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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1245

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 319/21, Urteil v. 20.10.2021, HRRS 2021 Nr. 1245


BGH 6 StR 319/21 - Urteil vom 20. Oktober 2021 (LG Cottbus)

Darstellungsmangel (unzulässige Bezugnahme auf Schriftstücke); Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung; Berücksichtigung lediglich abstrakt-theoretischer, für den Angeklagten günstiger Möglichkeiten; indizielle Wirkung rechtskräftiger Vorstrafe, materielle Rechtskraft eines Urteils).

§ 261 StPO; § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 22. Oktober 2020 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen des Wohnungseinbruchdiebstahls und der Hehlerei aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

Mit der zugelassenen Anklage und einer in das Verfahren einbezogenen Nachtragsanklage legt die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten wahlweise zur Last, in fünf Fällen das Fenster eines Wohnhauses und in einem Fall die Hintertür eines nicht zu Wohnzwecken genutzten Hauses gewaltsam geöffnet, sich dadurch Zutritt zum Gebäude verschafft und jeweils eine Vielzahl von Wertgegenständen erbeutet oder Wertgegenstände, die ein anderer bei diesen Taten gestohlen hatte, angekauft oder sich sonst verschafft zu haben.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde im Februar 2016 in das Wohnhaus der Zeugin K., im Mai 2016 in das Wohnhaus der Zeugen S., im Juni 2016 in das Wohnhaus des Zeugen Sa., im August 2016 in das Wohnhaus des Zeugen U., im September 2016 in das Wohnhaus der Zeugen Ko. und im Oktober 2016 in ein von einem Verein betriebenes „Bürgerhaus“ eingebrochen. Dabei wurden viele Wertgegenstände entwendet, darunter ein Goldbarren der Zeugen Ko. samt zugehöriger Quittung.

Der Angeklagte verkaufte am 11. Oktober 2016 0,182 Kilogramm Gold für 5.910,45 Euro und am 4. November 2016 0,1212 Kilogramm Gold für 4.095,96 Euro an ein Edelmetallhandelsunternehmen. Am 17. Oktober 2016 veräußerte der Zeuge St. im Auftrag des Angeklagten und im eigenen Namen 0,20214 Kilogramm Gold für 6.605,94 Euro an das genannte Unternehmen; den Erlös händigte er kurz danach dem Angeklagten aus. Ausweislich der Urteilsgründe handelte es sich teilweise um Goldbarrenstücke (UA S. 32).

Am 11. November 2016 wurde in anderer Sache ein Haftbefehl gegen den Angeklagten vollstreckt. Bei Durchsuchungen seiner Wohnung am 11., 14. und 18. November 2016 wurden zahlreiche Gegenstände sichergestellt, bei denen es sich nach Einschätzung der Ermittlungsbeamten um Diebesgut handelte, das im Rahmen einer Einbruchsserie entwendet worden war. Bei der Sichtung der Asservate erkannten die Zeugin K. eine Damenarmbanduhr, die Zeugin S. eine „Ständerlupe“, der Zeuge Sa. einen Rasierapparat sowie ein Paar Motorradhandschuhe, die Zeugin Ko. einen Ring sowie eine Damenarmbanduhr und ein Mitarbeiter des Vereins „Bürgerhaus“ einen Beamer jeweils als ihr Eigentum wieder.

2. Das Landgericht hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der Angeklagte an den Diebstahlstaten beteiligt war oder sich Beutestücke aus diesen Taten durch Hehlerei verschaffte.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.

1. Das Urteil kann schon aufgrund erheblicher Darstellungsmängel keinen Bestand haben.

Das Landgericht hat sich im Rahmen der Beweiswürdigung mehrfach mit bei den Akten befindlichen Schriftstücken befasst und dabei regelmäßig „wegen der Einzelheiten“ auf diese „Bezug“ genommen, etwa auf einen „Vermerk vom 28. April 2017“ (UA S. 17), „das Durchsuchungs- und Sicherstellungsprotokoll vom 15. November 2016“ (UA S. 27 f.), „den Durchsuchungsbericht vom 18. November 2016 und die Auflistung der Gegenstände“ (UA S. 29) sowie „die drei Quittungen zu den Goldankäufen auf den Namen des Angeklagten“ (UA S. 32). Das stößt auf durchgreifende rechtliche Bedenken.

Gemäß § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO müssen Urteilsgründe stets eine in sich geschlossene, aus sich heraus verständliche Darstellung der Feststellungen und der sie tragenden Beweiserwägungen enthalten; Bezugnahmen oder Verweisungen auf andere Urkunden, Aktenbestandteile oder sonstige Erkenntnisse sind grundsätzlich unzulässig (vgl. BGH, Urteile vom 5. November 1984 - AnwSt[R] 11/84, BGHSt 33, 59, 60; vom 11. Mai 2005 - 1 StR 37/05, BGHSt 50, 121, 131; vom 17. Dezember 2008 - 1 StR 552/08, NStZ-RR 2009, 116). Eine Bezugnahme wegen der Einzelheiten lässt § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO nur für bei den Akten befindliche Abbildungen zu. Sind die Urteilsgründe - wie hier - aufgrund von unzulässigen Bezugnahmen nicht aus sich heraus verständlich, fehlt es verfahrensrechtlich an einer Urteilsbegründung und sachlich-rechtlich an der Möglichkeit einer Überprüfung durch das Revisionsgericht (vgl. BGH, Beschluss vom 5. April 2000 - 3 StR 58/00, NStZ-RR 2000, 304).

2. Überdies wendet sich die Beschwerdeführerin zu Recht gegen die dem Freispruch des Angeklagten zugrundeliegende Beweiswürdigung.

a) Das Landgericht hat die Tatvorwürfe, zu denen sich der Angeklagte ebenso wenig geäußert hat wie zu der Herkunft der in seiner Wohnung aufgefundenen Wertgegenstände, aufgrund folgender Erwägungen nicht für erwiesen erachtet:

Es könne nicht festgestellt werden, dass der Angeklagte die Einbruchsdiebstähle begangen habe. An den Tatorten seien weder Fingerabdrücke noch DNA-Spuren des Angeklagten gefunden worden, und es gebe keine unmittelbaren Tatzeugen. Dass die Geschädigten einige der in der Wohnung des Angeklagten aufgefundenen Gegenstände als die ihnen entwendeten wiedererkannt hätten, lasse nicht darauf schließen, dass der Angeklagte sie gestohlen habe.

Es stehe schon nicht mit der erforderlichen Sicherheit fest, dass die betroffenen Gegenstände tatsächlich bei den Einbruchsdiebstählen entwendet worden seien. Es habe sich um Alltagsgegenstände von nicht erheblichem Wert ohne besondere Individualisierungsmerkmale gehandelt, und keiner der Geschädigten habe angegeben, diese etwa anhand von Gravuren, Aufklebern oder Gebrauchsspuren wiedererkannt zu haben.

Auch sei nicht erwiesen, dass der Angeklagte die Objekte in seine Wohnung gebracht habe; möglich sei auch, dass sie nach seiner Festnahme am 11. November 2016 von einem anderen dort gelagert worden seien. Es lasse sich ferner nicht klären, ob sie am 11., 14. oder 18. November 2016 in der Wohnung sichergestellt worden seien. Die Wohnung sei zwar nach der Durchsuchung am 11. November 2016 versiegelt, das Siegel aber nach dem 11. November 2016 von einer unbekannten Person gebrochen worden.

Da nicht feststellbar sei, wie der Angeklagte in den Besitz der Gegenstände gelangt sei, könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass er sie durch Hehlerei erlangt habe. Er könne sie ebenso gut im Sperrmüll gefunden oder auf einem Flohmarkt erworben haben.

In Bezug auf das Gold stehe gleichfalls schon nicht fest, dass es gestohlen worden sei, insbesondere nicht, dass es aus dem Haus der Zeugen Ko. herrühre. Der Angeklagte habe sich dahin eingelassen, das Gold von dem Zeugen Ka. erhalten zu haben, und Ka. habe angegeben, dass es sich um Gold seiner Großmutter gehandelt habe. Selbst wenn dieser Aussage nicht geglaubt werde, könne nicht angenommen werden, dass der Angeklagte das Gold durch Straftaten erlangt habe. Er könne es auch „angesammelt“ haben.

b) Diese Ausführungen begegnen auch eingedenk des insoweit beschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. etwa BGH, Urteil vom 9. Januar 2020 - 3 StR 288/19 Rn. 19 mwN) durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Sie lassen besorgen, dass das Landgericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat. Das gilt insbesondere, soweit es sich in Ermangelung individualisierender Merkmale an der Feststellung gehindert gesehen hat, dass es sich bei den von den Geschädigten wiedererkannten Gegenständen um diejenigen handelte, die ihnen gestohlen worden waren. Abgesehen davon, dass eine „Ständerlupe“ keinen „Alltagsgegenstand“ darstellt, ist die Würdigung des Landgerichts insoweit lückenhaft, als es unberücksichtigt gelassen hat, dass die Geschädigten Ko. und Sa. jeweils sogar zwei Gegenstände aus ihrem Besitz identifizierten. Das Landgericht hat zudem nicht erkennbar bedacht, dass die Geschädigten die Gegenstände den Urteilsgründen zufolge durchaus individualisierten und dabei aus einer Vielzahl von Asservaten herausfilterten. So hat die Zeugin K. die Damenarmbanduhr nicht nur deshalb erkannt, weil diese wie ihre Uhr aussah, sondern auch, weil sie um ihren Arm passte. Die Zeugin B. hat die Armbanduhr und den Ring unter Hinweis darauf identifiziert, dass sie sich schon lange im Familienbesitz befunden hätten. Als besonderes Merkmal des Beamers war sein Alter (15 Jahre) in Betracht zu ziehen. Schließlich setzt sich die Strafkammer nicht damit auseinander, dass ein Polizeibeamter in der Wohnung des Angeklagten „die Quittung aus dem Einbruch bei der Familie Ko. gefunden hatte (UA S. 23).

