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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 236/98, Beschluss v. 18.02.1999, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 5 StR 236/98 - Beschluß v. 18. Februar 1999 (LG Leipzig)

Waldheimprozesse; Offensichtliche schwere Menschenrechtsverletzungen; Rechtsbeugung;

§ 46 Abs. 1 StGB; § 339 StGB;

Leitsatz des Bearbeiters

Zu offensichtlichen schweren Menschenrechtsverletzungen im Rahmen der "Waldheimprozesse".

Entscheidungstenor

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 28. November 1997 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Die Art und Weise der Durchführung der Verfahren (ein Teil der "Waldheimprozesse") und die ergangenen Entscheidungen stellen offensichtliche schwere Menschenrechtsverletzungen dar (vgl. BGH, Beschluß vom 10. August 1994 - 3 StR 252/94 -; BGHR StGB § 46 Abs. 1 Strafhöhe 12; BGHSt 41, 317, 320; zur Willkür durch Verfahrensgestaltung: BGH, Urteil vom 10. Dezember 1998 - 5 StR 322/98 - zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).

Die Verfahrensgestaltung und die Höhe der zu verhängenden Strafen, die denen sowjetischer Militärtribunale entsprechen sollten, wurden von der Partei- und Staatsführung weitgehend vorgegeben. Die Einhaltung der Vorgaben durch die Richter wurde ständig überwacht und an die Führungskräfte der Partei sowie das Justizministerium in Berlin berichtet. Richter, die sich nicht an die Vorgaben hielten, wurden abgelöst oder ihnen wurden andere Aufgaben zugewiesen (UA S. 20).

In den Verfahren, die sich nach außen den Anschein der Justizförmigkeit gaben, wurden sehr harte Strafen - darunter sechs Todesstrafen, Zuchthausstrafen zwischen 25 und zehn Jahren, Vermögenseinzug - ausgesprochen, ohne daß die Einhaltung elementarster Verfahrensgarantien gewährleistet wurde: Die Richter legten ihren Entscheidungen unkritisch Auszüge aus sowjetischen Vernehmungsprotokollen, in denen ein "konkreter Schuldvorwurf ... in der Regel nicht oder nur äußerst allgemein gehalten erhoben" wurde, zugrunde. Auf den Nachweis individueller Schuld der damaligen Angeklagten wurde weitgehend verzichtet. Eine Überprüfung der zum Teil sehr unkonkreten und in den sowjetischen Protokollen äußerst knapp geschilderten Tatvorwürfe fand nicht statt; Beweisbegehren wurde ausnahmslos nicht nachgegangen. Die Verhandlungen erster Instanz fanden - mit Ausnahme eines Falles - ohne Verteidiger statt. Das Gericht bestellte keinen Verteidiger, obwohl dies angesichts der in den Verfahren zu erwartenden und ausgesprochenen Sanktionen unabdingbar gewesen wäre, um den damaligen Angeklagten überhaupt eine Chance der Rechtswahrung zu geben. Die Verfahren wurden unter Ausschluß der Öffentlichkeit geführt.

Im Ergebnis stellen sich die Verfahren als krasser Mißbrauch der Justiz zur Durchsetzung allein machtpolitischer Ziele dar (BGHR StGB § 46 Abs. 1 Strafhöhe 12).

Dies gilt auch für die Tätigkeit der hiesigen Angeklagten in der Revisionsinstanz, in der die Rechtsmittel der damaligen Angeklagten ausnahmslos als unbegründet verworfen wurden, obwohl die Verfahrensmängel - in acht von zehn Fällen wurde die Rüge der fehlenden Verteidigung erhoben - und die gänzlich unzulängliche Beweiswürdigung, die den Nachweis individueller Schuld nicht führte, auf der Hand lagen.

Bearbeiter: Karsten Gaede