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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 580

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 6/21, Urteil v. 21.04.2021, HRRS 2021 Nr. 580


BGH 6 StR 6/21 - Urteil vom 21. April 2021 (LG Magdeburg)

Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (einheitliche Tat des Besitzes); Grundsätze der Strafzumessung (revisionsgerichtliche Überprüfbarkeit; Mitteilung bestimmender Strafzumessungsgründe).

§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG; § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; § 46 StGB; 267 Abs. 3 Satz 1 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Bei der Darstellung seiner Strafzumessungsentscheidung im Urteil ist das Tatgericht nur gehalten, die bestimmenden Zumessungsgründe mitzuteilen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO). Eine erschöpfende Aufzählung aller für die Strafzumessungsentscheidung relevanten Gesichtspunkte ist weder gesetzlich vorgeschrieben noch in der Praxis möglich (st. Rspr.).

2. Ein der Strafzumessung in sachlich-rechtlicher Hinsicht anhaftender Rechtsfehler liegt jedoch vor, wenn das Tatgericht bei seiner Zumessungsentscheidung einen Gesichtspunkt, der nach den Gegebenheiten des Einzelfalls als bestimmender Strafzumessungsgrund in Betracht kommt, nicht erkennbar erwogen hat.

3. Die (Gesamt-)Menge der Betäubungsmittel, die der Täter in seinem Besitz hat, ist ebenso wie die Art und Gefährlichkeit eines Rauschgifts sowie dessen Qualität sowohl für den Unrechtsgehalt der Tat als auch für die Schuld des Täters von besonderer Bedeutung und stellt regelmäßig einen bestimmenden Strafzumessungsgrund dar.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 9. Juli 2020 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben in den Aussprüchen über

a) die Strafe;

b) die Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

- Von Rechts wegen -

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und die Vollstreckung sowohl der Freiheitsstrafe als auch der Maßregel zur Bewährung ausgesetzt. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts bewahrte der methamphetaminabhängige Angeklagte, der sich sehr für Chemikalien sowie chemische Experimente interessierte und bereits selbst synthetische Drogen hergestellt hatte, in seiner Küche 26,5 g zum Eigenkonsum erworbenes Methamphetamin (Wirkstoffmenge: 21 g Methamphetaminbase) sowie zwei Beutel Morphin mit einer Nettomasse von 2,525 kg (Wirkstoffmenge: 1,2 kg Morphinhydrochlorid) auf. Das Morphin war dadurch in seinen Besitz gelangt, dass ein früherer Mieter einer den Eltern des Angeklagten gehörenden Wohnung es nach seinem Auszug dort zurückgelassen hatte. Der Angeklagte beabsichtigte weder, das Morphin zu konsumieren, noch hatte er vor, hieraus Heroin herzustellen; stattdessen wollte er sich die Möglichkeit offenhalten, es - ebenso wie weitere Substanzen - für chemische Experimente zu verwenden.

2. Die Strafkammer hat bezüglich des Methamphetamins und des Morphins einen einheitlichen Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG angenommen. Im Hinblick auf das Morphin sei dem Angeklagten zwar bewusst gewesen, um welche Substanz es sich hierbei gehandelt habe. Anders als hinsichtlich des Methamphetamins sei ihm aber nicht „klar“ gewesen (UA S. 19), dass es sich auch insoweit um eine nicht geringe Menge im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG gehandelt habe. Bei der Strafzumessung hat die Strafkammer - innerhalb des Regelstrafrahmens des § 29a Abs. 1 BtMG - als einzigen zu Ungunsten des Angeklagten sprechenden Umstand die vierfache Überschreitung der nicht geringen Menge an Methamphetaminbase berücksichtigt.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat teilweise Erfolg.

1. Der Schuldspruch wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG hat Bestand. Er wird bereits von den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu dem beim Angeklagten sichergestellten Methamphetamin getragen und nicht davon berührt, ob im Hinblick auf den gleichzeitigen Besitz des Morphins ebenfalls die Voraussetzungen des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG oder lediglich diejenigen des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG verwirklicht sind; denn in beiden Fällen liegt hier materiellrechtlich nur eine einheitliche Tat des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vor (vgl. BGH, Urteile vom 21. April 2016 - 1 StR 629/15, NStZ-RR 2016, 211, 212; vom 8. April 1997 - 1 StR 65/97, NStZ-RR 1997, 227; Beschluss vom 15. Juli 2020 - 2 StR 110/20, NStZ-RR 2020, 317; Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl., § 29a Rn. 156 und § 29 Teil 13 Rn. 106 f.).

2. Demgegenüber hält der Strafausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. In die Strafzumessungsentscheidung des Tatgerichts kann das Revisionsgericht nur eingreifen, wenn diese Rechtsfehler aufweist, weil die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen hat oder sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 10. April 1987 - GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349).

