HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 1060
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 688/24, Beschluss v. 29.04.2025, HRRS 2025 Nr. 1060
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stade vom 22. August 2024 im Strafausspruch aufgehoben; die zugehörigen Feststellungen haben jedoch Bestand.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Strafausspruchs (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben, weil die Strafrahmenwahl in den beiden Fällen des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und die Strafbemessung in den drei Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 10. April 1987 - GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349; Urteil vom 2. Februar 2017 - 4 StR 481/16, NStZ-RR 2017, 105, 106) sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht standhält.
a) Das Landgericht hat in den beiden Fällen des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern einen minder schweren Fall nach § 176a Abs. 4 StGB (i.d.F. des Gesetzes vom 3. März 2020, BGBl. I S. 431) verneint. Zu Gunsten des Angeklagten hat es dessen bisherige Straflosigkeit und altersbedingte Haftempfindlichkeit sowie die Verfahrensdauer eingestellt; außerdem hat es strafmildernd gewertet, dass die Taten vier Jahre zurücklägen und dass sie für die Nebenklägerin folgenlos geblieben seien. Im Rahmen der konkreten Strafzumessung hat es auf die Ausführungen zur Strafrahmenwahl verwiesen und auf Freiheitsstrafen von jeweils vier Jahren erkannt. In den Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern hat das Landgericht ebenfalls die vorstehend angeführten strafmildernden Umstände berücksichtigt, in zwei Fällen (§ 176 Abs. 1 StGB i.d.F. des Gesetzes vom 3. März 2020, BGBl. I S. 431) Freiheitsstrafen von jeweils zwei Jahren und im letzten Fall (§ 176 Abs. 1 StGB) eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verhängt. Strafschärfende Gesichtspunkte hat es nicht angeführt.
b) Dies wird den sich aus § 46 Abs. 2 Satz 1 StGB ergebenden Anforderungen nicht gerecht. Danach hat das Tatgericht bei der Strafzumessung die Umstände gegeneinander abzuwägen, die für oder gegen den Täter sprechen. In Fällen, in denen - wie hier - die Annahme eines minder schweren Falles trotz gewichtiger mildernder Umstände verneint worden ist, bedarf es jedenfalls dann einer eingehenden Begründung, wenn die verhängten Einzelstrafen deutlich über dem erhöhten Mindestmaß liegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Februar 2023 - 4 StR 492/22, Rn. 4 ff.; vom 29. November 2012 - 5 StR 522/12; vom 19. Juni 2012 - 5 StR 264/12); dies gilt auch im Rahmen der konkreten Strafzumessung (vgl. BGH, Beschluss vom 13. April 2021 - 4 StR 310/20, Rn. 6).
Daran fehlt es hier. Die Wertung des Landgerichts, die strafmildernden Umstände, insbesondere die bisherige Straflosigkeit des 74-jährigen Angeklagten und der Zeitablauf seit den Taten, seien nicht derart gewichtig, dass die Anwendung des Regelstrafrahmens unangemessen erschiene, hätte angesichts des Fehlens von strafschärfenden Umständen näherer Erörterung bedurft. Entsprechendes gilt für die konkrete Strafbemessung in den Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern.
2. Die Sache bedarf deshalb zum Strafausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung. Da die zugehörigen Feststellungen von den Rechtsfehlern nicht berührt sind (§ 353 Abs. 2 StPO), können sie bestehen bleiben und um ihnen nicht widersprechende ergänzt werden.
HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 1060
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede