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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 494/97, Urteil v. 05.03.1998, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 5 StR 494/97 - Urteil vom 5. März 1998 (LG Berlin)

BGHSt 44, 52; völkerrechtliche Einschränkung bei der Anwendbarkeit des Tatbestandes der Strafvereitelung; Aufnahme von RAF-Aussteigern in der DDR.

§ 258 StGB; Art. 25 GG

Leitsätze

1. Aufnahme von Terroristen in der DDR. (BGHSt)

2. Trotz der grundsätzlichen Einbeziehung einer von Ausländern im Ausland bewirkten Unterstützung des Vortäters in den Anwendungsbereich des Strafgesetzbuchs unterliegt die Anwendbarkeit des § 258 StGB völkerrechtlichen Einschränkungen. Sie versteht sich trotz einer im Inland eingetretenen Vereitelung der Bestrafung insbesondere dann nicht von selbst, wenn die Hilfeleistung im Ausland in staatlichem Auftrag erfolgt. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen der Angeklagten Dr. D. und Z. wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. März 1997 gegen diese Angeklagten und gegen den Mitangeklagten Dr. J. mit den Feststellungen aufgehoben.

Sämtliche Angeklagte werden freigesprochen.

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft werden verworfen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten trägt die Staatskasse.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten Dr. D. und Dr. J. jeweils der versuchten Strafvereitelung in drei Fällen, den Angeklagten Z. der versuchten Strafvereitelung schuldig befunden. Es hat die Angeklagten verwarnt und die Verurteilung zu einer Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen bei Dr. D ., von 100 Tagessätzen bei Dr. J. sowie die Verurteilung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen bei dem Angeklagten Z. vorbehalten. Die Revisionen der Angeklagten Dr. D. und Z. haben mit der Sachrüge Erfolg; sie führen zum Freispruch aller drei Angeklagten.

I.

1. Die Angeklagten sind ehemalige Offiziere des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR. In dessen für die Terrorabwehr zuständiger Abteilung XXII wurde seit Ende der siebziger Jahre unter dem Decknamen "Stern" unter höchster Geheimhaltung ein auf die "Rote Armee Fraktion" (RAF) bezogener Operationsvorgang geführt. Der Angeklagte Dr. D. war, im Dienstrang eines Oberst, als Leiter der hierfür gebildeten Arbeitsgruppe eingesetzt, der Angeklagte Dr. J., ebenfalls im Dienstrang eines Oberst, als sein Stellvertreter. Der 1983 zum Hauptmann beförderte Angeklagte Z war vorgangsführender Hauptsachbearbeiter.

Ende 1979 wandten sich acht ehemalige Mitglieder der RAF, die eine Fortführung des "bewaffneten Kampfs" für sinnlos hielten und sich von der übrigen Gruppe getrennt hatten, über ein zu diesem Zeitpunkt noch aktives Mitglied der RAF mit der Bitte an das MfS, ihnen dabei behilflich zu sein, in einem "sozialistischen" Land Aufnahme zu finden. Sämtliche Aussteiger, die sich zu dieser Zeit in Frankreich aufhielten, wurden von den Ermittlungsbehörden der Bundesrepublik Deutschland wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung mit Haftbefehlen gesucht. Einigen wurden darüber hinaus weitere schwere Straftaten, darunter auch die Beteiligung an Mordanschlägen und Sprengstoffattentaten zur Last gelegt.

Der Ansprechpartner der RAF beim MfS, Dr. D., informierte daraufhin über den Stellvertreter des Ministers, Dr. N., den Minister für Staatssicherheit Erich Mielke und bat um Entscheidung. Ersichtlich nach Erteilung entsprechender Weisungen unterbreitete der Angeklagte Dr. D. der von der RAF vorgeschickten Vermittlerin den Vorschlag, die acht Aussteiger in der DDR selbst aufzunehmen. Nachdem führende RAF-Mitglieder die Annahme dieses Angebots beschlossen hatten, übergaben Mittelsmänner dem Angeklagten Dr. D. von den Aussteigern verfaßte Berichte über ihre jeweilige Beteiligung an den von der RAF begangenen Straftaten sowie über ihre Vorstellungen in Bezug auf ihr zukünftiges Leben. Die vom MfS an die Aufnahme der Aussteiger in der DDR geknüpften Bedingungen, unter anderem die endgültige Abkehr vom Terrorismus und das Verschweigen der Beteiligung des MfS an der Einbürgerung, wurden von den Unterhändlern akzeptiert. Die Angeklagten Dr. J. und Zaumseil besprachen daraufhin in Kenntnis der Identität der Aussteiger und in Kenntnis des Umstandes, daß diese von den Ermittlungsbehörden der Bundesrepublik Deutschland gesucht wurden, mit einem Mitglied der Aussteigergruppe einzelne Modalitäten der Einreise. Daraufhin reisten im Sommer und Herbst 1980 die Aussteiger in die DDR ein. Entsprechend den von dem Angeklagten Dr. D. entwickelten und unter Federführung der Angeklagten Dr. J. und Z. umgesetzten Vorstellungen erhielten sie Wohnung und Arbeitsplatz und wurden unter einer neuen Identität in die DDR eingebürgert.

Im Jahr 1982 erfolgte - in zeitlichem Abstand voneinander - unter Mitwirkung der Angeklagten Dr. D. und Dr. J. unter ähnlichen Bedingungen die Aufnahme und Einbürgerung von zwei weiteren Aussteigern der RAF, gegen die ebenfalls wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und der Begehung von Kapitalverbrechen in der Bundesrepublik Deutschland Haftbefehle vorlagen. Die Entscheidung zu ihrer Aufnahme traf erneut der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke.

Nach erfolgter Einbürgerung wurden die ehemaligen Terroristen vom MfS laufend weiter "betreut". Neben materiellen und finanziellen Zuwendungen erhielten sie unter anderem Hilfestellung in Form neuer Legenden, nachdem drei von ihnen 1985/86 von DDR-Bürgern erkannt worden waren. Gleichzeitig unterlagen sie umfassenden Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen (unter anderem Post- und Telefonkontrolle, Überwachung durch informelle Mitarbeiter, Abhören ihrer Wohnungen).

Im Juni 1990 wurden alle Aussteiger in der DDR festgenommen und mit Ausnahme von zwei Personen aus der ersten Aussteigergruppe, deren Straftaten inzwischen verjährt waren, durch Gerichte der Bundesrepublik Deutschland rechtskräftig zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt.

Zur Motivation der Angeklagten hat das Landgericht festgestellt, der Schutz der DDR vor terroristischen Anschlägen der RAF im eigenen Land, die Verhinderung weiterer Anschläge durch die RAF-Aussteiger, die Ruhigstellung des terroristischen Potentials durch "Durchbrechen des Teufelskreises" der Begehung von Straftaten zum Freipressen inhaftierter RAF-Mitglieder und die Resozialisierung der Aussteiger seien die eigentlichen Ziele des Handelns der Angeklagten gewesen. Die (versuchte) Vereitelung des Strafanspruchs der Bundesrepublik Deutschland habe sich lediglich als "Nebenfolge" dargestellt.

2. Das Landgericht hat das Verhalten der Angeklagten nach § 258 StGB beurteilt. Da der in dieser Norm vorausgesetzte Erfolg in der Bundesrepublik Deutschland eintreten sollte, seien die Taten der Angeklagten im Sinne der §§ 3, 9 Abs. 1 StGB im Inland begangen. Auf sie sei deshalb gemäß Art. 315 Abs. 4 EGStGB in der Fassung des Einigungsvertrages vom 23. September 1990 bundesdeutsches Recht anzuwenden.

Die Angeklagten hätten den Tatbestand der versuchten Strafvereitelung durch aktives Tun erfüllt, indem sie den mit Haftbefehl gesuchten ehemaligen Terroristen die Einreise in die DDR gestattet, ihnen eine neue Identität und die Einbürgerung mit Falschpersonalien verschafft, Wohnung und Arbeitsstelle besorgt, sie finanziell unterstützt und ihre Enttarnung verhindert hätten. Vollendete Strafvereitelung scheide aus, weil den Angeklagten nicht habe nachgewiesen werden können, daß diese ohne die Handlungen der Angeklagten wesentlich früher inhaftiert worden wären.

Aus den allgemeinen Regeln des Völkerrechts lasse sich keine zugunsten der Angeklagten wirkende Rechtfertigung ableiten, insbesondere auch nicht aus dem Recht eines Staates, den von einem anderen Staat Verfolgten Asyl zu gewähren. Abgesehen davon, daß die RAF-Aussteiger keine politisch Verfolgten, sondern Schwerkriminelle gewesen seien, weshalb eine eventuelle Berufung auf politisches Asyl ohnehin gegen die Grenzen der Asylrechtsgewährung verstoßen hätte, sei die Einbürgerung der RAF-Aussteiger gerade nicht nach dem hierfür maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen des Staatsbürgerschaftsgesetzes der DDR durchgeführt worden, sondern unter Umgehung und Täuschung der an sich zuständigen staatlichen Stellen.

II.

Die rechtliche Würdigung des Landgerichts begegnet durchgreifenden Bedenken.

1. Im Ansatz zutreffend geht das Landgericht allerdings davon aus, daß gemäß den §§ 3, 9 Abs. 1 StGB ein Strafanspruch der Bundesrepublik Deutschland gegen die Angeklagten wegen versuchter Strafvereitelung schon vor Inkrafttreten des Einigungsvertrages gegeben sein könnte, obwohl die Angeklagten als Staatsbürger der DDR von deren Territorium aus gehandelt haben.

a) Die DDR war - unabhängig von einer völkerrechtlichen Anerkennung durch die Bundesrepublik Deutschland - ein Staat im Sinne des Völkerrechts und als solcher Völkerrechtssubjekt. Demzufolge können für die Abgrenzung des Geltungsbereichs der jeweiligen Rechtsordnungen unbeschadet der Frage, ob zwischen den beiden deutschen Staaten besondere staatsrechtliche Beziehungen bestanden haben, die allgemeinen, auf einer gefestigten Übung der Staaten beruhenden allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG herangezogen werden (BVerfGE 92, 277, 320 m.w.N.). Diese ziehen der willkürlichen Vindikation staatlicher Strafgewalt insoweit Grenzen, als jeder Staat die Souveränität und Gleichberechtigung anderer Staaten zu achten hat (vgl. auch UN Declaration an Principles of International Law vom 24. Oktober 1970, Intern. Legal Materials, vol. IX 1970, p. 1292 [1295]). Auch in Anwendung dieses Grundsatzes sind jedoch Überschneidungen mehrerer staatlicher Strafansprüche, die an berechtigte innerstaatliche Interessen verschiedener Völkerrechtssubjekte anknüpfen, unvermeidbar. So folgt unstreitig aus der Gebietshoheit eines Staates dessen Legitimation, auf seinem Staatsgebiet begangene Taten auch dann strafrechtlich zu ahnden, wenn diese in der Person des Täters oder in Teilbereichen der Tatbestandsverwirklichung Auslandsbezug haben (vgl. BVerfGE aaO mit zahlr. Nachw.). Sowohl das in § 3 StGB kodifizierte allgemeine Territorialitätsprinzip als auch dessen konkrete Ausgestaltung in § 9 Abs. 1 StGB in Form des Ubiquitätsprinzips, das für die Begehung der Tat, außer auf den Ort der Handlung, auch auf den des Erfolgseintritts abstellt, stellen völkerrechtlich allgemein anerkannte Anknüpfungspunkte für den Geltungsanspruch nationalen Strafrechts dar (vgl. nur die Nachweise bei Germann SchwZStr 1954, 237 Fn. 3, 238 Fn. 1).

b) Spätestens mit der Umgestaltung der Strafvereitelung (vormals persönliche Begünstigung) vom Unternehmens- zum Erfolgsdelikt durch das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2. März 1974 ist die Vereitelung der Bestrafung unmittelbar Bestandteil des gesetzlichen Tatbestandes geworden und daher tatbestandlicher Erfolg im Sinne des § 9 Abs. 1 StGB. Daß dieser Erfolg aufgrund der allein deutschen Gerichten vorbehaltenen Strafgewalt stets im Inland eintritt, Strafvereitelung mithin zwangsläufig als Inlandstat gilt, schließt - wenngleich sie der Gesetzgeber nicht, wie andere besonders schutzwürdige inländische Rechtsgüter, in Anwendung des sogenannten Schutzprinzips in § 5 StGB ausdrücklich dem räumlichen Geltungsbereich des Strafgesetzbuchs unterstellt hat - die Anwendung des § 9 Abs. 1 StGB angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts nicht aus (a. A. Oehler, Internationales Strafrecht 2. Aufl. Rdn. 252, 264). Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs von § 258 StGB auf Taten, die durch eine im räumlichen Geltungsbereich ausgeübte Tätigkeit begangen werden, wie sie § 91 StGB für einige Delikte des politischen Strafrechts vorsieht, hat der Gesetzgeber nicht vorgenommen.

2. Trotz der grundsätzlichen Einbeziehung einer von Ausländern im Ausland bewirkten Unterstützung des Vortäters in den Anwendungsbereich des Strafgesetzbuchs unterliegt die Anwendbarkeit des § 258 StGB völkerrechtlichen Einschränkungen. Sie versteht sich trotz einer im Inland eingetretenen (oder vom Täter zumindest vorgestellten) Vereitelung der Bestrafung insbesondere dann nicht von selbst, wenn die Hilfeleistung im Ausland in staatlichem Auftrag erfolgt.

a) Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht eine versuchte Strafvereitelung der Angeklagten denn auch nicht schon darin gesehen, daß diese am Verbleiben der RAF-Aussteiger in der DDR mitgewirkt haben. Unterläßt es ein Staat, Straftäter, die sich auf sein Hoheitsgebiet geflüchtet haben, einem anderen Staat auszuliefern, so liegt in einem solchen Verhalten noch keine rechtswidrige Erfüllung des Tatbestandes des § 258 StGB. Eine allgemeine völkergewohnheitsrechtliche Verpflichtung zur Auslieferung besteht nicht. Eine Rechtspflicht wird vielmehr nur dadurch begründet, daß sich ein Staat durch bilaterale oder multilaterale Verträge unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet, auf ein entsprechendes Ersuchen seines Vertragspartners einen Einzelauslieferungsvertrag zu schließen (von Bubnoff, Auslieferung, Verfolgungsübernahme, Vollstreckungshilfe 1989, S. 10 f.; Gillmeister NJW 1991, 2245; Häde Der Staat Bd. 36 (1997), 1, 2 ff.; Ipsen, Völkerrecht 3. Aufl. § 46 Rdn. 8; Kimminich JZ 1980, 174, 175).

Entgegen der Auffassung des Landgerichts besteht eine völkerrechtliche Pflicht zur Auslieferung auch nicht etwa stets bei der Versagung politischen Asyls. Eine Asylgewährung bestimmt sich - im Gegensatz zur Auslieferung -nicht nach völkerrechtlichen Vereinbarungen, sondern nach den nationalen Verfassungen und innerstaatlichen Gesetzen. Sie stellt gegenüber der Auslieferung ein selbständiges Rechtsinstitut dar. Ein Zusammenhang zwischen beiden besteht nur insoweit, als in internationalen Auslieferungsverträgen in aller Regel der Vorbehalt aufgenommen ist, politisch Verfolgte auch dann von einer Auslieferungspflicht auszunehmen, wenn deren übrige Voraussetzungen vorliegen.

Ein multi- oder bilaterales Abkommen, das die DDR zur Auslieferung eines Straftäters an die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet hätte, bestand zur Tatzeit nicht. Im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland war die DDR weder Vertragspartner des Europäischen Auslieferungsabkommens vom 13. Dezember 1957 (BGBl. 1964 II 1369, 1371; 1976 II 1778) noch des Europäischen Übereinkommens zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Januar 1977 (BGBl. 1978 II 321, 907). Eine Auslieferungspflicht kann angesichts der allgemeinen Formulierung dieser Bestimmung auch nicht der in Art. 1 des Grundlagenvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 21. Dezember 1972 (BGBl. 1973 II 423) aufgenommenen Absichtserklärung zur Entwicklung "normaler, gutnachbarlicher Beziehungen" zwischen beiden Staaten entnommen werden. Gleiches gilt für Ziffer II 4 des Zusatzprotokolls, in dem die Vertragspartner ihre Bereitschaft erklären, den Rechtsverkehr - auch auf dem Gebiet des Strafrechts - so einfach und zweckmäßig wie möglich zu gestalten (anders wohl Roggemann, Strafrechtsanwendung und Rechtshilfe zwischen beiden deutschen Staaten 1975 S. 85 ff.).

In der Nichtauslieferung der in der Bundesrepublik Deutschland gesuchten ehemaligen RAF-Mitglieder liegt daher ohne Rücksicht auf eine unterbliebene asylrechtliche Prüfung der Vorgänge durch die hierfür zuständigen Behörden der DDR mangels einer entsprechenden völkerrechtlichen Rechtspflicht der DDR keine rechtswidrige Erfüllung des Tatbestandes des § 258 StGB.

b) Ebensowenig war die DDR völkerrechtlich gehalten, der Bundesrepublik Deutschland den Aufenthaltsort der Gesuchten mitzuteilen, um ihr Gelegenheit zu geben, Auslieferungsbegehren zu stellen. Die im Blick auf das internationale Ansehen der DDR erfolgte Verheimlichung der gesamten Vorgänge um die Aufnahme der RAF-Aussteiger ist in Bezug auf den Rechtsgüterschutz der Bundesrepublik ohne Bedeutung. Insbesondere kann die für das Beherbergen gesuchter Straftäter im Inland entwickelte Rechtsprechung, nach der zwar nicht die bloße Obdachgewährung, wohl aber ein gezieltes Verstecken vor den Strafverfolgungsbehörden den Tatbestand des § 258 StGB erfüllen soll (vgl. OLG Stuttgart NJW 1981, 1569; OLG Koblenz NJW 1982, 2785), auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden. Hier hätte ein Zugriff Bundesdeutscher Verfolgungsbehörden auf die in der DDR aufhältlichen ehemaligen Terroristen auch dann nicht erfolgen können, wenn deren Aufenthaltsort bekannt gewesen wäre. Eine andere strafrechtliche Beurteilung könnte sich aus der Geheimhaltung allenfalls dann ergeben, wenn bei einer Einbindung der für Auslieferungsentscheidungen zuständigen Behörden der DDR eine andere Entscheidung über den Verbleib der RAF-Anhänger zu erwarten gewesen wäre. Dies scheidet jedoch sowohl angesichts der besonderen politischen Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland als auch angesichts der innerstaatlichen Struktur der DDR aus. So kann insbesondere nicht davon ausgegangen werden, daß sich das gemäß § 6 Ausländergesetz-DDR für die Genehmigung des Aufenthalts von Ausländern in der DDR und die Entgegennahme von Einbürgerungsanträgen zuständige Ministerium des Innern den Vorgaben des Ministeriums für Staatssicherheit widersetzt hätte.

3. Über die von konspirativen Maßnahmen begleitete Nichtauslieferung der RAF-Aussteiger sind die Angeklagten allerdings insoweit hinausgegangen, als sie daran mitgewirkt haben, daß den ehemaligen Terroristen zu einem Zeitpunkt, als sich die von der Bundesrepublik Deutschland gesuchten Straftäter noch außerhalb des Hoheitsgebiets der DDR befanden, Aufnahme und materielle Unterstützung in der DDR zugesagt wurde. Indes vermag auch dieses Verhalten - entgegen der Auffassung des Landgerichts - eine Verurteilung der Angeklagten wegen Strafvereitelung nicht zu tragen.

Zwar läuft das konkrete Angebot an einen auf der Flucht befindlichen Terroristen, im eigenen Land ihm Aufnahme, Lebensunterhalt und Schutz vor Strafverfolgung zu gewähren, dem Schutzzweck des Strafvereitelungstatbestandes in schwerwiegender Weise zuwider. Es bietet nämlich nicht nur dem bereits gesuchten Straftäter einen besonderen Anreiz, sich ohne jedes Risiko für zukünftiges Wohlergehen durch einen Wechsel auf fremdes Territorium dem Zugriff der Ermittlungsbehörden seines Heimatstaates endgültig zu entziehen, sondern gibt - wie im vorliegenden Fall besonders deutlich - auch den noch aktiven Terroristen die weitgehende Gewähr, sich nach künftigen Straftaten in gleicher Weise der strafrechtlichen Verfolgung entziehen zu können. Über die Wirkung der - spezial- und generalpräventiven Erfordernissen im Bereich internationaler Terrorismusbekämpfung ebenfalls zuwiderlaufenden, aus den unter II 2 a dargestellten Gründen straflosen - Übung einiger Staaten, Terroristen, denen die Flucht auf ihr Hoheitsgebiet gelungen ist, grundsätzlich nicht auszuliefern, geht ein solches Angebot aber nicht wesentlich hinaus. Hinter einer aktiven Unterstützung, die ein Staat einem Straftäter außerhalb seines Staatsgebiets etwa in Form finanzieller Zuwendungen oder Bereitstellung gefälschter Dokumente gewährt, bleibt eine solche Verhaltensweise zurück. Es kommt in Betracht, daß das staatliche Handeln, an dem die Angeklagten weisungsgemäß mitgewirkt haben, völkerrechtlich noch gedeckt ist, und zwar durch das aus der Souveränität eines jeden Staates abgeleitete Recht, die Einreise in das eigene Hoheitsgebiet ohne Rücksicht auf die Interessen anderer Staaten zu gestatten und auch die Gestaltung der Lebensverhältnisse nach erfolgter Einreise ausschließlich an innerstaatlichen Interessen auszurichten.

Dies kann der Senat jedoch offenlassen, da die Angeklagten insoweit möglicherweise subjektiv kein Schuldvorwurf trifft: Die objektive Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit ihres Tuns unterstellt, kann den Angeklagten angesichts der schwierigen, von schwer zu konturierenden völkerrechtlichen Grundsätzen beeinflußten Rechtslage auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht widerlegt werden, daß sie sich - entsprechend ihrer Einlassung - bezüglich einer nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland strafbaren Strafvereitelung in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB befunden haben. Daß weitergehende Feststellungen hierzu noch nachholbar sind, schließt der Senat aus.

4. Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht auch eine Strafbarkeit der Angeklagten wegen Begünstigung gemäß § 233 StGB-DDR, die sich aus einem auf Vereitelung von Strafansprüchen der DDR gerichteten Beistandleisten der Angeklagten ergeben könnte, verneint.

Allerdings wäre nach § 233 StGB-DDR aus dem Gesichtspunkt der stellvertretenden Strafrechtspflege eine Strafverfolgung in der DDR grundsätzlich möglich gewesen (vgl. § 80 Abs. 3 Nr. 5 StGB-DDR in der zur Tatzeit geltenden Fassung). Dazu hätte es einer Zustimmung oder Veranlassung des Generalstaatsanwalts der DDR bedurft (§ 80 Abs. 4 StGB-DDR in der zur Tatzeit geltenden Fassung). Ob dessen Zustimmung hätte herbeigeführt und gegebenenfalls erteilt werden müssen (auch im Hinblick auf völkerrechtliche Verpflichtungen der DDR), braucht der Senat nicht zu entscheiden. Selbst wenn dies zuträfe und die Angeklagten damit gegen § 233 StGB-DDR verstoßen hätten, wären sie für diese Gesetzesverstöße nach § 258 Abs. 1 StGB-DDR nicht verantwortlich.

Als Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit waren sie aufgrund von Beschlüssen des Nationalen Verteidigungsrates der DDR Personen, die Wehrdienst ableisteten, gleichgestellt und damit Militärpersonen im Sinne des § 251 Abs. 2 StGB-DDR (Kommentar zum StGB-DDR 1987 § 251 Rdn. 2). Als solche wären sie gemäß § 258 Abs. 1 StGB-DDR für die Handlungen, die sie aufgrund der ihnen von Minister Mielke erteilten Befehle im Zusammenhang mit der Aufnahme der RAF-Aussteiger in der DDR begangen haben, nur dann strafrechtlich verantwortlich, wenn die Ausführung der Befehle offensichtlich gegen die anerkannten Regeln des Völkerrechts oder gegen Strafgesetze verstoßen hätte. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt.

Auch wenn das Gewicht der in der Bundesrepublik Deutschland begangenen terroristisch motivierten Kapitalverbrechen aus rechtsstaatlicher Sicht eine Strafverfolgung der RAF-Aussteiger geboten hätte, so mußte sich der Verzicht auf Strafverfolgung den Angeklagten nicht als offensichtlich rechtswidriger Willkürakt darstellen. Dies gilt jedenfalls deshalb, weil das Unterbleiben der Strafverfolgung nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts aus der Sicht der Angeklagten geeignet war, der künftigen Begehung vergleichbar schwerer Straftaten im In- und Ausland zum Freipressen inhaftierter Gesinnungsgenossen entgegenzuwirken und terroristisches Potential ruhigzustellen. Mit der Nichtverfolgung innerstaatlich begangener Kapitalverbrechen aus politischen Gründen ist der hier zu beurteilende Sachverhalt nicht vergleichbar.

III.

Das angefochtene Urteil ist daher auf die Revisionen der Angeklagten Dr. D. und Z. aufzuheben. Da die Aufhebung aufgrund einer fehlerhaften Beurteilung der subjektiven Tatseite beruht und ergänzende Feststellungen insoweit nicht zu erwarten sind, spricht der Senat diese Angeklagten gemäß § 354 Abs. 1 StPO frei. Die Entscheidung erstreckt sich gemäß § 357 StPO auch auf den Angeklagten Dr. J. der kein Rechtsmittel eingelegt hat.

Die auf den Strafausspruch beschränkten vom Generalbundesanwalt nicht vertretenen Revisionen der Staatsanwaltschaft sind danach zu verwerfen, da mit dem Wegfall des Schuldspruchs die Grundlage für eine Strafzumessung entfallen ist.

Externe Fundstellen: BGHSt 44, 52; NJW 1998, 2610

Bearbeiter: Rocco Beck