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HRR-Strafrecht
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Dezember 2001
2. Jahrgang
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1. Hatte der Verfolgte von einem gegen ihn in Italien geführten Strafverfahren, vom Hauptverhandlungstermin und vom Urteil keine Kenntnis, so ist die Auslieferung zur Vollstreckung eines Abwesenheitsurteils regelmäßig nur dann zulässig, wenn die italienischen Strafverfolgungsbehörden eine Erklärung gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2 des Zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 abgeben. (BGHSt)
2. Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. nur BVerfGE 59, 280, 282 ff.; 63, 332, 337 ff.; BGHSt 20, 198, 201 f.; 32, 314, 319, 324 ff.) haben die deutschen Gerichte bei der Prüfung der Zulässigkeit einer Auslieferung grundsätzlich die Rechtmäßigkeit des Zustandekommens eines ausländischen Strafurteils, zu dessen Vollstreckung der Verfolgte ausgeliefert werden soll, nicht nachzuprüfen. Sie sind indessen nicht gehindert - und bei Abwesenheitsurteilen regelmäßig dazu verpflichtet - zu prüfen, ob die Auslieferung und ihr zugrunde liegende Akte mit dem nach Art. 25 GG in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard und mit den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen der öffentlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland vereinbar sind (BVerfGE 59, 280, 282 f.; BVerfG NJW 1991, 1411). (Bearbeiter)
3. Nach deutschem Verfassungsrecht gehört es zu den elementaren Anforderungen des Rechtsstaats, die insbesondere im Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs vor Gericht (Art. 103 Abs. 1 GG) Ausprägung gefunden haben, daß niemand zum bloßen Gegenstand eines ihn betreffenden staatlichen Verfahrens gemacht werden darf; auch die Menschenwürde des einzelnen (Art. 1 Abs. 1 GG) wäre durch ein solches staatliches Handeln verletzt (BVerfG NJW 1991, 1411 m.w.N.). Daraus ergibt sich für das Strafverfahren das zwingende Gebot, daß der Beschuldigte im Rahmen der von der Verfahrensordnung aufgestellten, angemessenen Regeln die Möglichkeit haben und auch tatsächlich nutzen können muß, auf das Verfahren einzuwirken, sich persönlich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern, entlastende Umstände vorzutragen sowie deren umfassende und erschöpfende Nachprüfung und gegebenenfalls auch Berücksichtigung zu erreichen (BVerfGE 63, 332, 337). (Bearbeiter)
4. Der wesentliche Kern dieser Gewährleistungen gehört von Verfassungs wegen zum unverzichtbaren Bestand der deutschen öffentlichen Ordnung wie auch zum völkerrechtlichen Mindeststandard, der über Art. 25 GG einen Bestandteil des in der Bundesrepublik Deutschland innerstaatlich geltenden Rechts bildet (BVerfGE 59, 280, 282 ff.; 63, 332, 338). (Bearbeiter)
1. Die Verlesung eines richterlichen Vernehmungsprotokolls ist jedenfalls dann zulässig, wenn der Zeuge in der Hauptverhandlung von seinem Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO umfassend Gebrauch macht, Gründe der Aufklärungspflicht der Verlesung nicht entgegenstehen, alle Verfahrensbeteiligten mit der Verlesung einverstanden sind und auf die Vernehmung der Verhörsperson verzichten. (BGH)
2. Der Fall der Verweigerung der Auskunft nach § 55 StPO, der im Einzelfall der Verweigerung des ganzen Zeugnisses gleichkommen kann, ist, wie der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, in § 252 StPO nicht geregelt (BGHSt 17, 245). (Bearbeiter)
3. Die Aufklärungspflicht kann die - nach ständiger Rechtsprechung zulässige - Vernehmung der polizeilichen oder richterlichen Verhörsperson statt der Verlesung der Vernehmungsniederschrift erfordern, so wenn Unklarheiten im Protokoll vorliegen, das Aussageverhalten näher zu beleuchten ist oder sonstige Umstände eine ergänzende Nachfrage bei der Vernehmungsperson nahelegen. Liegen solche Umstände nicht vor, geht es vielmehr ausschließlich um den Aussageinhalt als solchen, wird sich dieser regelmäßig aber am zuverlässigsten durch das Protokoll feststellen lassen (Gedanke bestmöglicher Sachaufklärung, der auch § 250 Satz 2 StPO zugrunde liegt). (Bearbeiter)
4. Beisichführen einer Waffe im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. la StGB setzt voraus, daß die Waffe dem Täter "zur Verfügung steht", d.h. sich so in seiner räumlichen Nähe befindet, daß er sich ihrer jederzeit, also ohne nennenswerten Zeitaufwand und ohne besondere Schwierigkeiten bedienen kann (BGHSt 31, 105; 43, 8, 10). Allerdings mag bei einer in einem anderen Raum gelagerten Waffe je nach den tatsächlichen Verhältnissen das Merkmal des Beisichführens unter Umständen zu bejahen sein (vgl. auch BGH NStZ 1998, 354). An die Prüfung und Darlegung der subjektiven Seite müssen strengere Anforderungen gestellt werden, wenn die Umstände nahelegen, daß dem Täter im Moment der Tatbegehung das aktuelle Bewußtsein der Bewaffnung fehlt. (Bearbeiter)
1. Der Ausschluß der Öffentlichkeit darf nur erfolgen, soweit er erforderlich ist; er ist mithin in der Regel auf bestimmte Verfahrensabschnitte (etwa die Vernehmung eines bestimmten Zeugen) zu beschränken. Die Erörterung nicht mit dem fraglichen Verfahrensabschnitt (eng) zusammenhängender Fragen ist dann während des Öffentlichkeitsausschlusses in der Regel unzulässig.
2. Unter "mündlicher Verhandlung" ist die Hauptverhandlung mit all ihren Bestandteilen und während ihrer ganzen Dauer zu verstehen. Die Öffentlichkeit des Verfahrens soll u.a. der Kontrolle des Verfahrensganges und damit der staatlichen Rechtspflege dienen und das Vertrauen des Volkes zu der Rechtsprechung seiner Gerichte fördern.
3. Nicht jede von den Verfahrensbeteiligten während des Öffentlichkeitsausschlusses entfaltete Aktivität, die nicht vom Ausschließungsbeschluß umfaßt wird, erweist sich als Verletzung des § 169 Satz 1 GVG. Die Vornahme solcher Handlungen, die außerhalb der Hauptverhandlung vorgenommen werden dürfen, kann bereits im Rahmen der Hauptverhandlung während des Ausschlusses der Öffentlichkeit erledigt werden.
4. Der Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit ist jedenfalls dann ausgeräumt, wenn der Mangel durch Wiederholung der Prozeßhandlung geheilt worden ist oder sich diese Maßnahme aus besonderen Gründen als überflüssig erweist (BGHSt 33, 99).
Die für eine Berichtigung des Protokolls aufgestellten Grundsätze zum Schutz des Revisionsführers sind auf Änderungen des noch nicht fertiggestellten, aber in der Akte einliegenden Protokolls nicht anwendbar.
Eine erhoffte, letztlich gescheiterte Verständigung belegt nicht, daß die Strafkammer sich bei ihrer Entscheidungsfindung gleichwohl an deren Inhalt und nicht an der Verpflichtung aus § 261 StPO orientiert hätte, auch wenn das Urteil im Ergebnis der vom Gericht erstrebten Verständigung entspricht (vgl. BGHSt 42, 46, 50).
Etwaige Äußerungen eines Vorsitzenden zur voraussichtlichen Strafhöhe vor Beginn der Hauptverhandlung und zur Beweislage während einer Unterbrechung der Hauptverhandlung sind von vornherein nicht geeignet, zugunsten des Angeklagten einen Vertrauensschutz zu begründen, der nur durch einen förmlichen Hinweis zu beseitigen gewesen wäre, wenn diese Äußerungen in keiner Form zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden sind. An ihrer rechtlichen Unverbindlichkeit kann ein Verteidiger in diesem Falle nicht zweifeln. Dies gilt selbst dann, wenn die behaupteten Prognosen zu weitgehend und zur Irritation geeignet waren.
1. Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. nur BGHSt 45, 211, 212 m.w.N.) ist die Tat als Prozeßgegenstand nicht nur der in der Anklage umschriebene und dem Angeklagten dort zur Last gelegte Geschehensablauf; vielmehr gehört zu ihr das gesamte Verhalten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet. Auch sachlichrechtlich selbständige Taten können prozessual eine Tat im Sinne von § 264 StPO sein.
