hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1424

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 60/20, Urteil v. 21.10.2020, HRRS 2020 Nr. 1424


BGH 6 StR 60/20 - Urteil vom 21. Oktober 2020 (LG Neubrandenburg)

Einziehung des Wertes von Taterträgen (Darlegung der Schätzungsgrundlagen); Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten bei Tätern und Teilnehmern (Ermessensentscheidung; Charakter einer Nebenstrafe: Berücksichtigung bei der Strafzumessung).

§ 73c Abs. 2 StGB; § 74 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. In einem Fall der Einziehung nach § 73c Abs. 2 StGB müssen den Urteilsgründen die Schätzungsgrundlagen nachvollziehbar zu entnehmen sein.

2. Die Einziehung gemäß § 74 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 StGB ist eine Ermessensentscheidung handelt, die den Charakter einer Nebenstrafe hat. Wird dem Täter auf diese Weise ein ihm zustehen der Gegenstand von nicht unerheblichem Wert entzogen, stellt dies einen bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkt dar.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 30. Oktober 2019 mit den Feststellungen aufgehoben

a) im Fall B. V. der Urteilsgründe,

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe,

c) im gesamten Einziehungsausspruch.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und Einziehungsanordnungen getroffen. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge im tenorierten Umfang Erfolg, im Hinblick auf den Einziehungsausspruch auch zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts finanzierte der Angeklagte seinen Lebensunterhalt durch den Handel mit Betäubungsmitteln. Zu diesem Zweck bestellte er am 5. Dezember 2018 sowie am 8. und 25. Januar 2019 bei seinem Lieferanten unter anderem jeweils 1 kg Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 8 % THC und veräußerte die Drogen gewinnbringend weiter (Fälle B. I. bis III. der Urteilsgründe). Von September 2018 bis März 2019 betrieb er eine Cannabis-Plantage. Von dem geernteten Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 8 % THC veräußerte er wenigstens 432,5 g gewinnbringend (Fall B. IV. der Urteilsgründe).

Am 22. März 2019 erhielt er in seiner Wohnung von seinem Lieferanten 1.991,4 g Marihuana und bezahlte dafür 11.000 Euro in bar. Eine Woche zuvor war er mit seinem Pkw zu dem Lieferanten gefahren, um sich eine Probe des Marihuanas zu beschaffen. Das Treffen in der Wohnung wurde von der Polizei überwacht. Bei der anschließenden Durchsuchung fanden die Beamten den Angeklagten und das Marihuana im Wohnzimmer vor, der Lieferant hielt sich mit dem Bargeld im Schlafzimmer auf. Der Angeklagte trug an einer Kette um den Hals ein in einer Scheide steckendes Messer; ein weiteres Messer hatte er in seiner Hosentasche. Im Flur der Wohnung fanden die Beamten zwei unbenutzte Dosen Pfefferspray, im Schlafzimmer eine Machete mit stumpfer Klinge, eine nicht einsatzbereite Paintball-Pistole und eine kleine Armbrust ohne Pfeile (Fall B. V. der Urteilsgründe).

2. Das Landgericht hat sich im Fall B. V. nicht davon zu überzeugen vermocht, dass die Messer und Pfefferspraydosen im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG zur Verletzung von Personen bestimmt waren.

II.

1. Mit der unbeschränkt eingelegten Revision ist das Urteil - wie der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend ausgeführt hat - in vollem Umfang angefochten. Die Staatsanwaltschaft hat einen umfassenden Aufhebungsantrag gestellt und diesen mit einer Verfahrensrüge begründet, die im Erfolgsfall zur Aufhebung des gesamten Urteils führen würde. In Anbetracht dessen kann es nicht als Beschränkung des Rechtsmittels angesehen werden, dass sie die Sachrüge nur in Bezug auf Fall B. V. näher ausgeführt hat und insoweit eine Verurteilung des Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) erstrebt.

2. Die Verfahrensrüge dringt aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch. Die Sachrüge ist dagegen teilweise begründet.

a) Der Schuldspruch im Fall B. V. lediglich wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Revision wendet sich zu Recht gegen die Beweiswürdigung, die der Annahme des Landgerichts zugrunde liegt, dass die Messer und Pfefferspraydosen nicht zur Verletzung von Personen bestimmt waren.

aa) Der Angeklagte hat sich den Urteilsgründen zufolge dahin eingelassen, dass er das um seinen Hals getragene Messer seit sieben Jahren ständig als Talisman mit sich führe und schon gar nicht mehr daran denke. Mit dem anderen Messer habe er die ihm von seinem Lieferanten übergebenen Marihuana-Packungen aufgeschnitten; anschließend habe er das Messer in seiner Hosentasche verstaut. Das Reizgas habe er mehrere Monate zuvor geschenkt bekommen. Im Übrigen sammele er Waffen jeder Art, weil er das „cool“ finde. Er wolle sie aber nicht gegen andere Menschen einsetzen.

Das Landgericht ist der Einlassung mit der Begründung gefolgt, dass die Angaben des Angeklagten „nicht zu widerlegen“ seien. Die Messer und die anderen Gegenstände seien nach ihrer Beschaffenheit „weder Waffen im technischen Sinne noch gekorene Waffen, die die subjektive Zweckbestimmung nahelegen könnten“. Auch „aus der Auffindesituation in der Wohnung des Angeklagten“ lasse sich die Zweckbestimmung nicht herleiten. Zu den Messern habe der Angeklagte schlüssige Erklärungen abgegeben. Die übrigen Gegenstände seien „bislang unbenutzt“ oder „objektiv unbenutzbar“ (UA S. 6).

bb) Diese Ausführungen stoßen auch eingedenk des insoweit beschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs auf durchgreifende rechtliche Bedenken. Denn die Urteilsgründe lassen nicht erkennen, dass das Landgericht die Einlassung des Angeklagten der gebotenen kritischen Gesamtwürdigung unterzogen hat (vgl. etwa BGH, Urteile vom 6. März 1986 - 4 StR 48/86, BGHSt 34, 29, 34; vom 16. August 1995 - 2 StR 94/95, BGHR StPO § 261 Einlassung 6; vom 25. Oktober 2016 - 5 StR 255/16, NStZ-RR 2017, 5, 6 mwN).

Insbesondere fehlt es an den dafür erforderlichen Feststellungen zu der konkreten Beschaffenheit der Messer und Pfefferspraydosen. So lässt sich die Darstellung des Angeklagten, das an seiner Halskette befestigte Messer seit sieben Jahren „als Talisman“ getragen und „schon gar nicht mehr daran gedacht“ zu haben, ohne nähere Kenntnis von Größe, Form und Gewicht des Messers nicht beurteilen; gleiches gilt für deren waffenrechtliche Einordnung (Anlage 1, Abschnitt 1, Unterabschnitt 2, Nummer 2.1 zu § 1 Abs. 4 WaffG). Im Hinblick auf die Pfefferspraydosen ist den Urteilsgründen nichts über deren Funktionsweise zu entnehmen, insbesondere nichts dazu, ob aus ihnen Reizstoffe versprüht oder ausgestoßen werden, die eine Reichweite bis zu zwei Metern haben, so dass sie gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a WaffG iVm Anlage 1 zu § 1 Abs. 4 WaffG, Abschnitt 1, Unterabschnitt 2, Nr. 1.2.2. als (sonstige) Waffen im technischen Sinne zu qualifizieren sind (vgl. BGH, Beschluss vom 29. März 2017 - 4 StR 571/16) und ihre subjektive Bestimmung zur Verletzung von Personen besonders nahe liegt (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2017 - 3 StR 78/17, NStZ-RR 2018, 251, 252 mwN). Das Fehlen dieser Zweckbestimmung folgt entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht ohne Weiteres daraus, dass die Pfefferspraydosen bisher nicht benutzt wurden.

cc) Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht den Angeklagten bei rechtsfehlerfreier Würdigung im Fall B. V. des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) für schuldig befunden hätte. Die Verurteilung ist deshalb insoweit mit den Feststellungen aufzuheben. Dies führt zum Wegfall der betreffenden Einzelstrafe sowie zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe und entzieht auch den Entscheidungen über die Einziehung des Bargelds in Höhe von 11.000 Euro, der 1.991,4 g Marihuana sowie des Pkw die Grundlage.

b) Keinen Bestand hat schließlich die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 16.115 Euro. Die Berechnung dieses Betrages lässt sich anhand der Urteilsgründe nicht nachvollziehen, weil das Landgericht keine Feststellungen zu den Erlösen getroffen hat, die der Angeklagte durch den Verkauf der Betäubungsmittel erlangte. Der Umstand, dass es die nicht näher begründete Einziehungsanordnung auf „§ 73c StGB“ gestützt hat, deutet zwar darauf hin, dass das Landgericht insoweit eine Schätzung im Sinne des § 73c Abs. 2 StGB vorgenommen hat. In einem solchen Fall müssen den Urteilsgründen jedoch die Schätzungsgrundlagen nachvollziehbar zu entnehmen sein (vgl. BGH, Beschluss vom 7. April 2020 - 6 StR 28/20 Rn. 20 mwN). Das ist hier nicht der Fall.

3. Im Hinblick auf die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Bei erneuter Einziehung des Pkw gemäß § 74 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 StGB wird zu beachten sein, dass es sich dabei um eine Ermessensentscheidung handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Februar 2020 - 4 StR 672/19), die den Charakter einer Nebenstrafe hat. Wird dem Täter auf diese Weise ein ihm zustehen der Gegenstand von nicht unerheblichem Wert entzogen, stellt dies einen bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkt dar (st. Rspr.; vgl. Beschluss vom 11. Februar 2020 - 4 StR 525/19, NStZ 2020, 407, 408).

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1424

Externe Fundstellen: NStZ 2021, 118

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner