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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 539/93, Urteil v. 09.11.1993, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 5 StR 539/93 - Urteil vom 9. November 1993 (LG Berlin)

BGHSt 39, 390; Anforderungen an die Entscheidungsgründe eines Urteils bei Freispruch aus tatsächlichen Gründen; Beschränkung des Rechtsmittels der Nebenklage bei Dauerdelikten

§ 267 Abs. 5 StPO; § 395 StPO; § 400 StPO; § 401 StPO

Leitsatz

Steht des Dauerdelikt der Zuhälterei mit Menschenhandel und Vergewaltigung jeweils in Tateinheit, so ist eine Beschränkung der Revision auf die Aburteilung wegen Vergewaltigung zulässig (Ergänzung BGH, 11. Juni 1980, 3 StR 9/80, BGHSt 29, 288). (BGHSt)

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 28. Januar 1993 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Nebenklägerin, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen....

Gründe

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten schweren Menschenhandels in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Vom Tatvorwurf der Zuhälterei und der Vergewaltigung hat es ihn freigesprochen.

Die Nebenklägerin begehrt mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision die Aufhebung des Urteils mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen, soweit der Angeklagte vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen worden ist.

II.

1. Die Revision hat Erfolg. Zu Recht rügt die Beschwerdeführerin, das Urteil enthalte hinsichtlich des Vergewaltigungsvorwurfs keine Feststellungen zum eigentlichen Tatgeschehen und keine nachvollziehbare, einer Überprüfung zugängliche Beweiswürdigung.

a) Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muß der Tatrichter zunächst in einer geschlossenen Darstellung diejenigen Tatsachen mitteilen, die er für erwiesen hält; sodann ist im Rahmen der Beweiswürdigung darzulegen, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen - zusätzlichen - Feststellungen nicht getroffen werden können. Dabei muß die Begründung so abgefaßt sein, daß das Revisionsgericht prüfen kann, ob die in der Beweiswürdigung vorgenommene Bewertung der den Angeklagten belastenden Indizien und Beweismittel auf der Grundlage einer erschöpfenden Würdigung aller festgestellten Tatumstände erfolgt ist. Das Revisionsgericht muß insbesondere prüfen können, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind, d.h. ob die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, ob sie gegen Denkgesetze verstößt oder ob der Tatrichter an die für eine Verurteilung erforderliche Gewißheit überspannte Anforderungen gestellt hat (st. Rspr.; vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 4, 5, 7, 8). Lassen sich ausnahmsweise keine Feststellungen zum Tatgeschehen treffen, so ist dies in den Urteilsgründen unter Angabe der in Betracht kommenden Beweismittel darzulegen (vgl. BGH NJW 1980, 2423).

b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Zum eigentlichen Tatgeschehen enthalten die Urteilsgründe lediglich die Feststellung, daß Geschlechtsverkehr stattgefunden habe. Im übrigen begnügt sich das Landgericht damit, den Anklagevorwurf zu wiederholen. Sodann folgt eine Bewertung der Zeugenaussage der Nebenklägerin, ohne daß der Inhalt der Aussage wiedergegeben wird. Ohne nähere Erörterung des objektiven Geschehensablaufs und ohne Schilderung der Aussage des Opfers zu den Vorgängen am 29. Juli 1992 läßt sich nicht nachvollziehen, warum die Strafkammer nicht mit ausreichender Sicherheit zu der Überzeugung gelangt ist, daß die Zeugin B. dem Angeklagten ihren entgegenstehenden Willen "hinreichend deutlich gemacht hat", und warum sie zugunsten des Angeklagten nicht hat ausschließen können, "daß er die Weigerung der Zeugin B., mit ihm geschlechtlich zu verkehren, nicht als ernsthaft aufgefaßt hat und infolge ihres Verhaltens davon ausgegangen ist, daß sie sich ihm freiwillig hingibt".

2. Die Aufhebung erfaßt nur den Vorwurf der Vergewaltigung.

Zwar könnte dieser - entgegen der rechtlichen Beurteilung in der Anklageschrift - mit dem Vorwurf der Zuhälterei, und zwar in der Form der dirigierenden Zuhälterei - und diese wiederum mit der vom Landgericht abgeurteilten Tat des versuchten schweren Menschenhandels in Tateinheit mit Körperverletzung - in Tateinheit stehen. Grundsätzlich führt die Aufhebung aufgrund einer nach § 400 StPO zulässigen Nebenklagerevision dazu, daß dem neuen Tatrichter nicht nur das Nebenklagedelikt, sondern - insoweit über die Nachprüfung im Rechtsmittelverfahren hinaus - auch ein in Tateinheit damit stehendes Offizialdelikt zur erneuten Entscheidung unterbreitet wird (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 41. Aufl. § 400 Rdn. 7; Riegner NStZ 1990, 11, 16).

Bei Dauerdelikten, die, wie die Zuhälterei, ähnlich den §§ 129, 129 a StGB, dadurch gekennzeichnet sind, daß sie zahlreiche unterschiedliche Verhaltensweisen ungeachtet ihrer anderweitigen Strafbarkeit umfassen und zu einer rechtlichen Einheit verbinden, ist bei der hier gegebenen Fallgestaltung jedoch eine Rechtsmittelbeschränkung zulässig. Dies ergibt sich aus der Struktur der genannten Dauerdelikte, die auch dazu geführt hat, daß in Tateinheit mit dem Organisationsdelikt begangene Straftaten trotz rechtskräftiger Aburteilung dieses Delikts unter besonderen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen einer getrennten Aburteilung zugänglich sind (BGHSt 29, 288, 293; dazu BVerfGE 56, 22; Laufhütte in LK 10. Aufl. vor § 174 Rdn. 22, 23). Die Staatsanwaltschaft hätte deshalb eine Revision auf den Freispruch vom Vorwurf der Vergewaltigung beschränken können. Die rechtlichen Grenzen einer Nebenklagerevision ergeben sich dann aus §§ 395, 400 Abs. 1 StPO.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:

Der neue Tatrichter ist nicht gehindert, die nunmehr zu beurteilende Tat auch unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten - etwa nach § 223 oder nach § 178 StGB zu würdigen, selbst wenn der Schuldspruch in diesem Fall das Gewicht des Dauerdelikts Zuhälterei nicht erreicht.

Im Falle einer Verurteilung ist - unabhängig davon, aus welchem rechtlichen Gesichtspunkt sie erfolgt - mit der wegen versuchten Menschenhandels in Tateinheit mit Körperverletzung verhängten Freiheitsstrafe nach deren Rechtskraft eine Gesamtstrafe zu bilden. Im Falle einer Verurteilung aus § 177 oder § 178 StGB stünde diese Tat mit der nach § 181 Abs. 1 Nr. 1 StGB ohnehin in Realkonkurrenz, da die minder schwere Tat der Zuhälterei nach § 181 a StGB die genannten schwereren Delikte nicht zu einer Tat verbinden könnte. Bei Verurteilung wegen eines dem Dauerdelikt in seinem Unrechtsgehalt gleichwertigen oder geringer gewichtigen Delikts, wäre im Falle gleichzeitiger Aburteilung von Tateinheit auszugehen gewesen. Dieser Vorteil bliebe dem Angeklagten versagt, weil nunmehr das verbleibende abzuurteilende Delikt so zu behandeln ist, als stünde es zu dem bereits abgeurteilten in Tatmehrheit. Eine dadurch bedingte Härte wäre bei der Strafzumessung angemessen zu berücksichtigen.

Externe Fundstellen: BGHSt 39, 390; NJW 1994, 1015; NStZ 1994, 141; StV 1994, 284

Bearbeiter: Rocco Beck