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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 434/94, Urteil v. 10.03.1995, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 5 StR 434/94 - Urteil vom 10. März 1995 (LG Berlin)

BGHSt 41, 72; Strafverfahren gegen Erich Mielke wegen Heimtückemord am Bülow-Platz in Berlin am 9. August 1931 (Frage des Verfahrenshindernisses wegen Zeitablaufs).

§ 211 StGB

Leitsätze des BGH

Der Mord am Bülow-Platz im Jahre 1931: 1. Die Lückenhaftigkeit der Ermittlungsakten ist kein Verfahrenshindernis. (BGHSt)

2. Die Strafverfolgung ist nicht verjährt. (BGHSt)

3. Verwertbarkeit der Aussage eines Zeugen, der zur Tatzeit Mitglied der KPD, später Mitglied der SA war. (BGHSt)

4. Besonderheiten der Beweiswürdigung. (BGHSt)

5. Außergewöhnliche Umstände i.S.v. BGH, 19. Mai 1981, GSSt 1/81, BGHSt 30, 105 wegen langen Zeitablaufs? (BGHSt)

Entscheidungstenor

Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 26. Oktober 1993 werden verworfen.

Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, während die Staatskasse die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten durch dieses Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen trägt.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen in Tateinheit begangenen Mordes in zwei Fällen und versuchten Mordes zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Revision des Angeklagten und zu seinen Ungunsten die auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft.

Beide Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.

A.

Sachverhalt

Nach den Feststellungen war der Angeklagte seit 1925 Mitglied der KPD und für diese Partei auch tätig. Seit Anfang des Jahres 1931 gehörte er dem Ordnungsdienst im Karl-Liebknecht-Haus am Bülow-Platz in Berlin an, wo die Zentrale der KPD ihren Sitz hatte.

Im Jahre 1931 war es auf dem Bülow-Platz wiederholt zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und Teilen der Bevölkerung gekommen. So wurde am 8. August 1931 ein Arbeiter namens A. von einem Polizeibeamten erschossen. Schon vor diesem Vorfall waren schriftlich und mündlich Drohungen gegen die am Bülow-Platz tätigen, der Bevölkerung bekannten Polizeibeamten Polizeihauptmann An. (Spitzname "Schweinebacke"), Polizeihauptmann W. ("Husar") und Polizeihauptwachtmeister B. ("Totenkopf") erhoben worden. Eine Drohung vom 7. August 1931 endete mit den Worten: "Eure Stunde ist jetzt gekommen". Auch fand sich an demselben Tag am Hauseingang des Polizeireviers eine Kreideinschrift: "Für einen erschossenen Arbeiter fallen 2 SchuPo-Offiziere! Rotfront. RFB lebt, nimmt Rache."

Am 9. August 1931 fand in Preußen eine von Kommunisten und Nationalsozialisten gemeinsam initiierte Volksabstimmung mit dem Ziel des Sturzes der sozialdemokratisch geführten preußischen Regierung statt. Um den Bülow-Platz wurden Unruhen aus diesem Anlaß erwartet und deshalb die Polizeipräsenz verstärkt. Nach 20.00 Uhr unternahmen die Polizeibeamten An., W. und der an diesem Tag zusätzlich eingesetzte Polizeihauptmann Le. zu Fuß einen Kontrollgang von der Polizeiwache in der Hankestraße durch die Weydinger Straße Richtung Karl-Liebknecht-Haus. Vor dem Karl-Liebknecht-Haus riet der dort eingesetzte Beamte B., den Bülow-Platz räumen zu lassen. Es befänden sich rund 800 bis 1000 Menschen auf dem Platz, die Stimmung sei nicht mehr friedlich und er habe Äußerungen gehört, wie "Totenkopf", "wo bleibt denn Schweinebacke" und "na es kommt gleich".

Die drei Beamten gingen daraufhin wieder durch die Weydinger Straße zurück Richtung Hankestraße, wobei sie zunächst die Fahrbahn, später den Gehweg benutzten. In ihrer unmittelbaren Nähe befanden sich zunächst keine anderen Personen. Kurz vor der Einmündung der Hankestraße näherten sich den Beamten von hinten der Angeklagte, Z. und zwei weitere Personen sehr schnell. Aus einer Entfernung von vier bis fünf Metern schossen mindestens M. und Z. mit Pistolen auf die drei Polizeibeamten, um diese, "deren Arg- und Wehrlosigkeit ausnutzend", zu töten. Als W., der das Kommando "Du Husar, Du Schweinebacke und Du den anderen" gehört hatte, sich umdrehen wollte, sah er bereits das Mündungsfeuer und nahm mindestens sechs Schüsse wahr. An. und Le. wurden getötet, W. wurde schwer verletzt, überlebte aber.

B.

Verfahrensvoraussetzungen

I. Verhandlungsfähigkeit im Revisionsverfahren

Der Senat hat die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten im vorliegenden Revisionsverfahren im Beschluß vom 8. Februar 1995 (für BGHSt bestimmt) bejaht. Er hat entschieden, daß es für die Verhandlungsfähigkeit im Revisionsverfahren ausreiche, wenn der Angeklagte mindestens zeitweilig zu einer Grundübereinkunft mit seinen Verteidigern über die Fortführung oder Rücknahme des Rechtsmittels in der Lage sei und daß diese Voraussetzungen zum Zeitpunkt der genannten Entscheidung vorlägen. Die Verfassungsbeschwerde gegen diese Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Februar 1995 - 2 BvR 345/95 -). An seiner Rechtsauffassung hält der Senat fest.

Tatsächliche Gründe, die jetzt zu einer anderen Beurteilung Anlaß geben könnten, sind nicht ersichtlich.

Der Senat hat im Hinblick auf die am 8. März 1995 begonnene Hauptverhandlung im Revisionsverfahren ein ergänzendes Gutachten des Sachverständigen Me. vom 5. März 1995 eingeholt. Der Sachverständige, der schon am 31. Mai 1994 und am 20. Januar 1995 Gutachten zur Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten erstattet hatte, hat den Angeklagten am 3. März 1995 erneut exploriert. Er fand den Angeklagten bewußtseinsklar und zur Person orientiert. Der Angeklagte erkannte den Sachverständigen, wußte von der bevorstehenden Verhandlung vor dem Revisionsgericht, war sich aber nicht klar darüber, ob er in der Revisionshauptverhandlung anwesend sein müßte. Die Namen seiner Verteidiger kannte er, er wußte auch, daß Rechtsanwalt D. die "Verjährungssache" bearbeitet. Von der Revisionshauptverhandlung erwartete er Einstellung oder Freispruch; "alle" hätten ihm gesagt, das Urteil des Landgerichts werde aufgehoben. Den erneuten Auftrag des Vorsitzenden des Strafsenats an den Sachverständigen vom 2. März 1995 las der Angeklagte und fragte darauf den Sachverständigen, ob sein Verteidiger Dr. K. Bescheid wisse. Auf diesen verwies er auch sonst bei verfahrensrechtlich relevanten Fragen. Dem Sachverständigen fiel beim Angeklagten vor allem eine psychische Verlangsamung, abgesehen von einer deutlich nachlassenden physischen Beweglichkeit und jetzt einer deutlich gebeugten Haltung auf. Gegen die Vorstellung, aufgrund der Revisionshauptverhandlung nicht freigelassen zu werden, schien er sich zu sträuben; er bemühte sich aber, die vom Sachverständigen angeschnittenen drei Themenkreise für die Rücksprache mit seinen Anwälten sich zu merken.

Der Sachverständige beurteilt den Angeklagten dahin, daß altersbedingte Leistungseinbußen immer deutlicher hervorträten. Der Sachverständige sieht zahlreiche Anzeichen dafür, "wie sehr Herr M. bereits von einer eigenständigen Gestaltung seines unmittelbaren Alltags entfernt ist. Soweit ersichtlich, vermag er selber keine Überlegungen zu entwickeln, die einen ernsthaften Beitrag zur Klärung von Sachfragen darstellen". Die Bemerkung des Angeklagten, er habe wohl das Urteil der Kammer von Dr. S. gelesen, habe wie eine Pflichtübung gewirkt. Maßnahmen schienen vollständig dem Gutdünken und dem Einsatz der Verteidiger überlassen.

Zusammenfassend beurteilt der Sachverständige den Gesundheitszustand des Angeklagten dahin, daß dieser zu einer Grundübereinkunft über Fortführung oder Rücknahme des Rechtsmittels mit seinen Anwälten in der Lage sei, wobei sich der Angeklagte, überwiegend seinen Hoffnungen folgend, deren Rat und Entscheidung fügen werde.

Die Verteidigung sieht in den Ausführungen des Gutachtens den Beleg dafür, daß die vom Senat vorausgesetzte Grundübereinkunft zwischen Verteidigung und Angeklagtem über die Fortführung oder Rücknahme des Rechtsmittels nicht mehr gewährleistet sei. Dies kann der Senat dem Gutachten nicht entnehmen. Zwar befaßt sich der Angeklagte nicht mehr mit Einzelheiten. Er kennt aber den Gegenstand des Verfahrens, weiß um seine Prozeßrolle, ist sich darüber im klaren, daß der Bundesgerichtshof über die Richtigkeit des landgerichtlichen Urteils, das er gelesen hat, zu befinden hat und wie seine Verteidiger ihre Aufgaben unter sich geteilt haben.

Daß er seinen Verteidigern keine wesentliche Hilfestellung für das Revisionsverfahren geben kann, stellt seine Verhandlungsfähigkeit in diesem Stadium des Verfahrens nicht in Frage. Aus der Tatsache, daß in manchen Fällen ein Angeklagter dem Verteidiger für die Revisionsbegründung wertvolle Hinweise geben kann, folgt nicht, daß die Fähigkeit zu einer solchen Unterstützung notwendige Voraussetzung des Revisionsverfahrens wäre.

Der erneuten Anhörung eines Sachverständigen zur Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten bedurfte es entgegen einem Antrag der Verteidigung in der Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht nicht.

II. Anklage und Eröffnungsbeschluß

Die Revision des Angeklagten macht ein Verfahrenshindernis geltend mit der Begründung, Anklagesatz und Eröffnungsbeschluß enthielten "weder eine nähere Bezeichnung des Tatzeitpunktes, noch eine Bezeichnung des Tatortes, noch enthält sie (gemeint ist die Anklageschrift) irgendeinen konkreten Anklagesatz".

Der Einwand trifft nicht zu.

1. Die Anklageschrift hat die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, daß die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist: Sie muß sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen. Es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll. Fehlt es hieran, ist die Anklage unwirksam (std. Rspr.; vgl. BGHSt 40, 44, 45 m. N.; BGH Urteil vom 25. Januar 1995 - 3 StR 448/94 -).

Welche Angaben zur ausreichenden Bestimmung des Verfahrensgegenstandes erforderlich sind, läßt sich nicht für alle Fälle in gleicher Weise sagen. Die Tötung eines Menschen wird regelmäßig durch Mitteilung der Person des Opfers ausreichend individualisiert (BGHSt 40, 44, 46).

Dies ist im vorliegenden Fall geschehen. Der Anklagesatz enthält die Tatzeit und die Namen der Tatopfer. Damit ist der dem Angeklagten gemachte Vorwurf eindeutig und zweifelsfrei abgegrenzt. Ein Verfahrenshindernis liegt nicht vor.

2. Soweit die Revision darüber hinaus Mängel von Anklage und Eröffnungsbeschluß geltend macht, betreffen diese die weitere Aufgabe der Anklage, den Angeklagten und die übrigen Verfahrensbeteiligten über weitere Einzelheiten des Vorwurfs zu unterrichten, um ihnen Gelegenheit zu geben, ihr Prozeßverhalten auf den mit der Anklage erhobenen Vorwurf einzustellen. Mängel der Anklage in dieser Hinsicht führen nicht zu ihrer Unwirksamkeit (BGHSt 40, 44, 45; BGH, Urteil vom 25. Januar 1995 - 3 StR 448/94 -). Insoweit können Fehler auch noch im Eröffnungsbeschluß und in der Hauptverhandlung durch entsprechende Hinweise geheilt werden.

Unterbleiben solche Hinweise, liegen allenfalls Verfahrensfehler (§ 337 StPO) vor, die der Prüfung des Revisionsgerichts auf eine ordnungsgemäß ausgeführte Verfahrensrüge (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) unterliegen. Vorsorglich bemerkt der Senat, daß auch solche Mängel nicht ersichtlich sind. Der dem Angeklagten im einzelnen vorgeworfene Sachverhalt ist dem in der Anklageschrift enthaltenen Ergebnis der Voruntersuchung zu entnehmen und der Hinweis, der Angeklagte sei hinreichend verdächtig, heimtückisch einen Menschen getötet zu haben, erfolgte im Eröffnungsbeschluß. In welchem Verhalten das Landgericht Heimtücke sah, hat es unter anderem in einem umfangreichen Beschluß zur Frage der Verfahrenseinstellung wegen Verjährung vom 28. Februar 1992 dargelegt.

III. Faires Verfahren

1. Die Revision des Angeklagten behauptet, die Ermittlungsakten seien zum Nachteil des Angeklagten manipuliert worden, und macht deshalb ein Verfahrenshindernis unter dem Aspekt des Verstoßes gegen das faire Verfahren geltend.

Die Ermittlungsakten seien für die Zeit vor 1933 nur bruchstückhaft erhalten. Wichtige Ermittlungsvorgänge, wie Tatortberichte und Erstvernehmungen fehlten, so daß eine Überprüfung des vorhandenen Beweismaterials durch die Verteidigung nur schwer oder gar nicht möglich sei.

2. Der Senat verkennt nicht, daß Lücken in den Ermittlungsakten die Vorbereitung der Verteidigung und die Wahrheitsfindung des Gerichts erschweren können. Solche Mängel in den Beweisgrundlagen führen indes nicht zu einem Verfahrenshindernis.

Ein Verfahrenshindernis setzt Umstände voraus, die so schwer wiegen, daß von ihrem Vorhanden- oder Nichtvorhandensein die Zulässigkeit des gesamten Verfahrens abhängig gemacht werden muß (BGHSt 32, 345, 350; 36, 294, 295; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 41. Aufl. Einl. Rdn. 140).

Diese Grundsätze gelten auch für Verstöße gegen das Rechtsstaatsprinzip (BGHSt 32, 345, 350). Bei der Weite und Unbestimmtheit dieses Grundsatzes verbieten sich unterschiedslose verfahrensrechtliche Folgen bei Verletzungen von selbst (BGHSt 32, 345, 350). Hinzu kommt, daß Verfahrenshindernisse schon aus Gründen der Rechtssicherheit an Tatsachen anknüpfen müssen und nicht Ergebnisse von Wertungen sein dürfen (BGHSt 32, 345, 350 m. N.; Rieß JR 1985, 45, 48).

Diese Voraussetzungen liegen bei Mängeln der Beweisgrundlage auch dann nicht vor, wenn die Akten, wie die Revision behauptet, "manipuliert" worden sein sollten.

Solchen Mängeln kann der Tatrichter im Rahmen seiner Beweiswürdigung hinreichend Rechnung tragen, wobei es Fälle geben mag, bei der die Lückenhaftigkeit der Beweisgrundlage so groß ist, daß der Tatrichter wegen dieser Lückenhaftigkeit zu einer zweifelsfreien Überzeugung von der Schuld des Angeklagten nicht kommen kann und deshalb freisprechen muß.

Ein Verfahrenshindernis liegt nach alledem nicht vor.

Im übrigen hat das Landgericht die Lückenhaftigkeit der Akten gesehen, aber für eine bewußte Manipulation ihres Bestandes keine Anhaltspunkte gefunden. Soweit ein vom Landgericht gehörter Sachverständiger allein aus dem Aktenzeichen und aus Umpaginierungen auf Manipulationen geschlossen hat, hat das Landgericht zutreffend auf die Unrichtigkeit dieser Überlegungen hingewiesen.

Der von der Verteidigung in der Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht beantragten Anhörung eines Sachverständigen bedurfte es nicht.

IV. Unmittelbarkeit der Wahrheitsfindung

Die Tatsache, daß das Landgericht bei seiner Beweisführung wegen des Zeitablaufs zwischen Tat und Urteilsfindung weitgehend auf Niederschriften früherer Vernehmungen von Zeugen und Mitbeschuldigten zurückgegriffen hat, begründet, entgegen der Auffassung der Revision, ebenfalls kein Verfahrenshindernis.

Das Gesetz sieht die Verwertung solcher Niederschriften im Urkundenbeweis ausdrücklich vor (§ 251 Abs. 1 und 2 StPO). Dabei ist das Gericht nicht von der Verpflichtung befreit, den Beweiswert eines jeden Beweismittels selbst zu überprüfen. Eine Übernahme von Beweisergebnissen, die andere gewonnen haben, findet gerade nicht statt. Daß bei verstorbenen Zeugen und Mitbeschuldigten eine unmittelbare Befragung (Art. 6 Abs. 3 lit. d MRK) nicht möglich ist, führt nicht zur Unverwertbarkeit der Niederschrift über eine frühere Vernehmung und schon gar nicht zu einem Verfahrenshindernis.

V. Verjährung

Die Strafverfolgung ist nicht verjährt.

1. Der Senat entnimmt den Akten folgenden Verfahrensgang:

Gegen den Angeklagten M. und eine Reihe weiterer Personen wurde im Jahre 1934 vor dem Landgericht Berlin Anklage wegen Mordes erhoben. Das Schwurgericht hat damals drei Angeklagte zum Tode und einige zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt. Andere wurden freigesprochen oder es wurde das Verfahren gegen sie eingestellt. Zehn Beschuldigte, darunter M. und Z., waren flüchtig. Gegen M., der nach der Tat ebenso wie Z. in die Sowjetunion geflohen war, wurde das Verfahren durch Beschluß vom 23. April 1934 gemäß § 205 StPO eingestellt, ohne daß das Hauptverfahren eröffnet worden war.

Auf Antrag des Generalstaatsanwalts bei dem Kammergericht vom 5. Februar 1947 ("Es kann sein, daß der Haftbefehl aus dem Jahre 1933 der öffentlichen Kritik ausgesetzt ist") hob das Amtsgericht Berlin am 7. Februar 1947 den Haftbefehl vom 23. April 1933 auf und erließ einen neuen Haftbefehl gegen den Angeklagten mit dessen neuer Anschrift.

Von der beabsichtigten Verhaftung des Angeklagten, der zu dieser Zeit bereits Vizepräsident bei der Deutschen Zentralverwaltung für das Innere (sowjetische Zone) in Berlin war, unterrichtete der Generalstaatsanwalt bei dem Kammergericht am 8. Februar 1947 ("Reinschrift ab durch Chef persönlich") die Zentralkommandantur der Sowjetarmee. Dieser wurden am 14. Februar 1947 mit Begleitschreiben vom 12. Februar 1947 die Akten mit der Bitte übersandt, "die Entscheidung zu treffen, ob die deutsche Gerichtsbarkeit gegen M. zuständig sein soll" sowie mit der weiteren Bitte, die Akten wieder zurückzugeben. Ein Schreiben der Militärkommandantur des Sowjetsektors Berlins an den Generalstaatsanwalt vom 18. Februar 1947 enthält die schriftliche Bitte um Übersendung der "Akten M.", worauf am 28. Februar 1947 weitere Akten übersandt wurden.

Anfragen, die der Generalstaatsanwalt bei dem Kammergericht an die Russische Zentralkommandantur am 2. Dezember 1947 und am 28. Januar 1949, richtete, "ob die Akten noch dort benötigt werden," blieben unbeantwortet.

Nach der Spaltung der Berliner Justiz im Februar 1949 sind weitere derartige Anfragen nicht erfolgt. Die Akte wurde bei dem für den Sowjetsektor Berlins zuständigen Generalstaatsanwalt weitergeführt und endet mit einem Schreiben an die für die sowjetische Besatzungszone und den sowjetischen Sektor Berlins eingerichtete Deutsche Verwaltung des Innern, in dem es heißt: "Vertraulich! Persönlich! ... Unter Bezugnahme auf die Rücksprache vom 14.11.1949 überreiche ich in der Anlage die hier von meinem Vorgänger geführten Handakten und teile mit, daß der Vorgang bei mir ausgebucht ist."

Die Strafakten gegen M. wurden erst am 23. Februar 1990 bei einer auf Anordnung des Militärstaatsanwalts beim Generalstaatsanwalt der DDR durchgeführten Durchsuchung gefunden. Sie befanden sich neben weiteren Akten und Strafakten aus den Jahren 1933 und 1934 andere Beschuldigte betreffend im Keller seines Hauses in Wandlitz. Zu diesen Akten gehörten auch die Akten des Generalstaatsanwalts bei dem Kammergericht mit den Vorgängen aus den Jahren 1947 bis 1949 (Haftbefehl des Amtsgerichts Berlin vom 7. Februar 1947, Korrespondenz mit den sowjetischen Besatzungsbehörden und Schreiben des Generalstaatsanwalts vom 14. November 1949).

Mit Beschluß vom 28. November 1991 hat das Landgericht Berlin die Anklage der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin vom 17. März 1934 zugelassen und das Hauptverfahren gegen M. eröffnet.

2. Die Prüfung dieses Verfahrensgangs unter dem Gesichtspunkt der Verjährung ergibt folgendes:

Das Verfahren gegen den Angeklagten war am 3. Oktober 1990, dem Tage des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik, - mindestens auch - vor einem Gericht in Berlin-Ost anhängig und dort nicht verjährt. Gemäß Anl. I Kap. III Sachgebiet A. Abschn. III Nr. 28 g des Einigungsvertrags war das Verfahren in der Lage, in der es sich befand, nach den durch den Einigungsvertrag in Kraft gesetzten Vorschriften fortzuführen.

Darauf, ob das Verfahren zu diesem Zeitpunkt auch vor einem Gericht der Bundesrepublik (Landgericht Berlin) anhängig war und ob nach dem Recht der Bundesrepublik zu diesem Zeitpunkt Strafverfolgungsverjährung ebenfalls nicht eingetreten war, kommt es nicht an (BGHSt 40, 48).

Im einzelnen gilt folgendes:

a) Zutreffend hat das Landgericht die dem Angeklagten vorgeworfene Tat als Mord gewertet.

aa) Zur Tatzeit erfüllte den Tatbestand des § 211 StGB, wer mit Überlegung vorsätzlich getötet hat. Die Rechtsprechung nahm Überlegung an, wenn der Täter "in genügend klarer Erwägung über den zur Erreichung seines Zwecks gewollten Erfolg der Tötung, über die zum Handeln drängenden und von diesem abhaltenden Beweggründe sowie über die zur Herbeiführung des gewollten Erfolgs erforderliche Tätigkeit entfaltet" (vgl. RGSt 42, 260, 262). Daß diese Voraussetzungen vorlagen, unterliegt keinem Zweifel.

Durch § 2 des Gesetzes zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuchs vom 4. September 1941 (RGBl. I S. 549) wurde der Mordtatbestand neu geregelt und enger gefaßt. Die damals eingeführten tatbestandlichen Voraussetzungen gelten noch heute. Dabei ist Unrechtskontinuität gegeben.

Das Merkmal der Heimtücke ist erfüllt: Nach ständiger Rechtsprechung handelt heimtückisch, wer die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewußt zur Tötung ausnutzt. Der in diesem Mordmerkmal zum Ausdruck kommende höhere Unrechtsgehalt des Täterverhaltens liegt darin, daß der Mörder sein Opfer in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren (BGHSt 39, 353, 368).

Arglos ist, wer sich keiner Feindseligkeit des Täters versieht (BGHSt 39, 353, 368). Die Arglosigkeit der Polizeibeamten hat das Landgericht rechtsfehlerfrei belegt. Aus dem Verhalten der Polizeibeamten ergibt sich ohne weiteres, daß sie keinen Angriff des Angeklagten und der anderen Täter erwarteten. Nur so ist zu erklären, daß die Polizeibeamten sich nicht nach hinten sicherten und dadurch wehrlos waren.

Diese Arglosigkeit wird nicht durch das generelle Mißtrauen ausgeschlossen, das die Polizeibeamten "rollenbedingt" gegenüber der auf dem Bülow-Platz befindlichen Menschengruppe gehegt haben mögen. Denn es kommt insoweit nicht auf ein allgemein begründetes Mißtrauen, sondern allein darauf an, ob die Opfer im Tatzeitpunkt mit Feindseligkeiten des Täters rechneten (vgl. BGHSt 39, 353, 368). Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem von der Verteidigung genannten Sachverhalt, der der Entscheidung BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 17 zugrunde lag. Dort standen sich Täter und Opfer Auge in Auge gegenüber.

Daß hier der Kommandoruf eines der Täter die Arglosigkeit aufgehoben hätte, scheidet deshalb aus, weil mit diesem Kommando der tätliche Angriff begonnen hatte. Maßgeblich für die Arglosigkeit des Opfers ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, daß das Opfer bei Beginn der Angriffshandlung einen tätlichen Angriff nicht erwartet und dadurch in seiner Abwehrbereitschaft und Abwehrfähigkeit eingeschränkt ist.

bb) Auch nach dem Recht der DDR ist die Tat als Mord (§ 112 StGB-DDR) und nicht als Totschlag (§ 113 StGB-DDR) zu werten. Insbesondere liegen die Voraussetzungen von § 113 Abs. 1 Nr. 3 StGB-DDR nicht vor (vgl. BGHSt 40, 48, 55; Strafrecht der DDR, Kommentar zum StGB, 5. Aufl. 1987 § 113 Anm. 10 ff.).

b) Nach § 67 Abs. 1 in der zur Tatzeit geltenden Fassung des StGB (künftig RStGB) verjährte die Strafverfolgung bei Mord nach 20 Jahren.

Diese Regelung galt in der DDR bis zum Inkrafttreten des StGB-DDR vom 12. Januar 1968 am 1. Juli 1968 (vgl. BGHSt 39, 353, 355).

c) Die Verjährung wurde mehrmals unterbrochen.

aa) Durch den Beschluß über die vorläufige Einstellung des Verfahrens nach § 205 StPO vom 23. April 1934 wurde die Verjährung unterbrochen (§ 68 Abs. 1 RStGB; vgl. dazu Frank, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich 18. Aufl. 1931 § 68 Anm. II 2 c). Nach diesem Zeitpunkt begann die Verjährung von neuem (§ 68 Abs. 3 RStGB). Sie lief bis zur Einstellung der Tätigkeit deutscher Gerichte am 1. Mai 1945.

Nach dem 1. Mai 1945 ruhte nach § 69 in der damals geltenden Fassung des Strafgesetzbuches die Verjährung, weil die Gerichte zunächst ihre Tätigkeit eingestellt hatten und danach mit der Proklamation Nr. 1 des Obersten Befehlshabers der Alliierten Streitkräfte geschlossen wurden (vgl. BVerfGE 25, 269, 281; BGHSt 1, 84, 89; 2, 54, 55; Jähnke in LK 11. Aufl. § 78b Rdn. 11). Die Wiedereröffnung der Gerichte erfolgte auf Grund des Kontrollratsgesetzes Nr. 4 vom 30. Oktober 1945. Das Landgericht hat als Zeitpunkt dafür den 1. November 1945 festgestellt.

bb) Durch Erlaß des neuen Haftbefehls vom 7. Februar 1947 wurde die Verjährung erneut mit der Folge unterbrochen, daß die 20jährige Verjährung von neuem zu laufen begann.

Die Bedenken der Revision gegen die Wirksamkeit dieses Haftbefehls (Scheinmaßnahme, Erlaß durch Nichtrichter, unzuständiges Gericht) teilt der Senat nicht.

Obwohl der Haftbefehl vom 7. Februar 1947 sich inhaltlich wenig von dem gleichzeitig aufgehobenen Haftbefehl des Landgerichts Berlin vom 23. April 1933 unterscheidet, kann von einer Scheinmaßnahme keine Rede sein. Abgesehen davon, daß der Haftbefehl vom 23. April 1933 sich gegen M. und Z. gerichtet hatte, die damals beide flüchtig waren, und der neue Haftbefehl vom 7. Februar 1947 nur noch M. betraf, dessen Aufenthalt nunmehr bekannt war, sah der Generalstaatsanwalt beim Kammergericht sich im Jahr 1947 deshalb veranlaßt, einen neuen Haftbefehl zu beantragen, weil er öffentliche Kritik befürchtete, wenn er nunmehr gegen den in der sowjetischen Besatzungszone bereits ein hohes Amt ausübenden M. einen Haftbefehl aus dem Jahre 1933 vollstrecken wollte.

Die Aufhebung des Haftbefehls und der Erlaß des neuen Haftbefehls wurden von einem "Hilfsrichter" beschlossen, der nicht die Befähigung zum Richteramt im heutigen Sinne hatte. Dies ist jedoch unschädlich. In der Nachkriegszeit standen "unbelastete" Richter (vgl. dazu Art. 4 MRG Nr. 4) nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung, so daß auf Hilfsrichter zurückgegriffen werden mußte. Wenn dies aufgrund von Vorschriften aus dem Jahre 1942 erfolgt sein sollte (vgl. Dritte Vereinfachungsverordnung vom 16. Mai 1942, RGBl. I S. 333), hat dies mit der Übernahme nationalsozialistischen Gedankenguts nichts zu tun, sondern beruhte auf den erwähnten Anordnungen der Besatzungsmächte. Art. 5 MRG Nr. 2 bestimmte ausdrücklich, daß niemand Richter sein durfte, "falls er nicht seine Zulassung von der Militärregierung erhalten hat". Für die Annahme der Verteidigung, der Hilfsrichter sei von niemandem eingesetzt gewesen und habe dennoch als Richter amtiert, fehlt jeder Beleg.

Allerdings war nach Anklageerhebung für Entscheidungen zur Untersuchungshaft nicht mehr das Amtsgericht, sondern das mit der Sache befaßte Gericht zuständig (§ 124 StPO in der damals geltenden Fassung), das wäre im vorliegenden Fall das Landgericht Berlin gewesen, zu dem im Jahre 1934 Angeklagte erhoben worden war. Dieser Mangel der Zuständigkeit führt allenfalls zur Fehlerhaftigkeit, nicht aber zur Unwirksamkeit des Haftbefehls (siehe zur Nichtigkeit eines Urteils BGHSt 33, 126, 127 und zur Unwirksamkeit fehlerhafter richterlicher Unterbrechungshandlungen Mösl in LK 9. Aufl. § 68 Rdnr. 3), so daß auch aus diesem Grunde Bedenken gegen die Wirksamkeit der Unterbrechungshandlung nicht bestehen.

d) Für die weitere Beurteilung der Verjährung ist das Recht der DDR maßgeblich, da das Verfahren in der Folgezeit - mindestens auch - bei einem Gericht in Berlin-Ost anhängig war und sich die Verjährung nach dem Recht des Gerichtsorts richtet (BGHSt 2, 300, 305).

aa) Das Verfahren war seit Anklageerhebung beim Landgericht Berlin anhängig. Als Folge der politischen Veränderungen des Jahres 1948 wurden im Februar 1949 Gerichte und Staatsanwaltschaften in Berlin gespalten. Es gab fortan ein Landgericht in den Westsektoren und, bis zur Neuordnung des Gerichtsverfassungsrechts in der DDR durch Gesetz vom 28. August 1952 (GBl.-DDR S. 791), ein Landgericht im sowjetischen Sektor. Dasselbe galt für die Amtsgerichte, das Kammergericht und die dem Landgericht und dem Kammergericht zugeordneten Staatsanwaltschaften. Die jeweiligen Gerichte und Staatsanwaltschaften waren voneinander unabhängig, sie erkannten sich nicht gegenseitig an, Rechts- oder Amtshilfe wurde gegenseitig nicht gewährt.

bb) Welche Auswirkungen die Teilung der Justiz in Berlin auf zum Zeitpunkt der Teilung anhängige Strafverfahren hatte, ist, soweit ersichtlich, noch nicht geklärt.

Für die Zeit nach der Teilung der Berliner Justiz hält der Senat mindestens auch die Gerichte im damaligen Sowjet-Sektor für die Fortführung des anhängigen Strafverfahrens gegen M. für zuständig:

§ 12 der Strafprozeßordnung, die im Jahre 1948 im wesentlichen unverändert in allen vier Sektoren Berlins galt, bestimmt die Zuständigkeit eines Gerichts bei mehrfacher Anhängigkeit danach, welches Gericht "die Untersuchung zuerst eröffnet" und meint damit die Eröffnung des Hauptverfahrens (BGHSt 3, 134, 139). Voraussetzung der Anwendung des § 12 StPO ist jedoch, daß jedes Gericht zuständig ist. Den Fall der Aufteilung der bei einem Gericht anhängigen Sachen auf zwei Gerichte meint das Gesetz nicht und brauchte es nicht zu regeln, da für solche Fälle vernünftigerweise eine ausdrückliche Regelung erwartet werden kann. Eine solche Regelung erfolgte indes wegen der besonderen politischen Verhältnisse in Berlin nicht.

Andererseits wäre die Annahme fortdauernder Anhängigkeit sämtlicher anhängiger Verfahren, dasselbe gälte im übrigen auch für rechtshängige Sachen, in einem solchen Fall der Zuständigkeitsaufteilung eines Gerichts mit dem Gedanken der Rechtssicherheit und der Verfahrensökonomie nicht zu vereinbaren. Fehlt eine ausdrückliche Regelung, muß sich die weitere Anhängigkeit (und Rechtshängigkeit) einer Sache danach bestimmen, welche Regelung vernünftigerweise hätte getroffen werden müssen. Als Anknüpfungspunkte für eine solche Zuständigkeitsregelung kommen die Gerichtsstandsregelungen der Strafprozeßordnung über den Gerichtsstand des Tatorts (§ 7 StPO) oder des Wohnsitzes oder Aufenthaltsorts des Angeschuldigten (§ 8 StPO) in Betracht; möglicherweise könnte auch der Gesichtspunkt eine Rolle spielen, wo sich die Akten befinden und wo zuerst gegen den Angeschuldigten Verfolgungsmaßnahmen ergriffen wurden. Alle diese Gesichtspunkte sprechen für eine weitere Anhängigkeit bei dem für den Ostsektor Berlins eingerichteten Landgericht: Der Tatort Bülow-Platz befindet sich im damaligen Ostsektor, dort wohnte auch M.; die Akten befanden sich beim dortigen Generalstaatsanwalt beim Kammergericht, der am 28. Januar 1949 die Sowjetische Zentralkommandantur um Rückgabe der Akten ersucht hat.

cc) Weitere wirksame Unterbrechungshandlungen fehlen.

Gleichwohl ist Strafverfolgungsverjährung deshalb nicht eingetreten, weil nach dem Recht der DDR die Verjährung während der Dauer der Mitgliedschaft des Angeklagten zur Volkskammer von 1958 bis 1989 ruhte, so daß die am 7. Februar 1947 neu in Gang gesetzte Verjährung von 20 Jahren, die mit Inkrafttreten des StGB-DDR am 1. Juli 1968 auf 25 Jahre verlängert wurde (§ 82 Abs. 1 Nr. 5 in Verbindung mit § 112 StGB-DDR und § 5 Abs. 2 EGStGB und StPO), am 3. Oktober 1990, dem Tage des Wirksamwerdens des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik, noch nicht abgelaufen war.

Art. 67 Abs. 1 bis 3 der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949 und Art. 60 Abs. 2 Satz 1 der Verfassung der DDR vom 6. April 1968 bestimmten, daß die Abgeordneten der Volkskammer Immunität besaßen. Strafverfolgungen waren danach nur mit Einwilligung der Volkskammer (Verfassung von 1949) oder mit Zustimmung der Volkskammer oder - in der Zeit zwischen deren Tagungen - des Staatsrats (Verfassung von 1968) zulässig. Einzelheiten zu dieser Regelung sind der staats- und strafrechtlichen Literatur der DDR nicht zu entnehmen (vgl. Verfassung der DDR, Dokumente, Kommentar, Bd. 2 1969, Art. 60 Anm. 2; Staatsrecht der DDR, Lehrbuch, 2. Aufl. 1984 S. 247 f.; Strafrecht der DDR, Kommentar, herausgegeben vom Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik Berlin 1984, § 80 Anm. 4).

Eine Auslegung dieser Vorschrift der Verfassung der DDR nach Sinn und Zweck ihrer Regelung führt dazu, daß die Immunität mit Erwerb der Abgeordnetenstellung begonnen hat, bei Wiederwahl nicht unterbrochen wurde und auch bereits begangene Straftaten erfaßte (vgl. Rieß in Löwe/Rosenberg 24. Aufl. § 152 a Rdnr. 12).

Nach diesen Grundsätzen war in der DDR eine Strafverfolgung wegen der dem Angeklagten vorgeworfenen Tat ab der Wahl der Abgeordneten (Staatsrecht der DDR, Lehrbuch, 2. Aufl. 1984 S. 249) zur 3. Wahlperiode der Volkskammer am 16. November 1958 bis zum Ende der neunten Wahlperiode der Volkskammer, die frühestens mit der Wahl zur Volkskammer am 18. März 1990 (Gesetz über die Wahlen zur Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik vom 20. Februar 1990, GBl.-DDR I S. 60; vgl. auch die Mitteilung des Präsidenten der Volkskammer vom 19. März 1990, GBl.-DDR I S. 173) endete, ausgeschlossen, da der Angeklagte der Volkskammer seit der 3. Wahlperiode bis einschließlich der 9. Wahlperiode ununterbrochen angehörte.

Die Immunität stellte ein gesetzliches Verfolgungshindernis im Sinne des bis 30. Juni 1968 geltenden § 69 RStGB, danach des § 83 Nr. 2 StGB-DDR dar, so daß während der Dauer der Immunität die Verjährung nach dieser Vorschrift ruhte.

Der Senat verkennt nicht, daß die Immunitätsvorschriften in der DDR mitunter mißachtet wurden (vgl. Lapp, Die Volkskammer der DDR, 1975, S. 75; Mampel, Die Verfassung der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, Kommentar, 2. Aufl., 1966, Art. 67 Anm. 2). Dies ändert nichts daran, daß das Rechtsinstitut der Immunität der Abgeordneten in der Volkskammer geltendes Recht der DDR war.

Es kann offenbleiben, ob die in § 78 b Abs. 2 Nr. 1 StGB aufgenommenen, die Abgeordneten begünstigenden Grundsätze der Entscheidung BGHSt 20, 248 als allgemeiner Rechtsgedanke auch auf das Recht der DDR anzuwenden sind. Nach diesen Grundsätzen führt die Immunität eines Abgeordneten nach dem Recht der Bundesrepublik erst ab dem Zeitpunkt zum Ruhen des Verfahrens, zu dem die Strafverfolgungsbehörden Kenntnis von Tat und Täter erlangt haben. Im vorliegenden Fall hatte der Generalstaatsanwalt Dr. H. jedenfalls diese Kenntnis, als er am 14. November 1949 seine Handakten mit dem Zusatz, der Vorgang sei damit bei ihm ausgebucht, der Deutschen Verwaltung des Inneren, deren Vizepräsident M. war, übersandte. Darauf, ob Dr. H. noch im Amt war, als der Angeklagte zum Abgeordneten gewählt wurde und ob später eine Verfolgung aus anderen Gründen unterblieb, kommt es nicht an. Es genügt, daß die Staatsanwaltschaft von der Tat irgendwann Kenntnis erlangt hatte.

Auf die von der Verteidigung beantragte Beweiserhebung zu der Behauptung, die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin habe sich an weiteren Ermittlungen gegen M. wegen dessen Zugehörigkeit zur Volkskammer nicht gehindert gesehen, kommt es aus Rechtsgründen nicht an, weil die Immunität den Angeklagten nur vor der Strafverfolgung in der DDR schützte.

3. Das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch und zur Strafprozeßordnung der DDR vom 12. Januar 1968 (GBl.-DDR I S. 97), hat zu keiner Änderung geführt, die die genannten Verjährungsfristen und Unterbrechungshandlungen in Frage stellen könnten. § 5 Abs. 1 dieses Gesetzes schreibt vor, daß (bei Inkrafttreten des neu gefaßten Strafgesetzbuches-DDR am 1. Juli 1968) "die Verjährungsfristen der Strafverfolgung (§ 82 bis 84 StGB) ... auch auf die Straftaten Anwendung (finden), die vor dem Inkrafttreten des Strafgesetzbuches begangen wurden". Das bedeutet hier, daß für die - im Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Rechts der DDR unverjährte Tat des Angeklagten - die Verjährungsfrist von 25 Jahren des § 82 Abs. 1 Nr. 5 StGB-DDR - und darüber hinaus die Vorschrift über das Ruhen des Verfahrens nach § 83 Nr. 2 StGB-DDR zur Anwendung kommen, was der Senat berücksichtigt hat. Der Umstand, daß das Recht der DDR, anders als das vorhergehende Recht, eine Unterbrechung der Verjährung nicht mehr vorsah, bedeutet nicht etwa, daß richterlichen Handlungen, die nach § 68 RStGB verjährungsunterbrechend wirkten, rückwirkend ihre Bedeutung genommen worden wäre. § 5 Abs. 2 der genannten Vorschrift des Einführungsgesetzes, nach der "eine bereits vor Inkrafttreten des Strafgesetzbuches eingetretene Verjährung nach §§ 66 bis 69 des Strafgesetzbuches vom 15. Mai 1871 ... erhalten (bleibt)", steht dem nicht entgegen. Die Regelung betrifft nur verjährte Taten und nicht solche, die (gegebenenfalls bei Berücksichtigung früher wirksamer Unterbrechungshandlungen) unverjährt sind.

Sollte § 5 EGStGB-DDR so zu verstehen sein, daß das neue Recht auch in der Weise zurückwirken sollte, daß es auf vor Inkrafttreten des Gesetzes erfolgte Unterbrechungshandlungen nicht mehr ankomme, wäre Strafverfolgungsverjährung nach dem Recht der DDR am 3. Oktober 1990 ebenfalls nicht eingetreten gewesen, weil die zunächst zwanzigjährige, ab 1. Juli 1968 fünfundzwanzigjährige Verjährung mehrmals längere Zeit ruhte.

Die Verjährung hätte dann am 9. August 1931 begonnen. Sie hätte zunächst vom 1. Mai 1945 bis 30. Oktober 1945 geruht (siehe oben V 2 c, aa; BGHSt 2, 54, 56).

Die Verjährung hätte weiterhin vom 18. Februar 1947 bis zum 20. September 1955 geruht, weil in dieser Zeit auf Grund des Eingriffs der sowjetischen Besatzungsmacht deutschen Strafverfolgungsbehörden ein Tätigwerden nicht möglich war. Nach Art. III des Gesetzes Nr. 4 der Militärregierung vom 30. Oktober 1945 erstreckte sich die Zuständigkeit der deutschen Gerichte (wieder) auf alle Strafsachen mit Ausnahme bestimmter Gruppen von Delikten (unter anderem strafbare Handlungen, die von Nationalsozialisten oder anderen Personen begangen wurden, und die sich gegen Staatsangehörige Alliierter Nationen richteten) und mit Ausnahme der Strafsachen, die der Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach den Anordnungen des Alliierten Militärbefehlshabers im Einzelfall entzogen wurden.

Die Anforderung der Akten der Strafsache M. durch die Militärkommandantur des Sowjetsektors Berlins stellt eine solche Entziehung dar. Dies ergibt sich aus der vorangegangenen Bitte im Schreiben des Generalstaatsanwalts bei dem Kammergericht vom 12. Februar 1947 an die Zentralkommandantur der Sowjetischen Besatzungsbehörde, "die Entscheidung zu treffen, ob die deutsche Gerichtsbarkeit gegen M. zuständig sein soll". Einer besonderen Förmlichkeit oder einer Begründung bedurfte es für die Entziehung der Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht. Dieser Eingriff endete - anders als für das Gebiet der Bundesrepublik, vgl. dazu Art. 14, 15 des Gesetz Nr. 13 der Alliierten Hohen Kommission vom 25. November 1949 (ABlAHK S. 54) - frühestens mit der Auflösung der Hohen Kommission der Sowjetunion in Deutschland durch Beschluß der Regierung der Sowjetunion vom 20. September 1955 (abgedruckt bei Rauschning/Krüger, Die Gesamtverfassung Deutschlands Bd. 1 1962, S. 244) durch den seitens der Sowjetunion die in Ausübung der Besatzungsrechte erlassenen Gesetze aufgehoben wurden, mit der Folge, daß auch die Sache M. wieder von deutschen Strafverfolgungsbehörden hätte bearbeitet werden dürfen.

Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings anläßlich der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes über die Berechnung strafrechtlicher Verjährungsfristen vom 13. April 1965 ausgeführt, daß zwar die deutschen Gerichte durch die für sie verbindlichen Vorschriften des Besatzungsrechts an der Strafverfolgung bestimmter Straftaten gehindert gewesen seien. Jedoch hätten in dieser Zeit die Besatzungsmächte treuhänderisch für die deutschen Gerichte die diesen entzogenen Strafverfolgungsbefugnisse wahrgenommen mit der Folge, daß entgegen der Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 1, 84, 90) ein Ruhen der Verjährung wegen einer gesetzlichen Hinderung der Strafverfolgung nicht in Betracht kam (BVerfGE 25, 269, 282). Dem folgt der Senat. Diese treuhänderische Tätigkeit der Besatzungsmächte kann auch nicht darauf überprüft werden, ob sie effektive Strafverfolgung darstellte. Hat aber - wie hier - eine Besatzungsmacht Besatzungsrecht dazu mißbraucht, Strafverfolgung zu verhindern, kann von einer treuhänderischen Tätigkeit nicht mehr die Rede sein. Daß hier ein Mißbrauch in diesem Sinne vorliegt, schließt der Senat aus folgenden Umständen: Die sowjetischen Behörden haben mehrere Anfragen der deutschen Justizbehörden unbeantwortet gelassen und die Akten nicht deutschen Strafverfolgungsbehörden zurückgegeben, sondern dem Beschuldigten selbst.

In einem solchen Fall ruhte die Verjährung wegen eines gesetzlichen Hindernisses im Sinne von § 68 RStGB und § 83 StGB-DDR.

Schließlich ruhte die Verjährung auch noch vom 16. November 1958 bis zum 18. März 1990 wegen der Zugehörigkeit des Angeklagten zur Volkskammer der DDR (oben V 2 d, cc).

Im übrigen wäre auch nach dem Recht der Bundesrepublik die Strafverfolgung nicht verjährt:

Nach § 1 des Gesetzes über die Berechnung strafrechtlicher Verjährungsfristen vom 13. April 1965 (BGBl. I S. 315), das am 22. April 1965 in Kraft getreten ist, bleibt bei der Berechnung der Verjährungsfrist für mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohte Verbrechen die Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 31. Dezember 1949 außer Betracht.

Wendet man dieses Gesetz auf den vorliegenden Fall an, setzte der Erlaß des Haftbefehls vom 7. Februar 1947, der wegen des Eingreifens der sowjetischen Besatzungsmacht am 18. Februar 1947 nicht vollstreckt werden konnte, den Lauf der Verjährungsfrist erst ab 1. Januar 1950 erneut in Gang. Vor Verjährungseintritt am 31. Dezember 1969 wurde durch Art. 3 des Neunten Strafrechtsänderungsgesetzes vom 4. August 1969 (BGBl. I S. 1065) die Vorschrift des § 67 Abs. 1 RStGB geändert und die zwanzigjährige Verjährung in eine dreißigjährige umgewandelt. Vor erneutem Verjährungseintritt am 31. Dezember 1979 erfolgte schließlich die Änderung des § 78 Abs. 2 StGB durch Art. 1 des Sechzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes vom 16. Juli 1979 (BGBl. I S. 1046), durch die die Verjährung von Taten der vorliegenden Art gänzlich beseitigt wurde.

C.

Revision des Angeklagten

I. Verfahrensrügen

1. Mit zwei Verfahrensrügen beanstandet die Revision als Verstoß gegen § 230 StPO, die Hauptverhandlung sei am 16. November 1992 und ab dem 23. Juni 1993 durchgeführt worden, obwohl der Angeklagte an diesen Verhandlungstagen verhandlungsunfähig gewesen sei.

a) Die Revision stützt die Behauptung, der Angeklagte sei am 16. November 1992 verhandlungsunfähig gewesen darauf, der Angeklagte habe dies gegenüber dem Verteidiger "artikuliert", der Angeklagte habe "nämlich bereits" - "einschließlich Fototermin" - fast zweieinhalb Stunden Verhandlung in dem gegen Ho., ihn u. a. geführten Verfahren über sich ergehen lassen müssen. Damit sei seine Belastbarkeit für diesen Verhandlungstag mehr als ausgeschöpft gewesen.

Das Gericht hat den Antrag mit der Begründung abgelehnt, es solle lediglich ein Zeuge zu einem Punkt befragt werden. Die daraufhin durchgeführte Beweisaufnahme dauerte weniger als eine Minute lang.

Der Senat schließt aus, daß der Angeklagte einer so kurzen Beweisaufnahme, nur insoweit wird Verhandlungsunfähigkeit geltend gemacht, nicht folgen konnte. Dem steht auch nicht entgegen, daß, wie die Revision meint, die Verhandlung deshalb so kurz gedauert habe, weil der Angeklagte auf Grund seines Zustandes nicht in der Lage gewesen sei, Fragen an den Zeugen zu stellen oder seine Verteidiger zu bitten, ihrerseits den Zeugen zu befragen. Für eine solche Befragung bestand offensichtlich kein Bedarf. Die Revision trägt nicht vor, daß zu einem späteren Zeitpunkt der Angeklagte das Bedürfnis geäußert hätte, derartige Fragen nachzuholen.

b) Am 23. Juni 1993 beantragte die Verteidigung erneut, das Verfahren wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten einzustellen; sie begründete dies mit umfangreichen Ausführungen, die in einem zwölfseitigen Schriftsatz zusammengefaßt sind.

Dieser Antrag wurde durch Beschluß vom 5. Juli 1993 zurückgewiesen. In der Begründung dieser Entscheidung, die teilweise auf eine vorangegangene Entscheidung vom 1. Juni 1993 zur Haftfähigkeit bezug nimmt, setzt sich das Landgericht mit Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. Ka., Dr. N. und Dr. P. auseinander und kommt bei teilweise abweichender Wertung der tatsächlichen Voraussetzungen zu dem Ergebnis, daß der Angeklagte bei eingeschränkter Verhandlungsdauer verhandlungsfähig sei. Das Landgericht weist insbesondere auf die persönliche Anhörung des Sachverständigen Dr. P. vom 28. Mai 1993 hin, bei der dieser die intellektuelle Leistungsfähigkeit des Angeklagten nicht in Frage gestellt habe, und belegt seine Überzeugung davon, daß der Angeklagte simuliere, mit zahlreichen signifikanten Beispielen.

Zutreffend macht die Revision insoweit nicht ein Verfahrenshindernis geltend, welches allenfalls bei irreversibler dauernder Verhandlungsunfähigkeit als Folge schwerer geistiger, psychischer oder körperlicher Mängel in Betracht käme (vgl. Rieß in Löwe/Rosenberg StPO, 24. Aufl. § 205 Rdn. 14; K. Schäfer, ebenda, Einl. Kapitel 12 Rdn. 102; jeweils m. N.), sondern rügt den Vorgang unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der §§ 230, 338 Nr. 5 StPO (BGH NStZ 1984, 520).

Die Revision trägt für die Beurteilung der Rüge wesentliche Umstände nicht vor. So enthält die Revisionsbegründung zwar das 164 Seiten umfassende schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dr. P. vom 11. Mai 1993 zur Frage der Haftfähigkeit des Angeklagten, teilt aber nicht mit, welche Äußerungen dieser Sachverständige im einzelnen bei seiner Anhörung am 28. Mai 1993 gemacht hat. Dies kann der Senat auch nicht dem mitgeteilten Beschluß des Landgerichts vom 1. Juni 1993 entnehmen, der insoweit nur das Ergebnis der Anhörung der Sachverständigen enthält. Die Revision teilt ferner nicht Einzelheiten des Gutachtens der Sachverständigen Dr. N. mit, von der es im Beschluß des Landgerichts vom 1. Juni 1993 heißt, sie habe den Angeklagten für verhandlungsfähig, aber nicht für verhandlungswillig gehalten. Auch weitere Umstände, die Aufschluß über die psychische Leistungsfähigkeit des Angeklagten geben könnten, wie das Zustandekommen des Presseinterviews mit der Journalistin R. und mit dem "Spiegel" sowie eine Presseäußerung eines Verteidigers des Angeklagten zur Frage seiner Verhandlungsfähigkeit werden in der Revisionsbegründung zwar erwähnt, aber nicht inhaltlich vorgetragen.

Die Rüge ist jedenfalls unbegründet. Das Landgericht stützt vor allem im Beschluß vom 1. Juni 1993 seine Auffassung, der Angeklagte stelle seinen Zustand bewußt unwahr dar, auf zahlreiche Umstände, die unmittelbar einleuchten.

c) Der Senat hat vorsorglich die Frage der Verhandlungsfähigkeit auf der Grundlage des vorhandenen Tatsachenmaterials und der vorliegenden Gutachten im Wege des Freibeweises selbst überprüft. Er hat danach keine Zweifel, daß das Landgericht die zeitlich begrenzte Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten zu Recht bejaht hat.

Der von der Revision beantragten Anhörung eines Sachverständigen im Revisionsverfahren bedurfte es nicht.

2. Die Rüge, in der Hauptverhandlung vom 20. Januar 1993 habe ein Urkundsbeamter der Geschäftsstelle nicht mitgewirkt, ist jedenfalls unbegründet. Die Revision behauptet selbst nicht, daß die in der Revisionsbegründung erwähnte Unterschrift am Ende des Hauptverhandlungsprotokolls für diesen Sitzungstag nicht die des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle sei.

3. Ohne Erfolg macht die Revision einen Verstoß gegen das Vereidigungsverbot des § 60 Nr. 2 StPO geltend.

Der Rüge liegt zugrunde, daß die in der Hauptverhandlung vereidigte Zeugin Bo., der das Landgericht nicht glaubte, ihre Aussage inhaltlich der Verteidigung vor der Hauptverhandlung mitgeteilt hatte. Ein Vereidigungsverbot liegt bei diesem Sachverhalt nicht vor.

Entgegen der Auffassung der Verteidigung hat die Zeugin mit ihrer Ankündigung einer bestimmten (nach Auffassung des Landgerichts: falschen) Aussage gegenüber der Verteidigung noch keine versuchte Strafvereitelung begangen. Der Versuch der Strafvereitelung beginnt in solchen Fällen mit dem Beginn der Aussage vor Gericht (BGH NStZ 1992, 181; Dreher/Tröndle StGB 47. Aufl. § 258 Rdn. 6 a m.N.).

Im übrigen könnte auf einer unrichtigen Vereidigung das Urteil nicht beruhen, wenn das Gericht der Aussage nicht folgt (Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 41. Aufl. § 60 Rdn. 34 m. N.).

Das Gericht war nicht verpflichtet, der Verteidigung mitzuteilen, daß es der Zeugin nicht glauben würde. Es wäre allerdings zu einem Hinweis verpflichtet gewesen, wenn es die Aussage wegen eines nachträglich erkannten Vereidigungsverbots als uneidliche gewertet hätte. Dieses hat es indes nicht getan.

4. Ohne Erfolg wendet die Revision sich gegen die Verwertung der Aussagen des Zeugen Br..

a) Diese Aussagen sind nicht wegen eines Verstoßes gegen § 136a StPO unverwertbar. Daß gegen Br. verbotene Vernehmungsmethoden im Sinne dieser Vorschrift angewandt wurden, kann die Revision nicht mit Tatsachen belegen. Sie führt aber eine Reihe von Begleitumständen auf, die nach Auffassung der Revision die "Annahme aufdrängen, daß er" (gemeint ist Br.) "subjektiv und objektiv sich in einer Zwangslage befand, entweder selbst zum Opfer von (weiteren?) Mißhandlungen zu werden, oder sich den Forderungen der SA zu unterwerfen".

Der Senat braucht bei diesem Sachverhalt nicht zu entscheiden, ob bei geltend gemachten Verstößen gegen § 136 a StPO der Verfahrensfehler feststehen muß (vgl. die Nachweise bei Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 41. Aufl. § 136 a Rdn. 33), da bei Br., anders als bei anderen Zeugen dieses Verfahrens, solche Einwirkungen jedenfalls nicht wahrscheinlich sind. Das Landgericht hat sie sogar sicher ausgeschlossen.

Maßgebend für diese Überlegungen ist folgendes:

Br. war zur Tatzeit Mitglied der Kommunistischen Partei und dort im Parteiselbstschutz tätig. Später hat er sich dem Nationalsozialismus zugewandt. Bei seiner polizeilichen Vernehmung in der vorliegenden Sache am 19. Juli 1933, in der er den Angeklagten belastete, gab er an, im April 1933 in die SA eingetreten zu sein. Bei einer späteren richterlichen Vernehmung vom 11. August 1993 wiederholte er diese Angaben unter Hinweis darauf, er sei in den SA-Sturm 102 aufgenommen worden, wobei ein SA-Mann Ku. und der Sturmführer für ihn gebürgt hätten. Danach habe er sich entschlossen, Ku. über seine Kenntnisse von den Vorfällen am Bülow-Platz am 9. August 1931 zu unterrichten.

Es ist wenig wahrscheinlich, daß die SA gegen Br. Zwang im Sinne des § 136 a StPO ausgeübt oder angedroht hat zu einem Zeitpunkt, als dieser sich um die Aufnahme in die SA bemühte.

Sollte Br. als Tatbeteiligter aus Furcht vor Mißhandlungen durch die SA, wie er sie von politischen Freunden kannte, sich aus taktischen Gründen der SA angeschlossen und in der Folgezeit seine Aussagen gemacht haben, begründet dieser Sachverhalt nicht die Voraussetzungen des § 136 a StPO.

b) Soweit Verstöße gegen §§ 136, 163a StPO geltend gemacht werden, kann die Revision ebenfalls keinen Erfolg haben. Die Rechte des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren waren im Jahre 1933 anders geregelt als heute. Beschuldigte mußten über ein Schweigerecht nicht belehrt werden. Es kommt hinzu, daß die Hinzuziehung eines Verteidigers seines Vertrauens in Fällen dieser Art für einen Beschuldigten praktisch nahezu ausgeschlossen war.

Der Senat hat bei der Prüfung der Verwertung der Aussage Br.'s die in BGHSt 38, 263 aufgestellten Grundsätze bedacht. Diese führen hier nicht zu einem Verwertungsverbot. Daß unter der Schwelle des § 136 a StPO rechtsstaatswidrig auf den Beschuldigten eingewirkt wurde, um ihn zur Aussage zu bewegen, ist angesichts des Umstands auszuschließen, daß Br. sein Wissen über die Tat von sich aus der SA und danach den Ermittlungsbehörden offenbart hat, nachdem er zu den Nationalsozialisten übergelaufen war. Deshalb kann offen bleiben, ob sich Dritte überhaupt auf Verstöße gegen diese Vorschriften berufen können (vgl. BGHSt 38, 214, 228).

5. Mit der Aufklärungsrüge beanstandet die Revision, daß das Landgericht bei den Akten befindliche Polizeiberichte über Br. nicht verlesen habe.

Die Rüge bleibt ohne Erfolg. Die Revisionsbegründung vermag nicht deutlich zu machen, warum sich die Verlesung dieser Urkunden, obwohl von der Verteidigung in der Hauptverhandlung offensichtlich nicht für erforderlich gehalten, hätte aufdrängen müssen. Eine Beweiserheblichkeit dieser Polizeiberichte, die sich inhaltlich teilweise widersprechen, ist nicht ersichtlich.

6. Als Verstoß gegen § 261 StPO wertet es die Revision, daß das Landgericht der Aussage Br. zum Tatgeschehen folgt, obwohl der Zeuge nach dem protokollierten Inhalt seiner polizeilichen Vernehmung vom 19. Juli 1933 das Geschehen vor der Tat von dem von ihm beschriebenen Standpunkt aus gar nicht habe sehen können, während dies nach seinen späteren Angaben bei einer richterlichen Vernehmung möglich gewesen sei.

Die Rüge hat keinen Erfolg. Die Revision verkennt, daß das Landgericht lediglich aus zwei nicht wörtlich übereinstimmenden, nicht notwendig sich widersprechenden, vom Landgericht aber richtig verstandenen, verlesenen Aussagen Schlüsse gezogen hat. Daß die Revision diese Schlüsse nicht teilt, kann nicht mit der Rüge eines Verstoßes gegen § 261 StPO angegriffen werden.

7. Warum ein Verstoß gegen § 261 StPO darin liegen soll, daß das Landgericht in seiner Beweiswürdigung einem am Bülow-Platz aufgestellten Bauzaun keine Bedeutung beigemessen hat, ist nicht verständlich, denn es kommt nicht darauf an, was sich hinter diesem Zaun abgespielt hat, sondern auf die Geschehnisse seitlich davor in der Weydinger Straße.

8. Die Rüge, das Landgericht habe gegen die Pflicht verstoßen, einen Beweisantrag zu bescheiden (§ 244 Abs. 6 StPO), ist unbegründet.

Die Verteidigung hatte hilfsweise für den Fall, daß das Gericht nicht davon ausgehen sollte, eine Tatortskizze weise Beschriftungen von der Hand Br.'s aus, ein Schriftsachverständigengutachten beantragt. Der Einholung des Gutachtens bedurfte es nicht, da das Gericht ersichtlich davon ausgegangen ist, daß Br. diese Skizze hergestellt hat (UA S. 103).

Daß sich das Landgericht mit den Einzelheiten dieser Skizze nicht weiter auseinandergesetzt hat, stellt keinen Rechtsfehler dar. Es ist nicht erforderlich, daß sich die Urteilsgründe mit sämtlichen erhobenen Beweisen auseinandersetzen.

9. Der von der Revision geltend gemachte absolute Revisionsgrund unzulässiger Beschränkung der Verteidigung (§ 338 Nr. 8 StPO) liegt nicht vor.

Das Landgericht hatte es abgelehnt, die Hauptverhandlung auszusetzen und "gemäß § 126 Abs. 2 BRAGO festzustellen, daß eine Reise (des Verteidigers) nach Moskau in Begleitung eines Dolmetschers für die russische Sprache, verbunden mit einem einwöchigen Aufenthalt in der Stadt zum Zwecke, Ermittlungen in vorliegender Sache in den dortigen Archiven anzustellen, erforderlich ist".

Dieser Vorgang ist bei Anerkennung des Rechts des Verteidigers auf eigene Ermittlungen allenfalls unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Aufklärungspflicht revisionsrechtlicher Prüfung zugänglich. Eine solche ist indes nicht ersichtlich. Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, daß eine solche Reise des Verteidigers im Hinblick auf die von verschiedenen Stellen mit demselben Ziel unternommenen vergeblichen Bemühungen zwecklos gewesen wäre.

10. Die auf § 244 Abs. 2 StPO gestützte Rüge, das Landgericht habe es versäumt, einen gewissen Mu. als Zeugen zu hören, versagt.

Die Revision trägt nichts dafür vor, weshalb dem Gericht eine solche Beweiserhebung sich hätte aufdrängen müssen. Daß M. in einem in Moskau aufbewahrten Papier Mu. als eine Person bezeichnet hat, an die die Partei sich wenden könne ("mein langjähriger Freund ... Partei- und Jugendgenosse") und daß Mu. im Rahmen der Ermittlungen im Jahre 1933 vernommen wurde, genügt dafür nicht, zumal die Revision auch nicht vorträgt, mit welchem Ergebnis Mu. 1933 vernommen wurde und die Verteidigung selbst während der zwanzig Monate dauernden Hauptverhandlung eine solche Vernehmung offensichtlich nicht für erforderlich gehalten hat.

11. Das Landgericht hat einen Antrag der Verteidigung, zur Aufklärung der historischen Bedingungen der Lebensverhältnisse deutscher Kommunisten im sowjetischen Exil einen Sachverständigen zu hören, mit der Begründung abgelehnt, es handle sich um allgemeinkundige Tatsachen. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die in dem Antrag genannten Umstände sind auch in dem von der Revision erwähnten Buch wissenschaftlich aufbereitet und allgemein zugänglich.

II. Sachrüge

1. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht aufgezeigt.

Das Landgericht hat im Ergebnis zutreffend § 211 StGB angewandt (siehe unten D.).

2. Insbesondere hält auch die Beweiswürdigung sachlichrechtlicher Prüfung stand.

Das Landgericht stützt seine Überzeugung, daß der Angeklagte einer der Schützen war, auf eine Vielzahl von Umständen, die zwei voneinander unabhängigen Gruppen von Beweisanzeichen angehören. Das Landgericht hat diese Umstände erschöpfend gewürdigt, ist allen, überwiegend bereits in der Hauptverhandlung erhobenen Bedenken der Verteidigung nachgegangen und hat in einer Gesamtschau aller Beweisanzeichen eine tragfähige Tatsachengrundlage für seine Überzeugung gefunden.

Ob freilich im Jahre 1934, wie das Landgericht meint, weder die Kriminalpolizei noch die Gerichte in einem politischen Fall - wie dem vorliegenden - daran interessiert waren, einen Sachverhalt zu konstruieren, erscheint dem Senat keineswegs sicher. Was die Aussage Br. (unten b) anbelangt, ist die Beweiswürdigung des Landgerichts aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Das Landgericht war sich der Problematik der Verwertung von Aussagen aus jener Zeit in einem politischen Verfahren bewußt. Es hat bei einer ganzen Reihe weiterer Zeugen ein Verwertungsverbot nach § 136a StPO bejaht. Bei Br. hat es dahingehende Bedenken rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.

a) Im Vordergrund der einen Gruppe von Beweisumständen stehen Lebensläufe des Angeklagten und des Z., die diese für die Kommunistische Partei in Moskau, der Angeklagte M. in einem Fall auch in Berlin geschrieben haben, ferner Emigrantenlisten der Kommunistischen Partei der Sowjetunion sowie Aussagen eines C., die dieser in seiner richterlichen Vernehmung vom 9. November 1933 gemacht hat.

Vom Angeklagten M. liegen drei Lebensläufe vor, die sich mit der Tat befassen. In einem nicht datierten, nach den Feststellungen der Strafkammer vor 1938 in Moskau geschriebenen, Lebenslauf heißt es wörtlich:

"Wir erledigten hier alle möglichen Arbeiten, Terrorakte, Schutz illegaler Demonstrationen und Versammlungen, Waffentransport- und reinigung usw. Als letzte Arbeit erledigten ein Genosse und ich die Bülowplatzsache. Meine Eltern ahnen, daß ich dabei war, aber sie sind für alle Sachen zuverlässig."

In einem weiteren Lebenslauf vom 6. März 1932 heißt es wörtlich:

"Letzte Aktion Bülowplatz. Unterbrach deswegen meine Parteiarbeit und ging auf Veranlassung des Z.K. in die SU."

In einem Lebenslauf vom 13. März 1951:

"Auf Grund meiner Teilnahme an der Bülowplatzaktion wurde ich vom Z.K. der K.P.D. in die S.U. geschickt (August 1931)".

Ähnliche Lebensläufe finden sich von Z.. In einem ebenfalls vom 6. März 1932 stammenden Lebenslauf führt Z. aus:

"Wir führten die übliche Arbeit der Gruppen durch. (Selbstschutz, K.-L. Haus, Wache, Demonstrationen, einzelne Aktionen, Waffenreinigung und Transport usw.)" und dann nahezu wörtlich übereinstimmend mit dem Angeklagten: "Letzte Aktion: Bülowplatz".

In einem nicht datierten, spätestens im Jahre 1937 verfaßten Lebenslauf heißt es:

"Schon im August 1929 wurde ich zur Terrorgruppenarbeit zugezogen. Ich lernte dort über Pistolen (08, Ortgies, Mauser) Gewehr 98. Die Arbeit war Schutz von Versammlungen und Demonstrationen, Waffen und Munitionsreinigung und Transport, Wachen im K.-L.-Haus, einzelne Kampagnen u.s.w." Und im folgenden wieder fast wörtlich mit dem Angeklagten übereinstimmend: "Meine letzte Arbeit für die Gruppe war die Bülowplatzsache, die ein anderer Genosse und ich zusammen ausführten".

In einem unter dem Decknamen Sch. verfaßten Lebenslauf Z. vom 28. April 1933 führt er aus:

"Im August 1931 mußte ich als Politemigrant nach der Sowjetunion (Darüber nähere Auskunft durch die Vertretung der K.P.D. bei der Kommintern.)"

In der Liste der Deutschen Emigranten, die bei der Parteiführung in Moskau geführt wurde, erschienen Z. und M. unmittelbar nacheinander im August 1931, wobei als Grund für die Emigration bei beiden jeweils ein Zusammenstoß mit der "Schupo" angegeben wurde. Zu Z. heißt es darüber hinaus in einer weiteren Urkunde, daß er wegen der "Anlauf-Lenck-Bülow-Platz-Geschichte" habe emigrieren müssen.

Das Landgericht hat sich mit eingehenden und rechtsfehlerfreien Überlegungen von der Echtheit dieser Urkunden überzeugt. Es schließt aus, daß sich der Angeklagte und Z. selbst bezichtigt haben, um andere Täter zu schützen oder daß diese Angaben nur deshalb erfolgten, um den Aufenthalt in der Sowjetunion sicherzustellen.

Es ist nicht Aufgabe des Senats zu entscheiden, ob das Landgericht bereits aufgrund dieser Umstände sich rechtsfehlerfrei die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten hätte bilden können.

b) Das Landgericht stützt seine Überzeugung außerdem auf die Aussagen des 1934 rechtskräftig verurteilten früheren Mitbeschuldigten Br.. Dieser gehörte zur Tatzeit, wie M. und Z., dem "Selbstschutz" der Kommunistischen Partei an. Er war nach seinen Angaben zusammen mit einem weiteren Mitglied der "Gruppe" namens Do. in der Nähe des Tatortes eingesetzt und konnte die Tat weitgehend beobachten. Er schilderte die Bewegung der Polizeibeamten und der ihnen folgenden Schützen übereinstimmend mit den Angaben des überlebenden Polizeibeamten und mit weiteren Zeugen und bezeichnete bei sämtlichen Vernehmungen Z., M. und eine weitere Person namens Pe als die Personen, die die Schüsse auf die Polizeibeamten abgegeben haben.

Das Landgericht übersieht nicht, daß die Aussagen Br.'s in einzelnen Punkten zum Randgeschehen nicht völlig deckungsgleich sind. Das Landgericht hält aber gleichwohl rechtsfehlerfrei die Aussage zum Kerngeschehen insoweit für glaubhaft, als sie den Ablauf des Geschehens und die Täterschaft des Angeklagten selbst betrifft.

Das Landgericht verneint nach eingehender Überprüfung, daß die Aussage Br.'s auf verbotene Vernehmungsmethoden zurückzuführen sei. Es hat dabei berücksichtigt, daß Br. vor seinen Aussagen sich den Nationalsozialisten angeschlossen und die Aufnahme in die SA beantragt hatte. Gegen eine Falschaussage Br. spreche darüber hinaus auch, daß dieser die bis dahin eher unbedeutenden M. und Z. der Tat beschuldigte, die zudem sich im Ausland befanden, und nicht andere Beschuldigte, hinsichtlich derer die Ermittlungsbehörden in Beweisschwierigkeiten waren.

D.

Die Revision der Staatsanwaltschaft

Die Revision der Staatsanwaltschaft, die mit der Sachrüge den Strafausspruch zu Ungunsten des Angeklagten angreift, hat ebenfalls keinen Erfolg.

Allerdings ist der Beschwerdeführerin zuzugeben, daß nach seitheriger Rechtsprechung bei der Prüfung der Frage, ob außergewöhnliche Umstände zu einer Strafrahmenverschiebung im Sinne von BGHSt 30, 105 Anlaß geben, ausschließlich auf tatbezogene Umstände abgestellt wurde. Ob daran auch für Ausnahmefälle festzuhalten ist, in denen - wie hier - zwischen Tat und Urteil mehr als 60 Jahre liegen, kann offen bleiben. Selbst wenn die Erwägungen des Landgerichts zur Anwendung der Grundsätze von BGHSt 30, 105 Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten aufwiesen, könnte dies angesichts der Besonderheiten des vorliegenden Falles nicht dazu führen, daß der Senat selbst auf die absolute Strafe des § 211 StGB oder bei Anwendung des DDR-Rechts auf die niedrigste dort für Mord vorgesehene Strafe (vgl. BGHSt 39, 353, 370 f.) erkennt. Er hielte es in einem solchen Fall für erforderlich, dem Tatrichter erneut Gelegenheit zur Prüfung zu geben, ob das Recht der Bundesrepublik als das mildeste Recht (§ 2 Abs. 3 StGB) deshalb anzuwenden ist, weil außergewöhnliche Umstände im Sinne der Entscheidung BGHSt 30, 105 zu einer Strafrahmenverschiebung führen könnten. Dies würde bedeuten, daß die Sache im Strafausspruch aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen werden müßte. Ein derartiges Verfahren kommt indessen hier nicht in Betracht:

Der Senat entnimmt dem von ihm eingeholten Gutachten zur Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten im Revisionsverfahren, daß es höchst zweifelhaft ist, ob der Angeklagte für eine erneute Verhandlung vor dem Landgericht verhandlungsfähig ist. Eine Zurückverweisung der Sache würde also mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Einstellung des Verfahrens führen. Bei einer solchen Sachlage hat die Rechtskraft Vorrang (vgl. BGHSt 40, 218 = NJW 1994, 2703, B. I. 2 der Gründe).

Externe Fundstellen: BGHSt 41, 72; NStZ 1995, 394

Bearbeiter: Rocco Beck