2. Dabei kommt es im Einzelfall darauf an, ob die einzelnen Handlungen nicht nur äußerlich ineinander übergehen, sondern auch innerlich derart unmittelbar miteinander verknüpft sind, daß der Unrechts- und Schuldgehalt der einen Handlung nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben, richtig gewürdigt werden kann und ihre getrennte Würdigung und Aburteilung in verschiedenen Verfahren einen einheitlichen Lebensvorgang unnatürlich aufspalten würde. Dies kann nicht unabhängig von den verletzten Strafbestimmungen beurteilt werden, die notwendige innere Verknüpfung muß sich vielmehr unmittelbar aus den ihnen zugrundeliegenden Handlungen und Ereignissen unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung ergeben. Eine zeitliche und räumliche Trennung hindert nicht, die mehreren Sachverhalte als eine prozessuale Tat aufzufassen.
3. Ist nach diesen Maßstäben ein einheitlicher Vorgang gegeben, so sind die Einzelgeschehnisse, aus denen er sich zusammensetzt, auch insoweit Bestandteil der angeklagten Tat, als sie keine Erwähnung in der Anklage gefunden haben (vgl. BGH aaO S. 213).
1. Eine Abtrennung von Verfahrensteilen ist zulässig, wenn es sich bei dem abgetrennten Verfahrensstoff um selbständige prozessuale Taten handelt (vgl. BGHSt 18, 238, 239).
2. Unzulässig ist sie aber, wenn sie eine Aufspaltung ein und derselben prozessualen Tat, also des von der Anklage umfaßten geschichtlichen Vorgangs bewirken würde. Eine einheitliche und daher einer Verfahrenstrennung nicht zugängliche prozessuale Tat liegt nicht nur bei tateinheitlich begangenen Straftaten (vgl. BGHSt 29, 288; 38, 37, 39 ff.; 43, 96, 98) vor, sondern kann auch bei sachlich-rechtlich selbständigen Taten gegeben sein; hierbei kommt es nach ständiger Rechtsprechung darauf an, ob die einzelnen Handlungen innerlich derart miteinander verknüpft sind, daß der Unrechts- und Schuldgehalt der einen Handlung nicht ohne die Umstände richtig gewürdigt werden kann, die zu der anderen Handlung geführt haben, und daß die getrennte Aburteilung einen einheitlichen Lebensvorgang unnatürlich aufspalten würde (BGHSt 2, 371, 374; 23, 141, 145; 29, 288, 293; 35, 14, 11; 36, 151, 154 f.; 41, 385, 388, 390; 43, 96, 99; 252, 255; 45, 211, 213). Eine zeitliche und räumliche Trennung der Vorgänge steht ihrer Beurteilung als einheitliche Tat unter diesen Voraussetzungen nicht entgegen (BGHSt 35, 60, 62; 45, 211, 213; BGH NStZ 1999, 523).
Die Nebenklage ist auch im Sicherungsverfahren zulässig.
Ein vom Verteidiger des Angeklagten gestellter Antrag auf Protokollberichtigung hindert den Fortgang des Revisionsverfahrens nicht. Ein weiteres Zuwarten mit einer Entscheidung über das Rechtsmittel ist jedenfalls dann nicht veranlaßt, wenn eine Auswirkung der beantragten Protokollberichtigung auf das Revisionsverfahren nicht erkennbar ist.
Die Rücknahmeerklärung ist unwiderruflich und unanfechtbar (st. Rspr. vgl. nur BGHR StPO § 302 Abs. 1 Rücknahme 2; BGHSt 10, 245, 247). Grundsätzlich ist auch eine auf Irrtum beruhende Rücknahmeerklärung nicht anfechtbar (vgl. auch BGH StV 1994, 64). Daß der Angeklagte mit seiner Prozeßhandlung unrealistische Erwartungen verknüpft hat, die nicht von der Justiz veranlaßt worden waren, führt nicht ausnahmsweise zur Zulässigkeit der Anfechtbarkeit. Eine nicht in deutscher Sprache verfasste Rücknahmeerklärung wird mit Eingang der deutschen Übersetzung für das Verfahren beachtlich.
Zum Beweiswert eines fehlgeschlagenen Spermatozennachweiseses in Abhängigkeit von der nach der vermeintlichen Tat verstrichenen Zeit.
1. Der Anschluß der Nebenklage kann, da er in jeder Lage des Verfahrens zulässig ist (§ 395 Abs. 4 Satz 1 StPO), auch noch im Revisionsverfahren erfolgen.
2. Der Anschluß ist unabhängig davon, ob noch eine Rechtsmittelbefugnis des Nebenklägers besteht.