Die Ausführungen des Landgerichts lassen zudem erkennen, dass es bei seiner Überzeugungsbildung Zweifeln Raum gegeben hat, die lediglich auf einer abstrakt-theoretischen Möglichkeit gründen. Das gilt gleichermaßen für die Erwägung, dass die Beutestücke erst nach der Festnahme des Angeklagten von einer anderen Person in dessen Wohnung gebracht worden sein könnten, wie für die Annahme, der Angeklagte könne diese auf dem Sperrmüll gefunden, auf einem Flohmarkt erworben oder „angesammelt“ haben. Konkrete Anhaltspunkte dafür haben sich ausweislich der Urteilsgründe nicht ergeben. Insbesondere hat sich der Angeklagte nicht zu der Herkunft der Gegenstände geäußert. Die durch die Strafkammer angeführten hypothetisch denkbaren Geschehensabläufe durften bei dieser Sachlage nicht kurzerhand zu seinen Gunsten unterstellt werden (vgl. BGH aaO mwN).

Rechtsfehlerhaft ist auch die Bewertung der Vorstrafen des Angeklagten im Rahmen der Beweiswürdigung. Das Landgericht hat zwar - insoweit rechtsfehlerfrei - als belastendes Indiz in Betracht gezogen, dass der Angeklagte bereits dreimal wegen Diebstahlsdelikten vorbestraft ist und insbesondere im Jahr 2015 unter anderem wegen Wohnungseinbruchdiebstahls in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt wurde. Es hat die indizielle Wirkung dieser Verurteilung jedoch mit Hinweis darauf relativiert, dass der Angeklagte nach wie vor behaupte, zu Unrecht verurteilt worden zu sein, und deshalb schon - wenngleich erfolglos - ein Wiederaufnahmeverfahren betrieben habe. Dem liegt ein unzutreffendes Verständnis der materiellen Rechtskraft eines Urteils zugrunde. Ein rechtskräftiges Urteil trägt die Vermutung der Richtigkeit in sich, und zwar insbesondere hinsichtlich der ihm zugrundeliegenden Feststellungen; diese wird nur im Falle einer erfolgreichen Wiederaufnahme erschüttert, also durch einen Beschluss, mit dem gemäß § 370 Abs. 2 StPO die Wiederaufnahme des Verfahrens angeordnet wird (vgl. Marxen/Tiemann, Die Wiederaufnahme in Strafsachen, 3. Aufl., Rn. 9).

3. Die Sache bedarf nach alldem insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass die Urteilsgründe - wie der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend ausgeführt hat - überdies nicht erkennen lassen, dass das Landgericht die festgestellten beweisrelevanten Umstände der rechtlich gebotenen Gesamtwürdigung unterzogen hat.

4. Im Hinblick auf die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Das Landgericht hat eine etwaige Unverwertbarkeit der bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten gewonnenen Erkenntnisse in Betracht gezogen, weil die Beweisstücke „wegen einer möglichen Herkunft aus Diebstählen“ sichergestellt worden seien, der Durchsuchungsbeschluss indes nur „für Betäubungsmittel erlassen“ worden sei.

Das Strafverfahrensrecht kennt keinen allgemein geltenden Grundsatz, wonach jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht. Ob ein solches eingreift, ist vielmehr jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes, unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Maßgeblich beeinflusst wird das Ergebnis der Abwägung einerseits durch das Ausmaß des staatlichen Aufklärungsinteresses, dessen Gewicht im konkreten Fall vor allem unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit weiterer Beweismittel, der Intensität des Tatverdachts und der Schwere der Straftat bestimmt wird. Andererseits ist das Gewicht des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes von Belang, das sich vor allem danach bemisst, ob der Rechtsverstoß gutgläubig, fahrlässig oder vorsätzlich begangen wurde. Schwerwiegende, bewusste oder willkürliche Verfahrensverstöße, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen werden, verlangen von Verfassungs wegen die Unverwertbarkeit dadurch gewonnener Informationen (vgl. BGH, Urteil vom 3. Mai 2018 - 3 StR 390/17, NStZ 2019, 227, 228).

Danach liegt die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes hier schon deshalb fern, weil die zu der Durchsuchung herangezogenen Polizeibeamten den Feststellungen zufolge den Durchsuchungsbeschluss nicht kannten und davon ausgingen, dass sie „wegen der offensichtlich aus Diebstählen stammenden Gegenstände gerufen worden waren“ (UA S. 13 f.).

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1245

Externe Fundstellen: NStZ 2022, 188; NStZ 2022, 125

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede