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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1261

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 396/22, Beschluss v. 18.10.2022, HRRS 2022 Nr. 1261


BGH 6 StR 396/22 - Beschluss vom 18. Oktober 2022 (LG Frankfurt ([Oder])

Misshandlung von Schutzbefohlenen; Vergewaltigung; Grundsätze der Strafzumessung (zulässiges Verteidigungsverhalten; keine strafschärfende Berücksichtigung: Behauptung günstigerer Sachverhaltsvariante).

§ 46 StGB; § 225 StGB; § 177 Abs. 6 StGB

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 13. Juni 2022 im Strafausspruch im Fall II.2 der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen und Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Verfahrensrügen haben aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen keinen Erfolg.

2. Während die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Nachprüfung zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler ergeben hat, kann der Strafausspruch im Fall II.2 der Urteilsgründe keinen Bestand haben.

Das Landgericht hat seiner Strafzumessung den Strafrahmen des § 177 Abs. 6 StGB zugrunde gelegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass das Regelbeispiel durch das Eindringen mit einem Finger erfüllt sei. Gewichtige Gründe, von der Regelwirkung abzusehen, seien nicht gegeben.

Zwar hat das Landgericht damit nicht übersehen, dass die Indizwirkung des Regelbeispiels im Einzelfall entfallen kann. Unter Heranziehung der im Rahmen der konkreten Strafzumessung aufgeführten Gesichtspunkte hat es aber zu Lasten des Angeklagten gewertet, dass er die Tat mit der Begründung zu rechtfertigen versucht habe, „die Nebenklägerin sei doch ‚feucht’ gewesen“.

Die strafschärfende Bewertung dieser Bemerkung ist rechtsfehlerhaft, weil es sich um zulässiges Verteidigungsverhalten handelt. Der Angeklagte ist nicht der Wahrheit verpflichtet, so dass es ihm freisteht, sich zu verteidigen, indem er die Täterschaft leugnet oder eine ihm günstigere Sachverhaltsvariante behauptet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Dezember 2021 - 3 StR 411/21 mwN; vom 4. Mai 2022 - 6 StR 155/22; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 675).

Der Senat kann - auch im Hinblick auf die vielen strafmildernden Umstände - nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei rechtsfehlerfreiem Vorgehen zu einem anderen Ergebnis bei der Strafrahmenbestimmung und zu einer niedrigeren Strafe gelangt wäre.

3. Die Aufhebung der Freiheitsstrafe im Fall II.2 (Einsatzstrafe) entzieht dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die Grundlage. Die dem Strafausspruch zugrundeliegenden Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); sie können um ihnen nicht widersprechende ergänzt werden.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1261

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi