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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 378

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 285/20, Urteil v. 10.03.2021, HRRS 2021 Nr. 378


BGH 6 StR 285/20 - Urteil vom 10. März 2021 (LG Stade)

Verlesung eines ärztlichen Attests (fehlende eigenhändige Unterschrift; keine besonderen formalen Anforderungen).

§ 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Eine fehlende eigenhändige Unterschrift unter einem lediglich mit maschinenschriftlichen Namenszügen unterzeichneten ärztlichen Attest hindert dessen Verlesbarkeit nicht. Denn § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlangt keine besondere Form. Erforderlich ist lediglich, dass es sich um eine schriftliche Erklärung ärztlicher Herkunft handelt.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stade vom 21. November 2019 dahin ergänzt, dass er

a) im Fall 4 der Urteilsgründe zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt ist,

b) für den eingezogenen Ersatz des Wertes von Taterträgen als Gesamtschuldner haftet.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels, die hierdurch der Neben- und Adhäsionsklägerin erwachsenen notwendigen Auslagen sowie die durch das Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Bandendiebstahls in 14 Fällen sowie wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und acht Monaten verurteilt sowie die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Darüber hinaus hat es auf die Einziehung des Wertes von Taterträgen erkannt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung formellen und sachlichen Rechts.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts fasste der Angeklagte zusammen mit zwei der nichtrevidierenden Mitangeklagten im Sommer 2018 den Entschluss, künftig wiederholt in Geschäftsgebäude und Wohnhäuser einzubrechen, um Tresore aufzubrechen, deren Inhalt zu stehlen und die Beute untereinander gleichmäßig aufzuteilen. Der Angeklagte sollte Fahrdienste leisten, beim Abtransport der Beute helfen, die Tatbegehung von außen absichern und bei Schwierigkeiten weitere Unterstützung leisten. In den folgenden Monaten wurde in 14 Fällen absprachegemäß verfahren (Fälle 2 bis 15).

Am 15. Februar 2019 überfielen entsprechend dem zuvor mit dem Angeklagten gefassten Tatplan zwei der Mitangeklagten die allein in ihrem Haus lebende 88-jährige Nebenklägerin. Nachdem es ihnen trotz wiederholter Faustschläge auf deren Kopf und anderer körperlicher Angriffe nicht gelungen war, sie zur Preisgabe des Tresorcodes zu veranlassen, sperrte einer der Mitangeklagten die Todesangst erleidende Geschädigte in einen Kellerraum. Sodann beschaffte der Angeklagte ein Werkzeug, um den Tresor im Haus der Nebenklägerin zu öffnen. Dieser Öffnungsversuch schlug jedoch fehl. Erst mit Hilfe weiterer, auch durch den Angeklagten hinzugerufener und herbeigebrachter Mitangeklagter gelang es, den Tresor, in dem sich Schmuck und Bargeld im Wert von 227.800 Euro befanden, abzutransportieren und schließlich zu öffnen. Die Nebenklägerin erlitt Prellungen, Hämatome sowie Distorsionen und leidet weiterhin unter den physischen sowie psychischen Folgen der Tat (Fall 16).

Das Landgericht hat seine Feststellungen im Wesentlichen auf die Einlassungen des Angeklagten und der Mitangeklagten, auf Observationsdaten, Wortprotokolle überwachter Telefongespräche sowie auf Kontenauswertungen gestützt, zu Fall 16 zudem auf die Verlesung des Protokolls der polizeilichen Vernehmung der Nebenklägerin und auf die Angaben ihres Sohnes. Die Nebenklägerin selbst wurde in der Hauptverhandlung nicht vernommen.

II.

Die Revision hat nur in geringem Umfang Erfolg. Die Verfahrensrügen dringen nicht durch. Näherer Erörterung bedarf nur die Rüge der Verletzung des § 256 StPO.

1. Entgegen der Auffassung der Revision durfte das ärztliche Attest über die Untersuchung der Nebenklägerin zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht werden.

a) Die fehlende eigenhändige Unterschrift unter das lediglich mit maschinenschriftlichen Namenszügen unterzeichnete ärztliche Attest hinderte dessen Verlesbarkeit nicht. Denn § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlangt keine besondere Form. Erforderlich ist lediglich, dass es sich um eine schriftliche Erklärung ärztlicher Herkunft handelt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. April 2007 - 2 StR 111/07; vom 1. August 2018 - 5 StR 330/18, BGHR StPO § 256 Abs. 1 Nr. 5 Ermittlungsmaßnahmen 4; vom 7. August 2019 - 1 StR 57/19; MüKo StPO/Krüger, § 256 Rn. 30; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage, § 256 Rn. 19; Alsberg/Dallmeyer, Der Beweisantrag im Strafprozess, 7. Aufl., Rn. 541). Diesen Anforderungen genügt das mit dem Briefkopf des Klinikums B. versehene Schreiben, in dem als für das Attest verantwortlicher Arzt neben dem Chefarzt des Klinikums der Zeuge R. genannt ist. Dieser wurde auch polizeilich zu seinen Feststellungen bei der Untersuchung der Nebenklägerin vernommen und das Vernehmungsprotokoll wurde in der Hauptverhandlung gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO verlesen. Aus Form und inhaltlicher Gestaltung des Attests sowie aus dem Inhalt des Vernehmungsprotokolls ist klar erkennbar, dass die Bescheinigung das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung der Nebenklägerin durch den Zeugen zusammenfasst und dieser sowie der Chefarzt der Klinik die Verantwortung für die getroffenen Feststellungen übernommen haben.

b) Zwar durften die im Attest zusätzlich enthaltenen Ausführungen zu den Verletzungsursachen und damit zum Tathergang nicht nach § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlesen werden. Darauf beruht das Urteil jedoch nicht. Denn das Landgericht hat seine Überzeugung zu den verletzungsursächlichen Gewalttätigkeiten nicht auf das ärztliche Attest gestützt, sondern auf die Angaben der Nebenklägerin bei ihrer polizeilichen Vernehmung und auf diejenigen ihres Sohns in der Hauptverhandlung.

2. Die Sachrüge hat nur in geringen Umfang Erfolg.

a) Die im Fall 4 unterbliebene Bestimmung der Einzelstrafe holt der Senat entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts nach und bemisst diese gemäß § 354 Abs. 1 StPO mit einem Jahr, dem gesetzlichen Mindestmaß des § 244a Abs. 1 StGB. Er schließt mit Blick auf die im Übrigen verhängten Einzelstrafen und deren jeweilige Begründung aus, dass das Landgericht den Strafrahmen des § 244a Abs. 2 StGB angewendet hätte.

b) Der Einziehungsausspruch war um die - wie die Urteilsgründe offenlegen - versehentlich nicht in die Urteilsformel aufgenommene gesamtschuldnerische Haftung zu ergänzen. Dabei war im Fall 14 der vom Landgericht mit 7.550 Euro und mithin um 900 Euro zu niedrig festgesetzte Einziehungsbetrag zu Grunde zu legen (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 378

Externe Fundstellen: NStZ 2021, 507; StV 2021, 788

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede