hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 316/99, Beschluss v. 23.11.1999, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 5 StR 316/99 - Beschluß v. 23. November 1999 (LG Hamburg)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln; Doppelverwertungsverbot

§§ 29, 29a BtMG; § 46 Abs. 3 StGB

Leitsatz des BGH

Ist ein gewichtiges Handeltreiben mit Betäubungsmitteln im Einzelfall belegt, so ist die Erwägung, die verwirklichte Tatbestandsvariante des Handeltreibens sei "eine der verwerflichsten Tatmodalitäten des § 29a BtMG", nicht zu beanstanden (im Anschluß an BGHSt 44, 361).

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 19. Februar 1999 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat gegen den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren verhängt und ihn unter Einbeziehung mehrerer rechtskräftig verhängter Geldstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und einem Monat verurteilt. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. Der Senat verwirft sie gemäß § 349 Abs. 2 StPO.

Die strafschärfende Erwägung des Landgerichts, bei der hier verwirklichten Tatbestandsvariante des Handeltreibens handele es sich "um eine der verwerflichsten Tatmodalitäten des § 29a BtMG", die dem Senat Anlaß für eine Anfrage nach § 132 Abs. 3 GVG gegeben hat, ist hier nicht zu beanstanden. Allerdings ist eine solche Wendung problematisch. So hat der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die strafschärfende Erwägung, das unerlaubte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln sei die "verwerflichste Tatvariante des § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG", als bloße "Leerformel" angesehen, die gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 46 Abs. 3 StGB) verstoße (BGHSt 44, 361). Auch der erkennende Senat hat bei besonderen Fallgestaltungen -wie einem wesentlich auf polizeiliche Initiative zurückgehenden Handeltreiben - in ähnlichen Wendungen eine "Leerformel" gesehen und einen Wertungsfehler bei der Strafzumessung angenommen (BGH, Beschlüsse vom 27. Juli 1999 - 5 StR 331 und 333/99 -).

1. Einen Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB sieht der Senat nach wie vor nicht. Er befindet sich insoweit in Übereinstimmung mit dem 1. Strafsenat (vgl. BGH NStZ 1986, 368 und die Antwort nach § 132 Abs. 3 Satz 3 GVG im Beschluß vom 24. August 1999 - 1 ARs 12/99 -) und dem 3. Strafsenat (vgl. BGH NJW 1980, 1344 und die Antwort nach § 132 Abs. 3 Satz 3 GVG im Beschluß vom 12. August 1999 - 3 ARs 14/99 -) des Bundesgerichtshofs.

Das Handeltreiben bildet innerhalb der in §§ 29, 29a BtMG unter Strafe gestellten Begehungsweisen - im Sinne eines "faktischen Stufenverhältnisses" - regelmäßig eine schwerere Deliktsvariante. Deren Anlastung verstößt nicht gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB (vgl. Weber, BtMG 1999 vor §§ 29 ff. Rdn. 474; Gribbohm in LK 11. Aufl. 46 Rdn. 299; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, 2. Aufl., Rdn. 305). Sie ist grundsätzlich ebenso zulässig wie eine differenzierte Strafzumessung nach Maßgabe des unterschiedlichen Gefährlichkeitsgrades der von den BtMG-Tatbeständen gleichermaßen erfaßten betroffenen Betäubungsmittel. Dabei ist zu bedenken, daß nach § 1 Abs. 1 BtMG Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes die in den Anlagen 1 bis 111 aufgeführten Stoffe und Zubereitungen sind, so daß die Betäubungsmittel aus dieser Auflistung in die Straf- und Ordnungswidrigkeitstatbestände der §§ 29 ff. BtMG wie Tatbestandsmerkmale eingeflossen sind.

Daß ähnliche Differenzierungen zwischen Tatbestandsvarianten auch außerhalb des Betäubungsmittelstrafrechts im Sinne des § 46 Abs. 3 StGB unbedenklich und sachgerecht sein können, wird etwa deutlich im Blick auf den Tatbestand der schweren Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 StGB (n.F.). Auch wenn der Gesetzgeber keinen Anlaß gesehen hat, für die regelmäßig schwerere Variante einen höheren Strafrahmen zu eröffnen, widerlegt das die Zulässigkeit einer Differenzierung bei der Strafzumessung nicht; denn vielfach gelten gleiche Strafrahmen für verschiedene strafbare Verhaltensweisen von teils beträchtlich unterschiedlichem Gewicht. Dessen sachgerechte differenzierte Berücksichtigung bei der Strafzumessung wird vom Gesetzgeber durch die generelle Einordnung in den identischen Strafrahmen nicht verboten.

2. Im Einzelfall kann freilich das Anlasten der Erfüllung der Tatbestandsvariante des Handeltreibens eine bloße "Leerformel" sein und damit einen Wertungsfehler begründen, namentlich wenn es sich konkret als weniger gewichtige Tatvariante, gemessen an der Breite des gesamten Anwendungsbereichs von § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder von § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, darstellt. Dabei ist auch darauf Bedacht zu nehmen, daß der Begriff des unerlaubten Handeltreibens von der Rechtsprechung besonders weit ausgelegt wird; so erfaßt der Tatbestand Verhaltensweisen von ganz unterschiedlicher Intensität, zudem unter möglichem Bezug auf Rauschgift ganz unterschiedlicher Gefährlichkeit und Menge.

Der vorliegende Fall betrifft indes ein Handeltreiben mit einer großen Menge gefährlichen Rauschgifts - acht Kilogramm eines 50 %igen Kokaingemischs -; er weist auch sonst keine ganz außergewöhnlich mildernden Begleitumstände auf. Hier sieht der Senat auch keinen Wertungsfehler. Insoweit befindet er sich in Übereinstimmung mit dem 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (vgl. dessen Antwort nach § 132 Abs. 3 Satz 3 GVG im Beschluß vom 1. September 1999 - 2 ARs 355/99 -).

Der Senat versteht auch die Antwort des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (Beschluß vom 26. August 1999 - 4 ARs 5/99 -) nicht anders. Er entnimmt daraus, daß jener Senat im vorliegenden Fall die in Frage stehende Wendung als zulässige straferschwerende Bewertung einer konkret besonders intensiven Rechtsgutsverletzung verstehen und sie so als unbedenklich anerkennen würde.

3. Es bleibt daher lediglich eine Divergenz zum 4. Strafsenat - möglicherweise auch noch zum 2. Strafsenat (vgl. Beschluß vom 25. Januar 1984 - 2 StR 811/83 -) - in der abstrakten Frage des Anwendungsbereichs des § 46 Abs. 3 StGB. In Einzelfällen wird die Rechtsprechung aber in aller Regel dennoch zu gleichen Ergebnissen gelangen: Ist ein gewichtiges Handeltreiben mit Betäubungsmitteln im Einzelfall belegt, so liegt in der strafschärfenden Verwertung der Tatmodalität im Ergebnis keinesfalls eine beanstandenswerte Strafzumessungserwägung. Der Senat sieht sich daher durch § 132 GVG nicht mehr gehindert, die Revision antragsgemäß zu verwerfen.

Externe Fundstellen: NJW 2000, 597; NStZ 2000, 95; StV 2000, 73

Bearbeiter: Rocco Beck