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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 411

Bearbeiter: Karsten Gaede/Sina Aaron Moslehi

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 553/21, Beschluss v. 22.02.2022, HRRS 2022 Nr. 411


BGH 6 StR 553/21 - Beschluss vom 22. Februar 2022 (LG Potsdam)

Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Tateinheit: teilidentische Ausführungshandlung; natürliche Handlungseinheit; Raubdelikt zur Beitreibung des Restkaufpreises); Urteilsgründe (Gutachten: Mitteilung wesentlicher Anknüpfungstatsachen und Ausführungen).

§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; § 267 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Bei aufeinanderfolgenden, sich auf unterschiedliche Betäubungsmittelmengen beziehenden Umsatzgeschäften liegt eine jedenfalls teilweise, Tateinheit begründende Überschneidung der objektiven Ausführungshandlungen darin, dass sich der Täter zu seinem Lieferanten begibt, um einerseits die vorangegangene Lieferung zu bezahlen und dabei zugleich eine neue, zuvor bestellte Lieferung abzuholen. In diesen Fällen dient das Aufsuchen des Lieferanten als verbindendes Element gleichermaßen beiden Umsatzgeschäften, so dass dieses als teilidentische Ausführungshandlung die Annahme von Tateinheit im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB begründet).

2. Selbst ohne eine für alle Umsatzgeschäfte teilidentische Ausführungshandlung verbinden sich mehrere Handelsgeschäfte zu einer einheitlichen Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit, wenn es im Rahmen einer bestehenden Lieferbeziehung zur Entgegennahme weiterer Betäubungsmittel aus Anlass der Bezahlung bereits zuvor „auf Kommission“ erhaltener Rauschgiftmengen kommt. Nichts Anderes hat zu gelten, wenn ein Lieferant seinerseits im Rahmen einer bestehenden Handelsbeziehung Rauschmittel an seinen Abnehmer übergibt und gleichzeitig das Geld für vorangegangene Lieferungen entgegennimmt.

3. Dient ein Raubdelikt der Beitreibung des Restkaufpreises für die zuletzt gelieferten Betäubungsmittel, steht es als Teil des vorausgehenden Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit hierzu.

4. Stützt sich das Tatgericht bei seiner Überzeugungsbildung auf das Gutachten eines Sachverständigen, hat es im Urteil dessen wesentliche Anknüpfungstatsachen und Ausführungen so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (st. Rspr.).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten S. wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 27. Mai 2021, soweit es ihn betrifft,

a) in dem der zweiten Gesamtstrafe zugrundeliegenden Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit schwerem Raub und mit gefährlicher Körperverletzung, des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, der räuberischen Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung und des schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig ist,

b) im Ausspruch über die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Auf die Revision des Angeklagten Se. wird das vorgenannte Urteil, soweit es ihn betrifft, in dem der zweiten Gesamtstrafe zugrundeliegenden Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit schwerem Raub und mit gefährlicher Körperverletzung, des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in neun Fällen, des schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, der Bedrohung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung, sowie der Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung schuldig ist.

