HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Dezember 2001
2. Jahrgang
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II. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

BGH 1 StR 394/01 - Beschluss vom 26. September 2001 (LG Traunstein)

Sexueller Mißbrauch von Kindern (Körperkontakt nach der alten Fassung); Strafzumessung (Unzulässig unbestimmte Moralisierung)

§ 176 StGB; § 176 Abs. 1 StGB aF; § 46 StGB

Moralisierende Erwägungen, die nicht verdeutlichen, welchen anerkannten Strafzumessungsgesichtspunkten zur Beurteilung der Tat und des Täters sie zuzuordnen sind, sind nichtssagend und überflüssig. Sie begründen gegenüber dem Angeklagten die Gefahr einer gefühlsmäßigen, auf unklaren Erwägungen beruhenden Strafzumessung (vgl. BGH StV 1998, 76; BGH NStZ 1987, 405).


Entscheidung

BGH 3 StR 305/01 - Beschluss vom 10. Oktober 2001 (LG Hildesheim)

Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB; Natürlicher Vorsatz (Begehung einer rechtswidrigen Tat); Wechsel des Sachverständigen

§ 63 StGB; § 15 StGB; § 20 StGB; § 72 StPO

Die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB setzt die Begehung einer rechtswidrigen Tat voraus, zu der grundsätzlich auch die inneren Merkmale des durch die Tat verwirklichten Straftatbestandes gehören.


Entscheidung

BGH 1 StR 316/01 - Beschluss vom 22. August 2001 (München II)

Schwere andere seelische Abartigkeit (Verneinung einer Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit)

§ 20 StGB; § 21 StGB

1. Wird eine schwere andere seelische Abartigkeit festgestellt, die als Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit nach dem Gesetz jeweils nur dann in Betracht kommt, wenn Symptome von beträchtlichem Gewicht vorliegen, deren Folgen den Täter vergleichbar schwer stören, belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen, so liegt es nahe, dieser Form der Persönlichkeitsstörung - sofern sie zu keinem Ausschluß der Schuldfähigkeit führt - die Wirkung einer von § 21 StGB geforderten erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit zuzurechnen (st. Rspr., vgl. nur BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 10, 20, 23).

2. Das Tatgericht muss die Auffassung, daß trotz der Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit keine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit gegeben war, näher erläutern (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 10; BGH NStZ 1996, 380). Daß die Angeklagte überlegt und zielgerichtet gehandelt hat, schließt erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit nicht aus. Auch bei geplantem und geordnetem Vorgehen kann die Fähigkeit erheblich eingeschränkt sein, Anreize zu einem bestimmten Verhalten und Hemmungsvorstellungen gegeneinander abzuwägen und danach den Willensentschluß zu bilden (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 14, 25; BGH StV 2000, 17; BGH StraFo 2001, 249 m.w.N.).


Entscheidung

BGH 1 StR 333/01 - Beschluss vom 22. August 2001 (LG Waldshut-Tiengen)

Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen (Strafverfolgungsverjährung, getrennte Prüfung auch bei tateinheitlichem Zusammentreffen); Täter-Opfer-Ausgleich

§ 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB; § 78 StGB; § 46a Nr. 1 StGB

1. Nach § 46a Nr. 1 StGB genügt das ernsthafte Bemühen des Täters um Wiedergutmachung, wobei die Vorschrift als Rahmenbedingung fordert, daß das Bemühen darauf gerichtet sein muß, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen. Die Vorschrift setzt einen kommunikativen Prozeß zwischen Täter und Opfer voraus, der auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen gerichtet sein muß. Das einseitige Wiedergutmachungsbestreben ohne den Versuch der Einbeziehung des Opfers genügt nicht.

2. Durch die engen Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB soll eine Privilegierung reicher Täter verhindert werden, die jederzeit zur Wiedergutmachung in der Lage sind und sich ohne weiteres - auch ohne Berücksichtigung der Opferinteressen - "freikaufen" könnten. § 46a Nr. 1 StGB verlangt allerdings keinen "Wiedergutmachungserfolg". Erforderlich ist, daß der Täter im Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen, die Tat "ganz oder zum überwiegenden Teil" wiedergutgemacht hat; ausreichend ist aber auch, daß der Täter dieses Ziel ernsthaft erstrebt (st.Rspr.; BGH NStZ 1995, 492, 493).


Entscheidung

BGH 2 StR 376/01 - Beschluss vom 10. Oktober 2001 (LG Hanau)

Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe (Anrechnung der teilweise erfüllten Auflage)

§ 58 Abs. 2 Satz 2 StGB

Der gebotene Ausgleich für die Nichterstattung einer teilweise erfüllten Auflage ist nicht bei der Bemessung der neu zu bildenden Gesamtstrafe vorzunehmen, sondern durch eine deren Vollstreckung verkürzende, Anrechnung zu bewirken (vgl. BGHSt 36, 378, 382 f.; BGHR StGB § 58 Abs. 2 Satz 2 Anrechnung 3).


Entscheidung

BGH 5 StR 291/01 - Beschluss vom 21. August 2001 (LG Zwickau)

Pflichtverteidigerwechsel in der Revision; Nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach Maßgabe der Vollstreckungssituation

§ 140 StPO; § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB

Grundsätzlich hat nach Aufhebung einer Gesamtstrafe in der erneuten Verhandlung die Gesamtstrafbildung gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB nach Maßgabe der Vollstreckungssituation zum Zeitpunkt der ersten Verhandlung zu erfolgen. Dies gilt nicht nur in dem speziellen Fall, in dem die Urteilsaufhebung gerade wegen fehlerhaft unterbliebener nachträglicher Gesamtstrafbildung erfolgt ist (BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 - Erledigung 1). Vielmehr ist so regelmäßig auch in anderen Fällen der Gesamtstrafaufhebung zu verfahren, damit einem Revisionsführer ein erlangter Rechtsvorteil durch nachträgliche Gesamtstrafbildung nicht durch sein Rechtsmittel genommen wird.