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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1244

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 229/21, Urteil v. 22.09.2021, HRRS 2021 Nr. 1244


BGH 6 StR 229/21 - Urteil vom 22. September 2021 (LG Halle)

Vergewaltigung (erteilte Zustimmung: erkennbare Willensänderung; Nichtverwendung eines vom Täter vorgegebenen Signals; Konkurrenz zur Körperverletzung).

§ 177 Abs. 1, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB; § 177 Abs. 5 StGB; § 223 Abs. 1 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine bereits erteilte Zustimmung zum Beischlaf kann jederzeit widerrufen werden. Setzt der Sexualpartner diesen trotz äußerlich erkennbarer Willensänderung fort, liegt eine vollendete Vergewaltigung vor.

2. Das Tatopfer muss nicht ein vom Täter vorgegebenes Signal - hier ein dreimaliges Klopfen - für die Kommunikation ihrer Willensänderung verwenden.

3. Wird das Tatopfer über die im Vollzug des ungewollten Geschlechtsverkehrs liegende unangemessene Behandlung hinaus körperlich misshandelt, wird § 223 StGB nicht von § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB verdrängt.

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 25. Januar 2021

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung schuldig ist;

b) im Strafausspruch aufgehoben; jedoch haben die zugehörigen Feststellungen Bestand.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte und auf die Verurteilung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

I.

1. Nach den Feststellungen kamen der Angeklagte und die Nebenklägerin überein, im Anschluss an eine von ihnen besuchte Feier zur Wohnung der Nebenklägerin zu gehen und dort geschlechtlich zu verkehren. Beide hatten Alkohol getrunken, wiesen aber keine Ausfallerscheinungen auf. Erklärungen und Absprachen über sexuelle Vorlieben erfolgten nicht. Der Angeklagte forderte die Nebenklägerin lediglich auf, drei Mal zu klopfen, „wenn es zu doll wird“. Unmittelbar danach kam es zu einvernehmlichem vaginalen Geschlechtsverkehr. Nach einigen Minuten führte der Angeklagte so heftige Beischlafbewegungen aus, dass die Nebenklägerin Schmerzen spürte. Auf ihre Bitte, „nicht so grob zu sein“, versetzte er ihr eine Ohrfeige, was sie zu dem Hinweis veranlasste, „das sei zu heftig, er solle aufhören“. Da er auf ihre Worte nicht reagierte, versuchte die Nebenklägerin vergeblich, seinen Oberkörper wegzudrücken. Der Angeklagte versetzte ihr weitere Schläge und würgte sie kurzzeitig mit einer Hand. Ferner biss er sie an verschiedenen Körperstellen und zog so heftig an ihren Haaren, dass ein Büschel ausriss. Die Nebenklägerin forderte von ihm noch mehrmals erfolglos, er solle „aufhören und das lassen“. Weitere Gegenwehr unterließ sie aus Angst vor einer Eskalation der Gewalt. Nach 40 Minuten beendete der Angeklagte den Geschlechtsverkehr, ohne zum Samenerguss gekommen zu sein.

Die Nebenklägerin erlitt an mehreren Körperteilen zahlreiche, bis zu zwölf mal zehn Zentimeter große Hämatome sowie mehrere Kratzer. Im Intimbereich und an der Kopfhaut hatte sie einige Tage Schmerzen. Außerdem führte die Tat zu einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Dem Angeklagten war bewusst, dass er sich über den Willen der Nebenklägerin hinwegsetzte, beim Geschlechtsverkehr keine körperlichen Verletzungen und Schmerzen zu erleiden. Es war ihm wichtig, „die eigenen Grenzen beim Sexualverkehr auszutesten“. Ihre Wünsche waren ihm gleichgültig.

2. Das Landgericht hat das Geschehen als sexuelle Nötigung und nicht als Vergewaltigung gewertet, weil die Nebenklägerin mit dem ungeschützten Vaginalverkehr einverstanden gewesen sei und nur die diesen begleitenden Tätlichkeiten abgelehnt habe. An einer tateinheitlichen Verurteilung wegen Körperverletzung hat es sich aus konkurrenzrechtlichen Gründen gehindert gesehen.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.

1. Der Schuldspruch wegen sexueller Nötigung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Staatsanwaltschaft beanstandet zu Recht, dass das Landgericht den Angeklagten nicht wegen Vergewaltigung verurteilt hat.

a) Wegen Vergewaltigung wird bestraft, wer vorsätzlich mit einer Person gegen deren erkennbaren Willen den Beischlaf vollzieht (§ 177 Abs. 1, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB). Eine bereits erteilte Zustimmung zum Beischlaf kann jederzeit widerrufen werden. Setzt der Sexualpartner diesen trotz äußerlich erkennbarer Willensänderung fort, liegt eine vollendete Vergewaltigung vor (vgl. Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 177 Rn. 19; MüKo-StGB/Renzikowski, 4. Aufl., § 177 Rn. 49; SSW-StGB/Wolters, 5. Aufl., § 177 Rn. 107).

b) So verhält es sich hier. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen beendete der Angeklagte den Vaginalverkehr nicht, obwohl die Nebenklägerin ihre ursprünglich erteilte Zustimmung hierzu widerrufen hatte. Dass sie das vom Angeklagten vorgegebene Signal - dreimaliges Klopfen - nicht benutzte, ist unerheblich. Ihre Äußerungen waren unmissverständlich und wurden vom Angeklagten auch wahrgenommen. Die Nebenklägerin forderte damit nicht nur ein Ende der Gewalt, sondern ebenso das Unterlassen weiterer sexueller Handlungen. Der vom Landgericht und von der Revision herangezogenen Entscheidung (BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2018 - 1 StR 546/18) liegt ein nicht vergleichbarer Sachverhalt zu Grunde.

2. Auf der Basis der getroffenen Feststellungen ist zudem eine Verurteilung wegen tateinheitlich verwirklichter vorsätzlicher Körperverletzung rechtsfehlerhaft unterblieben. Denn wird das Tatopfer - wie hier - über die im Vollzug des ungewollten Geschlechtsverkehrs liegende unangemessene Behandlung hinaus körperlich misshandelt, wird § 223 StGB nicht von § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB verdrängt (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2011 - 4 StR 566/10; Beschluss vom 5. Februar 2019 - 2 StR 562/18; SSW-StGB/Wolters, aaO, § 177 Rn. 135; aA Schönke/Schröder/Eisele, aaO, § 177 Rn. 139).

3. Der Senat ändert den Schuldspruch deshalb in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil die Vorwürfe der Vergewaltigung und der Körperverletzung bereits Gegenstand der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage waren.

4. Die Schuldspruchänderung zieht die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich. Die rechtsfehlerfreien Feststellungen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen dürfen getroffen werden, wenn sie den bisherigen nicht widersprechen. Das neue Tatgericht ist nicht an der Prüfung gehindert, ob Anlass besteht, von der Regelwirkung des § 177 Abs. 6 StGB abzuweichen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21.Dezember 2017 - 4 StR 351/17; vom 12. Februar 2020 - 2 StR 5/20; vom 14. Januar 2021 - 4 StR 468/20).

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1244

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2022, 73

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede