HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 1227
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 24/25, Beschluss v. 24.07.2025, HRRS 2025 Nr. 1227
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 18. Juli 2024, soweit es ihn betrifft, im Maßregelausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung und mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Freiheitsberaubung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende materiell-rechtliche Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insbesondere war das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung nicht gehalten, die angeordnete Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu erörtern, denn zwischen Strafe und Maßregelanordnung besteht grundsätzlich keine Wechselwirkung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Oktober 2023 - 6 StR 227/23, JR 2024, 540 mit Anm. Peglau; vom 28. Januar 2025 - 2 StR 305/24, Rn. 10; vom 27. März 2025 - 5 StR 610/24, Rn. 2).
2. Hingegen hat die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung keinen Bestand.
a) Das Landgericht hat die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB zu Recht angenommen. Der Angeklagte ist wegen zwei Taten der in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB bezeichneten Art zu Freiheitsstrafen von drei Jahren und neun Monaten sowie von neun Jahren verurteilt worden, wobei er eine Tat im Erwachsenenalter begangen hat (vgl. BGH, Urteile vom 18. November 1971 - 4 StR 435/71, BGHSt 24, 243; vom 15. Oktober 2014 - 2 StR 240/14, NStZ 2015, 510, 511; Beschluss vom 20. Dezember 2001 - 2 StR 513/01, NStZ-RR 2002, 183; LK-StGB/Peglau, 13. Aufl., § 66 Rn. 111).
b) Rechtsfehlerfrei hat die sachverständig beratene Strafkammer auch die materiellen Voraussetzungen der Anordnung von Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB angenommen.
c) Die Ermessensentscheidung des Landgerichts hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung indes nicht stand.
aa) Die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Damit kann das Tatgericht dem Ausnahmecharakter der Bestimmung Rechnung tragen, die im Gegensatz zu Absatz 1 der Vorschrift eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Angeklagten nicht voraussetzt (vgl. BGH, Urteile vom 11. Juli 2013 - 3 StR 148/13; NStZ 2013, 707; vom 9. Oktober 2024 − 2 StR 515/23, NStZ 2025, 291, 293 mit Anm. Kett-Straub; Beschluss vom 9. Oktober 2024 - 2 StR 515/23, NStZ 2025, 291). Das Tatgericht soll die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt (vgl. BGH, Urteile vom 11. Juli 2013 - 3 StR 148/13, NStZ 2013, 707; vom 22. Juni 2022 - 2 StR 511/21, BGHR StGB § 66 Abs. 3 Ermessensentscheidung 1). Dabei ist bei frühkriminellen Hangtätern, die das 21. Lebensjahr gerade erst überschritten haben, überdies besonders zu berücksichtigen, dass die Sicherungsverwahrung nur ausnahmsweise und unter strengen Anforderungen bei besonders schweren Straftaten zulässig ist (vgl. bereits BGH, Urteil vom 27. Mai 1975 - 5 StR 115/75, BGHSt 26, 152; Beschluss vom 4. Februar 2014 - 3 StR 451/13, NStZ-RR 2014, 107; NK-StGB/Dessecker, 6. Aufl., § 66 Rn. 48). Dies bedarf besonders sorgfältiger Würdigung in den Urteilsgründen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 1988 - 3 StR 406/88, NStZ 1989, 67; vom 6. August 1997 - 2 StR 199/97; Urteil vom 22. Juni 2022 - 2 StR 511/21, BGHR StGB § 66 Abs. 3 Ermessensentscheidung 1).
bb) Gemessen hieran hält die vom Landgericht getroffene Ermessensentscheidung revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand. Zwar hat sie im Ausgangspunkt zu Recht den generellen Ausnahmecharakter von § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB hervorgehoben. Die Begründung des Landgerichts lässt aber nicht erkennen, dass es auch das besonders junge Alter des Angeklagten in den Blick genommen hat. Dies war hier gerade deshalb geboten, weil der Angeklagte die erste Anlasstat im Alter von 19 und die zweite im Alter von 21 Jahren begangen hat. Überdies hat er im Urteilszeitpunkt durch die Untersuchungshaft erstmals und für mehr als ein Jahr Freiheitsentzug erfahren. Der Umstand, dass die Strafkammer auf beide Fälle gemäß § 32 JGG das allgemeine Strafrecht angewendet hat, befreit von dieser gebotenen besonders sorgfältigen Würdigung nicht. Der Senat kann sie nicht nachholen, da es dem Revisionsgericht verwehrt ist, die Ermessensentscheidung des Tatgerichts durch eigene Ermessenserwägungen zu modifizieren (vgl. BGH, Urteil vom 18. Mai 1972 - 4 StR 11/72, BGHSt 24, 345, 348; Beschlüsse vom 21. August 2003 - 3 StR 251/03, NStZ-RR 2004, 12; vom 4. Oktober 2012 - 3 StR 207/12, Rn. 4).
3. Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Aufhebung getroffener Feststellungen bedarf es nicht (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen, die den bisherigen nicht widersprechen, sind möglich.
HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 1227
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede