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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 526/99, Urteil v. 11.01.2000, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 5 StR 526/99 - Urteil v. 11. Januar 2000 (LG Berlin)

Versuch; Totschlag; Grenzprovokationen (DDR-Grenze, Fall Kugelbake); Beweiswürdigung; Bedingter Tötungsvorsatz

§ 212 StGB; § 22 StGB; § 16 Abs. 1 StGB; § 261 StPO

Entscheidungstenor

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 19. März 1999 werden verworfen.

Die Staatskasse hat die Kosten der Rechtsmittel und die durch die Revisionen entstandenen notwendigen Auslagen der Angeklagten zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Totschlags aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen- diese Freisprüche richten sich die - vom Generalbundesanwalt vertretenen - Revisionen der Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge. Sie haben keinen Erfolg.

Nach den Feststellungen überfuhr das westdeutsche Vermessungsschiff "Kugelbake", das für Peilungsarbeiten in der Elbe eingesetzt war, im Sommer 1965 mehrfach die in ihrem genauen Verlauf strittige Grenzlinie zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. Da die dem Wasserstraßenamt der DDR zuvor fernmündlich angekündigten Vermessungsarbeiten der zuständigen Grenzkompanie aus ungeklärten Gründen nicht weitergemeldet worden waren, ging man in der DDR von bewußten "Grenzprovokationen" seitens der Bundesrepublik Deutschland aus. Aus diesem Grunde wurde eine fünfköpfige "Alarmgruppe" unter Führung des Angeklagten M und Beteiligung des Angeklagten Sc gebildet, die den Sachverhalt aufklären und die Bootsbesatzung gegebenenfalls festnehmen sollte. Nachdem die "Kugelbake", die in etwa 60 m Entfernung vom Standort der Angeklagten erneut Kurs auf das DDR-Ufer genommen hatte, auf mehrfache Anrufe, Zeichen und Warnschüsse nicht reagiert hatte, befahl der Angeklagte, das Ruderhaus des Schiffes nunmehr gezielt unter Feuer zu nehmen, um eine Rückkehr des Schiffes in die Hoheitsgewässer der Bundesrepublik Deutschland zu verhindern. Während der Angeklagte Sc. auf den Stahlrumpf des Schiffes feuerte, schossen der Angeklagte M und zwei weitere Soldaten auf das Ruderhaus. Einige Geschosse durchschlugen die hölzernen Wände des Ruderhauses, andere schlugen in Mast und Geländer ein, weitere prallten von der Stahlhaut des Schiffes ab, ein Geschoß durchschlug das stählerne Vorschiff. Spätestens als die ersten Kugeln in das Ruderhaus einschlugen, ging die Bootsbesatzung in Deckung, indem sie sich entweder zu Boden warf oder unter Deck flüchtete. Dem Schiffsführer gelang es, die "Kugelbake" wieder in die auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verlaufende Fahrrinne zu manövrieren. Keines der Besatzungsmitglieder wurde verletzt.

Die Beweiswürdigung, mit der das Landgericht einen - bedingten Tötungsvorsatz verneint, weist keinen Rechtsfehler auf.

Die Angeklagten haben einen Tötungsvorsatz bestritten. Sie haben sich in der Hauptverhandlung übereinstimmend dahin eingelassen, sie hätten geglaubt, der gesamte Schiffskörper einschließlich der Aufbauten bestehe aus Metall, so daß ein Eindringen von Kugeln in das Schiffsinnere für sie ferngelegen habe. Zudem seien sie davon ausgegangen, sämtliche Besatzungsmitglieder seien bereits aufgrund der Warnschüsse in Deckung gegangen, so daß die Gefahr tödlicher Verletzungen für sie, die Angeklagten, nicht ersichtlich gewesen sei.

Das Landgericht hat diese Angaben für glaubhaft erachtet. Es hat seine Überzeugung im wesentlichen darauf gestützt, daß sich die Angeklagten ausweislich entsprechender Vernehmungsprotokolle bei Befragungen durch Militärangehörige der DDR im Jahr 1965 in gleicher Weise geäußert hätten. Angesichts der Praxis des Schußwaffengebrauchs an der innerdeutschen Grenze hätten sie auch bei offenkundiger Gefährdung von "Grenzprovokateuren" seinerzeit keine Nachteile fürchten müssen. Ein Motiv, insoweit die Unwahrheit zu sagen, habe daher für die Angeklagten aus damaliger Sicht nicht vorgelegen. Diese Wertung des Gerichts ist zumindest möglich; zwingend muß sie nicht sein (vgl. zur Beweislage auch BGHSt 42, 356, 363). Soweit die Staatsanwaltschaft die Beweiswürdigung des Landgerichts im Rahmen der Sachrüge mit der Vorlage von Lichtbildern, der partiellen Wiedergabe von Zeugenaussagen in Vorverfahren und Hauptverhandlung sowie der Mitteilung des Inhalts von Urkunden angreift, handelt es sich uni urteilsfremdes Vorbringen, das nicht geeignet ist, die behauptete Lückenhaftigkeit der Urteilsgründe im Revisionsverfahren zu belegen. Zulässige Verfahrensrügen sind insoweit nicht erhoben.

Bearbeiter: Karsten Gaede