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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 37/96, Beschluss v. 30.07.1996, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 5 StR 37/96 - Beschluß vom 30. Juli 1996 (KG Berlin)

BGHSt 42, 200; Fahrlässigkeitstatbestand des § 30a Abs. 4 BNatSchG (Voraussetzung der vorsätzlichen Verwirklichung des § 30 Abs. 1 BNatSchG).

§ 30 BNatSchG; § 30a BNatSchG; § 15 StGB

Leitsatz

Der Tatbestand des Vergehens nach § 30a Abs. 4 (in Verbindung mit Abs. 2) Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) setzt eine in § 30 Abs. 1 BNatSchG bezeichnete vorsätzliche Handlung voraus. (BGHSt)

Entscheidungstenor

Der Tatbestand des Vergehens nach § 30a Abs. 4 (in Verbindung mit Abs. 2) Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) setzt eine in § 30 Abs. 1 BNatSchG bezeichnete vorsätzliche Handlung voraus.

Gründe

Die Vorlegungssache betrifft die Frage, ob § 30a Abs. 4 BNatSchG in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. März 1987 (BGBl I 889) eine vorsätzliche Zuwiderhandlung gegen § 30 Abs. 1 BNatSchG voraussetzt.

Die Strafvorschrift des § 30a BNatSchG lautet:

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine in § 30 Abs. 1 bezeichnete vorsätzliche Handlung gewerbs- oder gewohnheitsmäßig begeht.

(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine in § 30 Abs. 1 bezeichnete vorsätzliche Handlung begeht, die sich auf Tiere oder Pflanzen einer vom Aussterben bedrohten Art bezieht.

(3) Wer in den Fällen des Absatzes 2 die Tat gewerbs- oder gewohnheitsmäßig begeht, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(4) Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu einhundertachtzig Tagessätzen.

Die in Bezug genommene Bußgeldvorschrift des § 30 Abs. 1 BNatSchG lautet, soweit sie hier in Betracht kommt:

Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig ...

3. entgegen § 20f Abs. 2 Nr. 2 oder Artikel 6 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 3626/82 Tiere oder Pflanzen einer besonders geschützten Art verkauft, sie zum Verkauf vorrätig hält, anbietet oder befördert oder sie zu kommerziellen Zwecken zur Schau stellt,...

I.

Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, in der Auslage des von ihm betriebenen An- und Verkaufsgeschäfts verschiedene aus Elfenbein des afrikanischen oder asiatischen Elefanten gefertigte Gegenstände zum Verkauf bereitgehalten zu haben. Das Fertigungsmaterial hatte der Angeklagte - von Beruf gelernter Schaufenstergestalter - irrtümlich für "Bein" oder "Horn" gehalten. Das Amtsgericht hat ihn wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG zu einer Geldbuße von DM 2.500 verurteilt.

Mit ihrer Revision gegen das amtsgerichtliche Urteil beanstandet die Staatsanwaltschaft, das Amtsgericht habe in der irrigen Auffassung, § 30a Abs. 4 BNatSchG setze eine vorsätzliche Handlung im Sinne des § 30 Abs. 1 BNatSchG voraus, zu Unrecht von einer Verurteilung wegen eines fahrlässigen Vergehens nach § 30a Abs. 4 BNatSchG (in Verbindung mit Absatz 2 dieser Vorschrift) abgesehen.

Das Kammergericht möchte der Revision der Staatsanwaltschaft stattgeben: Die Auslegung der Gesetzesregelung ergebe, daß sie "generell Fahrlässigkeitstaten im Sinne des § 30 Abs. 1 BNatSchG" erfasse, "wenn die zusätzlich in den § 30a Abs. 1 bis 3 BNatSchG normierten Tatbestandsmerkmale vorliegen". An der beabsichtigten Entscheidung sieht sich das Kammergericht durch das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 23. März 1993 - 2 Ss 18/93 - (NStZ 1993, 346) gehindert, nach dem die Strafbarkeit nach § 30a Abs. 4 BNatSchG (in Verbindung mit Absatz 2 dieser Vorschrift) eine vorsätzliche Handlung nach § 30 Abs. 1 BNatSchG zur Voraussetzung habe; Fahrlässigkeit genüge nur hinsichtlich verbleibender Tatbestandsmerkmale.

Das Kammergericht hat die Sache gemäß § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung über folgende Rechtsfrage vorgelegt:

Setzt ein fahrlässiges Vergehen nach § 30a Abs. 4 BNatSchG in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. März 1987 (BGBl. I S. 889) eine vorsätzliche Verwirklichung des Grundtatbestandes der Ordnungswidrigkeit nach § 30 Abs. 1 BNatSchG voraus?

Der Generalbundesanwalt teilt die Rechtsauffassung des Hanseatischen Oberlandesgerichts. Sie entspreche dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes und dem Willen des Gesetzgebers, wie er sich aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes ableiten lasse. Der Generalbundesanwalt hat daher beantragt zu beschließen:

Der Tatbestand eines Vergehens nach § 30a Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 2 BNatSchG setzt als Tathandlung eine in § 30 Abs. 1 BNatSchG bezeichnete vorsätzliche Handlung voraus.

II.

Die Voraussetzungen für eine Vorlegung nach § 121 Abs. 2 in Verbindung mit § 121 Abs. 1 Nr. 1 lit. a GVG sind gegeben. Durch die beabsichtigte Sachbehandlung würde das Kammergericht in der entscheidungserheblichen Rechtsfrage von der tragenden Rechtsauffassung des angeführten Urteils des Hanseatischen Oberlandesgerichts abweichen. Der zweite Strafsenat dieses Gerichts hat auf Anfrage des vorlegenden Gerichts mitgeteilt, daß er an seiner Rechtsauffassung festhalte.

III.

Der Senat beantwortet die Vorlegungsfrage wie aus der Beschlußformel ersichtlich. Hierbei ist die Vorlegungsfrage nach Maßgabe ihrer Entscheidungserheblichkeit auf ein Vergehen nach § 30a Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 2 BNatSchG zu beschränken.

1. Die Vorlegungsfrage betrifft die Bedeutung des Wortes "vorsätzliche" in dem - in § 30a Absätzen 1 und 2 BNatSchG jeweils gleichlautenden - Tatbestandsmerkmal "eine in § 30 Abs. 1 bezeichnete vorsätzliche Handlung". Ob für den Regelungsgehalt der Absätze 1 und 2 das Wort "vorsätzliche" jeweils von rechtlicher Substanz ist, mag fraglich sein. Beim Hinwegdenken des Wortes könnte § 15 StGB entnommen werden, daß beide Strafvorschriften nur vorsätzliches Handeln unter Strafe stellen; fahrlässiges Handeln ist danach nur dann mit Strafe bedroht, wenn das Gesetz dies ausdrücklich ausspricht. Dies geschieht in § 30a Abs. 4 BNatSchG. Für die Auslegung dieser Vorschrift ist die Verwendung des Wortes "vorsätzliche" von Bedeutung. Der Wortlaut dieser Vorschrift läßt an zwei Auslegungen denken: Nach der ersten müßte - unschädlich wegen § 15 StGB - das Wort "vorsätzliche" in den Absätzen 1 und 2 hinweggedacht werden, was zur Folge hätte, daß auch die Merkmale des § 30 Abs. 1 BNatSchG fahrlässig erfüllt werden könnten; nach der zweiten hätte das vom Gesetzgeber ausdrücklich eingeführte Wort "vorsätzliche" zur Konsequenz, daß Strafbarkeit dort nur gegeben wäre, wenn die Handlungen im Sinne des § 30 Abs. 1 BNatSchG vorsätzlich, die weiteren "eigenen" Tatbestandsmerkmale des § 30a Abs. 1 und 2 BNatSchG wenigstens fahrlässig verwirklicht wären. Weil das Wort "vorsätzliche" jeweils als Adjektivattribut dem bestimmten Tatbestandsmerkmal der "Handlung" in Absätzen 1 und 2 und nicht als adverbiale Bestimmung ("vorsätzlich") sämtlichen Tatbestandsmerkmalen zugeordnet ist, legt der Wortlaut die letztgenannte Auslegung deutlich näher.

Die erstgenannte andere Auslegung wäre allenfalls erwägenswert, wenn nur sie der Vorschrift einen denkbaren Regelungsgehalt gäbe; dies ist jedoch nicht der Fall: Entsprechend der nach dem Wortlaut näherliegenden Interpretation ist gemäß § 30a Abs. 4 BNatSchG in Verbindung mit seinem Absatz 2 strafbar, wer die in § 30 Abs. 1 BNatSchG bezeichnete Handlung ("Tiere oder Pflanzen einer besonders geschützten Art" betreffend) vorsätzlich und das ergänzende Merkmal ("Tiere oder Pflanzen einer vom Aussterben bedrohten Art") fahrlässig begeht. Eine solche "Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination" ist dem Strafrecht nicht fremd. Ihre Verwirklichung ist bei der Anwendung der in Frage stehenden Vorschriften auch praktisch nicht gänzlich ausgeschlossen. Die Vorschrift in der nach dem Wortlaut näherliegenden Auslegung birgt deshalb einen - wenn auch geringen - Regelungsgehalt.

Entsprechendes gilt naheliegend nicht für § 30a Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 1 BNatSchG. Hier bleiben als Bezugspunkte der Fahrlässigkeit nur Gewerbs- und Gewohnheitsmäßigkeit und damit Merkmale, die schwerlich fahrlässig erfüllt werden können. Dies führt gleichwohl nicht dazu, daß die zu diesem Ergebnis führende Auslegung auszuscheiden hätte. Denn in diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, daß § 30a Abs. 1 BNatSchG, der das alleinige Zusatzmerkmal der Gewerbs- oder Gewohnheitsmäßigkeit enthält, erst gegen Ende des Gesetzgebungsverfahrens auf Initiative des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit eingebracht worden ist (BT-Drucks. 10/6341 vom 5. November 1986). Es liegt nicht fern, daß in dieser fortgeschrittenen Phase des Gesetzgebungsverfahrens, das mit dem Änderungsgesetz vom 10. Dezember 1986 abgeschlossen wurde, übersehen worden ist, eine differenzierende Anpassung des § 30a Abs. 4 BNatSchG vorzunehmen.

2. Eindeutige Argumente für die eine oder andere Auslegung hat der Senat der Entstehungsgeschichte des Gesetzes nicht zu entnehmen vermocht.

Sinn und Zweck des Gesetzes stehen dem hier gefundenen Ergebnis jedenfalls nicht schlechterdings entgegen. Fahrlässige Verstöße gegen den Naturschutz, die auf der Grundlage dieser Auslegung nicht nach § 30a BNatSchG strafbar sind, stellen gegenüber dem, was strafbar bleibt, geringerwertiges Unrecht dar. Sie bleiben gleichwohl nicht ungeahndet, können vielmehr als Ordnungswidrigkeiten im Sinne des § 30 BNatSchG mit Geldbußen bis zu DM 50.000 belegt werden.

Externe Fundstellen: BGHSt 42, 200; NJW 1996, 3219; NStZ 1996, 606

Bearbeiter: Rocco Beck