HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 1238
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 196/25, Beschluss v. 07.08.2025, HRRS 2025 Nr. 1238
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 22. Januar 2025 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und ein Vorwegvollzug angeordnet worden sind.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen sowie wegen versuchten Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung von zwei Urteilen zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Ferner hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen und die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt sowie den Vorwegvollzug eines Teils der Jugendstrafe angeordnet. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit der Sachrüge ausschließlich gegen die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf die Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB beschränkt.
Die Staatsanwaltschaft hat zwar einen umfassenden Aufhebungsantrag gestellt. Angriffsziel ist ausweislich der nach § 156 RiStBV maßgeblichen Revisionsbegründung (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 2024 - 5 StR 276/24, Rn. 8; Beschluss vom 15. Oktober 2024 - 6 StR 355/24, Rn. 21) aber allein die Aufhebung der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Diese Beschränkung ist wirksam, weil die Frage der Aufhebung der Maßregel nach dem inneren Zusammenhang des Urteils - losgelöst von seinem nicht angefochtenen Teil - tatsächlich und rechtlich unabhängig beurteilt werden kann, ohne eine Überprüfung des Urteils im Übrigen erforderlich zu machen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2023 - 3 StR 424/23, Rn. 5; Urteil vom 20. Juli 2023 - 4 StR 32/23, Rn. 21). Auch § 5 Abs. 3 JGG steht der Beschränkung des Rechtsmittelangriffs auf den Maßregelausspruch nicht entgegen. Ein Wegfall der von dem Rechtsmittelführer in Zweifel gezogenen Maßregel könnte sich nach dieser Vorschrift nicht zu Gunsten auf die - unter Berücksichtigung des § 5 Abs. 3 JGG - verhängte und von der Staatsanwaltschaft unbeanstandet gelassene Jugendstrafe auswirken, so dass eine isolierte Anfechtung in Betracht kommt (vgl. BGH, Beschluss vom 9. September 2015 - 4 StR 334/15, NStZ 2016, 105; Eisenberg/Kölbel, JGG, 26. Aufl., § 55 Rn. 21).
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des Maßregelausspruchs, weil die den Angeklagten beschwerende (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. April 2025 - 6 StR 90/25; vom 16. Januar 2025 - 4 StR 97/24, Rn. 3; vom 21. August 2024 - 3 StR 119/24, Rn. 18) Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt revisionsrechtlicher Überprüfung nicht standhält.
a) Ob die Annahme eines Hangs rechtfehlerfrei begründet ist, kann dahinstehen. Denn jedenfalls belegen die Urteilsgründe keinen symptomatischen Zusammenhang.
aa) Nach der Neufassung des § 64 StGB (BGBl. 2023 I Nr. 203, S. 2) muss die Anlasstat „überwiegend“ auf den Hang zurückgehen, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Eine bloße Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat reicht nach dem Willen des Gesetzgebers nur noch dann aus, wenn sie andere Ursachen quantitativ überwiegt. Das Vorliegen dieses Kausalzusammenhangs ist durch das Tatgericht - gegebenenfalls unter sachverständiger Beratung - festzustellen (vgl. BT-Drucks. 20/5913 S. 69 f.; BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 2024 - 6 StR 549/23, Rn. 4; vom 25. Oktober 2023 - 5 StR 246/23, Rn. 3).
bb) Das Landgericht ist zwar davon ausgegangen, dass die Anlasstaten maßgeblich der Finanzierung des Drogenkonsums des Angeklagten dienten und „mithin weit überwiegend auf seinen Hang im Sinne des § 64 StGB zurückgehen“. Es hat diese Annahme aber nicht rechtsfehlerfrei belegt. Die Erörterungen sind lückenhaft, weil das Landgericht nur darauf abgestellt hat, dass der Angeklagte mit den Taten seinen eigenen Konsum, nicht aber Luxusgüter oder seine allgemeine Lebensführung finanziert habe. Nicht in den Blick genommen hat es, dass er ausweislich der Urteilsgründe ausgeprägte dissoziale Züge aufweist, die als naheliegende Ursache für die Taten in Betracht kommen und daher der Erörterung bedurft hätten. Diese zeigen sich darin, dass der Angeklagte bereits 2022 die Schule wegen zahlreicher Fehlzeiten ohne Abschluss verlassen musste, keine Berufsausbildung begann und schon mehrere Straftaten beging. Darüber hinaus schlug er den Mitangeklagten vor, Überfälle zu begehen.
b) Zudem ist die Erfolgsaussicht der Maßregel nicht durch hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte belegt.
Soweit das Landgericht zu Gunsten des Angeklagten in die erforderliche Gesamtbewertung (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 70; BGH, Beschlüsse vom 22. November 2023 - 4 StR 347/23, Rn. 6; vom 2. November 2023 - 6 StR 316/23, Rn. 11) den unbedingten Willen eingestellt hat, eine Entwöhnungsbehandlung durchzuführen, ist nicht nachvollziehbar, wie das Landgericht angesichts der „bisherigen Zurückhaltung des Angeklagten hinsichtlich eines Therapiewunsches“ zu dieser Überzeugung gelangt ist, zumal er während der bereits ein Jahr andauernden Haft „bisher keine Anstrengungen unternommen hat, den Drogenkonsum zu beenden“. Ungeachtet der prognosegünstigen Umstände, namentlich des jugendlichen Alters und der erstmaligen Therapie der Sucht, ist eine Erfolgsaussicht höheren Grades angesichts der gewichtigen prognoseungünstigen Umstände, insbesondere der dissozialen Verhaltensbereitschaft und der schwierigen sozialen Situation ohne Schulabschluss, nicht tragfähig begründet.
3. Die Aufhebung der Maßregel zieht die Aufhebung der Anordnung des Vorwegvollzugs nach sich. Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung - wiederum unter Heranziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) - neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hebt die zugehörigen Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht eigene, widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen (§ 353 Abs. 2 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 1238
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede