefahr seiner Verpolizeilichung? Die Antwort fällt mehrschichtig aus: Die Polizei kann an den Tatbestand der Bildung einer terroristischen Vereinigung keine für lange Zeit sichernden Rechtsfolgen knüpfen - das ist die erste Schicht - und sie soll es auch nicht - das ist die zweite -, weil dem Feindstrafrecht zumindest ein Teil der rechtsstaatlichen Garantien des materiellen Strafrechts und des Prozeßrechts gegeben werden soll, um es rechtsstaatlich erträglich zu machen, aber auch um die Differenz zum Bürgerstrafrecht zu verschleiern, insoweit durchaus vergleichbar mit den Maßregeln der Besserung und Sicherung und hier insbesondere mit der Sicherungsverwahrung, die als gefahrenabwehrende Maßregeln im materiellen Strafrecht "mitlaufen" - ihrerseits feindstrafrechtliche Rechtsinstitute. Wenn im Sommer 2005 der deutsche Bundesinnenminister öffentlich von Vorüberlegungen zu einer "vorbeugenden Sicherungsverwahrung" spricht, bestätigt das die hier gegebene Deutung.

Ich fasse die insoweit nicht gerade neue Entwicklung zusammen: Feindstrafrecht, insbesondere das gegen Terroristen gerichtete Strafrecht, hat eher die Aufgabe, Sicherheit zu gewährleisten, als Rechtsgeltung zu erhalten, ablesbar am Strafzweck und an den einschlägigen Tatbeständen. Das Bürgerstrafrecht, Garantie der Rechtsgeltung, wandelt sich in Gefahrenabwehr.

C. Bemerkungen zum Prozeßrecht

Dem entspricht die prozessuale Lage. Der Beschuldigte ist im Grundfall des rechtsstaatlichen Strafprozesses Prozeßsubjekt, mitwirkende Person; das unterscheidet ja gerade den reformierten Prozeß vom Inquisitionsprozeß. Als Beispiele sind etwa zu nennen: das Recht auf rechtliches Gehör, das Recht, Beweisanträge zu stellen, bei Vernehmungen anwesend zu sein und, dies insbesondere, das Recht, bei der eigenen Aussage weder unzulässig getäuscht, noch gezwungen, noch verlockt zu werden (§ 136 a StPO).

Andererseits tritt dieser personalen, prozeßsubjekthaften Seite mannigfacher schierer Zwang gegenüber, vorweg bei der Untersuchungshaft (§§ 112, 112 a StPO); vergleichbar der Sicherungsverwahrung erkennt sie den Beschuldigten nicht als Person an, sondern erschöpft sich ihm gegenüber in physischem Zwang, dies nicht, weil der Beschuldigte dem Prozeß beiwohnen muß - am Prozeß nimmt auch eine beschuldigte Person teil, und zwar aus Einsicht -, sondern weil er dazu durch die Inhaftierung gezwungen wird. Dieser Zwang richtet sich nicht gegen die Person im Recht - diese verdunkelt nicht und flieht nicht - sondern gegen das Individuum, das mit seinen Trieben und Ängsten für den ordentlichen Rechtsgang gefährlich wird, sich insoweit als Feind geriert. Ebenso verhält es sich bei jedem Zwang zu einem Eingriff, etwa zu einer Blutentnahme (§ 81 a StPO), sowie bei denjenigen Überwachungsmaßnahmen, von denen der Beschuldigte zum Zeitpunkt ihrer Vornahme nichts weiß, jedenfalls nichts wissen soll, weil die Maßnahmen nur funktionieren, solange der Beschuldigte sie nicht kennt. Zu nennen sind beispielsweise die Überwachung der Telekommunikation (§ 100 a StPO), sonstige geheime Ermittlungen (§ 100 c StPO) und der Einsatz verdeckter Ermittler (§ 110 a StPO). Wie im materiellen Feindstrafrecht so gilt auch hier, daß solche Maßnahmen nicht außerhalb des Rechts erfolgen, aber die Beschuldigten werden insoweit, als bei ihnen eingegriffen wird, von ihrem Recht exkludiert: Der Staat hebt in rechtlich geordneter Weise Rechte auf.

Ebenso wie im materiellen Recht gelten die krassesten feindstrafprozessualen Regelungen der Erledigung terroristischer Gefahren, wobei ein Hinweis auf die Kontaktsperre, also die Aufhebung der Kontaktmöglichkeit zwischen einem Gefangenen und seinem Verteidiger zur Vermeidung von Gefahren für Leben, Leib oder Freiheit einer Person, genügen mag (§§ 31 ff EGGVG).

Die genannten strafprozessualen Institute sollen hier nicht in Bausch und Bogen verworfen werden; sie mögen nötig sein, um die Gesellschaft vor ihren Feinden zu schützen. Aber man wird sie ja wohl noch bei ihrem rechten Namen nennen dürften: Ein "großer Lauschangriff" auf einen Bürger oder verdeckte Ermittlungen gegen ihn passen nicht zu seinem Begriff. Sie richten sich vielmehr gegen Individuen, denen die Vermutung rechtstreuen Verhaltens nicht mehr gilt, die also nicht im Vollsinne als Bürger, als Personen im Recht, behandelt werden, und auch wohl kaum als solche Personen behandelt werden können.

V. Grenzen

Ist ein Feindstrafrecht legitim und wenn ja, bis zu welchem Maß? Als Versuch einer Antwort, und damit komme ich zum Schluß, formuliere ich drei Gedanken.

Erstens, der Staat muß seine Gestalt nicht mutwillig aufs Spiel setzen; wenn von Feindstrafrecht die Rede ist, bedeutet das nicht sogleich "kurzen Prozeß", "Verdachtsstrafe", gar "öffentliche Vierteilung zur Abschreckung" oder ähnliches (womit das Problem der Grenzziehung freilich noch nicht gelöst ist).

Zweitens und hauptsächlich, die Deduktion einer Antwort auf die Frage nach der Legitimität aus dem abstrakten Begriff des Rechtsstaats ist nichts wert. Daß ein Staat, der keine Sicherungsverwahrung kennt, der die Bildung einer terroristischen Vereinigung nur als Tat gegen die öffentliche Ordnung bestraft, dem Kontaktsperren, Lauschangriffe, verdeckte Ermittler und vieles weitere fremd sind, dem Ideal eines Rechtsstaates näherkomme als ein Staat, der solche Einrichtungen und Maßnahmen erlaubt, läßt sich nur abstrakt feststellen; konkret mag der Verzicht auf diese Einrichtungen das Recht des Bürgers auf Sicherheit aushöhlen, und dieses Recht auf Sicherheit ist nur ein anderer Name für ein Recht auf den Zustand wirklicher Rechtsgeltung. So wie es schon zum Begriff der Person und auch zu demjenigen der Rechtsgeltung dargelegt wurde, so ist auch ein Rechtsstaat nicht schon deshalb wirklich, weil er gedacht, postuliert wird, und wer der Meinung ist, es müsse im Rechtsstaat stets alles verwirklicht werden, ohne Abstriche, der sollte wissen, daß dieses "Alles" in der konkreten Wirklichkeit begleitet wird von einem "oder nichts", zumal ein schlechthin perfekter Rechtsstaat für Terroristen einen solchermaßen riesigen "Standortvorteil" böte, daß er sie geradezu einlüde, in seinem Geltungsbereich zu verweilen, genauer: aktiv zu werden.

Drittens, niemand muß alles das, was man mit guten Gründen tun könnte, auch wirklich vollziehen. Beispielhaft, mancher Pazifist erklärt, im Fall der Notwehr den Angreifer nicht töten zu wollen, auch wenn dies erforderlich wäre, sondern eher selbst unterzugehen. Entsprechend bleibt auch dem Rechtsstaat die Möglichkeit, dann zurückzuweichen oder gar unterzugehen, wenn seine Funktionäre anderenfalls im Blut der Feinde waten müßten. Es gibt eben Verhaltensweisen, die man wegen seines ­Selbstbildes nicht vollzieht.

Hält man sich von den Extremen des bedingungslosen Pazifismus wie der bedingungslosen Selbstverteidigung fern, so geht es um das Erreichbare, um das praktisch Optimale, was heißt, das Feindstrafrecht sei auf das Erforderliche zu beschränken, dies ganz unabhängig von dem sowieso bestehenden Klugheitsgebot, physische Gewalt wegen ihrer korrumpierenden Nebenwirkungen geringzuhalten. Der Gesetzgeber könnte bei dieser Beschränkung leicht, sehr leicht, einen Anfang machen, etwa indem er bei der allgemeinen Verbrechensvorbereitung zur alten Regelung einer Höchststrafe von 5 Jahren Freiheitsstrafe für die Störung der öffentlichen Sicherheit zurückkehrte. Das wäre keine Abschaffung jeglichen Feindstrafrechts, nicht einmal ein Anfang davon, aber bewiese Problembewußtsein, und je deutlicher dieses Problembewußtsein entwickelt wäre, um so geringer wäre die Gefahr, daß das Feindstrafrecht, soweit es nun einmal unverzichtbar ist, und das Bürgerstrafrecht durcheinandergeraten.

Wenn ich mein Referat an dieser Stelle beende, so nicht ohne nochmals herauszustreichen, daß meinen Ausführungen jeder rechtspolitische Impetus fehlt, daß sie vielmehr von den Bedingungen wirklichen Rechts handeln. Über eine Idealwelt kann man sich leicht verständigen, aber für das Leben in der wirklichen Welt hat man dadurch nichts gewonnen.


* Vortrag, in geringfügig wechselnder Fassung gehalten (1) in der Veranstaltung "Feindstrafrecht. Vereinbar mit dem Rechtsstaat?" der Katholischen Akademie Trier (November 2005), (2) im "Convegno: Delitto Politico e Diritto Penale del Nemico" der Università degli Studi di Trento, Sardagna, Trento (März 2006) und (3) in der Arbeitsgruppe "Feindstrafrecht. Ein Gespenst geht um im Rechtsstaat" des 30. Strafverteidigertags/Frankfurt am Main (März 2006). Nachweise meiner zuvorigen Stellungnahmen zum Thema sowie einiger Gegenstimmen: Jakobs, ZStW 117 (2005), S. 839 ff. (Nachdruck in: Organisationsbüro Strafverteidigervereinigungen, Hg., Materialheft 30. Strafverteidigertag, S. 49 ff.); Seitdem sind unter anderem hinzugekommen: Gracia Martin, in: Homenaje al Profesor Dr. Gonzalo Rodríguez Mourullo, 2005, S. 447 ff; Zaffaroni, ebendort, S. 1077 ff; Demetrio Crespo Rev. d. Derecho Penal y Criminologia 2004, S. 87 ff. - Ansonsten ist (beim Stand März 2006) zu bemerken: Düx, Materialheft aaO., S. 64 ff., 69, nennt zwar den deskriptiven Gehalt des Begriffs, behandelt diesen aber als "abgegriffen" (?) und "totalitär"; das geht am einzig Relevanten, dem Realitätsgehalt, vorbei. - Gründlicher argumentiert Bung, Materialheft aaO., S. 56 ff., der sogar fast bis zum Kern vorstößt, dem Zusammenhang von normativer Orientierung und kognitiver Untermauerung, S. 60: "Nichts ... berechtigt zu der Annahme, überwiegend anomisches Verhalten könne konsistent als normative Unzuverlässigkeit interpretiert werden. Wer am (?) normativen Geschehen (dem Sprachspiel der Verantwortungszuschreibung) nicht mitspielt, versteht im Regelfall immer noch, was da gespielt wird und kann auch so (?) behandelt werden" (S. 60). Aber zuverlässig Zurechnen-Können und in einer Orientierung bietenden Art und Weise Normbefolgung Erwarten-Können ist nicht dasselbe. Die von Bung ansonsten vorgeschlagene Pathologisierung der hartnäckig Abweichenden ist ihrerseits eine Entpersonalisierung, und zwar nach dem Muster der alten Sowjetunion (Dissidenten sind Kranke), das Bung ansonsten gewiß verabscheut. - Ambos will nicht zwischen einem Individuum und einer Person unterscheiden, sondern sich "am Menschen" orientieren, SchwZStr. 124 (2006), S. 1 ff., 25. Dazu: Das Recht ist eine Leistung der Kultur, nicht der Natur, und es geht gerade um die Frage, ob diese Kulturleistung bedingungslos erbracht werden kann. - Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band 1, 4. Auflage, 2006, 2/126 ff., dort umfangreiche Nachweise nach 2/129, und Greco, GA 2006, S. 96 ff., 104 ff., wenden sich insbesondere gegen die "legitimatorisch-affirmative Verwendung" des Begriffs. Die Legitimation wird jedoch nicht von demjenigen geleistet, der das Notwendige beschreibt. - Hauptsächlich bleibt bei allen oben Genannten offen, wie sie die von mir als Feindstrafrecht bezeichneten Vorschriften des positiven Rechts deuten wollen. Wenn aber eine Theorie den Widerstand der Praxis nicht deuten kann, so ist "nicht genug Theorie da" (Kant, Über den Gemeinspruch etc., In: Weischedel, Hg. Immanuel Kant, Werke in sechs Bänden, Bd. VI., 1964, S. 125 ff., 127). - Einigermaßen wirklichkeitsnah sind freilich die Ausführungen von Hörnle, GA 2006, S. 80 ff., insbesondere zur "teilweise(n) Suspendierung des Bürgerstatus", S. 93. Ich wende mich allein gegen ihre Assoziation: Feindstrafrecht - Carl Schmitt (dazu auch unten im Text III. E.). Wenn in einem Kopf während der Lektüre eines Textes "C. S." aufblitzt, - warum muß das am Text liegen? - Wirklichkeitsnah argumentiert insbesondere auch Sinn, ZIS 2006, S. 107 ff., der freilich wie Bung (s.o.) verkennt, daß die sichere Möglichkeit der Zurechnung (S. 114) ein Vorsorgen-Müssen nicht jedenfalls ausschließt. - Wie hier Roellecke, JZ 2006, S. 265 ff., 268: "Im Verhältnis zu den Terroristen bleibt dem Rechtsstaat ... nur die stumme Anwendung physischer Gewalt." Das ist meine These (und bekräftigt mit dem Adjektiv "stumm" meine Kritik an Bung und Sinn, s.o.), freilich in einer vornehmeren Sprache.