Bei der Darstellung seiner Strafzumessungsentscheidung im Urteil ist das Tatgericht nur gehalten, die bestimmenden Zumessungsgründe mitzuteilen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO). Eine erschöpfende Aufzählung aller für die Strafzumessungsentscheidung relevanten Gesichtspunkte ist weder gesetzlich vorgeschrieben noch in der Praxis möglich (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 14. März 2018 - 2 StR 416/18, NStZ 2019, 138, 139; vom 2. August 2012 - 3 StR 132/12, NStZ-RR 2012, 336, 337). Ein der Strafzumessung in sachlich-rechtlicher Hinsicht anhaftender Rechtsfehler liegt jedoch vor, wenn das Tatgericht bei seiner Zumessungsentscheidung einen Gesichtspunkt, der nach den Gegebenheiten des Einzelfalls als bestimmender Strafzumessungsgrund in Betracht kommt, nicht erkennbar erwogen hat (vgl. BGH, Urteile vom 27. Februar 2020 - 4 StR 552/19, NStZ-RR 2020, 168; vom 4. April 2019 - 3 StR 31/19, NStZ-RR 2019, 227, 228; vom 14. März 2018 - 2 StR 416/18, aaO).

b) Hieran gemessen begegnet die Strafzumessungsentscheidung durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie erweist sich als lückenhaft.

aa) Das Landgericht hat bei der Strafzumessung zu Ungunsten des Angeklagten ausschließlich die vierfache Überschreitung der nicht geringen Menge an Methamphetaminbase angeführt. Es hat hingegen nicht in den Blick genommen, dass der Angeklagte über das Methamphetamin hinaus 2,525 kg Morphin und damit eine erhebliche Menge eines weiteren Betäubungsmittels in seinem Besitz hatte. Selbst wenn - wie vom Landgericht angenommen - der Angeklagte keine Kenntnis davon gehabt hätte, dass es sich bei dem in seinem Besitz befindlichen Morphin um eine nicht geringe Menge im Sinne des § 29a Abs. 1 BtMG handelte, hätte es bei seiner Strafzumessungsentscheidung den - zum Besitz des Methamphetamins hinzukommenden - Besitz dieses weiteren Betäubungsmittels erkennbar berücksichtigen müssen. Denn die (Gesamt-)Menge der Betäubungsmittel, die der Täter in seinem Besitz hat, ist ebenso wie die Art und Gefährlichkeit eines Rauschgifts sowie dessen Qualität sowohl für den Unrechtsgehalt der Tat als auch für die Schuld des Täters von besonderer Bedeutung und stellt regelmäßig einen bestimmenden Strafzumessungsgrund dar (vgl. BGH, Urteil vom 5. September 1991 - 4 StR 386/91, NStZ 1991, 591; Beschluss vom 25. Juni 2019 - 1 StR 181/19, NStZ 2020, 229, 230; Körner/Patzak/Volkmer, aaO, § 29 Teil 13 Rn. 90).

Die Nichtberücksichtigung des Morphinbesitzes lässt besorgen, dass die Strafkammer bei ihrer Strafzumessungsentscheidung von einem zu geringen Schuldumfang ausgegangen ist. Bereits aus diesem Grund kann der Strafausspruch des angefochtenen Urteils keinen Bestand haben.

bb) Es kommt daher nicht mehr entscheidend darauf an, dass auch die Annahme des Landgerichts, dem Angeklagten sei nicht „klar“ gewesen, dass es sich bei dem in seinem Besitz befindlichen Morphin um eine nicht geringe Menge im Sinne des § 29a Abs. 1 BtMG gehandelt habe, weshalb er insoweit keinen Vorsatz gehabt habe, durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet. Denn die Strafkammer hat schon nicht erwogen, ob der Angeklagte im Hinblick auf das Vorliegen einer nicht geringen Menge bedingt vorsätzlich handelte; ein zumindest bedingter Vorsatz des Angeklagten liegt indes nahe angesichts der von ihm besessenen erheblichen Morphinmenge mit einem Gewicht von mehr als 2,5 kg (wobei die enthaltene Wirkstoffmenge von 1,2 kg Morphinhydrochlorid dem 266-fachen des Grenzwerts der nicht geringen Menge von 4,5 g Morphinhydrochlorid entspricht; vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 1987 - 1 StR 612/87, BGHSt 35, 179) und der weiteren festgestellten Umstände, namentlich seiner Kenntnis, dass es sich um Morphin handelte, seines mehrjährigen Betäubungsmittelkonsums und seiner mithilfe von Internetrecherchen unternommenen Bemühungen, selbst Rauschgifte herzustellen.

Das neue Tatgericht wird Gelegenheit haben, bei der Bemessung des Schuldumfangs für den (einheitlichen) Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu prüfen, ob der Angeklagte auch im Hinblick auf das Vorliegen einer nicht geringen Menge Morphin zumindest bedingt vorsätzlich handelte.

3. Die Aufhebung des Strafausspruchs führt wegen der durch § 67b Abs. 1 Satz 2 StGB hergestellten Verknüpfung auch zur Aufhebung des Ausspruchs über die Aussetzung der Vollstreckung der Maßregel nach § 64 StGB (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 2017 - 1 StR 112/17, NStZ 2018, 711).

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 580

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede