HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2006
7. Jahrgang
PDF-Download

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

die HRRS-Ausgabe März greift mit dem Aufsatz von Christian-Alexander Neuling die derzeit aus gegebenem Anlass viel diskutierte mediale Öffentlichkeit im Ermittlungsverfahren auf, der eine justizielle Schweigepflicht gegenüber gestellt werden könnte.

Unter den Entscheidungen ragen die Urteile des BVerfG zum Schutz von Verbindungsdaten nach dem Ende des Übertragungsvorgangs und dasjenige zum Luftsicherheitsgesetz heraus. Zahlreiche lesenwerte und zur Veröffentlichung vorgesehene Entscheidungen des BGH sind aufgenommen. Zu ihnen zählt etwa eine Entscheidung zur Blutrache, die sich auch kritisch mit dem wiederholten Befragen schweigender Beschuldigter befasst. Ebenso umfasst die Ausgabe den Anfragebeschluss des 1. Strafsenats, mit dem dieser die Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung zur Rügeverkümmerung anregt.

Mit freundlichen Grüßen für die Redaktion

Karsten Gaede


Strafrechtliche/strafverfahrensrechtliche
Entscheidungen des BVerfG/EGMR


Entscheidung

236. BVerfG 1 BvR 357/05 (Erster Senat) - Urteil vom 15. Februar 2006

Luftsicherheitsgesetz; Menschenwürde und Recht auf Leben (Objektformel; keine mutmaßliche Einwilligung in den Abschuss; keine Verdinglichung des Menschen als Teil der Waffe; keine Einstandspflicht zugunsten des in seinem Bestand nicht gefährdeten Staates; Subjektstellung: Verantwortung und Zurechnung; Aufopferungspflicht: solidarische Einstandspflicht; Schutzpflichten des Staates); strafrechtliche Würdigung (Offenlassung; kein Recht des Staates zur Erlaubnis des Abschusses von auch mit Nichttätern besetzten Flugzeugen); Einsatz der Bundeswehr bei der Katastrophenhilfe (regionaler und überregionaler Katastrophennotstand; Einsatz als Polizeikräfte; kein Einsatz militärischer Kampfmittel); Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Unvereinbarkeit mit wehrverfassungsrechtlichen Vorgaben); Substantiierung der Verfassungsbeschwerde (Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzes); Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz (Beschwer; selbst, gegenwärtig; unmittelbar)

Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG; Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG; Art. 35 Abs. 3 S. 1 GG; Art. 87 d Abs. 2 GG; § 14 Abs. 3 LuftSiG; § 92 BVerfGG; § 23 Abs. 1 S. 2 BVerfGG

1. Der Bund hat unmittelbar aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG das Recht zur Gesetzgebung für Regelungen, die das Nähere über den Einsatz der Streitkräfte bei der Bekämpfung von Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen nach diesen Vorschriften und über das Zusammenwirken mit den beteiligten Ländern bestimmen. Der Begriff des besonders schweren Unglücksfalls umfasst auch Vorgänge, die den Eintritt einer Katastrophe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwarten lassen. (BVerfG)

2. Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG erlaubt es dem Bund nicht, die Streitkräfte bei der Bekämpfung von Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen mit spezifisch militärischen Waffen einzusetzen. (BVerfG)

3. Die Ermächtigung der Streitkräfte, gemäß § 14 Abs. 3 des Luftsicherheitsgesetzes durch unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt ein Luftfahrzeug abzuschießen, das gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, ist mit dem Recht auf Leben nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG nicht vereinbar, soweit davon tatunbeteiligte Menschen an Bord des Luftfahrzeugs betroffen werden. (BVerfG)

4. Unter dem Begriff des Unglücksfalles nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG bzw. Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG fallen

auch Ereignisse, die durch vorsätzliches menschliches Handeln hervorgerufen werden. (Bearbeiter)

5. Die Regelung des § 14 Abs. 3 LuftSiG begegnet auch insoweit verfassungsrechtlichen Bedenken als sie für den zulässigen Streitkräfteeinsatz gemäß § 13 Abs. 3 LuftSiG nicht durchweg eine vorherige Einsatzentscheidung der Bundesregierung voraussetzt. (Bearbeiter)

6. Das menschliche Leben ist die vitale Basis der Menschenwürde als tragendem Konstitutionsprinzip und oberstem Verfassungswert (vgl. BVerfGE 39, 1, 42; 109, 279, 311). Jeder Mensch besitzt als Person diese Würde, ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seinen körperlichen oder geistigen Zustand, seine Leistungen und seinen sozialen Status (vgl. BVerfGE 87, 209, 228; 96, 375, 399). Sie kann keinem Menschen genommen werden. Verletzbar ist aber der Achtungsanspruch, der sich aus ihr ergibt (vgl. BVerfGE 87, 209, 228). Das gilt unabhängig auch von der voraussichtlichen Dauer des individuellen menschlichen Lebens (vgl. BVerfGE 30, 173, 194). (Bearbeiter)

7. Dem Staat ist es im Hinblick auf dieses Verhältnis von Lebensrecht und Menschenwürde einerseits untersagt, durch eigene Maßnahmen unter Verstoß gegen das Verbot der Missachtung der menschlichen Würde in das Grundrecht auf Leben einzugreifen. Andererseits ist er auch gehalten, jedes menschliche Leben zu schützen. (Bearbeiter)

8. Ausgehend von der Vorstellung des Grundgesetzgebers, dass es zum Wesen des Menschen gehört, in Freiheit sich selbst zu bestimmen und sich frei zu entfalten, und dass der Einzelne verlangen kann, in der Gemeinschaft grundsätzlich als gleichberechtigtes Glied mit Eigenwert anerkannt zu werden (vgl. BVerfGE 45, 187, 227 f. ), schließt es die Verpflichtung zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde vielmehr generell aus, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen (vgl. BVerfGE 27, 1 6); 96, 375, 399). (Bearbeiter)

9. Der Staat, der zur Abwehrmaßnahme des § 14 Abs. 3 LuftSiG greift, missachtet die entführten Betroffenen als Subjekte mit Würde und unveräußerlichen Rechten. Sie werden dadurch, dass ihre Tötung als Mittel zur Rettung anderer benutzt wird, verdinglicht und zugleich entrechtlicht; indem über ihr Leben von Staats wegen einseitig verfügt wird, wird den als Opfern selbst schutzbedürftigen Flugzeuginsassen der Wert abgesprochen, der dem Menschen um seiner selbst willen zukommt. (Bearbeiter)

10. Auch wenn sich im Bereich der Gefahrenabwehr Prognoseunsicherheiten vielfach nicht gänzlich vermeiden lassen, ist es unter der Geltung des Art. 1 Abs. 1 GG schlechterdings unvorstellbar, auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung unschuldige Menschen, die sich wie die Besatzung und die Passagiere eines entführten Luftfahrzeugs in einer für sie hoffnungslosen Lage befinden, gegebenenfalls sogar unter Inkaufnahme solcher Unwägbarkeiten vorsätzlich zu töten. Dabei ist hier nicht zu entscheiden, wie ein gleichwohl vorgenommener Abschuss und eine auf ihn bezogene Anordnung strafrechtlich zu beurteilen wären. Für die verfassungsrechtliche Beurteilung ist allein entscheidend, dass der Gesetzgeber nicht durch Schaffung einer gesetzlichen Eingriffsbefugnis zu Maßnahmen der in § 14 Abs. 3 LuftSiG geregelten Art gegenüber unbeteiligten, unschuldigen Menschen ermächtigen, solche Maßnahmen nicht auf diese Weise als rechtmäßig qualifizieren und damit erlauben darf. (Bearbeiter)

11. § 14 Abs. 3 LuftSiG ist dagegen mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG insoweit vereinbar, als sich die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt gegen ein unbemanntes Luftfahrzeug oder ausschließlich gegen Personen richtet, die das Luftfahrzeug als Tatwaffe gegen das Leben von Menschen auf der Erde einsetzen wollen. (Bearbeiter)

12. Es entspricht gerade der Subjektstellung des Angreifers, wenn ihm die Folgen seines selbstbestimmten Verhaltens persönlich zugerechnet werden und er für das von ihm in Gang gesetzte Geschehen in Verantwortung genommen wird. Er wird daher in seinem Recht auf Achtung der auch ihm eigenen menschlichen Würde nicht beeinträchtigt. (Bearbeiter)


Entscheidung

235. BVerfG 2 BvR 2099/04 (Zweiter Senat) - Urteil vom 2. März 2006 (LG Karlsruhe)

Fernmeldegeheimnis (Telekommunikationsgeheimnis; Schutzbereich; Privatsphäre; Erstreckung auf alle Telekommunikationstechniken; Inhalt; nähere Umstände; Herrschaftsbereich; Einschüchterungseffekt); informationelle Selbstbestimmung; Unverletzlichkeit der Wohnung; Durchsuchung; Beschlagnahme beim Beschuldigten (Telekommunikationsverbindungsdaten; E-Mail); Verhältnismäßigkeit (Stärke des Tatverdachtes; Auffindewahrscheinlichkeit; Beschränkung auf bestimmte Daten; Beschlagnahme einer Computeranlage); Rechtsschutzbedürfnis (tiefgreifende Grundrechtseingriffe; Erledigung durch Vollzug).

Art. 10 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 13 Abs. 1 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 8 EMRK; § 102 StPO; § 94 StPO

1. Die nach Abschluss des Übertragungsvorgangs im Herrschaftsbereich des Kommunikationsteilnehmers gespeicherten Verbindungsdaten werden nicht durch Art. 10 Abs. 1 GG, sondern durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) und gegebenenfalls durch Art. 13 Abs. 1 GG geschützt. (BVerfG)

2. §§ 94 ff. und §§ 102 ff. StPO genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen auch hinsichtlich der Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern und den hierauf gespeicherten Daten und entsprechen der vor allem für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung geltenden Vorgabe, wonach der Gesetzgeber den Verwendungszweck der erhobenen Daten bereichsspezifisch, präzise und für den Betroffenen erkennbar bestimmen muss. Dem wird durch die strenge Begrenzung aller Maßnahmen auf den Ermittlungszweck Genüge getan

(vgl. Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 12. April 2005 - 2 BvR 1027/02 -). (BVerfG)

3. Beim Zugriff auf die bei dem Betroffenen gespeicherten Verbindungsdaten ist auf deren erhöhte Schutzwürdigkeit Rücksicht zu nehmen. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung muss dem Umstand Rechnung tragen, dass es sich um Daten handelt, die außerhalb der Sphäre des Betroffenen unter dem besonderen Schutz des Fernmeldegeheimnisses stehen und denen im Herrschaftsbereich des Betroffenen ein ergänzender Schutz durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zuteil wird. (BVerfG)

4. Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis gewährleisten die freie Entfaltung der Persönlichkeit durch einen privaten, vor der Öffentlichkeit verborgenen Austausch von Informationen und schützen damit zugleich die Würde des Menschen. (Bearbeiter)

5. Art. 10 GG schützt die private Fernkommunikation. Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis gewährleisten die Vertraulichkeit der individuellen Kommunikation, wenn diese wegen der räumlichen Distanz zwischen den Beteiligten auf eine Übermittlung durch andere angewiesen ist und deshalb in besonderer Weise einen Zugriff Dritter - einschließlich staatlicher Stellen - ermöglicht. (Bearbeiter)

6. Das Grundrecht aus Art. 10 GG ist entwicklungsoffen und umfasst nicht nur die bei Entstehung des Gesetzes bekannten Arten der Nachrichtenübertragung, sondern auch neuartige Übertragungstechniken (vgl. BVerfGE 46, 120, 144). Auf die konkrete Übermittlungsart (Kabel oder Funk, analoge oder digitale Vermittlung) und Ausdrucksform (Sprache, Bilder, Töne, Zeichen oder sonstige Daten) kommt es nicht an (vgl. BVerfGE 106, 28, 36). (Bearbeiter)

7. Der Schutz des Fernmeldegeheimnisses endet in dem Moment, in dem die Nachricht bei dem Empfänger angekommen und der Übertragungsvorgang beendet ist. Denn während für den Kommunikationsteilnehmer keine technischen Möglichkeiten vorhanden sind, das Entstehen und die Speicherung von Verbindungsdaten durch den Nachrichtenmittler zu verhindern oder auch nur zu beeinflussen, ändern sich die Einflussmöglichkeiten, wenn sich die Daten in der eigenen Sphäre des Teilnehmers befinden. (Bearbeiter)

8. Für die Bestimmung des Schutzbereichs von Art. 10 GG - vor allem in Abgrenzung zu Art. 2 Abs. 1 GG - kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Nutzer die Löschung der in seiner Sphäre gespeicherten Verbindungsdaten in jedem Fall sicher bewirken kann. Maßgeblich ist vielmehr, dass insoweit eine Vergleichbarkeit mit den sonst in seiner Privatsphäre gespeicherten Daten gegeben. (Bearbeiter)

9. Die Reichweite des grundrechtlichen Schutzes endet nicht in jedem Fall am Endgerät der Telekommunikationsanlage (vgl. BVerfGE 106, 28, 37). Eine Gefährdung der durch Art. 10 GG geschützten Vertraulichkeit der Telekommunikation kann auch durch einen Zugriff am Endgerät erfolgen. Ob Art. 10 Abs. 1 GG Schutz vor solchen Zugriffen bietet, ist mit Blick auf den Zweck der Freiheitsverbürgung unter Berücksichtigung der spezifischen Gefährdungslage zu bestimmen (vgl. BVerfGE 106, 28, 37). (Bearbeiter)

10. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) tritt bei einer Wohnungsdurchsuchung dann nicht hinter das ebenfalls betroffene Grundrecht aus Art. 13 GG zurück, wenn diese Durchsuchung den Zweck verfolgt, Datenträgern oder Mobiltelefonen sicherzustellen, auf denen Telekommunikationsverbindungsdaten gespeichert sind. (Bearbeiter)

11. Ein Durchsuchungsbeschluss, der zielgerichtet und ausdrücklich die Sicherstellung von Datenträgern bezweckt, auf denen Telekommunikationsverbindungsdaten gespeichert sein sollen, greift in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ein. (Bearbeiter)

12. Eine Durchsuchung muss vor allem in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen. Zum Zwecke der strafrechtlichen Ermittlung darf in die Wohnung eines Verdächtigen nur eingedrungen werden, wenn sich gegen ihn ein konkret zu beschreibender Tatvorwurf richtet, also mehr als nur vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen (vgl. BVerfGE 44, 353, 371 f.; BVerfGK 2, 290, 295). Die Durchsuchung muss zudem im Blick auf den bei der Anordnung verfolgten Zweck vor allem Erfolg versprechen (vgl. BVerfGE 42, 212, 220; 96, 44, 51). (Bearbeiter)

13. Im Einzelfall können die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat, eine geringe Beweisbedeutung der zu beschlagnahmenden Verbindungsdaten sowie die Vagheit des Auffindeverdachts der Maßnahme entgegenstehen. (Bearbeiter)

14. Dem Schutz der Verbindungsdaten muss bereits in der Durchsuchungsanordnung, soweit die konkreten Umstände dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks erlauben, durch Vorgaben zur Beschränkung des Beweismaterials auf den tatsächlich erforderlichen Umfang Rechnung getragen werden. Dabei ist vor allem an die zeitliche Eingrenzung der zu suchenden Verbindungsdaten zu denken oder an die Beschränkung auf bestimmte Kommunikationsmittel, wenn die Auffindung verfahrensrelevanter Daten in anderen Endgeräten des Betroffenen von vornherein nicht in Betracht kommt. (Bearbeiter)

15. Bei dem Vollzug von Durchsuchung und Beschlagnahme ist vor allem darauf zu achten, dass die Gewinnung überschießender, für das Verfahren bedeutungsloser Daten nach Möglichkeit vermieden wird. Die Beschlagnahme sämtlicher auf einer Computerfestplatte gespei-

cherter Daten oder der gesamten Datenverarbeitungsanlage allein zum Zweck der Erfassung von Verbindungsdaten, etwa des E-Mail-Verkehrs, wird regelmäßig nicht erforderlich sein; vielmehr dürfte im Regelfall wegen des von vornherein beschränkten Durchsuchungsziels die Durchsicht der Endgeräte vor Ort genügen. (Bearbeiter)


Entscheidung

145. EGMR Nr. 72438/01 - Entscheidung der 3. Kammer des EGMR vom 17. November 2005 (Sprotte v. Deutschland)

Recht auf Verfahrensbeschleunigung (Umfang der Prüfung des EGMR nach nationaler Anerkennung einer Verletzung und nach Verfahrenseinstellung; besondere Behandlung von Kompensationsverfahren bei bevorstehender Verfahrenseinstellung); Opfereigenschaft im Sinne der Individualbeschwerde; ausreichende Konventionsbeschwerde.

Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK; Art. 13 EMRK; Art. 34 EMRK; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 2 GG

1. Eine Strafmilderung wegen einer Verletzung des Art. 6 EMRK führt prinzipiell nicht dazu, dass der Betroffene seinen Status als Opfer im Sinne des Artikels 34 EMRK verliert. Diese generelle Regel unterliegt jedoch dann einer Ausnahme, wenn die nationalen Stellen auf hinreichend klare Art und Weise die Verletzung des Rechts auf Verfahrensbeschleunigung anerkennen und einen Ausgleich durch eine messbare Absenkung der Strafe oder durch eine Verfahrenseinstellung gewähren.

2. Zur Prüfungsdichte des EGMR nach einer nationalen Anerkennung der Verletzung des Rechts auf Verfahrensbeschleunigung und einer Kompensation durch eine Verfahrenseinstellung.


Entscheidung

237. BVerfG 2 BvR 951/04 und 2 BvR 1087/04 ( 1. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 16. Februar 2006 (OLG Karlsruhe/LG Heidelberg)

Allgemeine Handlungsfreiheit; Verhältnismäßigkeitsgrundsatz; Rechtsberatungsgesetz (altruistische Rechtsberatung; ); Zulassung einer "anderen Person" als Strafverteidiger im Sinne des § 138 Abs. 2 StPO (Sachkunde; ehemaliger Richter am Oberlandesgericht); Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde (Subsidiarität; fehlende Revisionsrüge).

Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 1 § 1 RBerG; Art. 1 § 8 Abs. 1 RBerG; § 138 Abs. 2 StPO

1. Zwar ist der Erlaubnisvorbehalt für die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten gemäß Art. 1 § 1 RBerG verfassungsgemäß, indessen müssen die die Norm anwendenden und auslegenden Gerichte auch berücksichtigen, dass das Rechtsberatungsgesetz - wie andere Gesetze auch - einem Alterungsprozess unterworfen ist. Das Rechtsberatungsgesetz steht in einem Umfeld sozialer Verhältnisse und gesellschaftspolitischer Anschauungen, mit deren Wandel sich auch der Norminhalt ändern kann (BVerfGK 3, 348, 350 f. = Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Juli 2004 - 1 BvR 737/00).

2. Die Gerichte müssen bei der Auslegung des Begriffes der Geschäftsmäßigkeit in Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG unter Berücksichtigung der durch das Rechtsberatungsgesetz geschützten Interessen und der Grundrechte des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 GG von Verfassungs wegen in Erwägung ziehen, ob die Auslegung des Begriffes die die unentgeltliche Rechtsbesorgung durch einen berufserfahrenen Juristen nicht erfasst.

3. Nach den Grundsätzen der Entscheidung der 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Juli 2004 (BVerfGK 3, 348 ff.) kann Art. 1 § 1 RBerG auf eine ausgeübte altruistische Rechtsberatung durch einen berufserfahrenen Juristen keine Anwendung finden. Ein vermeintlicher Verstoß gegen Art. 1 § 1 RBerG kann damit auch nicht als Begründung zur Versagung einer Genehmigung nach § 138 Abs. 2 StPO herangezogen werden.