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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 956

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 6 BGs 22/21, Beschluss v. 11.05.2021, HRRS 2021 Nr. 956


BGH Ermittlungsrichter 6 BGs 22/21 - Beschluss vom 11. Mai 2021

Herausgabe von beschlagnahmten und für die Zwecke des Strafverfahrens nicht mehr benötigten Gegenständen an den letzten Gewahrsamsinhaber.

§ 111n StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Nach § 111n Abs. 1 StPO ist eine bewegliche Sache, die nach § 94 StPO beschlagnahmt oder auf andere Weise sichergestellt worden ist und die für Zwecke des Strafverfahrens nicht mehr benötigt wird, an den letzten Gewahrsamsinhaber herausgegeben. Die Herausgabe an diesen erfolgt nur dann, wenn die Voraussetzungen offenkundig sind (§ 111n Abs. 4 StPO). Das ist der Fall, wenn die Anspruchsvoraussetzungen nach Aktenlage unzweifelhaft erfüllt sind oder aber vom Berechtigten nachgewiesen werden. Bestehen Zweifel, an wen die Sache herauszugeben ist, so verbleibt es bei Sachen, die ausschließlich nach § 94 StPO als nun nicht mehr benötigtes Beweismittel beschlagnahmt worden sind, bei der gesetzlichen Grundregel aus § 111n Abs. 1 StPO; die Sache ist an den letzten Gewahrsamsinhaber herauszugeben.

Entscheidungstenor

gegen A.

wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland Auf Antrag des Verteidigers des Beschuldigten wird nach § 111n Abs. 1, § 111o Abs. 2 StPO die Herausgabe des Asservats 1.6.03 (Notebook Samsung) durch den Generalbundesanwalt an den Beschuldigten angeordnet.

Gründe

I.

1. Am 21. April 2021 beantragte Rechtsanwalt Dr. T. beim Bundesgerichtshof, die unverzügliche Herausgabe des Notebooks durch den Generalbundesanwalt an den Beschuldigten anzuordnen. Vorgelegt wurde hiermit ein Schreiben des Generalbundesanwalts vom 23. März 2021. Mit diesem wurde dem Verteidiger durch die Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass eine Herausgabe „derzeit“ nicht in Betracht komme, weil „Zweifel bestehen, dass ihr Mandant rechtmäßiger Besitzer des Notebooks ist“. Weiter wurde der Verteidiger aufgefordert zur Vorlage von Unterlagen „aus denen sich ein entsprechendes Recht“ ergibt.

11. Am 22. April 2021 hat der Generalbundesanwalt auf den Herausgabeantrag erwidert und mitgeteilt, dass sich aus der Auswertung des Notebooks Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, die nach § 111n Abs. 3 StPO“ das Besitzrecht des Beschuldigten an dem vorbezeichneten Notebook in Frage stellen“. Es lägen Hinweise darauf vor, dass Eigentümer ein W. mit der „letzten bekannten Wohnanschrift“ in P. sei. Denn es sei im Jahre 2012 das Betriebssystem auf dessen Namen registriert worden.

II.

Die Sache ist an den Beschuldigten herauszugeben (§ 111n Abs. 1).

1. Das Herausgabebegehren des Beschuldigten ist an § 111n Abs. 1 StPO zu messen. Der Regelungsbereich der Norm soll sich auch auf solche Konstellationen erstrecken, in denen sich der Gewahrsam der Ermittlungsbehörden als rechtswidrig erweist (LR/Johann, 27. Aufl., § 111n Rn. 11). Daher bedarf es hier keiner noch näheren Erörterung, dass es seit dem durch Verteidigerschriftsatz vom 29. September 2020 mitgeteilten Widerruf des Einverständnisses des Beschuldigten mit der Sicherstellung des Notebooks an einer rechtlichen Grundlage für den seither fortdauernden behördlichen Gewahrsam fehlte.

2. Nach § 111n Abs. 1 StPO ist eine bewegliche Sache, die nach § 94 StPO beschlagnahmt oder auf andere Weise sichergestellt worden ist und die für Zwecke des Strafverfahrens nicht mehr benötigt wird, an den letzten Gewahrsamsinhaber herausgegeben. Die Herausgabe an diesen erfolgt nur dann, wenn die Voraussetzungen offenkundig sind (§ 111n Abs. 4 StPO).

a) Der Beschuldigte war ausweislich der Ermittlungsakte letzter Gewahrsamsinhaber und hatte den Gegenstand den Ermittlungsbehörden freiwillig übergeben.

b) Der Generalbundesanwalt misst dem Gegenstand ersichtlich keine Beweisbedeutung mehr zu. Einen anderen Zweck hatte er - soweit aus der Ermittlungsakte ersichtlich - der Sache zu keiner Zeit beigemessen.

c) Der Herausgabeanspruch ist auch offenkundig im Sinne von § 111n Abs. 4 StPO. Erforderlich hierfür ist, dass die Anspruchsvoraussetzungen nach Aktenlage unzweifelhaft erfüllt sind oder aber vom Berechtigten nachgewiesen werden (Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 63. Aufl., § 111n Rn. 17). Bestehen Zweifel, an wen die Sache herauszugeben ist, so verbleibt es bei Sachen, die ausschließlich nach § 94 StPO als nun nicht mehr benötigtes Beweismittel beschlagnahmt worden sind, bei der gesetzlichen Grundregel aus § 111n Abs. 1 StPO; die Sache ist an den letzten Gewahrsamsinhaber herauszugeben (vgl. nur BT-Drucks. 18/9525, S. 84; KKStPO/Spillecke, 8. Aufl. § 111n Rn. 10; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, a.a.O., § 111n Rn. 1; Ullenboom, Praxisleitfaden Vermögensabschöpfung, 2. Aufl., Rn. 429 ff; ders. NZWiSt 2020, 470,473).

So liegt es hier.

3. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Entscheidung, ob die vom Generalbundesanwalt vorgebrachten Umstände überhaupt geeignet gewesen wären, die Offenkundigkeit des Herausgaberechts des Beschuldigten in der hier erforderlichen normativen Weise durchgreifend in Zweifel zu ziehen. Vage Hinweise auf eine zeitlich weit zurückliegende mögliche Sachherrschaft eines Dritten, der selbst keine Anstrengungen unternimmt, die ihm zugedachte Rechtsposition einzunehmen, und schlichte Vermutungen erscheinen hierfür jedenfalls nicht ohne Weiteres geeignet.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 956

Bearbeiter: Christian Becker