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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 149/99, Urteil v. 12.08.1999, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 5 StR 149/99 - Urteil v. 12. August 1999 (LG Berlin)

Sicherungsverwahrung; Hang zu erheblichen Straftaten; Allgemeingefährlichkeit;

§ 66 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 StGB; § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB;

Leitsatz des Bearbeiters

Einzelfall einer zulässigen Anordnung der Sicherungsverwahrung.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 25. November 1998 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen schweren Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt und die Sicherungsverwahrung angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.

Folgende vier Taten des Angeklagten sind festgestellt:

1. In Kenntnis der tatrelevanten Lebensverhältnisse der 71jährigen, gebrechlichen, tagsüber ein Hörgerät tragenden Frau W kletterte der Angeklagte in der Nacht vom 21. zum 22. August 1997 über ein Baugerüst auf den Balkon der im dritten Obergeschoß gelegenen Wohnung der Geschädigten. Er hebelte die Balkontür auf und gelangte so in die Wohnung der schlafenden Frau. Er wickelte eine Tischdecke zu einer Schlinge und legte diese für den Fall, daß Frau W aufwachen sollte, griffbereit. Er durchsuchte die Wohnung und entwendete 910,- DM Bargeld, Ausweispapiere und eine EC-Karte.

2. Am 16. Mai 1998 suchte der Angeklagte seinen ihm besonders vertrauten, 68jährigen ehemaligen Arbeitskollegen S in dessen Wohnung auf. Überraschend legte der Angeklagte von hinten einen Arm um den Hals des Opfers und führte ein feststehendes Messer unmittelbar an dessen Kehle. Er verlangte die Herausgabe von EC-Karten und die Benennung der Geheimnummern. Er schnitt dem Opfer auf dem Oberkörper entlang und verursachte so eine blutende Schnittwunde auf der Brust. Daraufhin tat das Opfer wie ihm geheißen.

3. Am 4. Juni 1998 schaffte der Angeklagte unter allerlei Vorwänden eine Situation, in der er mit der 69jährigen, in vielerlei Hinsicht gebrechlichen Zeugin P in deren Wohnung allein war. Er hielt ihr überraschend ein Messer unmittelbar vor die Brust und verlangte die Herausgabe von Geld. So trieb er das Opfer durch die Wohnung und drohte mit Tötung. Er stieß das Opfer siebenmal so kräftig auf ein Bett, daß der Bettrahmen zerbrach. Er drückte ein Kissen auf das Gesicht der Frau, so daß sie unter erheblicher Atemnot litt und glaubte, ersticken zu müssen. Im Ergebnis der Durchsuchung der Räume und der Behältnisse entwendete der Angeklagte 75,- DM Bargeld.

4. Enttäuscht von der Beute im letzten Fall, beschloß der Angeklagte, das Opfer der Tat 1 zu überfallen. Unter einem Vorwand verschaffte er sich Zutritt zur Wohnung der Frau W . Er schlug sie mehrfach in das Gesicht und auf die Brust und setzte ihr ein Messer unmittelbar an den Hals und vor den Bauch. Er forderte die Herausgabe der EC-Karte und die Benennung der Geheimnummer. Beim Durchsuchen der Handtasche und der Schubfächer fand der Angeklagte die EC-Karte und 150,- DM Bargeld, die er mitnahm. Erneut mit dem unmittelbar an den Hals gesetzten Messer bedroht, nannte das Tatopfer die Geheimnummer.

Das Urteil enthält keinen Rechtsfehler. Der Erörterung bedarf allein die Anordnung der Sicherungsverwahrung.

I.

Das Landgericht hat die Anordnung der Maßregel auf die Vorschriften des § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB gestützt.

1. Die formellen Voraussetzungen dieser Regelungen liegen vor; denn das Landgericht hat den Angeklagten wegen der oben genannten Taten zu folgenden Einzelfreiheitsstrafen verurteilt: wegen der Taten zu 2. und 4. jeweils zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und wegen der Tat 3. zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren.

2. Auch die in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB genannten Merkmale, nämlich den Hang zu erheblichen Straftaten und die Allgemeingefährlichkeit, hat der Tatrichter in Übereinstimmung mit dem medizinischen Sachverständigen ohne Rechtsfehler als erfüllt angesehen.

a) Dabei hat die Strafkammer zu Recht darauf abgestellt, daß sich die Intensität und Gefährlichkeit der vom Angeklagten begangenen Straftaten kontinuierlich gesteigert hat: Einer Vielzahl von Diebstählen, meist Einbruchsdiebstählen, und Betrugstaten, begangen in der DDR und mit mehreren Freiheitsstrafen geahndet, folgte insbesondere im Jahre 1991 eine Verurteilung wegen schweren Raubes und Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren, bevor es zu den hier abgeurteilten Taten kam. Auch diesen Taten eignet eine Steigerung des kriminellen Gewichtes: Dem Einsteigediebstahl vom 21./22. August 1997 folgten die schwere räuberische Erpressung vom 16. Mai 1998 und die beiden Fälle des schweren Raubes vom 4. Juni 1998, die letzten drei Taten jeweils zugleich mit - teils qualifizierter - Körperverletzung begangen. In diesem Zusammenhang spricht es nicht etwa zugunsten des Angeklagten, daß er die beiden zuletzt genannten Taten am gleichen Tag begangen hat.

b) Daß der Angeklagte sich selbst gestellt, ein Geständnis abgelegt und seine Taten in der Hauptverhandlung bedauert hat, hinderte die Strafkammer nicht, Hang und Gefährlichkeit im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB anzunehmen.

c) Auch den Gesichtspunkt, daß unter der Wirkung eines vieljährigen Strafvollzugs und mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß Haltungsänderungen eintreten und dies für die Gefährlichkeitsfrage von Bedeutung sein kann (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 6, Hang 3, § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 3, 4 m.w.N., Gefährlichkeit 1), hat der Tatrichter bedacht (UA S. 40).

3. Nicht etwa hat die Strafkammer den fakultativen Charakter ihrer Entscheidung nach § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB verkannt. Sie hat vielmehr auch alle in Betracht kommenden Alternativen zur Sicherungsverwahrung erwogen und ohne Rechtsfehler ausgeschlossen: So hat sie die Möglichkeit der Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB oder § 64 StGB als etwa in Betracht kommende mildere Maßregel geprüft und verneint. Sie hat auch erwogen und verneint, ob etwa die Verhängung einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren geeignet wäre, die von dem Angeklagten ausgehende Gefahr zu beseitigen.

4. Eine weitere Voraussetzung für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach den hier angewendeten Vorschriften besteht nicht.

a) Dies gilt zunächst für die Regelung des § 66 Abs. 2 StGB. Allerdings findet sich in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 1976, 300; BGH bei Holtz MDR 1976, 986; BGH NStZ 1989, 67; BGH. Urteil vom 2. Juli 1974 - 1 StR 613/73 - Seite 8; BGHR StGB § 66 Abs. 2 Gefährlichkeit 1) und im Schrifttum (Horstkotte JZ 1970, 152, 155; Hanack in LK 11. Aufl. § 66 Rdn. 52; Stree in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 66 Rdn. 47; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 66 Rdn. 7; Bölfinger in Nomos Kommentar, StGB § 66 Rdn. 64) allenthalben die mehr oder weniger verkürzt formulierte Ansicht, daß bei § 66 Abs. 2 StGB "vor allem" an gefährliche Serientäter gedacht sei, denen es bisher gelungen sei, sich der Verurteilung (§ 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder der Verbüßung (§ 66 Abs. 1 Nr. 2 StGB) zu entziehen. Indes kann eine zusätzliche Voraussetzung des § 66 Abs. 2 StGB etwa derart, daß es einem gefährlichen Serientäter bisher immer wieder gelungen sei, sich der Verurteilung oder der Verbüßung zu entziehen, aus alledem nicht hergeleitet werden. Es handelt sich um eine in Rechtsprechung und Schrifttum kontinuierlich tradierte Zweckerwägung aus dem Gesetzgebungsverfahren, der nicht etwa die Wirkung eines nichtgeschriebenen Gesetzesmerkmals zugesprochen werden kann. Jedes andere Verständnis müßte zum einen vor der Frage versagen, weshalb der Gesetzgeber die genannten Gesichtspunkte - ihrer sehr wohl eingedenk - nicht als Anordnungsvoraussetzungen in das Gesetz aufgenommen hat. Zudem könnten derartige vage zusätzliche Anordnungsvoraussetzungen jenseits des Gesetzeswortlauts, wenngleich sie einschränkenden Charakter hätten, im Lichte der Unschuldsvermutung und des Gebotes der Gesetzesbestimmtheit (vgl. BVerfG -Kammer - NStZ-RR 1996, 122) keinen Bestand haben.

b) Zudem hat das Landgericht die Anordnung der Sicherungsverwahrung auf die Vorschrift des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB gestützt, Für diese durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl. 1 160) eingefügte Regelung gelten die vorstehend unter a) genannten etwa restriktiven Gesichtspunkte ohnehin nicht.

II.

Schließlich hat das Landgericht empfohlen, daß dem Angeklagten im Strafvollzug in der Sozialtherapeutischen Abteilung der Justizvollzugsanstalt Tegel in Berlin die dort mögliche Therapie zuteil werde. Den Erfolg dieser Behandlung wird die Strafvollstreckungskammer nach § 67c Abs. 1, § 57 StGB zu beurteilen haben.

Externe Fundstellen: NStZ 1999, 614; StV 2000, 257

Bearbeiter: Karsten Gaede