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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1260

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 460/21, Beschluss v. 20.10.2021, HRRS 2021 Nr. 1260


BGH 6 StR 460/21 - Beschluss vom 20. Oktober 2021 (LG Bamberg)

Grundsätze der Strafzumessung (unterlassene Erörterung der Schuldangemessenheit einer nach der Strafhöhe aussetzungsfähigen Strafe).

§ 46 StGB; 56 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

In Anbetracht der jeweiligen Sachlage kann sich eine unterlassene Erörterung des Tatgerichts, ob auch eine nach der Strafhöhe aussetzungsfähige Strafe noch schuldangemessen gewesen wäre und hätte verhängt werden können, als durchgreifend rechtsfehlerhaft erweisen. Zwar darf das Bestreben, dem Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung zu bewilligen, nicht dazu führen, dass die schuldangemessene Strafe unterschritten wird. Dem Tatgericht ist aber bei der Feststellung der schuldangemessenen Strafe ein Spielraum eröffnet, innerhalb dessen es nach § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB die von der Strafe ausgehende Wirkung für das künftige Leben des Täters zu berücksichtigen hat.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 1. April 2021 im Strafausspruch aufgehoben; die zugehörigen Feststellungen bleiben jedoch aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Nach den Feststellungen führten der nicht vorbestrafte 73 Jahre alte Angeklagte und die neun Jahre ältere Geschädigte seit Jahrzehnten eine glückliche Ehe. Schwierigkeiten entstanden erst, nachdem sich die Geschädigte vor einigen Jahren einer Knie-Operation unterziehen musste und seitdem immer immobiler wurde. Der selbst gebrechliche Angeklagte wurde infolgedessen bei der Erledigung aller häuslichen Angelegenheiten immer stärker beansprucht, was ihn an seine eigene körperliche Belastungsgrenze brachte und mit einer zunehmenden psychischen Belastung einherging. Er und seine Frau wollten dies indes nicht wahrhaben und bemühten sich nicht um externe Hilfe.

Am 1. November 2020 gelang es dem Angeklagten erstmals nicht, seine Frau nach einem Sturz wieder aufzuheben, so dass er einen Nachbarn zu Hilfe rufen musste. Dadurch wurde bei ihm eine hochakute psychische Krise mit depressiver Verzweiflung und dem Gefühl der Aussichts- und Hoffnungslosigkeit ausgelöst, einhergehend mit Zukunftsangst und suizidalen Impulsen. Spätestens am Vormittag des 2. November 2020 fasste er den Entschluss, seine Frau und dann sich selbst zu töten.

Als seine Frau am 2. November 2020 mittags auf dem Sofa lag und schlief, nahm er einen zuvor schon von ihm bereitgelegten Hammer und schlug damit mindestens achtmal wuchtig gegen den Kopf seiner Frau, um sie zu töten. Diese erwachte jedoch während der ersten Schläge, schrie ihn an und griff nach dem Hammer, den sie zumindest kurzzeitig festhielt. Der Angeklagte, der sich dadurch einer neuen Situation gegenübersah und über den Anblick des Blutes erschrocken war, ließ schließlich freiwillig und in der Annahme, seine Frau noch nicht tödlich verletzt zu haben, von ihr ab und brachte ihr das Telefon, damit sie den Rettungsdienst verständigen konnte. Seine Steuerungsfähigkeit war zur Tatzeit aufgrund einer Anpassungsstörung, mit Angst und depressiver Reaktion gemischt, erheblich vermindert.

2. Der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Das Landgericht hat innerhalb des gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Regelstrafrahmens des § 224 Abs. 1 StGB zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er von Anfang an geständig war, ernsthafte Reue zeigte, sich für die Tat entschuldigte und bekundete, künftig externe Hilfe in Anspruch nehmen zu wollen. Ferner hat es ihm die schwierige Gesamtsituation zugutegehalten, in der er sich schon längere Zeit vor der Tat befand und die er aus Liebe zu seiner Frau, die sich ihrerseits gegen Hilfe von außen aussprach, lange unter Zurückstellung seiner eigenen Gesundheit bewältigte. Überdies hat das Landgericht strafmildernd gewertet, dass seine Frau ihm verziehen hat und sich wünscht, dass er schnell nach Hause zurückkehrt. Schließlich hat das Landgericht bedacht, dass er aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands besonders haftempfindlich ist.

Strafschärfend hat das Landgericht demgegenüber insbesondere die „Massivität und Brutalität“ der Gewalthandlungen, die Verwirklichung zweier Varianten des § 224 Abs. 1 StGB (Nr. 2 und Nr. 5) und sein planvolles Vorgehen (das Bereitlegen des Hammers im Flur und das Ausnutzen des Schlafs seiner Frau) gewertet.

b) In Anbetracht dieser Sachlage erweist es sich als durchgreifend rechtsfehlerhaft, dass das Landgericht nicht erörtert hat, ob auch eine nach der Strafhöhe aussetzungsfähige Strafe noch schuldangemessen gewesen wäre und hätte verhängt werden können. Zwar darf das Bestreben, dem Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung zu bewilligen, nicht dazu führen, dass die schuldangemessene Strafe unterschritten wird. Dem Tatgericht ist aber bei der Feststellung der schuldangemessenen Strafe ein Spielraum eröffnet, innerhalb dessen es nach § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB die von der Strafe ausgehende Wirkung für das künftige Leben des Täters zu berücksichtigen hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. Juli 1991 - 5 StR 298/91, BGHR StGB § 46 Abs. 1 Spezialprävention 3; vom 10. August 1993 - 5 StR 462/93, NStZ 1993, 584 mwN).

3. Die Sache bedarf insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Die dem Strafausspruch zugrundeliegenden Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Sie können um solche ergänzt werden, die ihnen nicht widersprechen.

4. Nach dem Wegfall des die Zuständigkeit des Schwurgerichts begründenden Tatvorwurfs des versuchten Totschlags verweist der Senat die Sache entsprechend § 354 Abs. 3 StPO an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1260

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede