HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2001
2. Jahrgang
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IV. Nebenstrafrecht, Haftrecht und Jugendstrafrecht


Entscheidung

BGH 2 StR 374/00 - Urteil v. 25. April 2001 (LG Bad Kreuznach)

BGHSt; Abgrenzung von Arznei- und Lebensmitteln bei Vitaminpräparaten; Überwiegende objektive Zweckbestimmung; Verkehrsauffassung; Durchschnittsverbraucher; Gesamtabwägung; Überschreiten der empfohlenen Tagesdosis; Unerlaubtes Inverkehrbringen von Fertigarzneimitteln; Unerlaubtes Inverkehrbringen von Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 DiätVO; Unerlaubtes Inverkehrbringen von Lebensmitteln unter einer nach § 17 Abs. 1 Nr. 5 c LMBG irreführenden Bezeichnung; Beimengung nicht zugelassener Zusatzstoffe; Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum gemeinschaftsrechtlichen Arzneimittelbegriff; Bewertungseinheit; Darreichungsform; Einstufung als Lebensmittel in anderen EG-Mitgliedsstaaten

§§ 96 Nr. 5, 21 Abs. 1, 2 Abs. 1 und 3 Nr. 1 AMG; § 1 Abs. 1 LMBG; Richtlinie 93/39/EWG; Richtlinie 65/65/EWG

1. Die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien für die Abgrenzung von Arznei- und Lebensmitteln finden auch auf Vitaminpräparate Anwendung. (BGHSt)

2. Maßgebend für die Abgrenzung ist die überwiegende objektive Zweckbestimmung, wie sie sich nach der Verkehrsauffassung für einen Durchschnittsverbraucher darstellt. (BGHSt)

3. Diese ist im Rahmen einer Gesamtabwägung zu ermitteln und orientiert sich nicht allein an dem Überschreiten der empfohlenen Tagesdosis um mehr als das Dreifache. (BGHSt)

4. Die Qualifizierung als Arznei- oder Lebensmittel schließt sich begrifflich gegenseitig aus (BGH ZLR 2000, 375, 378). (Bearbeiter)

5. Ungeachtet der unterschiedlichen Ausgangspunkte bei der Begriffsbildung stimmt die gemeinschaftsrechtliche Definition des Arzneimittels nach Bezeichnung weitgehend mit dem Arzneimittelbegriff in § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG überein, weil die Kriterien für eine konkludente Bezeichnung im Sinne der Richtlinie 65/65 und die Umstände, welche die für die objektive Zweckbestimmung maßgebliche Verkehrsanschauung prägen, im wesentlichen deckungsgleich sind (BVerwGE 97, 132, 137). (Bearbeiter)

6. Allein aus der Darreichung eines Präparats in Kapsel- oder Tablettenform kann kein ausreichender Hinweis für das Vorliegen eines Arzneimittels abgeleitet werden, da es üblich geworden ist, auch Nahrungsergänzungsmittel in entsprechenden Darreichungsformen anzubieten (BGH ZLR 2000, 375, 380; vgl. auch EuGH Slg 1983, 3883, 3901 Tz. 19). Das gleiche gilt für Einnahmeempfehlungen auf der Verpackung. (Bearbeiter)

7. Nach den vom Bundesgerichtshof zum Betäubungsmittelstrafrecht entwickelten Grundsätzen der Bewertungseinheit (vgl. BGHSt 30, 28; BGH NStZ 1999, 192), die auf die gleichgelagerte Konstellation des Inverkehrbringens von Arznei- und Lebensmitteln übertragbar sind, bilden das Vorrätighalten zum Verkauf und die aus diesem Vorrat sukzessiv erfolgenden Abgabeakte materiell-rechtlich eine einheitliche Tat. (Bearbeiter)

8. Der Umstand, daß von den Angeklagten vertriebene Produkte in einem anderen Mitgliedsstaat der EG als Lebensmittel eingestuft werden, steht einer Einordnung als Arzneimittel nach deutschem Recht nicht entgegen (vgl. BVerwGE 97, 132, 141). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs läßt es sich beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts nicht vermeiden, daß bis zu einer umfassenderen Harmonisierung der zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzes erforderlichen Maßnahmen zwischen den Mitgliedstaaten Unterschiede bei der Qualifizierung der Erzeugnisse fortbestehen (EuGH NVwZ 1993, 53, 54 Tz. 15, 16). (Bearbeiter)