3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

4. Der Angeklagte Se. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten S. - unter Freisprechung im Übrigen - wegen Erpressung und Diebstahls unter Einbeziehung der Strafen aus vier früheren Urteilen zu einer ersten Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren sowie wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung, bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 15 Fällen und zwei Fällen des schweren Raubes, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, zu einer zweiten Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie den Vorwegvollzug von vier Jahren Strafhaft angeordnet. Den Angeklagten Se. hat es - unter Freisprechung im Übrigen - wegen Erpressung und Diebstahls unter Einbeziehung der Strafe aus einem früheren Urteil zu einer ersten Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sieben Monaten sowie wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 19 Fällen, zwei Fällen des schweren Raubes, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, zwei Fällen der Bedrohung, davon in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung und wegen Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer zweiten Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es Einziehungsentscheidungen getroffen. Die jeweils auf die Sachrüge - vom Angeklagten Se. auch auf Verfahrensrügen - gestützten Revisionen der Angeklagten haben im Umfang der Beschlussformel Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Nach den Feststellungen schlossen sich die Angeklagten und der frühere Mitangeklagte B. Se. spätestens im Sommer 2015 zusammen, um Handel mit Betäubungsmitteln zu treiben. Mit dem Ziel, den Drogenhandel in (Brandenburg) und Umgebung zu beherrschen, beanspruchten sie als „ihre“ Stadt und verlangten von örtlichen Rauschgifthändlern, dass sie ihre Betäubungsmittel von ihnen auf Kommission bezogen. Es gehörte zu ihrem Vorgehen, teilweise willkürlich, teilweise zur Ahndung von tatsächlichen oder vermuteten Verstößen gegen ihre „Revierhoheit“ mittels Drohungen oder Gewaltanwendung bei anderen Betäubungsmittelhändlern Drogen und/oder Geld einzufordern, ohne hierauf Anspruch zu haben. Vor diesem Hintergrund kam es zu den abgeurteilten Taten.

2. Die vom Angeklagten Se. erhobene Beweisantragsrüge ist jedenfalls unbegründet.

3. Die der jeweils zweiten gegen die Angeklagten verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zugrundeliegenden Schuldsprüche bedürfen in zweifacher Hinsicht der Korrektur.

a) Zwischen den Taten in den Fällen 15 bis 24 der Anklageschrift (Fälle III.C.1 und III.C.2 der Urteilsgründe) besteht natürliche Handlungseinheit.

Insoweit ergibt sich aus den Feststellungen, dass der im Auftrag des Angeklagten Se. und dessen gesondert verfolgten Bruders handelnde Angeklagte S. an zehn verschiedenen Tagen dem Zeugen T. jeweils ein Kilogramm Marihuana übergab. Nachdem der Zeuge die Drogen verkauft hatte, traf er sich mit dem Angeklagten S., der ihm bei jedem Treffen wiederum ein Kilogramm Marihuana zum Verkauf übergab und dabei von T. für die vorangegangene Lieferung 5.000 Euro erhielt.

Bei aufeinanderfolgenden, sich auf unterschiedliche Betäubungsmittelmengen beziehenden Umsatzgeschäften liegt eine jedenfalls teilweise, Tateinheit begründende Überschneidung der objektiven Ausführungshandlungen darin, dass sich der Täter zu seinem Lieferanten begibt, um einerseits die vorangegangene Lieferung zu bezahlen und dabei zugleich eine neue, zuvor bestellte Lieferung abzuholen. In diesen Fällen dient das Aufsuchen des Lieferanten als verbindendes Element gleichermaßen beiden Umsatzgeschäften, so dass dieses als teilidentische Ausführungshandlung die Annahme von Tateinheit im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB begründet (BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2017 - GSSt 4/17, BGHSt 63, 1, 8; vom 24. Juli 2018 - 3 StR 88/17, NStZ-RR 2018, 351; vom 24. Juli 2018 - 3 StR 236/15 Rn. 9). Selbst ohne eine für alle Umsatzgeschäfte teilidentische Ausführungshandlung verbinden sich mehrere Handelsgeschäfte zu einer einheitlichen Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit, wenn es im Rahmen einer bestehenden Lieferbeziehung zur Entgegennahme weiterer Betäubungsmittel aus Anlass der Bezahlung bereits zuvor „auf Kommission“ erhaltener Rauschgiftmengen kommt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2017 - GSSt 4/17, aaO S. 10). Nichts Anderes hat zu gelten, wenn - wie im vorliegenden Fall - ein Lieferant seinerseits im Rahmen einer bestehenden Handelsbeziehung Rauschmittel an seinen Abnehmer übergibt und gleichzeitig das Geld für vorangegangene Lieferungen entgegennimmt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2019 - 3 StR 448/18 Rn. 9, NStZ-RR 2019, 250, 251).

b) Darüber hinaus steht auch die als schwerer Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung abgeurteilte Tat (Fall 29 der Anklageschrift, III.C.3 der Urteilsgründe) mit dem ihr vorausgehenden bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Tatkomplexe III.C.1 und 2 der Urteilsgründe) in Tateinheit. Denn das Raubdelikt diente der Beitreibung des Restkaufpreises für die zuletzt gelieferten Betäubungsmittel und war mithin Teil des Handeltreibens (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 2008 - 5 StR 242/07, NStZ 2008, 465; Beschluss vom 21. Januar 2014 - 2 StR 507/13).

4. Die insoweit erforderliche Berichtigung der Schuldsprüche führt zum Wegfall der in den Fällen III.C.2 und 3 verhängten Strafen. Der Strafausspruch im Fall III.C.1 bleibt unberührt. Die Aussprüche über die jeweils zweite Gesamtstrafe können bestehen bleiben. Der Senat kann angesichts der neben den Einsatzstrafen von sechs Jahren und acht Monaten verbleibenden Vielzahl von erheblichen Freiheitsstrafen (unter anderem einmal sechs Jahre und sechs Monate; einmal sechs Jahre; viermal fünf Jahre und drei Monate; für Se. unter anderem zusätzlich viermal fünf Jahre und neun Monate) ausschließen, dass das Landgericht bei zutreffender Bewertung der Konkurrenzen eine geringere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte, zumal der Gesamtunrechtsgehalt gleich bleibt.

5. Auch der Ausspruch über die Unterbringung des Angeklagten S. in der Entziehungsanstalt hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.

Der forensisch-psychiatrische Sachverständige, dem das Landgericht folgt, hat bei diesem Angeklagten ein Abhängigkeitssyndrom von Amphetamin und einen schädlichen Gebrauch von Kokain und Cannabinoiden diagnostiziert, die für die Begehung der Straftaten mitursächlich gewesen seien. Jedenfalls die hinreichende Erfolgsaussicht der Unterbringung hat die Strafkammer indes nicht in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise begründet. Sie hat sich nämlich ausschließlich darauf berufen, dass „nach den ausführlichen und gut begründeten Ausführungen des Sachverständigen … hinreichende Erfolgsaussichten für eine Entziehung [bestehen], da der Angeklagte S. dazu bereit und motiviert ist, wie er dem Sachverständigen, für diesen auf der Grundlage seiner einschlägigen diagnostischen und prognostischen Erfahrung nachvollziehbar und glaubhaft, versichert hat“.

Wenn sich das Tatgericht bei seiner Überzeugungsbildung auf das Gutachten eines Sachverständigen stützt, hat es im Urteil dessen wesentliche Anknüpfungstatsachen und Ausführungen so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 2. Juni 2021 - 6 StR 60/21, Rn. 9). Diesen Anforderungen wird die Begründung zur hinreichenden Erfolgsaussicht der Unterbringung nach § 64 StGB im angefochtenen Urteil nicht gerecht, zumal sich weder zur Suchtgeschichte des Angeklagten, noch zu etwaigen früheren Therapieversuchen Ausführungen finden.

Da nicht ausgeschlossen ist, dass ein neues Tatgericht Feststellungen trifft, die eine Unterbringung des Angeklagten S. in der Entziehungsanstalt tragen, war die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen. Sie wird die angesichts der Taten sowie der zahlreichen Vorstrafen des Angeklagten S. naheliegende Frage eines Vorliegens dissozialer Persönlichkeitszüge und gegebenenfalls deren ungünstige Auswirkungen auf die Erfolgsaussicht einer Unterbringung nach § 64 StGB eingehender als geschehen zu prüfen haben.

6. Der geringe Teilerfolg der Revision des Angeklagten Se. hat auf die Kostenentscheidung keinen Einfluss (§ 473 Abs. 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 411

Bearbeiter: Karsten Gaede/Sina Aaron Moslehi