HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 372
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 459/24, Beschluss v. 13.11.2024, HRRS 2025 Nr. 372
1. Auf die Revision des Angeklagten M. wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 20. März 2024 - zu a), b) und d) auch, soweit es den Mitangeklagten H. betrifft - mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) in den Fällen II.2 und 3 der Urteilsgründe,
b) im gesamten Strafausspruch und ? hinsichtlich des Mitangeklagten H. ? im Ausspruch über die Gesamtstrafe,
c) soweit von der Unterbringung des Angeklagten M. in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist,
d) soweit die Einziehung des Wertes von Taterträgen von mehr als 600 Euro angeordnet worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen besonders schweren Raubes, wegen Raubes, wegen Raubes in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit Nötigung und wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt, den Angeklagten M. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten und den nicht revidierenden Angeklagten H. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten. Außerdem hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.314,76 Euro gegen die Angeklagten als Gesamtschuldner angeordnet. Von einer Unterbringung des Angeklagten M. in einer Entziehungsanstalt hat es abgesehen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten M. hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verurteilung des Angeklagten M. wegen Raubes im Fall II.2 der Urteilsgründe und wegen Raubes in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Nötigung im Fall II.3 der Urteilsgründe hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Dies gilt auch für den insoweit gleichermaßen betroffenen Mitangeklagten H. (§ 357 Satz 1 StPO).
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts trafen die Angeklagten an einer Straßenbahnhaltestelle auf den zur Tatzeit 15-jährigen Zeugen B. Sie hielten ihn an und durchsuchten seine Taschen nach werthaltigen Gegenständen. B. ließ dies geschehen, weil er aufgrund des Altersunterschiedes und früherer Vorkommnisse Angst vor ihnen hatte. Die Angeklagten fanden in seiner Bauchtasche Bargeld in Höhe von 20 Euro, nahmen es an sich, um es für sich zu behalten, und entfernten sich vom Tatort (Fall II.2 der Urteilsgründe).
An einem anderen Tag forderten die Angeklagten und der gesondert verfolgte Ha. den Zeugen G. während einer Fahrt mit der Straßenbahn auf, den Zeugen R. anzurufen. R. traf kurz darauf an einer Haltestelle ein, an der die Angeklagten, Ha. und G. ausgestiegen waren. Der Angeklagte M. nahm G. und R. sodann ihre Bauchtaschen weg und durchsuchte sie. In der Bauchtasche von G. fand er dessen Kopfhörer im Wert von 110 Euro, die er an sich nahm, um sie für sich zu behalten. Anschließend forderten die Angeklagten und Ha. die Zeugen G. und R. auf, sie zu der Wohnung des Zeugen D. zu bringen, bei dem sie Betäubungsmittel „erlangen“ wollten. Dieser Aufforderung leisteten G. und R. Folge „unter dem Eindruck des vorangegangenen gewalttätigen Geschehens“ und „aufgrund dessen, dass ihre Taschen einbehalten wurden“.
Nachdem sie an der Wohnungstür D. s geklopft hatten, öffnete dieser die Tür, weil er einen Bekannten erwartete. Als er seinen Irrtum erkannte, versuchte er, die Tür wieder zu schließen, was ihm aber nicht gelang, weil die Angeklagten und ihre Begleiter die Tür aufdrückten und die Wohnung betraten. Sodann nahmen die Angeklagten und Ha. auf dem Wohnzimmertisch liegendes Bargeld in Höhe von 85 Euro, eine Spielekonsole im Wert von 479,76 Euro und Betäubungsmittel an sich, verstauten die Gegenstände in einem ebenfalls in der Wohnung aufgefundenen Rucksack und entfernten sich mit ihrer Beute. Nach dem Verlassen der Wohnung erhielten G. und R. ihre Bauchtaschen zurück (Fall II.3 der Urteilsgründe).
b) Diese Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Raubes im Fall II.2 der Urteilsgründe und wegen Raubes in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Nötigung im Fall II.3 der Urteilsgründe nicht.
aa) Im Fall II.2 der Urteilsgründe belegen sie nicht, dass die Angeklagten dem Zeugen B. das Bargeld durch ein Nötigungsmittel im Sinne des § 249 Abs. 1 StGB wegnahmen. Den Urteilsgründen lässt sich weder der Einsatz von Gewalt gegen eine Person noch die Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben entnehmen.
(1) Gewalt setzt eine unmittelbar oder mittelbar gegen den Körper des Opfers gerichtete Einwirkung voraus. Erforderlich ist, dass der Einsatz auch nur geringer Körperkraft durch den Täter eine körperliche Zwangswirkung beim Opfer zur Folge hat. Lediglich psychisch vermittelter Zwang reicht dagegen nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2019 - 1 StR 129/19, NStZ 2020, 219 Rn. 9 mwN).
Den Feststellungen, die auf die nicht näher beschriebene Mitteilung beschränkt sind, dass die Angeklagten den Zeugen B. „durchsuchten“, lässt sich eine unmittelbare oder mittelbare Einwirkung auf den Körper des Zeugen B. nicht zweifelsfrei entnehmen.
(2) Drohen bedeutet seelisches Einwirken auf den Bedrohten in Gestalt einer auf Angst und Furcht abzielenden Ankündigung eines Übels. Das Übel muss also irgendwie vom Täter in Aussicht gestellt werden; es genügt nicht, wenn es von einem anderen nur erwartet wird. Auf die äußere Form, in der die Drohung zum Ausdruck gebracht wird, kommt es jedoch nicht an, so dass auch schlüssige Handlungen ausreichen können, sofern nur das angekündigte Übel genügend erkennbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 1955 - 4 StR 8/55, BGHSt 7, 252, 253; Beschluss vom 26. Juli 2023 - 6 StR 206/23, NStZ-RR 2023, 343, 344). Auch frühere Drohungen können fortwirkende Drohwirkung entfalten. Deshalb kann auch das Ausnutzen einer „Drohkulisse“ ausreichen, wenn durch eine ausdrückliche oder konkludente Erklärung des Täters eine finale Verknüpfung mit dem Nötigungserfolg hergestellt und dies vom Opfer als Drohung empfunden wird. In diese Bewertung sind neben den Erklärungen des Täters namentlich auch das Tatbild früherer Zwangslagen sowie deren Ähnlichkeit mit der aktuellen Tatsituation, die Art des zuvor angedrohten Übels und der zeitliche Abstand zueinander einzustellen (vgl. BGH, Urteil vom 8. März 2023 - 6 StR 378/22, NStZ-RR 2023, 177, 178 mwN). Das bloße Ausnutzen der Angst eines Opfers vor einer Gewaltanwendung enthält für sich genommen noch keine Drohung (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juli 2023 - 6 StR 206/23, aaO mwN).
Hier hat das Landgericht lediglich festgestellt, dass der Zeuge B. die Angeklagten gewähren ließ, weil er „wegen des Altersunterschiedes und früherer Vorkommnisse“ mit den Angeklagten „Angst“ vor ihnen hatte, nicht jedoch eine, etwa auch schlüssige Erklärung der Angeklagten, mit der sie B. in Aussicht stellten, ihm im Falle eines Widerstandes zumindest körperliches Leid zuzufügen. Gleichermaßen fehlt es an Feststellungen zu „früheren Vorkommnissen“, welche die Annahme stützen könnten, dass die Angeklagten eine „Drohkulisse“ ausnutzten.
bb) Im Fall II.3 der Urteilsgründe lässt sich den Urteilsgründen schon nicht entnehmen, welches Geschehen das Landgericht als Raub in zwei tateinheitlichen Fällen und als Nötigung angesehen hat. Insbesondere erschließt sich aufgrund der Feststellungen nicht, worin das Landgericht das „vorangegangene gewalttätige Geschehen“ gesehen hat, das die Zeugen G. und R. dazu veranlasste, die Angeklagten und Ha. zu der Wohnung des Zeugen D. zu bringen. Die Feststellungen zu dem Geschehen in der Wohnung D. s belegen weder eine Gewaltanwendung der Angeklagten gegen eine Person noch eine, wenn auch nur konkludente Drohung.
2. Der den Angeklagten M. betreffende Strafausspruch hat auch in den Fällen II.1 und 4 der Urteilsgründe keinen Bestand. Das Landgericht hat in allen Fällen strafschärfend gewertet, dass M. „einschlägig“ vorbestraft und „mehrfach zu Jugendstrafen verurteilt“ worden sei. Dies ist nach den Feststellungen jedoch nicht der Fall. Danach wurden bislang nur Geldstrafen gegen ihn verhängt, und zwar im Wesentlichen wegen Erschleichens von Leistungen, nicht jedoch wegen eines Gewaltdelikts.
3. Diese Rechtsfehler führen hinsichtlich des Angeklagten M. zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs und hinsichtlich des Angeklagten H. zur Aufhebung der Gesamtstrafe; die in den Fällen II.1 und 4 der Urteilsgründe gegen ihn verhängten Strafen haben dagegen Bestand.
4. Die Entscheidung des Landgerichts, von einer Unterbringung des Angeklagten M. in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abzusehen, kann ebenfalls nicht bestehen bleiben. Sie entbehrt einer tragfähigen Begründung.
Das sachverständig beratene Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte M. an einer Betäubungsmittelabhängigkeit und einer dissozialen Persönlichkeitsstörung leidet. Seine Entscheidung, von der Maßregelanordnung abzusehen, hat es, dem Sachverständigen folgend, darauf gestützt, dass die Taten „nicht primär“ auf die Betäubungsmittelabhängigkeit M. s zurückzuführen, sondern „Ausdruck einer dissozialen Persönlichkeitsstörung“ seien; außerdem fehle es an einer ausreichenden Erfolgsaussicht, weil „erhebliche Defizite im Hinblick auf die sprachliche Verständigung“ vorlägen und der Angeklagte bisher „keine ernsthafte Motivation zur Behandlung seines Suchtverhaltens“ erkennen lasse.
Dies wird den Darlegungsanforderungen nicht gerecht. Wenn sich das Tatgericht - wie hier - ohne weitere eigene Erwägungen den Ausführungen des Sachverständigen anschließt, hat es in den Urteilsgründen die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des Sachverständigen so wiederzugeben, wie es zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 2. April 2015 - 3 StR 103/15, Rn. 7 mwN; KK-StPO/Bartel, 9. Aufl., § 267 Rn. 34 f.). Daran fehlt es hier. Den wesentlichen Inhalt des Gutachtens hat das Landgericht nicht mitgeteilt, so dass eine revisionsgerichtliche Überprüfung der Gründe für das Absehen von der Unterbringung nicht möglich ist (vgl. auch BGH, Beschluss vom 10. Januar 2024 - 1 StR 349/23, Rn. 5).
5. Die Aufhebung des Urteils in den Fällen II.2 und 3 der Urteilsgründe hat zur Folge, dass die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen nur in Bezug auf diejenigen in Höhe von 600 Euro bestehen bleiben kann, welche die Angeklagten im Fall II.1 der Urteilsgründe erlangten. Dies gilt auch für den insoweit gleichermaßen betroffenen Angeklagten H. (§ 357 Satz 1 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 372
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede