Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 439/99, Beschluss v. 20.10.1999, HRRS-Datenbank, Rn. X
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 29. April 1999 nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben.
Der Angeklagte wird freigesprochen.
Seine notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Die Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils und zur Freisprechung des Angeklagten.
Der Angeklagte hatte als Bereitschaftsstaatsanwalt in Ost-Berlin am Ostersamstag 1988 gegen einen ausreisewilligen DDR-Bürger, der an der Grenzübergangsstelle am Bahnhof Friedrichstraße unter Vorlage seines DDR-Personalausweises die Ausreise nach Berlin(West) verlangt hatte, wegen des dringenden Verdachts eines Vergehens der Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit (§ 214 Abs. 1 StGB-DDR) aus dem Haftgrund zu erwartenden Freiheitsentzuges (§ 122 Abs. 1 Nr. 4 StPO-DDR) Haftbefehl beantragt, der entsprechend erlassen wurde. Wegen einschlägigen Vorverhaltens war gegen den Verfolgten im August 1987 bereits eine Ordnungsstrafe verhängt worden. Der Angeklagte hat sich eingelassen, er habe dies bei seinem Haftbefehlsantrag gewußt; hiervon geht auch das Landgericht aus (UA S. 7).
Zwar ist beim Antrag eines DDR-Staatsanwalts auf Anordnung von Untersuchungshaft wegen eines Vergehens nach § 214 StGB-DDR in einem Fall "schlichter Paßvorlage" nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs regelmäßig direkt vorsätzliche Rechtsbeugung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung anzunehmen (vgl. nur BGHSt 41, 247, 273 ff.; BGHR StGB § 336 -DDR- Recht 27; § 339 - Staatsanwalt 1). Bei dieser Fallgruppe kommt Rechtsbeugung aber aus subjektiven Gründen nicht bereits wegen rechtsstaatswidriger Überdehnung der angewendeten Strafnorm in Betracht. Daher muß eine von der Regel abweichende Beurteilung gelten, wenn Untersuchungshaft wegen "schlichter Paßvorlage" gegen einen Ausreisewilligen angeordnet worden ist, der bereits kurz zuvor wegen des gleichen Verhaltens mit Ordnungsstrafe geahndet worden war. Darin lag nämlich aus der - im Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG maßgeblichen - Sicht der DDR-Justiz eine gravierende einschlägige Verwarnung; deshalb kann hier die - mit rechtsstaatlichen Anliegen fraglos unvereinbare Anordnung von Untersuchungshaft nicht als schlechthin unnachvollziehbar gewertet werden. In einem derartigen Fall scheidet mit Rücksicht auf seine besonderen Gegebenheiten Rechtsbeugung allein wegen der Anordnung von Untersuchungshaft aus subjektiven Gründen aus (BGH, Beschluß vom 3. Juni 1999 - 5 StR 143/99 -; vgl. auch BGHR StGB § 336 - DDR-Recht 28; BGH, Beschlüsse vom 21. April 1998 - 5 StR 85/98 - und vom 15. Juni 1999 - 5 StR 614/98 -).
Für eine weitergehende strafrechtliche Verantwortung des Angeklagten wegen seines Verhaltens im Verfahren gegen den Verfolgten ist nichts ersichtlich. Für die spätere Verhängung einer Freiheitsstrafe in Höhe von einem Jahr - worin naheliegend ungeachtet der Vorwarnung Rechtsbeugung zu sehen gewesen wäre - war er nicht verantwortlich (vgl. entsprechend BGH, Beschluß vom 3. Juni 1999 - 5 StR 143/99 -). Der Senat hat daher auf Freispruch durchzuentscheiden (§ 354 Abs. 1 StPO).
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2000, 140
Bearbeiter: Karsten Gaede