hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 159/93, Beschluss v. 14.07.1993, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 5 StR 159/93 - Beschluß vom 14. Juli 1993 (LG Hildesheim)

BGHSt 39, 256; Fortsetzungszusammenhang bei Hinterziehung von Einkommen- und Gewerbesteuer.

§ 370 AO

Leitsatz

Zum Begriff der Institutionalisierung bei der Hinterziehung von Einkommen- und Gewerbesteuern. (BGHSt)

Entscheidungstenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird nach § 349 Abs. 4 StPO

1. das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte wegen Einkommensteuerhinterziehung in Tateinheit mit Gewerbesteuerhinterziehung für die Jahre 1978 und 1979 verurteilt worden ist;

die insoweit entstandenen Verfahrenskosten und notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatsanwaltschaft zur Last;

2. das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 21. September 1992 im Strafausspruch wegen tateinheitlicher Hinterziehung von Einkommen- und Gewerbesteuer und im Gesamtstrafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

II. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

III. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einkommensteuerhinterziehung in Tateinheit mit Gewerbesteuerhinterziehung sowie wegen Umsatzsteuerhinterziehung unter Einbeziehung einer weiteren Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge teilweise Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Mit Recht beanstandet die Revision die Annahme einer fortgesetzten tateinheitlich begangenen Hinterziehung von Einkommen- und Gewerbesteuern in den Jahren 1978 bis 1982.

1. Nach den Feststellungen betrieb der Angeklagte bis November 1975 die Diskothek "M.". In der Folgezeit übernahm seine Mutter das Lokal aufgrund eines Pachtvertrages vom 5. Dezember 1974. Sie betrieb die Diskothek unter verschiedenen Bezeichnungen bis Dezember 1983. Während desselben Zeitraums hatte die Mutter zudem die Konzession für zwei weitere Gaststätten inne: Die Diskothek "J." wurde vom Februar 1977 bis September 1979 und die Diskothek "Mi." vom März 1980 bis Mitte November 1983 unter ihrem Namen betrieben. Die Zwischenschaltung eines Pachtverhältnisses mit seiner Mutter diente dem Angeklagten jeweils nur dazu, nach außen zu verschleiern, daß die Diskotheken von ihm und seiner Ehefrau betrieben wurden. Dementsprechend erklärte er gegenüber dem Finanzamt für die Jahre 1978 bis 1982 im Hinblick auf die bezeichneten Diskotheken auch keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb, sondern gab insoweit lediglich Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung an. Gewerbesteuererklärungen gab der Angeklagte für diese Jahre nicht ab. Die Mutter des Angeklagten erklärte lediglich für 1978 und 1981 geringfügige Gewinne und für 1979 und 1980 Verluste; in den Jahren 1982 und 1983 ergingen Schätzungsbescheide. Einkommensteuer oder Gewerbesteuer wurde im gesamten Zeitraum nicht gegen sie festgesetzt.

Tatsächlich schöpfte der Angeklagte die Gewinne aus den Betrieben im wesentlichen ab, indem er für den von seiner Mutter beauftragten Steuerberater unzutreffende Buchhaltungsunterlagen erstellte, die zur Grundlage der falschen Steuererklärungen 1978 bis 1982 wurden, während er die tatsächlich vorhandenen Gewinne aus den Diskotheken schwarz vereinnahmte. Auf diese Weise hinterzog der Angeklagte in den Jahren 1978 bis 1982 insgesamt 247.133 DM Einkommensteuer sowie 49.529 DM Gewerbesteuer.

Nachdem das Finanzamt 1986 einen erheblichen ungeklärten Vermögenszuwachs beim Angeklagten festgestellt hatte, wurde durch die Steuerfahndung ein Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten, seine Ehefrau und seine Mutter eingeleitet. Anläßlich einer Durchsuchung am 1. Dezember 1986 wurde dem Angeklagten die Einleitung des Steuerstrafverfahrens mitgeteilt.

2. Das Landgericht ist in einer umfassenden Gesamtwürdigung zu der Überzeugung gelangt, daß der Angeklagte und seine Ehefrau von 1978 bis 1983 die tatsächlichen Inhaber und Betreiber der drei Diskotheken waren und als solche in dem festgestellten Umfang Steuern hinterzogen haben, während die Mutter des Angeklagten nur als Strohfrau tätig wurde. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision lassen keinen Rechtsfehler erkennen.

Rechtlicher Prüfung hält aber die Annahme des Landgerichts nicht stand, die Einkommen- und Gewerbesteuerhinterziehung für die Jahre 1978 bis 1982 stellten eine fortgesetzte tateinheitlich begangene Handlung dar.

a) Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verlangt zur äußeren Tatseite - außer der Gleichartigkeit des verletzten Rechtsguts und gleichartiger Tatbegehung einen engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen den einzelnen Teilstücken des Gesamtgeschehens (vgl. BGHSt 36, 105, 109 f.; 38, 165, 166 m.w.N.). Darüber hinaus ist ein Gesamtvorsatz erforderlich, der sämtliche Teile der geplanten Handlungsreihe in den wesentlichen Grundzügen ihrer künftigen Gestaltung umfaßt und den späteren Verlauf zwar nicht in allen Einzelheiten, aber mindestens insoweit vorweg begreift, als das zu verletzende Rechtsgut und sein Träger, ferner Ort, Zeit und ungefähre Art der Tatbegehung in Betracht kommen (BGHSt 37, 45, 47; 38, 165, 166 jeweils m.w.N.). Der Entschluß, künftig bei sich bietenden Gelegenheiten beliebig oft Straftaten gleicher Art zu begehen, begründet allein noch keinen Gesamtvorsatz (BGH aaO; BGHR StGB vor § 1/fortgesetzte Handlung Gesamtvorsatz 33, 46; vgl. Schmitz wistra 1993, 127 m.w.N.).

Grundsätzlich ist auch bei der Hinterziehung von jährlich zu veranlagenden Steuern ein Fortsetzungszusammenhang möglich (vgl. BGHR StGB vor § 1/fortgesetzte Handlung Gesamtvorsatz 32, insoweit in BGHSt 37, 266 nicht abgedruckt). Dessen Voraussetzungen bedürfen jedoch insbesondere bei Hinterziehung von Steuern über viele Jahre hinweg im Hinblick auf die langen Zeiträume, die schon vom System her zwischen den einzelnen Teilakten liegen können, einer besonders sorgfältigen tatrichterlichen Prüfung. Muß sich der Täter bei seinen jährlichen Manipulationen bei Abgabe der Steuererklärung jeweils neu auf die Verhältnisse einstellen, spricht dies gegen einen auf einen Gesamterfolg gerichteten Gesamtvorsatz. Die zu hinterziehenden Steuern müssen, soll Fortsetzungszusammenhang angenommen werden, nach Höhe und Zeiträumen ungefähr abzuschätzen sein; dies hat der Senat zur Hinterziehung von Lohn- und Umsatzsteuern ausgesprochen (BGHSt 38, 165, 167). Entsprechendes gilt für die Einkommensteuer. Eine nachträgliche Bildung oder Erweiterung des Gesamtvorsatzes ist nach Tatbeginn im Interesse einer gerechten Strafrechtspflege bei den jährlich zu veranlagenden Steuerarten ausgeschlossen (für die Einkommensteuer: BGHR AO § 370 Abs. 1 Gesamtvorsatz 4 im Anschluß an BGHSt 36, 105).

b) Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken gegen die Annahme einer fortgesetzten Einkommen- und Gewerbesteuerhinterziehung für 1978 bis 1982.

aa) Das Landgericht schließt den Gesamtvorsatz für die Jahre 1978 bis 1982 aus dem Abschluß des Pachtvertrages zum 1. Dezember 1975, ohne deutlich zu machen, warum der Angeklagte sodann erst für das Jahr 1978 eine unzutreffende Einkommensteuererklärung abgab. Selbst wenn man mit dem Generalbundesanwalt annehmen wollte, der Beschwerdeführer sei nach den Darlegungen des Landgerichts "jedenfalls im Jahre 1978 entschlossen gewesen, nach zwei erfolgreich unter Einsatz der Mutter als vorgebliche Betreiberin abgewickelten Geschäftsjahren das ... entwickelte und bewährte System fortzuführen" ..., ist ein Gesamtvorsatz für die Jahre 1978 bis 1982 nicht belegt. Es fehlt schon am Entschluß, der die gesamte Handlungsreihe umfaßt: Zu keinem Zeitpunkt war es für den Angeklagten absehbar, in welcher Höhe er Einkommen- und Gewerbesteuern hinterziehen würde. 1975 übergab er seiner Mutter aufgrund des Pachtvertrages nach außen zunächst das Lokal "M.", später umbenannt in "N.". Im Februar 1977 wurde zusätzlich die Diskothek "J." gepachtet, die bis zum 30. September 1979 betrieben wurde. Nach Auflösung des Pachtvertrages und Verkauf des Inventars an die Gemeinde B. im Jahre 1980 erwarb der Angeklagte unter Einsatz erheblicher finanzieller Mittel die Diskothek "Mi.", die sodann bis zum 13. November 1983 unter dem Namen der Mutter betrieben wurde. Dieser Wechsel der Verhältnisse war für den Angeklagten weder 1975 noch 1978 absehbar. Es bedurfte vielmehr ständig neuer Entscheidungen, wie die hinzu erworbenen Lokale betrieben werden sollten. Für die Mutter des Angeklagten mußten weitere Konzessionen beantragt werden, und der Angeklagte mußte sich jeweils neu entscheiden, in welchem Umfang er innerhalb der nebeneinander betriebenen Lokale Gewinne entnehmen wollte, ohne sie dem Finanzamt gegenüber offenzulegen.

bb) Die Auffassung des Landgerichts, der Angeklagte habe die Steuerhinterziehungen "institutionalisiert", trifft nicht zu. Der vom Senat im Rahmen der Umsatzsteuer mit monatlich abzugebenden Vorsteueranmeldungen verwendete Begriff der Institutionalisierung (BGH wistra 1991, 302 = NStZ 1991, 541) ist nur mit Vorsicht auf andere Steuerarten zu übertragen (vgl. den Nachweis in BGHSt 38, 165, 168 und BGH wistra 1993, 189). Er entbindet den Tatrichter insbesondere nicht von der sorgfältigen Prüfung, ob die übrigen Voraussetzungen des Gesamtvorsatzes vorliegen. Der Pachtvertrag des Jahres 1975 stellte zwar eine Möglichkeit dar, die tatsächlichen Verhältnisse im Rahmen der Steuererklärungen zu verschleiern und die beabsichtigten Steuerhinterziehungen zu erleichtern. Der Abschluß des Vertrages bewirkte aber bei den hier gegebenen Verhältnissen nicht, daß der Angeklagte die Entscheidung über die Frage, ob und in welchem Umfang er Steuern hinterziehen wollte, aus der Hand gegeben hatte (vgl. BGH wistra 1991, 302); dies aber ist Voraussetzung der Institutionalisierung. Die Grundentscheidung, auf eine bestimmte Art und Weise Steuern zu hinterziehen, bewirkt für sich alleine auch dann noch keine Institutionalisierung, wenn die Grundentscheidung in einem Jahr in die Tat umgesetzt worden ist und der Täter in den Folgejahren genauso vorgeht. Eine Institutionalisierung setzt vielmehr voraus, daß die Entscheidung, ob eine bestimmte unzutreffende, steuerlich bedeutsame Erklärung abgegeben werden soll, nicht mehr im Einzelfall vom Täter geprüft wird, sondern daß mit der einmal getroffenen Grundentscheidung die betrieblichen Abläufe vorgegeben sind. Den Feststellungen ist nicht zu entnehmen, daß eine solche Fallgestaltung vorgelegen hat.

3. Die Annahme einer fortgesetzten Handlung beschwert den Angeklagten. Er und seine Ehefrau wurden mit Bescheiden vom 23. Juni 1980 zur Einkommensteuer 1978 und vom 24. September 1981 zur Einkommensteuer 1979 veranlagt. Damit war hinsichtlich dieser Jahre zum Zeitpunkt der ersten verjährungsunterbrechenden Maßnahmen (Bekanntgabe der Einleitung des Steuerstrafverfahrens am 1. Dezember 1986) bereits Verfolgungsverjährung nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB eingetreten.

Der Senat hat das Verfahren insoweit nach § 206 a StPO wegen Verjährung der Strafverfolgung eingestellt, da in einer neuen Hauptverhandlung keine weitergehenden Erkenntnisse zu erwarten sind.

4. Im übrigen kann der Schuldspruch bestehenbleiben. Durch die Annahme einer fortgesetzten Handlung hinsichtlich der für die Jahre 1980 bis 1982 bewirkten Einkommen- und Gewerbesteuerhinterziehungen ist der Angeklagte nicht beschwert (vgl. BGH, Beschluß vom 4. Mai 1993 - 5 StR 206/93 -).

II.

Soweit der Angeklagte wegen Umsatzsteuerhinterziehung in den Jahren 1985 und 1986 im Zusammenhang mit dem von ihm selbst betriebenen Nachtlokal "C." für schuldig erachtet worden ist, hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

III.

Die vom Senat vorgenommene Teileinstellung und die daraus folgende Verminderung des Schuldumfangs um 98.242 DM führt zur Aufhebung der wegen tateinheitlich begangener Einkommen- und Gewerbesteuerhinterziehung verhängten Einzelstrafe und der Gesamtstrafe. Zwar kann verjährtes Vortatverhalten strafschärfend berücksichtigt werden. Indessen kommt einem solchen Vorwurf nicht das gleiche Gewicht zu wie im Rahmen eines Schuldspruchs (so auch BGH, Beschluß vom 4. Mai 1993 - 5 StR 206/93 -).

Die wegen Umsatzsteuerhinterziehung 1985 und 1986 verhängte Einzelstrafe von 50 Tagessätzen zu 30,-- DM kann indessen bestehenbleiben. Der Senat schließt aus, daß diese Strafe von der Höhe der aufgehobenen Einzelstrafe beeinflußt worden ist.

Externe Fundstellen: BGHSt 39, 256; NJW 1993, 2693; NStZ 1993, 545; StV 1993, 526

Bearbeiter: Rocco Beck